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Die Tiara des Saitaphernes „Reine Kunst in ihrer saubersten und feinsten Form“

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Am 1. April 1896 verkündete der Louvre triumphierend den Ankauf eines seltenen Objektes (Abb. 5). Für die damals immense Summe von 200.000 Francs hatte man eine Tiara, eine goldene Krone, gekauft. Sie soll dem König der Skythen gehört haben, einem iranischen Nomadenvolk von Reiterkriegern, das ab dem 7. Jahrhundert v. Chr. in Südrussland und der Ukraine ansässig war. Die Skythen waren als hervorragende Bogenschützen bekannt und wurden im antiken Griechenland häufig als Söldner angeworben. Sie hinterließen zwar selbst keine schriftlichen Aufzeichnungen, wurden aber von dem griechischen Historiker Herodot (um 485–425 v. Chr.) detailliert beschrieben. Aufgrund seiner Angaben wurden im nördlichen Schwarzmeergebiet gemachte Funde aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts und aus dem späten 4. Jahrhundert v. Chr. als „skythisch“ bezeichnet. In unserem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass die Skythen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert im Zuge eines allgemeinen Interesses an den historischen Voraussetzungen der einzelnen Nationalitäten insbesondere in Russland wieder an Beachtung gewannen. Das schlug sich sogar in der damaligen Musik nieder: Inspiriert von Igor Stravinskys 1913 für den Impresario Sergei Djagilew komponierter Ballettmusik zu Le Sacre du Printemps (Die Frühlingsweihe. Bilder aus dem heidnischen Russland, kurz: Das Frühlingsopfer), schrieb Sergej Prokofjew 1914/15 für denselben Auftraggeber seine Ballettmusik Ala und Lolly, die dann unter dem prestigeträchtigeren Titel Skythische Suite ihre Uraufführung erlebte.

Bei der nun 20 Jahre zuvor angekauften skythischen Tiara handelt es sich um eine Art konischer Mütze aus Gold, die mit Szenen aus Homers Ilias sowie mit Darstellungen aus dem Alltagsleben der Skythen, wie etwa Jagdepisoden, dekoriert war.

Eine griechische Inschrift mit dem Wortlaut „Der Rat und die Bürger von Olbia in Ehrfurcht dem großen und unbesiegten König Saitaphernes“ lieferte eine konkrete Lokalisierung und eine indirekte Datierung des Objektes. Olbia war eine antike griechische Koloniestadt nahe der Mündung des Flusses Dnjepr an der nördlichen Schwarzmeerküste, in der Griechen, Skythen und Sarmaten zusammengelebt hatten. Herodot erwähnt eine Karawanenstraße, die von Olbia nach Innerasien geführt haben soll und auf der unter anderem auch Teile des Goldes der Skythen transportiert worden sein könnten. Auch der erwähnte Saitaphernes ließ sich identifizieren und geschichtlich zuordnen, denn der Skythe hatte im frühen 3. oder späten 2. Jahrhundert v. Chr. Olbia besiegt und daher wertvolle Geschenke von den Unterlegenen erwartet, wie man aus dem sogenannten Protogenes-Dekret weiß. Hierbei handelt es sich um einen vor 1823 gefundenen Inschriftenstein, in dem viele Fakten zur Geschichte von Olbia sowie insbesondere zu dessen reichem Einwohner Protogenes überliefert werden, der wiederholte Zahlungen an den Barbarenkönig Saitaphernes geleistet sowie die Befestigungsanlagen der Stadt finanziert haben soll – und tatsächlich erscheint auf der Tiara unterhalb des Ilias-Szenenfrieses die Darstellung einer Stadtmauer.


Abb. 5: Israel Dov-Ber-Rouchomovsky, Tiara des Saitaphernes, um 1895, Paris, Louvre

Die 443 Gramm schwere, 17,5 Zentimeter hohe Tiara mit einem Durchmesser von 18 Zentimetern an der Basis wurde von den Experten, aufgrund eben dieser historischen Bezüge, in die betreffende Zeit datiert und bei ihrer Präsentation in den Jahren 1896 bis 1903 mit Lobeshymnen überschüttet, welche ihren „perfekten Erhaltungsgrad“, ihr „sehr feines Dekor“ und ihren Reichtum an Kunstmotiven hervorhoben und sie als „reine Kunst in ihrer saubersten und feinsten Form“ priesen.

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