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Was ist falsch an der Fälschung?

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Im Fall Beltracchi zeigt sich sehr klar, wie die Erklärungsversuche unserer Gesellschaft in ihrem Bestreben, die Kunst als reine Sphäre zu erhalten, und die Aussagen des Fälschers ineinandergreifen. Man reinigt den Täter von seinen bösen Motiven, während man ihm „sicherheitshalber“ auch gleich den Künstlerstatus abspricht – nicht zuletzt deshalb werden seine Bilder im Nachhinein wohl als schlecht gemalte und leicht enttarnbare Machwerke dargestellt. Neben der Selbstvergewisserung des eigenen Verständnisses, das man von dem System „Kunst“ hat, glückt damit auch der Ausschluss des Fälschers aus eben diesem System. Es ist jedoch die Frage, ob man es sich damit nicht doch zu einfach macht, denn der Fälscher hat sich zumindest als fähiger Maler und kreativer Handwerker erwiesen. Anders wäre nicht zu erklären, dass seine Fälschungen über einen gewissen Zeitraum hinweg nachhaltig zu täuschen vermochten.

Die in den Romanen und Filmen beobachtete Aufspaltung in die Niederungen des für Fälschungen verantwortlich gemachten Kunstmarktes einerseits und andererseits die reine Idealität der Kunst an sich führt auch zu der zentralen Frage, was an einer Fälschung als problematisch empfunden wird. Ein wesentlicher Aspekt ist dabei, dass mit gewissen Objekten ganz bestimmte Bedeutungen und Ideale verknüpft werden. So soll der amerikanische Regisseur Steven Spielberg 1984 auf einer Auktion für 55.000 Dollar den „Rosebud“-Schlitten, ein zentrales Original-Requisit aus Orson Welles’ Filmklassiker Citizen Kane von 1941, ersteigert haben. Der fungiert in dem Film als finale Auflösung der zum Auftakt der Handlung gestellten Frage, wonach die Titelfigur, der Milliardär Charles Foster Kane, in seinem Leben wohl am meisten gestrebt habe. Der Schlitten steht in Citizen Kane für die verlorene, von der Mutter geprägte Kindheit des Protagonisten. Für Spielberg selbst hingegen stellte das Requisit, seinen Worten zufolge, „das Symbol für künstlerische Qualität im Kino“ dar. „Betrachtet man den Schlitten, denkt man nicht länger an schnelles Geld, hastige Serien und Remakes“, so Spielberg nach dem Kauf. Kurze Zeit später musste sich Spielberg jedoch angeblich sagen lassen, dass er bei dem Kauf des Schlittens garantiert auf eine Fälschung hereingefallen sei.

Anhand von Spielbergs Sicht auf das Requisit lässt sich das Spannungsfeld gut nachzeichnen, das sich eröffnet, wenn ein als original angenommenes Objekt mit bestimmten Idealen verknüpft wird. Es erhält durch die Aufladung mit solchen Assoziationen geradezu eine Art von Fetisch- oder Reliquiencharakter und wird zum materiellen Träger bestimmter Vorbilder und Leitgedanken. Diese projiziert der Betrachters oder Besitzer zwar auf das Objekt, hat dabei aber den Eindruck, dass diese Ideale in dem Gegenstand selbst verkörpert seien. Durch die physische Nähe zu dem Gegenstand wird dem Betrachter anscheinend die Möglichkeit gegeben, über das Objekt mit eben diesen Idealen selbst in Verbindung zu treten. Im Fall eines Kunstwerks fällt diese Art von Begegnung und Beziehung sogar noch direkter und intensiver aus, denn das Werk transportiert nicht nur die Handschrift des Künstlers, der es einst geschaffen hat. Vielmehr wird dem Betrachter, indem er vor genau dem Gegenstand steht, an dem der Künstler seinerzeit gearbeitet hat, scheinbar eine Verbindung mit dem Künstler selbst ermöglicht, welche die zeitliche Distanz überbrückt. Dabei spielen Projektion und Aufladung des Objektes seitens des Betrachters eine große Rolle. Der Besuch einer Ausstellung oder eines Museums und das Streben danach, vor dem besichtigten Gegenstand eine ästhetische Erfahrung zu machen, sind von den Erwartungen, die sodann auf das Kunstwerk gerichtet werden, nicht zu trennen. Das Kunstwerk scheint dieses Verlangen zu erfüllen, indem es dem Betrachter etwas über sich und seinen Schöpfer mitteilt – tatsächlich liest der Betrachter jedoch zu nicht unwesentlichen Anteilen nur das aus dem Kunstwerk heraus, was er zuvor selbst in es hineinprojiziert hat.

