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XIII DER SCHUBKARREN

AM NÄCHSTEN Morgen, des Montags, nachdem ich den einbalsamierten Kopf als einen Block306 an einen Barbier verkauft hatte, bezahlte ich meine eigene und die Rechnung meines Kameraden; allerdings benutzte ich dafür das Geld meines Genossen. Der grinsende Gastwirt ebenso wie die anderen Logiergäste waren nicht schlecht erstaunt über die so plötzlich entstandene Freundschaft zwischen mir und Queequeg - besonders da Peter Coffins vormalige Lügenmärchen über die Person, mit der ich nun einherging, mich damals so beunruhigt hatten.

Wir borgten uns einen Schubkarren und beluden ihn mit unseren Sachen; auch meine magere Reisetasche, Queequegs Segeltuchsack und seine Hängematte, und fort waren wir hinunter zur Moss, dem kleinen Paketschiff 307, einem Schoner, der am Kai lag.


Abbildung 23: Annonce für ein Paketschiff (© by: https://www.flickr.com/photos/40732566533@N01)

Die Leute starrten uns an, wie wir so dahergingen; nicht so sehr auf Queequeg - da sie an den Anblick von Kannibalen wie ihn in ihren Straßen bereits gewohnt waren, - sondern darauf, dass er und ich so vertraulich miteinander umgingen. Doch wir beachteten sie nicht, sondern gingen weiter, abwechselnd die Schubkarre schiebend und Queequeg machte ab und an Halt, um die Scheide seiner gezahnten Harpune zurechtzurücken. Ich fragte ihn, warum er solch ein lästiges Ding mit sich an Land nähme, und ob nicht alle Walfangschiffe ihre eigenen Harpunen besäßen. Hierauf antwortete er mir sinngemäß, dass, obwohl meine Annahme richtig wäre, er dennoch eine ganz besondere Zuneigung zu dieser, seiner eigenen Harpune habe, denn sie sei aus zuverlässigem Material, bewährt in manch tödlicher Auseinandersetzung, und und tief mit den Herzen der Wale in Berührung gekommen sei. In Kürze, ähnlich den ungezählten ländlichen Schnittern und Mähern, die mit ihren eigenen Sensen bewaffnet auf die Wiesen der Bauern gehen - obwohl in gar keiner Weise dazu verpflichtet, sie selber zu stellen - so zog in der vergleichbar genau gleichen Weise Queequeg, eben aus seinen eigenen, privaten Gründen die ihm gehörende Harpune vor.

Wie ich nun also die Karre aus meinen Händen in die seinen gab, erzählte er mir ein drolliges Begebnis über sein Zusammentreffen mit der ersten Schubkarre, die er jemals gesehen hatte. Es geschah in Sag Harbor. Es hörte sich so an, als hätten die Eigner seines Schiffes ihm eine geliehen, um seine schwere Seekiste zu seiner Herberge zu befördern. Um nun nicht unwissend über diesen Gegenstand zu erscheinen - obwohl es in Wahrheit ganz und gar so war, dass er über die präzise Vorgehensweise beim Benutzen einer Schubkarre nicht den geringsten Schimmer hatte - nahm also Queequeg die Seekiste, schnallte sie auf der Karre fest, schulterte die Karre und marschierte am Kai entlang. "Also," sagte ich, "Queequeg, man möchte doch meinen, dass du es besser hättest gewusst haben können. Haben die Leute nicht gelacht?"

Daraufhin erzählte er mir eine weitere Geschichte. Die Leute bei ihm, auf seiner Insel Kokovoko, so schien es, pressten für ihre Hochzeitsfestlichkeiten das duftende Wasser der noch jungen Kokosnüsse in eine große gebeizte Kalebasse308, wie in eine Punsch-Schale aus; und stets bildet diese Punsch-Schale die große, zentrale Verzierung auf der geflochtenen Matte, dort, wo das Fest stattfand. Nun legte einst ein bestimmtes Handelsschiff bei Kokovoko an und sein Kommandant - nach allgemeiner Aussage ein sehr stattlicher, peinlich genauer Gentleman, zumindest für einen Seekapitän - dieser Kommandant wurde zur Hochzeitsfeier von Queequegs kleiner Schwester eingeladen, einer hübschen, jungen Prinzessin, die gerade einmal Zehn geworden war. Gut; als alle Gäste in der Bambushütte der Braut versammelt sind, marschiert dieser Kapitän herein, und, als Ehrengast bestimmt, nimmt er der Punsch-Schale gegenüber Platz, zwischen dem Hohen Priester und seiner Majestät dem König, Queequegs Vater. Anstand allerdings, - weil, diese Leute haben ihren Anstand genau so gut wie wir - obwohl mir Queequeg erzählte, dass sie, im Gegensatz zu uns, die wir stets auf unseren Teller schauen, den Enten ähnlich, nach oben blicken, auf den Geber aller Feste - aber Anstand, ach was! Dazu ist nur zu bemerken, dass der Hohe Priester mit einer uralten Zeremonie der Insel das Fest eröffnete; diese läuft so ab, dass er seinen gesegneten und segnenden Finger in die Schale eintaucht, bevor das gesegnete Getränk herumgereicht wird. Der Kapitän sieht sich also neben dem Priester platziert und beobachtet die Zeremonie; - er denkt sich, er als Kapitän eines Schiffes sei einfach unendlich weit vorrangig vor so einem einfachen Inselkönig, zumal in dessen eigenem Hause - und beginnt, die Schale wohl für ein großes Fingerschälchen haltend, sich ganz gelassen die Hände darin zu waschen. "Na," sagte Queequeg, "was du wohl glaube? Lachen unsere Leute nicht?"

