Читать книгу mit Denken - Hermann Brünjes - Страница 15

3.1. Ich brauche Gott … zum Denken

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Vielleicht überrascht Sie mein erster »Nutzen«, den ich aus meinem Glauben an Gott als »Immanuel« ziehe. Ich brauche Gott zum Denken. Vielleicht hätten Sie eher religiöse Gefühle erwartet oder emotional erlebte Glücksmomente des Glaubens. Für manche Menschen mag dies auch an erster Stelle stehen. Für mich nicht – nach Lektüre der Einleitung zu diesem Buch vermutlich auch gar nicht mehr so überraschend für Sie.

Mir war und ist eine emotionsorientierte Ausrichtung des Glaubens eher suspekt. Klar, auch ich mag Gefühle. Wenn es so richtig kribbelt bei einer persönlichen Segnung, wenn wir von Melodien und Texten unserer Lieder geradezu emporgezogen werden, wenn eine Gemeinschaft Spaß macht und Fest-Gottesdienste mit entsprechendem Anlass feierliche Gefühle auslösen. All das kenne ich und mag es. Aber zumindest mich tragen Gefühle und Emotionen nicht durch und waren für mich weder auf dem Weg zum Glauben noch während meiner Glaubensbiografie notwendig. Religiöse Gefühle sind für mich vielmehr so etwas wie Draufgaben, i-Tüpfelchen oder Sahnehäubchen meines Glaubens.

Als solche haben sie natürlich ihre Bedeutung. Aber tragfähig und notwendig erscheinen sie mir nicht.

Ich will das nicht verallgemeinern und sage das auch nur für mich und meinen Glauben. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass religiöse Erlebnisse und emotionale Erfahrungen bei anderen Menschen den Weg zum Glauben öffnen und ihnen entscheidend helfen, im Glauben zu bleiben und aus einer emotionalen Gottesbeziehung heraus zu leben.

Für mich ist diese Differenzierung der Zugänge und Schwerpunkte im Glauben selbstverständlich, weil logisch und auch theologisch zwingend. Warum? Da lohnt sich ein aufmerksames Mitdenken:

Weil Gott nur erkennbar wird, wenn er sich offenbart.

Gott kann ich weder erkennen noch ihm begegnen. Er ist so anders, dass ich ihn nicht wahrnehmen könnte. Gott ist Gott und als solcher entzieht er sich uns Menschen total – es sei denn, er selbst wird aktiv und offenbart sich in unserer Welt. Es sei denn, er selbst beschließt, sich uns und mir zu zeigen. Aber wie wird er das tun?

Doch so, dass ich ihn wahrnehmen kann, erkennen und verstehen. Doch so, dass ich in meiner Biografie Zugang zu ihm finde. Er wird mich also auf eine Weise erreichen, die mir gemäß ist – oder er wird mich nicht erreichen!

Fühlen und denken – Präferenzen erkennen

Sie merken wieder, »Denken« ist wichtig für mich. Das gilt für alle Lebensbereiche. Wenn ich ein Auto kaufe, dann interessiert mich nicht, wie freundlich der Verkäufer ist, jedenfalls mache ich davon nicht meinen Kauf abhängig. Mich interessieren primär das Auto und seine Verwendung. Ja, natürlich leiten mich auch mein Geschmack und meine Auto-Träume – aber sie müssen sich den Fakten zuordnen und nicht umgekehrt.

Ähnlich gehören für mich auch Politik und Vernunft zusammen. Zwar finde auch ich manche Wahl-Kandidaten sympathisch und andere abstoßend und ich lasse mich von Sympathien beeinflussen – aber eben nicht maßgeblich leiten. Vor allem interessieren mich das Parteiprogramm und die reale politische Situation. Das Lächeln der Kandidaten ist eher zweitrangig. Denken vor Fühlen, könnte man sagen. So bin ich »gestrickt«, so hat sich meine Persönlichkeit und Psyche entwickelt – ohne dass ich beurteilen könnte, ob das genetische, kulturelle oder sozialpsychologische Gründe hat. Man nennt so etwas »Präferenz«, eine bevorzugte Weise, das Leben anzugehen.