Erfährt er nun im Nachhinein, dass es sich bei dem vermeintlichen Original nur um eine Imitation, eine Kopie oder ein Faksimile gehandelt hat, wird ihm deutlich, dass die von ihm gemachte Erfahrung nur auf einer (Selbst-)Täuschung beruht hat. Die erhoffte Verbindung zum Urheber des Originals war in diesem Fall schließlich nur vermittelt oder gar nicht möglich. Wird dem Betrachter zudem klar, dass hinter dem Ganzen sogar eine arglistige Täuschung durch eine Fälschung stand, so spitzen sich seine negativen Gefühle von Enttäuschung, Frustration und Scham sogar noch weiter zu, da das Objekt nicht nur unecht ist, sondern auch noch in betrügerischer Absicht geschaffen wurde.

Die Fälschung selbst scheint keine Eigenbedeutung zu haben, da sie immer nur auf etwas anderes verweist und ihren Wert aus diesem Verweis bezieht. Darüber hinaus ist der Urheber der Fälschung, im Gegensatz zum Schöpfer des Originals, darum bemüht, seinen eigenen Anteil zu verwischen und hinter dem gefälschten Künstler möglichst unerkennbar zurückzutreten, sodass ein über das Werk erfolgender Kontakt mit dem Fälscher nicht möglich ist. Ganz abgesehen davon, wäre diese Art der Verbindung mit dem Fälscher von einem Großteil des Publikums auch gar nicht erwünscht – sie wird lediglich von den wenigen Sammlern angestrebt, die nicht an dem gefälschten Künstler, sondern ganz bewusst an der Arbeit des Fälschers interessiert sind.

Angesichts der so in die Beurteilung der Fälschung hineinspielenden moralischen Implikationen, hat es in der Kunstgeschichte schon im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts den Versuch gegeben, das Phänomen der Fälschung adäquater zu betrachten. 1933 veröffentlichte der Kunsthistoriker Hans Tietze den Aufsatz Zur Psychologie und Ästhetik der Kunstfälschung, in dem er versuchte, die Fälschung unter rein objektiven Gesichtspunkten zu betrachten. Den Akt und das Ergebnis der Fälschung definierte er „kunstwissenschaftlich“ als „Interpretation von Vorbildern, die sich wegen bestimmter ihnen eigentümlicher Eigenschaften einer übermäßigen Wertschätzung erfreuen, und von anderen Deutungsweisen nicht so sehr gradweise wie durch ihre Konflikte mit Werten geschieden, die entweder völlig außerhalb des Künstlerischen oder aber sehr an dessen Rande liegen, daß sie nur einer historisch bedingten Auffassung noch als Bestandteile des Künstlerischen erscheinen.“

Tietze trifft zwei Kernaussagen: Fälschungen beziehen sich auf Originale, denen eine besondere Bedeutung beigemessen wird. Und: Die Kunstfälschung bedient sich sämtlicher legitimer künstlerischer Methoden, dies jedoch mit einer gegenüber dem Original veränderten Zielsetzung. Während eine Kopie aus primär künstlerischen Beweggründen ein bestimmtes Original „interpretiert“ und „deutet“, setzt sich eine Fälschung meist aus überwiegend finanziellen Erwägungen damit auseinander.