Endlich, die Überfahrt bezahlt und das Gepäck sicher verstaut, standen wir an Bord des Schoners309. Während die Segel gesetzt wurden, glitten wir den Acushnet310 River hinunter.


Abbildung 24: amerikanischer Toppsegelschoner Pride of Baltimore (Gemeinfrei) (W)

Auf der einen Seite erhob sich New Bedford in Straßenterrassen, deren eisbedeckte Bäume allesamt in der klaren, kalten Luft glitzerten. Riesige Hügel und Berge von unzähligen aufeinandergestapelten Fässern311 türmten sich auf den Kais, und Seite an Seite lagen die weltenbummlenden Walfangschiffe endlich still und sicher vertäut; während von anderen Geräusche von Zimmerleuten und Küfern kam, vermischt mit Geräuschen von Feuern und Essen, die das Pech312 zum Schmelzen brachten, deutete alles darauf hin, dass neue Kreuzfahrten beginnen sollten; denn wenn eine höchst gefährliche und lange Reise endete, begann nur wieder eine zweite; und wenn eine zweite endete, beginnt nur eine dritte, und so weiter, für immer so und ewig fort. So ist Unendlichkeit, ja, die schiere Unerträglichkeit allen irdischen Mühens.

Als wir das offenere Wasser gewannen, legten wir bei der steifen Brise gut zu; die kleine Moss wirbelte den geschwinden Schaum von ihrem Bug, so wie ein junges Füllen sein Schnauben. Wie ich diese wild-tatarische Luft einsog - wie sehr ich doch diese verschlagbaumte313 Erde verachtete! - diese bürgerliche Landstraße, über und über eingedellt von sklavischen Hacken und Hufen, welche mich dazu brachte, den Großmut der See zu bestaunen, die solche Aufzeichnungen nicht zulässt.

Aus der gleichen Schaumfontäne schien Queequeg zusammen mit mir zu trinken und zu taumeln. Seine dunklen Nüstern öffneten sich weit; er zeigte seine gefeilten und zugespitzten Zähne. Fort, fort flogen wir; und gewannen die offne See, die Moss huldigte der Böe; duckte sich und tauchte ihre Stirne wie ein Sklave vor dem Sultan ab. An der Seite lehnend, wurden wir seitwärts geworfen; jedes einzelne Kabelgarn314 klang wie gespannter Draht; die beiden hohen Masten bogen sich wie Zuckerrohr in einem Landtornado. So erfüllt waren wir von diesem ganzen Taumel, als wir so an dem stampfenden Bugspriet standen, dass wir für einige Zeit nicht auf die höhnischen Blicke der anderen Passagiere achteten, einer flegelhaften Zusammenrottung, die sich darüber wunderte, dass zwei unähnliche Mitmenschen so kameradschaftlich miteinander umgingen; als ob ein weißer Mensch auch nur in irgend einer Weise würdiger sein sollte, als ein weißgewaschener Neger. Doch waren dort ein paar Tölpel und Bauerntrottel versammelt, welche, nach der Intensität ihres Grünseins zu schließen, aus dem Zentrum allen Grüns überhaupt gekommen waren. Queequeg fing sich einen von diesen jungen Setzlingen, der ihn hinter seinem Rücken nachahmte. Ich dachte, jetzt sei der jüngste Tag dieses Bauerntölpels gekommen. Der sehnige Wilde ließ seine Harpune fallen und nahm ihn in die Arme. Mit einer schier wundersam anmutenden Geschicklichkeit und Kraft schickte er ihn gewaltsam in die Luft; dann, mitten in seinem Überschlag seinen Hintern leicht berührend, landete der Bursche mit berstenden Lungen auf seinen Füßen, während Queequeg, der ihm den Rücken zudrehte seine Tomahawkpfeife anzündete und sie mir für einen Zug reichte.