Wie also wird Gott mich erreichen? Auch, besonders und sogar primär über Argumente, Vernunft und Logik.

Viele andere Menschen, die ich kenne, haben andere Präferenzen entwickelt. Sie entscheiden eher aus ihren Gefühlen heraus. Natürlich spielen auch für sie Vernunft, Denken, Logik und Argumente eine Rolle. Aber lieber vertrauen sie auf ihre Intuition und ihre Empathie.

Wie also wird Gott diese Menschen primär erreichen?

Ich bin sehr froh, dass Gott sich immer der Geschichte und Situation jener anpasst, die er konkret vor sich hat. Auch Gott folgt damit gewissermaßen der von mir erkannten Logik und adelt sie damit: Nur wenn jemand in seiner Situation, in seinem Denken, in seinem Weltbild, in seiner Biografie und Persönlichkeitsstruktur berührt und angesprochen wird, kommt es zur Begegnung mit Gott. Ohne dies ginge das Evangelium an mir vorbei. Ich könnte Gott weder erkennen noch ihm begegnen.

An jenem Wochenende, als ich Gott als Fundament für mein Leben entdeckte, haben wir sehr viel diskutiert und argumentiert. Der Referent hat sich darauf eingelassen und es selbst leidenschaftlich und logisch zugleich vorangetrieben.

Es ging um Denkmöglichkeiten Gottes und am Ende die Erkenntnis, dass jedes Denken über Gott letztlich Spekulation bleibt – es sei denn, Gott selbst mischt sich ein.

Es ging um Glaube und Naturwissenschaft und am Ende um die Entdeckung, dass beides verschiedene Wege sind, die Wahrheit zu erkennen und Wirklichkeit wahrzunehmen. Während die Natur und die Dinge sich durch Wissenschaft erschließen, wird es in der Beziehung zwischen Personen immer nur durch Glaube und Vertrauen zu Erkenntnissen und tragenden Erfahrungen kommen. Naturwissenschaft und Glaube sind also alles andere als Gegensätze. Sie sind die jeweils angemessene Weise, etwas in ihrem Bereich herauszufinden und zu erkennen.

Denken als Türöffner zum Raum des Glaubens

Es ging in jenem Seminar auch um die Frage nach Gott als Schöpfer, um die »Wahrheit« der Bibel, um die Hilflosigkeit angesichts von Leiden und Sterben, um die Kirche als oft unglaubwürdige Institution ... Wir haben damals alle möglichen Fragen und Gründe zum Zweifeln angesprochen und nach Antworten gesucht, die sich auch denken lassen und eben nicht einfach nur gefühlt oder geglaubt werden wollen.

Natürlich gab es am Ende keinen Gottesbeweis, dafür jedoch die Einsicht, dass man Gott niemals beweisen kann. Die Gespräche damals haben mich auch nicht von Gott »überzeugt«. Aber sie haben mich für Gott geöffnet. Nur durch gemeinsames Nachdenken und die erlebte Tatsache, dass ich »meinen Verstand nicht an der Kirchentür abgeben musste«, ist es bei mir überhaupt erst dazu gekommen, mich Gottes Wirken zu öffnen.

Bis jetzt geht es mir wie damals. Wenn jemand kommt und verlangt: »Das musst du eben glauben!«, werde ich skeptisch und wehre mich innerlich. Ich suche nach Argumenten. Ich möchte die Welt nicht nur erleben, sondern so viel wie möglich auch erklären können und verstehen. Ich will Zusammenhänge verstehen und sozusagen ein möglichst schlüssiges »Weltbild« vor Augen haben.

Natürlich entspricht es auch meiner Logik, dass wir vieles nicht logisch, rational und argumentativ fassen können. Die Liebe zum Beispiel.

