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Kapitel 17 Professor Lauten

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Sie ließen sich durch nichts aufhalten und gingen ihren Weg ohne Rücksicht auf Verluste. Sie, eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern, agierten weltumspannend, absolut im Verborgenen. Sie forschten und arbeiteten an einem Verfahren, den Inhalt eines alten Gehirns in das eines jungen Körpers zu übertragen. Nachdem klar wurde, dass Zellverfall lediglich begrenzt aufzuhalten, jedoch nicht zu stoppen war, suchten sie Alternativen. Sie wollten ihr Leben verlängern … sie wollten ewig leben.

Seit ungefähr dreißig Jahren verfolgten sie eine verheißungsvolle Alternative, die jedoch über eine Hürde nicht hinausging. Ihnen gelang es, ein Gehirn zu leeren und eine körperlich gedankenlose Hülle, zu schaffen. Die Übertragung anderer Gedanken in den leeren Wirt scheiterte in dem Augenblick, wo Eigeninitiative von dem neuen Wesen erwartet wurde. Ähnlich einer digitalen Existenz wurde lediglich das repliziert, was abgefragt wurde. Also keine eigene Initiative, keine eigenen Gedanken.

Sie entwickelten viele Verfahren, scheiterten jedoch immer wieder. Langsam wuchs die Erkenntnis, dass das, was fehlte, die Zündung, durch den Impuls einer höheren Intelligenz war. Nicht von Gott oder einem ähnlichen Wesen, sondern von der Evolution. Wie aber die Evolution überlisten?

Das streng geheime Projekt wurde aus den Haushalten verschiedener Ministerien finanziert. Die Gelder tauchten in keiner Bilanz auf. Der Erfolg des Konzepts würde vielen Institutionen die kühnsten Träume erfüllen: die Verlängerung des Lebens und unter anderem, den perfekten Soldaten oder den perfekten Polizisten oder was sonst auch immer. Die Möglichkeiten waren so vielfältig und versprachen Macht, dass Gruppierungen Kopf und Kragen riskierten, um das Projekt zum Erfolg zu führen.

Die Wissenschaftler experimentierten zurzeit in einer vielversprechenden Phase. Mittels Drogen, die mittlerweile nicht mehr zerstörend wirkten, leerten sie Gehirne von Menschen, bis auf den Lebenserhaltungstrieb. Der war nach ihren Erkenntnissen notwendig, um den evolutionären Anstoß zu geben, den neuen Gedankeninhalt anzunehmen. Nach vielen Versuchen glaubten sie sich am Ziel. Zwei vielversprechende Probanden wurden, mittels eines mathematischen Geniestreichs vorbereitet und die Gehirne mit neuem Inhalt versehen. Die, so misshandelten beziehungsweise behandelten, Personen wurden in ein Koma gelegt, zum Zweck der Reife. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass während des Reifeprozesses der letzte ursprüngliche Gedanke verkümmerte und das Gehirn zur Übertragung neuer Impulse bereit machte. Sie probierten lange, bis sie zu diesem Ergebnis kamen.

Die beiden sechzehnjährigen Jugendlichen wurden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Dank einer glücklichen Fügung war die männliche Testperson Niederländer, so dass die dort tätige Gruppe der Wissenschaftler einbezogen werden konnte, wobei die Vorbereitung der Personen in der Hand der deutschen Gelehrten lag. Mittels einer elektronischen Stimulanz, entwickelt von dem Diplomingenieur Holger Weimar wurden binnen weniger Stunden Milliarden Datensätze in die Gehirne eingespielt. Gedanken, die die Gruppe um Professor Heiner Lauten in unzähligen Stunden digitalisierte und auf den biomedizinischen Standard brachte, der die Übertragung ermöglichte. Ein Gedanke wurde in den Vordergrund gesetzt: Die so behandelte Person verspürte, nach dem Erwachen aus dem Koma den Wunsch, Professor Lauten zu sehen.