"Käppn! Käppn!" schrie der Dummbatz und lief zu dem Offizier; "Käppn, Käppn, dat hier is der Deubel."

"Hallo, ihr hier, mein Herr," rief der Kapitän, ein mageres Seegerippe, und stakste auf Queequeg zu, "Was beim Donner soll das werden? Wissen sie nicht, dass sie den Burschen da hätten umbringen können?"

"Was sachta?" fragte Queequeg, als er sich, milde gestimmt, zu mir hindrehte.

"Er sachta," antwortete ich, "du komme fast an töta diesa Mann da." und zeigte auf den immer noch zitternd dastehenden Grünschnabel.

"Tööötaaa!" schrie Queequeg auf und verzerrte sein Gesicht zu einem unirdischen Ausdruck der Verachtung, "ah, er nur sein ganza kleine Fisch, Queequeg nix töta so klein Fisch! Queequeg töta groß Wal!"

"Pass auf du," brüllte jetzt der Kapitän, "Ich 'töta' dich, du Kannibale du, und wenn du noch mal solche Tricks hier an Bord versuchst; pass schön auf!"

Aber so, wie es sich jetzt zutrug, war nun der Kapitän derjenige, der gewaltig aufpassen musste. Der ungeheure Winddruck auf das Hauptsegel hatte das Wetterschot315 reißen lassen, und der enorme Auslegerbaum flog nun von einer Seite zur anderen, er fegte den kompletten hinteren Teil des Decks frei. Der arme Kerl, den Queequeg so rau behandelt hatte, wurde über Bord gewischt; alle Matrosen waren in Panik; der Versuch, nach der Rah zu schnappen, um sie zum Halten zu bringen, erschien als blanker Wahnsinn. Sie flog von links nach rechts und wieder zurück, genau wie das Ticken einer Uhr, und schien jeden Moment in Splitter zerspellen zu wollen. Nichts wurde getan, und nichts schien möglich, getan zu werden; diejenigen an Deck eilten zum Bug und versammelten sich dort, um den Auslegerbaum anzustarren, als sei er der Unterkiefer eines verärgerten Wals. Inmitten dieser Verwirrung ließ sich Queequeg gekonnt auf die Knie nieder und kroch unterhalb des tobenden Baums her; schnappte sich ein Tau, sicherte das eine Ende am Schanzkleid, und warf das andere Ende dann wie ein Lasso schwingend um den Baum, als er über seinem Kopf herwuchtete, so war dann beim nächsten Ruck der Holm316 auf diese Weise gefangen und alles sicher. Der Schoner wurde in den Wind gedreht317, und während die Matrosen noch das Heckboot zu Wasser ließen, schnellte sich der bis zur Hüfte nackte Queequeg von der Seite los, wie der lange lebendige Bogen eines Sprunges. Für drei Minuten oder länger sah man ihn, seine langen Arme weit vor sich werfend, wie einen Hund schwimmen und regelmäßig wurden seine starken Schultern in dem wie gefroren anmutenden Schaum enthüllt. Ich blickte hinunter auf den großartigen und heldischen Gefährten, doch war niemand zu sehen, der gerettet werden konnte. Der Grünschnabel war untergegangen. Indem er sich senkrecht aus dem Wasser emporstieß, verschaffte Queequeg sich einen momentanen Überblick, und da er anscheinend wusste, wie die Dinge lagen, tauchte er dort unter und verschwand. Ein paar Minuten später tauchte er wieder auf, mit einem Arm noch rudernd, der andere zog ein lebloses Gebilde. Bald hatte das Boot sie herausgezogen. Der arme Bauerntölpel wurde wiederbelebt. Alle Matrosen sagten, dass Queequeg ein feiner Kerl sei; sogar der Kapitän bat ihn um Verzeihung. Von dieser Stunde an hing ich wie eine Klette an Queequeg; ja, bis der arme Queequeg seinen letzten langen Tauchgang tat.

Gab es jemals eine solche Unbewusstheit? Er schien nicht zu wissen, dass er ganz gewiss eine Medaille von den humanen und großherzigen Gesellschaften verdient hätte. Er fragte lediglich nach Wasser - Frischwasser - um das Salzwasser abzuwaschen; das erledigt, zog er trockene Kleidung an, entzündete seine Pfeife, und schien, an der Reling lehnend, die anderen milde betrachtend, still zu sich zu sagen - "es ist eine auf Gegenseitigkeit beruhende, aktiengesellschaftliche318 Welt, auf allen Meridianen. Wir Kannibalen müssen diesen Christen helfen."