Es gibt möglicherweise auch eine Wirklichkeit jenseits der von mir wahrgenommenen. So taugen manchmal gefühlsmäßige Zugänge wie Rituale, Musik, Meditation, Stille oder Bewegung um vieles besser, um die Wirklichkeit Gottes zu erleben als Theologie, Gespräch und Argumente. Gerade weil er ja eine Person ist und nicht eine Sache oder Weltanschauung, spielen in der Beziehung zu ihm Gefühle, Kommunikation und eben auch Vertrauen eine besondere Rolle.

Aber auch das ordnet sich ein in meine Logik. Folglich sind mir auch diese Zugänge wichtig und waren immer Teil meiner Einladung zum Glauben.

Theologie gehört unters Volk

Wir trafen uns regelmäßig in einer Gruppe und sprachen über biblische Texte und Lebensthemen. »Hauskreis« nannten wir das. Einmal sagte eine der Teilnehmerinnen: »Du immer mit deiner Theologie! Das ist mir viel zu theoretisch. Ich will über das Leben reden, über die Praxis!«

Diese Frau hatte ganz offensichtlich andere Zugänge zu Gott als ich. Ihr zu Liebe haben wir mit kreativen Gesprächseinstiegen begonnen. Später habe ich in meiner gesamten Arbeit immer mehr darauf geachtet, dass nicht nur der Kopf, sondern auch alle anderen Bereiche und Sinne einbezogen und angesprochen werden.

Damals habe ich versucht, dieser Frau zu erklären, wie ich Theologie verstehe: Theologie ist keine Theorie fern der Praxis. Sie will vielmehr wichtige Klärungen herbeiführen, damit das Leben gelingt und Gott entdeckt wird. Sie ist so etwas wie die Physik für den Autohersteller oder wie die Biologie für den Arzt.

Es stimmt natürlich: Wenn die Experten unter sich sind und fachsimpeln, kann es für Außenstehende ziemlich ätzend und theoretisch werden. Und wenn sie sich in normalen Gesprächsrunden genauso ausdrücken wie in Fachgesprächen, werden sie sich schnell isolieren. Dann werden ihre Theorien wirkungslos in den Elfenbeintürmen ihrer wissenschaftlichen Forschung bleiben und nichts bewegen.

Es muss sicher nicht jede und jeder alles sofort verstehen können. Aber Theologie gehört unters Volk. Die Experten sind herausgefordert, eine Sprache zu sprechen, die jede und jeder versteht. Sie haben ihre Erkenntnisse und Einsichten so zu übersetzen, dass diese die Praxis und das alltägliche Leben nachhaltig prägen können.

So verstehe ich die Theologie, das Nachdenken über Gott und übrigens auch die Predigt: Alles Denken dient dem sich Öffnen für Gottes Einladung zum Glauben. So haben Jesus selbst, Paulus und die Apostel ihre Gedanken weitergegeben. So haben alle großen Theologen und Prediger ihre vielen Worte und Gedankengänge verstanden.

Gott offenbart sich durch Denken. Nicht nur, aber ganz besonders. »Der Geist Gottes gibt Zeugnis unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind.« (Rö. 8,16).

Vom Geist Gottes bewegt und geleitet

Und noch einmal: Natürlich ersetzt oder bewirkt mein theologisches Denken nicht die Offenbarung durch Gott selbst. Martin Luther z.B. war ja ein extrem aktiver Theologe. Er hat mehr geschrieben, als die meisten von uns jemals lesen werden. Die Reformation wäre ohne Denken, ohne Theologie, Debatten und Wahrheitssuche ganz und gar nicht möglich geworden. Aber gerade der Reformator legt höchsten Wert darauf, dass der Glaube nicht durch Denken, sondern durch die Gnade Gottes und durch das Wirken des Heiligen Geistes entsteht.

Das Denken kann also nicht den Glauben bewirken. Aber Gott will und kann mein Denken benutzen, um mich mit dem Evangelium zu erreichen.

Und dies ist mein Gebet: Gott, leite meine Gedanken!

Ja, und nun schließt sich der Kreis. Wir Menschen können ja alles Mögliche (und manchmal auch noch mehr) denken und philosophieren. Wir sind scheinbar grenzenlos mit Fantasie ausgestattet. Wir kriegen vor allem weit mehr gedacht als getan. Und oft genug haben wir gute Gedanken, aber setzen sie nicht um, sondern tun das Gegenteil.