Eben diese Sicht, dass Fälschungen an sich nichts anderes als Auseinandersetzungen mit Werken der Kunstgeschichte sind und dass erst außerkünstlerische Überlegungen, wie beispielsweise solche zum Wert eines Kunstwerks, dazu führen können, eine Fälschung als Problem zu sehen, bildet das Herzstück der Argumentation von Alfred Lessing. Der ursprünglich aus den Niederlanden stammende und 1948 in die USA emigrierte Philosoph hat erstmals 1965 seinen Aufsatz What is Wrong with a Forgery veröffentlicht, ein Titel, der im Deutschen fast noch besser funktioniert: Was ist falsch an der Fälschung. Wie vor ihm Tietze, stört sich auch Lessing daran, dass dem automatisch negativ besetzten Begriff der „Fälschung“ der stets positiv bewertete der „Echtheit“ gegenübergestellt wird, und er hinterfragt in seinem Text die Rechtmäßigkeit einer solch normativen Einordnung. Er plädiert dafür, dass alle Kunstwerke, also auch die gefälschten, rein ästhetisch betrachtet werden sollten, da der Umstand, dass sie gefälscht seien, nichts an ihrer Schönheit ändere. Dies sei vielmehr ein von außen an die Werke herangetragenes Wissen. Zu welchen Paradoxien der Einbezug solcher externen Umstände bei der Beurteilung von Kunst führt, macht der Philosoph an dem seiner Meinung nach inkonsequenten Verhalten von Experten und Kunstkritikern deutlich. Sie würden ein Werk so lange loben und preisen, wie es ihnen echt erscheine, es jedoch sofort mit Verachtung belegen, wenn sich herausstelle, dass es gefälscht sei. Wie, so fragt Lessing, kann ein so radikaler Standpunktwechsel glaubhaft vermittelt werden, wo sich an dem Werk selbst doch gar nichts geändert habe. Er fordert daher, dass die Einschätzung solcher Werke konstant bleiben und ihre Beurteilung nicht vom Wissen über ihre Entstehungsumstände beeinflusst werden solle, das mit ihrer Schönheit nichts zu tun habe. Für einen kunsthistorisch ungebildeten Laien bestünde daher auch kein Unterschied, ob er vor einer Vermeer-Fälschung Han van Meegerens (Abb. 1) oder vor einem echten Vermeer-Gemälde (Abb. 2) stehe. Aus diesen Überlegungen schließt Lessing weiter, dass es kein ästhetisch begründetes Argument dafür gebe, Fälschungen aus den Museen zu entfernen.


Abb. 1: Han van Meegeren, Partiturlesende Frau, 1935/36, Amsterdam, Rijksmuseum

Man könnte Lessings Position an dieser Stelle sehr ausführlich diskutieren – hier sei jedoch nur auf wenige ausgewählte Aspekte eingegangen. So bleibt beispielsweise unklar, was er genau unter einer „rein ästhetischen Betrachtungsweise“ von Kunst versteht. Bereits der schottische Philosoph David Hume (1711–1776) kam in seinen 1757 erschienenen Four Dissertations zu folgendem Ergebnis: „Schönheit ist keine Qualität, die Dingen an sich eigen ist – sie existiert lediglich in dem Geist, der diese Dinge betrachtet; und jeder Geist nimmt eine unterschiedliche Schönheit wahr“. („Beauty is no quality in things themselves – it exists merely in the mind that contemplates them; and each mind perceives a different beauty“). Demzufolge kann es die von Lessing postulierte „reine Ästhetik“ ebenso wenig geben wie die von ihm empfohlene „rein ästhetische Betrachtungsweise“. Vielmehr sind ästhetische Erfahrung und die Wahrnehmung von Schönheit stets an individuelle Erfahrungen und Zusammenhänge einerseits und an allgemeine Werturteile andererseits rückgebunden. Allgemeine Werturteile basieren auf den Aushandlungen und Konstrukten der jeweiligen Gesellschaft. Schönheit ist folglich relativ, sowohl in Bezug auf verschiedene Kulturen als auch bezüglich der Wahrnehmung durch jedes Individuum innerhalb einer Kultur. Ästhetisches Empfinden ist dem Menschen nicht a priori gegeben, andernfalls hätten weltweit alle Menschen dauerhaft denselben Geschmack. Es wird erst nach und nach mittels Erfahrungen und Vergleich erworben und entwickelt. Ästhetische Wertschätzung funktioniert nur im historischen und individuellen Bezugsrahmen, weshalb die von Lessing postulierte absolute, unhistorische, „reine“ ästhetische Erfahrung unmöglich ist.


Abb. 2: Jan Vermeer, Brieflesende Frau, 1663/64, Amsterdam, Rijksmuseum

Insofern ist es sowohl für den Laien als auch für den Experten doch ein Unterschied, ob er vor einem Original von Vermeer (Abb. 2) oder einer Vermeer-Fälschung Han van Meegerens (Abb. 1) steht, da der Betrachter das jeweils Gesehene unterschiedlich in sein ästhetisches Empfinden aufnimmt. Hält er das Bild van Meegerens für ein Werk Vermeers, so mag er den Umstand, dass es eigentümlich frisch und modern auf ihn wirkt, auf die Zeitlosigkeit, Kühnheit und Fortschrittlichkeit Vermeers zurückführen. Weiß er hingegen, dass es sich nicht um ein Gemälde des 17. Jahrhunderts, sondern um ein Werk des 20. Jahrhunderts handelt, so überraschen ihn diese Frische und Modernität nicht besonders und er fragt sich eher, warum ein Maler des 20. Jahrhunderts sich am historisch weit zurückliegenden Stil Vermeers orientiert.

