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Kapitel 7 Zuhause

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Benommen riss Jana die Augen auf. Sie war eingedöst. Vater sagte etwas und sie hatte nicht verstanden, was. Das Mädchen sah mit hochgezogenen Augenbrauen in den Innenspiegel und suchte seinen Blick, den er erwiderte.

»Ich sagte, wir sind gleich da. Du bist wahrscheinlich müde und hast vor dich hingeträumt.« Er lächelte. »Mama wartet. Ich habe ihr die Girlanden und Willkommensschilder ausgeredet. Du weißt auch so, dass wir dich lieb haben.«

Sie nickte. Das fehlte noch, dass amerikanische Rituale bei ihnen Einzug hielten. Tatsächlich waren sie schon auf der Heerlener Straße in Scherpenseel und mussten gleich links nach Grotenrath abbiegen.

War sie verrückt? Wurde sie verrückt? Der Unfall oder was es war, hatte sie ganz schön durcheinandergebracht. Wieso dachte sie immer wieder ihren Traum, den sie scheinbar zwei Jahre geträumt hatte … oder etwa nicht?

Wenige Minuten später hielten sie vor ihrem Haus.

Ihre Mutter stand schon in der Türe. Was ihr im Krankenhaus nicht aufgefallen war, sah sie jetzt. Mama war immer ein wenig pummelig. Jetzt stand sie rank und schlank dort. Fast zu schlank dachte sie. Als ob sie krank gewesen war, nicht ich. Sie trug ihr braunes Haar offen. Früher hatte sie es immer zu einem Knoten im Nacken zusammengebunden. Jetzt hing es glänzend bis zwischen die Schulterblätter. Mama ist eine schöne Frau, ging ihr durch den Kopf.

»Gut, dass du wieder zu Hause bist.« Mama schloss sie in die Arme und drückte sie fest. Befangen gingen sie ins Gebäude. Nichts hatte sich verändert. Alles war so, wie sie es in Erinnerung hatte. Heimlich atmete sie auf. Zwei Jahre waren eine unendlich lange Zeit, da hätte viel geschehen können. Kläffend stürmte auch schon Dreckbär heran und warf sich winselnd vor ihr auf den Fußboden. Sie ging in die Hocke und nahm den Mischlingsrüden in den Arm. Mischlingsonkel wäre vielleicht besser. Er war kastriert und hörte normal auf den Namen Wolle. Weil er jede Pfütze und jeden Misthaufen liebte, blieb es, einmal ausgesprochen, eben bei Dreckbär. Sie vergrub ihren Kopf in seinem Fell und ließ den Tränen freien Lauf. Obwohl die Zeit der Abwesenheit für sie nur kurz war, merkte sie, wie lang sie für die anderen geworden war. Sie stand auf und nahm ihre Mutter noch einmal in den Arm. Sie bemerkte, wie groß sie geworden war. Eins zweiundfünfzig war sie, als sie ins Krankenhaus kam. Jetzt war sie kaum kleiner als Mama.

»Setz dich«, sagte ihre Mutter. »Ich mache dir einen Kakao.«

Jana schüttelte den Kopf und ging zum Schrank. Sie zeigte auf den Hagebuttentee. Im gleichen Augenblick kamen die Gedanken wieder. In der Zwischenwelt mussten sie weder trinken noch essen. Darüber hatte sie sich dort keine Gedanken gemacht. Blöde Gedanken, schalt sie sich. Sie wurde künstlich ernährt. Weshalb sollte sie Hunger oder Durst haben? Nein, so ganz stimmte das auch nicht. Dr. Wegener erzählte, dass sie mehrere Male festen Stuhlgang hatte, obwohl das unmöglich war. Die Laboruntersuchung habe auf durchaus normale Lebensmittel, wie Brot und Obst, gewiesen. Sie wurde bestimmt bekloppt, wenn sie es nicht schon war.

Sie bemerkte nicht, wie Papa sie am Arm nahm und zu einem Stuhl führte. Die Ärzte hatten den Eltern gesagt, dass Jana plötzlich in Gedanken stehen blieb, jedoch kein Anlass zur Sorge bestand und der Zustand in der Regel nur wenige Minuten dauerte. Dennoch tauschten Mutter und Vater einen unruhigen Blick.

Janas Eltern waren weder arm noch reich. Die Familie lebte in dem kleinen Heidedorf. Gemeinsam hatten sie dort das alte Haus restauriert und saniert. Hinter dem Haus lagen der selbst bewirtschaftete Garten und die große Wiese. Kein Rasen, wo jeder Halm, millimetergleich geschnitten war. Eine richtige Wiese mit Blumen, die vom Frühjahr bis zum Herbst, manchmal in den Winter hinein, blühten. Ab und an unterbrach ein Obststrauch die grüne Fläche. Stachelbeeren und Johannisbeeren. Das Gras wurde alle paar Wochen gesenst, und zwar abwechselnd von jedem Familienmitglied. Jana hatte darin eine wahre Meisterschaft entwickelt. Sie waren keine Naturfreaks, fanden es jedoch schöner, durch knöchelhohes Gras zu laufen, als über einem Teppich zu schweben. In einem abgegrenzten Bereich stand das große Gewächshaus und unweit davon schloss sich der Hühnerstall an einen Anbau an, der in früheren Zeiten als Schweinestall genutzt wurde. Darin hatte der Vater eine kleine Werkstatt und Jana einen Hobbyraum. Durch den Anbau gelangte man trockenen Fußes in den Wintergarten.

Jana liebte diesen Garten. Je älter sie wurde, umso deutlicher wurde ihr bewusst, dass die Geschichten ihres Großvaters, die er während ihrer Kindheit erzählt hatte, einen großen Einfluss auf ihr Leben nahmen. Darin spielte der Garten, vielmehr die Wiese, eine große Rolle. Mittlerweile war sie sechzehn Jahre alt, plus zwei Jahre im Koma. Zwei Jahre, die fehlten und die Gedanken, die sie zurzeit hatte, bestätigten. Oder war es möglich, dass sie diese Zeit woanders verbracht hat? Nein. Unmöglich. Sie war in kein Buch oder durch einen Spiegel gestiegen. Auch hinter ihrem Kleiderschrank gab es nichts. Nur eines wusste sie bestimmt: In den letzten zwei Jahren waren die Erzählungen ihres Großvaters wichtig und letztendlich der Grund, dass sie im Moment, wieder unter den Lebenden weilte.

Sie hatte niemals Angst in der Zwischenwelt, was sie jetzt im Nachhinein verwunderte. Sie fühlte sich jederzeit in der Geschichte ihres Opas. Woher nahm sie diese Sicherheit? Jana zuckte mit den Schultern und wandte ihre Aufmerksamkeit dem Grund zu, der sie in die Zwischenwelt verschlagen hatte.

*

Dem Jenseits entkommen

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