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Einwände und Zweifel

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Obwohl die Tiara solcherart von den Experten gefeiert und als Höhepunkt in der Mitte einer Dauerausstellung im Louvre platziert wurde, stieß sie beim Publikum auf kein übermäßiges Interesse. Dies änderte sich erst, als kritische und skeptische Stimmen laut wurden, die Zweifel an der Echtheit des Objekts äußerten und dabei auf einige Sonderbarkeiten hinwiesen. Ihnen erschien es wenig glaubhaft, dass auf einer für einen Skythenkönig geschaffenen Krone Szenen der Ilias zu sehen sein sollten, da die Gesänge des Homer mehr Niederschlag bei Künstlern der Neuzeit, insbesondere des 19. Jahrhunderts, als bei den Griechen gefunden hätten, die eher lokale Götter- und Heroengeschichten bevorzugten. Jenseits dieser Rezeption, wie sie eher für das Denken des 19. Jahrhunderts charakteristisch war, wo man davon ausging, dass Homer auch für die antiken Künstler eine beständige und verpflichtende Quelle dargestellt haben müsse, erschien es wenig überzeugend, dass ein griechischer Künstler den Stoff von Homers Ilias ausgerechnet für einen Skythen-König interpretiert haben sollte, der als nicht Griechisch Sprechender für die Griechen ein „Barbar“ war.

Hinzu kamen stilistische, motivische und ikonografische Beobachtungen: So fiel an einigen Figuren auf, dass sie sich in ihrer Gestik, ihrer willkürlichen Verteilung im Raum und auch im Faltenwurf ihrer Gewänder, die auffällig gerne weibliche Brüste freilegten, eigentümlich modern ausnahmen. Andere Gestalten gehen nachweislich auf den sogenannten spätrömischen Schild des Scipio (Paris, Bibliothèque Nationale, Cabinet des Médailles) zurück, eine große, flache Silberplatte, die gegen Ende des 4. Jahrhunderts entstanden sein dürfte und 1656 in der Rhône bei Avignon gefunden worden war. Wie sollte der Autor dieser Platte von der angeblich an der Schwarzmeerküste auf der Krim gefundenen Tiara Kenntnis gehabt haben?

In einer Szene mit dem Opferbrand für Patroklos (Achill opfert hier am Scheiterhaufen seines Gefährten zwölf junge Trojaner) erscheinen zwei Windgottheiten, die als Putten gegeben werden. Dies hat jedoch keine Parallele in der übrigen griechischen Kunst, wo Windgötter stets, um ihre Stärke zu verdeutlichen, als erwachsene Figuren dargestellt sind.

Besonders auffällig erschien schließlich die Darstellung mit der Entführung der Rosse des Rhesos durch Odysseus. Abgesehen von eigenwilligen Abweichungen (eigentlich sollten hier nur zwei und nicht vier Pferde erscheinen), konnte gezeigt werden, dass die Darstellung auf eine berühmte apulische Vasenmalerei zurückgeht, was sich wiederum mit der angeblich skythischen Herkunft der Tiara wenig vertrug.

Sogar die im Dekorstreifen der Krone untergebrachten Skythendarstellungen erschienen schließlich merkwürdig. Zum einen wird hier das Kunsthandwerk der Skythen viel zu ausführlich wiedergegeben; eigentlich aber sollte die Tiara ja von einem Griechen stammen, der sich wohl kaum so sehr in die Ornamentik der Skythen eingedacht und eingearbeitet hätte. Zum anderen kann man auch hier einen handfesten ikonografischen Fehler beobachten, denn in einer Jagddarstellung bekrönt die Siegesgöttin Nike einen erfolgreichen Jäger. Derartige Siegesauszeichnungen waren jedoch nur für Kriegstaten, nicht jedoch für Jagderfolge üblich.

Die zahlreichen und deutlichen Hinweise für die Identifikation boten dem Archäologen die Vorteile, die Tiara zum einen befriedigend einordnen zu können und zum anderen durch sie bereits bekannte Fakten (etwa diejenigen des Protogenes-Dekrets) anschaulich bestätigt zu finden. Dennoch passt das Objekt selbst eher schlecht zur historischen Faktenlage, denn in den historischen Berichten ist stets nur die Rede von Geld-, nicht aber von Schmuckgeschenken, die man Saitaphernes machte. Er scheint offenbar nur an Geld und nicht an Kunst interessiert gewesen zu sein, hätte einer Arbeit wie der Tiara also wahrscheinlich wenig Beachtung geschenkt. Ein Kunstwerk wie die Tiara wäre folglich in Olbia kaum in Auftrag gegeben worden.

Täuschend echt!

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