306 Block: ein normalerweise hölzerner Kopf, auf den vom Barbier eine Perücke platziert wird. (M)

307 Paketschiff: ein kompaktes Segelschiff, das für Frachtlieferungen über kurze Entfernungen eingesetzt wird. (M) (englisch: packet ship oder packet boat, kurz: packet; französisch: paquebot) ist ein vom 16. Jahrhundert bis ins 19. Jahrhundert verwendeter Schiffstyp. Paketschiffe gingen aus den im 16. und 17. Jahrhundert englisch als Post-barks bezeichneten Postseglern hervor, welche mit Post, Waren und Passagieren zwischen zwei Häfen verkehrten. Im 16. Jahrhundert benannte man staatliche Postsendungen (siehe Anfänge der Royal Mail), wie hoheitliche Dokumente, Depeschen usw. als "The Packet". (W) Siehe Abbildung 23: Annonce für ein Paketschiff auf Seite 53. (© by: https://www.flickr.com/photos/40732566533@N01)

308 Kalebasse: ein großer, holziger Kürbis. (M) Eine Kalebasse ist ein überwiegend zur Aufbewahrung und zum Transport von Flüssigkeiten bestimmtes Gefäß, das aus der ausgehöhlten und getrockneten Hülle des Flaschenkürbisses, der Kalebasse, hergestellt wird. Daneben dient der ausgehöhlte Kürbis auch als Resonanzkörper von Musikinstrumenten. (W)

309 Schoner: Siehe Fußnote 150 auf Seite 4 und siehe Abbildung 24: amerikanischer Toppsegelschoner Pride of Baltimore auf Seite 55.

310 Acushnet River: ein Fluss im südöstlichen Massachusetts. Melville arbeitete als junger Mann auf einem Walfänger namens Acushnet. (M) Der Acushnet River ist mit einer Länge von 13,8 km (8,6 Meilen) der größte Fluss, der in die Buzzards Bay im Südosten von Massachusetts in den Vereinigten Staaten fließt. Der Name "Acushnet" stammt vom Wampanoag- oder Algonquin Wort "Cushnea" ab, was "bis zu den Gewässern" bedeutet, ein Wort, das von den ursprünglichen Eigentümern des Landes verwendet wurde, um die Ausdehnung der Parzelle zu beschreiben, die sie den englischen Siedlern aus der nahe gelegenen Kolonie Plimouth verkaufen wollten. Natürlich verwechselten die Engländer "Cushnea" mit einem festen Ortsnamen oder dem Namen eines bestimmten Flusses.(W)

311 aufeinandergestapelten Fässern: Diese würden Walöl enthalten, das Ergebnis einer erfolgreichen Reise. Ein Walfangschiff kehrte erst dann in seinen Heimathafen zurück, wenn sein Frachtraum mit Öl gefüllt war, eine Aufgabe, die drei oder vier Jahre dauern konnte. (M)

312 Pech: eine dicke schwarze Substanz, die durch Einkochen von Teer hergestellt wird. Es wird zur Versiegelung von Schiffsfugen sowie als Konservierungsmittel für Taue, Segeltuch, Holz und Eisenwaren verwendet. (M)

313 verschlagbaumt: Straßen auf denen Wegezoll erhoben wird. (M)

314 Kabelgarn: eine der Fasern, aus denen ein Seil hergestellt wird. (M) Ein Kardeel ist an Fasertauwerk, wie auch bei Drahtseilen aus Stahl, ein einzelner Strang aus Kabelgarnen, die zu einem Seil bzw. seemännisch einer Leine oder Trosse gedreht ("geschlagen") oder verflochten werden. (W)

315 Wetterschot: eines von zwei Tauen zur Einstellung des Winkels, in dem ein Segel im Verhältnis zum Wind gesetzt wird.(M)

316 Holm: eine lange runde Stange, die als Mast, Rah, Baum oder andere Stütze für Segel verwendet wird. (M)

317 in den Wind gedreht: Den Kurs so ändern, dass der Wind von vorne kommt. Ein Boot wird in den Wind gedreht, um einen Mann oder eine Boje aufzunehmen, um aufzustoppen, um unter Segeln anzulegen, um zu ankern. In den Wind drehen wird auch aufschießen genannt. (D. Ü.)

318 Aktiengesellschaft: eine Art von Unternehmenseigentum, bei dem das Eigentum unter denjenigen aufgeteilt wird, die Aktien kaufen. (M)

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