Mit Denken als solchem ist es also noch nicht getan. Mein Denken bedarf der Richtung, der Leitung, der Unterstützung.

Ohne Orientierung und positive Inspiration kann auch das menschliche Denken in völlig falsche Richtungen führen. Wenn Gott keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt, führt alles Denken in die Irre.

Die Geschichte belegt dies vielfältig. Ideologien von rechts und links waren und sind oft präzise durchdacht und haben doch unendliches Leid über Menschen und Völker gebracht. Ich zweifle nicht daran, dass auch Hitler und Stalin denkende Menschen waren und auf ihre Weise in schlüssigen Denksystemen lebten. Auch Marx und Mao waren große Denker. Trotzdem ging es daneben. Trump, Putin, Kim Jong Un, Erdogan und wie unsere heutigen Autokraten sonst noch heißen – sie alle sind denkende Menschen. Und doch bringen ihre Gedanken nicht Segen, Frieden und Versöhnung, sondern Leid, Krieg und Trennung hervor.

Auch wenn diese Leute und deren Vordenker von vielen Menschen verehrt und bejubelt werden - im Sinne Gottes denken sie nach meiner Überzeugung nicht. Sie leugnen ihn oder ignorieren seinen Willen. Selbst wenn sie wissenschaftlich daherkommen und die Gene, die Rassen, die Biologie, statistische Erhebungen, die Geschichte oder gar die Religion als Argument benutzen - ihre politischen Einstellungen und realen Konsequenzen stehen Gottes Willen doch entgegen.

Auch Wissenschaft und Philosophie können missbraucht werden – und mit ihnen jene Menschen, die ihnen folgen. Unser Handeln und Wirken beginnt im Kopf – vielleicht nicht immer, aber meistens. Die Stimmungsmacher und Agitatoren nutzen genau dies skrupellos aus und werden zu Brandstiftern – und manchmal brennt es dann tatsächlich irgendwo und viele Menschen kommen zu Schaden.

Um es zuzuspitzen: Was für die Mächtigen gilt, trifft auf alle anderen genauso zu, auch auf mich. Auch wenn wir keinen Staat leiten, wir haben es täglich mit Entscheidungen zu tun und richten uns darin nach unseren Gedanken und Einsichten.

Deshalb sage ich: Ich brauche Gott zum Denken.

Er bewahrt mich davor, eine Welt ohne oder gegen Gott zu denken. »Dein Wille geschehe!« Wer so denkt und betet, der lässt Gottes Gedanken zu und rechnet mit ihnen. Heil, Liebe, Frieden, Vergebung, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Freiheit, Gnade - das sind zentrale Begriffe in der Bibel. Die Geschichte Gottes mit seinen Menschen belegt vielfach, dass Gott aus diesen Worten Wirklichkeit werden lässt. Also brauche ich Gott, um meinem Denken eine segensreiche Richtung zu geben.

Zuversichtlich nach vorne denken

Ich brauche Gott auch, damit ich nach vorne schauen kann. Auch Hoffnung, Trost, Auferstehung, Ewigkeit und Verheißung sind zentrale Worte der Bibel. Gott lenkt meinen Blick auf seine Möglichkeiten und erweitert so mein Denkvermögen und den Blickwinkel für Wahrheiten und Wirklichkeit. Gott schließt auch das Unerwartete ein, die Überraschung, die Horizonterweiterung.

Er relativiert gleichzeitig, zeigt Grenzen und Irrwege auf. Ich werde nicht zum Freidenker. Zwar ist mir alles erlaubt – aber es sollen mich weder meine eigenen noch die klugen Gedanken anderer gefangen nehmen (1. Kor. 6,12). Meine Gedanken schließen immer auch Verantwortung und ethische Vorgaben mit ein.

So wird mein Denken zum Geschenk und Offenbarungs-Instrument Gottes. Er leitet mich und gibt mir Perspektive.

Also denke ich. Und danke.

mit Denken

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