Holger Weimar inszenierte die Explosion auf dem Aachener Marktplatz. Dazu entwickelte er eine Waffe, die aus großer Entfernung abgefeuert wurde. Im Grunde eine Schallexplosion, die niemand töten und lediglich zwei willkürliche Personen, körperlich unversehrt, ins Klinikum schaffen sollte. Das Massaker war nicht eingeplant und die Wirkung der Waffe überraschte alle. Glücklicherweise blieben beide Objekte körperlich fast unversehrt, sodass sie in das Projekt eingegliedert werden konnten. Dass dabei drei Leben geopfert wurden, war Kollateralschaden. Jetzt fieberten sie dem Ergebnis ihrer Arbeit entgegen.

*

Drei Tage nach dem Erweckungsimpuls war klar, dass das Experiment schief gelaufen war. Die junge Frau meldete sich nicht. Entsprechend den Vorgaben hätte sie auf den Besuch Professor Lautens an ihrem Krankenbett bestehen müssen. Der Wissenschaftler, seit drei Jahren emeritiert, strolchte auf dem Flur herum und überlegte, wie er am besten in das Krankenzimmer der jungen Frau kam, die Jana Winter hieß. Er hielt es nicht mehr aus und fieberte der Begegnung entgegen. Da geschah das, was nicht sein konnte. Unverkennbar kam Klaus van Basten über den Flur und betrat das Zimmer, in das er wollte. Das Gespenst aus seiner Vergangenheit, der Mann, der überhaupt erst ermöglichte, dass die Forschung, die sie betrieben, möglich wurde. Er zog sich schnell zurück, während seine Gedanken wirbelten. Professor van Basten galt seit dreißig Jahren als tot. Er selbst hatte die gedankenlose Hülle gesehen, bevor sie in die Psychiatrie abgeschoben wurde. Was er hier sah, war unmöglich. Ein junger Arzt kam auf ihn zu.

»Herr Professor kann ich etwas für sie tun?« Er musterte ihn mit Hochachtung. Wahrscheinlich einer von denen, die seine Vorlesungen besuchten, da er immer noch unterrichtete.

»Der große Mann, der in Jana Winters Zimmer ging, er kommt mir bekannt vor.« Lauten fragte vorsichtig.

»Möglich. Das ist Professor van Basten. Er war früher eine Kapazität an der RWTH. Er besucht seit zwei Jahren seine Enkelin fast täglich und erzählt ihr ununterbrochen Geschichten. Das ist das Mädchen, das vor einigen Tagen aus einem zweijährigen Koma erwacht ist«, er deutete das Erschrecken des Professors falsch und schob den letzten Satz nach.

Lauten ließ den Arzt einfach stehen und verschwand, sichtlich erschüttert, im Treppenhaus. Die Türe hinter ihm schloss sich gerade, als er einen wütenden tierischen Schrei ausstieß. Zwei Jahre beeinflusste van Basten seine Enkelin mit Geschichten. Zwei Jahre Arbeit für die Katz. Dessen war er sicher.

Wie konnte so etwas geschehen? Gerade die Enkelin seines Erzfeindes. Hoffentlich hatte sie ein Loch im Kopf und war ein sabberndes Etwas, wie ihr Großvater damals. Aber er wusste es besser. Mittlerweile war auch zu ihm durchgedrungen, dass die Kleine zwar nicht sprach, aber durchaus ihre Sinne beisammen hatte. Doch zunächst musste das Mädchen warten, darum würde er sich später kümmern. Jetzt war van Basten an der Reihe.

Zu den vielen Fehlversuchen kam ein weiterer. Lauten war fassungslos. Sein Reservoir an Probanden für weitere Versuche war leer. Vor wenigen Wochen verschwanden sie von jetzt auf gleich. Jemand vergaß die Tür des Kellers zu verschließen, wo er die geistlosen menschlichen Hüllen aufbewahrte, bis er sie benötigte. Letztendlich erfuhr er erst aus der Zeitung davon. Anfangs dachte er auch an Drogenopfer, doch, als die Zahl derer, die aufgegriffen wurde, größer wurde, hakte er nach. Tatsächlich war der Keller leer und das Ehepaar, das die jungen Experimentierkörper betreute und versorgte, hatte sich vom Acker gemacht. Jetzt der weitere Rückschlag.

*

Dem Jenseits entkommen

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