Zudem ist ein Kunstwerk stets auch als Dokument der Epoche, in der es entstanden ist, zu würdigen: Sehen wir auf einem vermeintlichen Vermeer-Gemälde eine Frau, die eine Partitur liest, als wäre es ein Brief oder ein Buch, so messen wir dieser Darstellung eine besondere Bedeutung bei, da sie uns etwas Neues über den damaligen Alltag zu vermitteln scheint. Wissen wir hingegen, dass es sich dabei um eine Fantasie des 20. Jahrhunderts handelt, die zudem von dem Fälscher mit Kalkül gewählt wurde, um seinem Bild eine besondere Aufmerksamkeit zu sichern, so sehen wir die Darstellung mit anderen Augen: Wir erkennen all die Elemente, die auf Gemälde Vermeers verweisen – der Typus der Frau, ihr Ohrring, die ganze Komposition, die Farbigkeit – und sehen in dem Bild weniger seine kreativ-produktiven Anteile, als vielmehr seine reaktiv-reproduktiven Momente. Das hingegen, was an dem Gemälde neu erschien, die Darstellung einer partiturlesenden Frau, erachten wir nun nicht mehr als interessante Information, sondern als willkürliche Erfindung. In seinem Anspruch, als Original Vermeers aufgefasst zu werden, barg das Gemälde zugleich die Gefahr einer Verfälschung der (Kunst-)Geschichte, die aus der Fälschung eventuell falsche Rückschlüsse auf das Leben im 17. Jahrhundert gezogen hätte. Hätte sich das Bild hingegen unmittelbar als moderne Fantasie zu erkennen gegeben, so wäre es inhaltlich unproblematisch, aber auch uninteressant.

Angesichts von Fällen wie diesem wird zugleich deutlich, wie wichtig es für das Thema der Kunstfälschung ist, eine präzise Terminologie zugrundezulegen. Ebenso wichtig ist ein Bewusstsein für die zumindest begrifflich gut fassbaren Misch- und Übergangsformen im Spektrum der Kunstfälschungen.

Wie relativ bereits die Vorstellungen von Originalität und Echtheit sein können, wird alleine daraus ersichtlich, wie diese zu unterschiedlichen Zeiten verstanden und definiert wurden. Waren in der Antike vor allem das Material und die handwerkliche Faktur eines Gegenstandes für dessen Bewertung ausschlaggebend, so war es ab dem Mittelalter bis in den Barock hinein die Werkstatt, welche für die Echtheit garantierte. Dabei gewann ab der Renaissance der Meister, der eine Werkstatt führte, zunehmend als Künstlerpersönlichkeit an Gewicht und wurde infolgedessen auch namentlich immer bedeutender. Letztlich hing jedoch die Authentizität eines Kunstwerks in der Renaissance, wie auch später noch im Barock, von den Vertragsbedingungen ab, die im Auftrag festgeschrieben wurden. Die möglichen Varianten reichten hierbei von Werken, bei denen der Meister lediglich einen Entwurf zu liefern hatte und die seinen Gehilfen überlassene Ausführung zuletzt noch einmal überprüfte, bis hin zu detaillierten Abmachungen, wieviel und welche Arbeit der Meister eigenhändig zu leisten habe.

In der Moderne verlagerte sich die mit der Renaissance einsetzende Würdigung der Leistung des einzelnen, namentlich belegbaren Individuums dann zunehmend dahingehend, dass dieses auch mehr oder weniger selbst bei der Ausführung tätig wurde und ein Unikat vorlegte. Betrachtet man jedoch aktuelle Organisationen von Ateliers, Künstlerkollektiven und Architekturbüros, so scheint sich heute erneut der Werkstattgedanke durchzusetzen (vgl. den in Kapitel 2 diskutierten Fall um eine angebliche Fälschung eines Werks von Jörg Immendorff). Dieser aktuell wieder aufgegriffene Werkstattgedanke gerät jedoch vielfach in Konflikt mit der seit der Moderne vorherrschenden Konzeption von Originalität.

Täuschend echt!

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