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2. Gott braucht mich

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Ich bin Menschen begegnet, die meinten: »Ich brauche keinen Gott!« Oder sie sagten: »Wozu braucht man Gott? Es geht doch auch ohne!« Manchmal waren solche Aussagen vermutlich vorgeschoben, um sich ein Gespräch oder das Nachdenken über Gott vom Hals zu halten. Manchmal waren sie aber auch sehr ehrlich gemeint. »Wozu brauche ich Gott?«

✪Bevor Sie weiterlesen, lohnt sich eigenes Nachdenken. Was antworten Sie? Ein Austausch mit anderen kann Sie auch hier inspirieren.

In den meisten Gesprächen habe ich versucht, im Sinne der nächsten Kapitel auf diese Frage mit Argumenten zu antworten – allerdings mit mehr oder weniger »Erfolg«.

Nach dem Nutzen fragen

Meiner Meinung nach ist die Frage nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten: Was habe ich von Gott und vom christlichen Glauben? Und was habe ich davon, wenn ich über all das nachdenke?

»Was habe ich davon?« So zu fragen werden wir von klein auf trainiert: Wenn ich etwas kaufe, wenn ich mich einem Verein anschließe, wenn ich eine Veranstaltung besuche, wenn ich wählen gehe, wenn ich einen Beruf ergreife oder auch nur einen Job annehme ... immer wieder muss und werde ich fragen: »Was habe ich davon?«

Warum also sollte das bei Gott anders sein? Die Frage nach dem, was etwas bringt, ist also unbedingt ernst zu nehmen.

Eine berechtigte Frage

Mich wundert nicht, dass die Leute sich von der Kirche und uns Christen abwenden, wenn uns diese Frage in Blick auf Gott und den Glauben sprachlos macht, wir sie nicht zulassen und keine Antworten geben. Ich bin überzeugt: Die Leute wollen, dass die Kirche nicht nur christliche Werte vermittelt, politisch mitmischt oder anspruchsvolle Kultur und Bildung bietet – vor allem anderen erwarten sie zu Recht, dass die Kirche ihnen Antwort auf die Frage gibt, was der Glaube bringt, was Gott zu bieten hat und warum man unbedingt Christ werden sollte. Auch unsere Gottesdienste gehen oft auf diese grundsätzliche Frage nicht ein. Sie werden so zu Insiderveranstaltungen für jene, die alle Antworten bereits zu kennen meinen und deshalb schon lange keine Fragen mehr stellen.

Die Antworten von »früher« (Anmerkung: Wann war das eigentlich? Zu Zeiten Jesu? Während der Reformationszeit? Nach dem Krieg? Als die Volkskirche noch Kirche des Volkes war?) reichen heute selten aus, um neugierig auf den Glauben zu machen und Menschen im positiven Sinn zu locken, sich Gott zu öffnen. Schon wenige Beispiele belegen, wie unsere »klassischen« Antworten auf die Frage, was der Glaube bringt, heute nicht mehr greifen:

»Jesus vergibt Sünden.« Auch wenn Schuld und Sünde durchaus ein Thema bleiben, es treibt nur wenige um. Was richtig und falsch ist, wird rein subjektiv entschieden. Jeder muss das selbst entscheiden – und man kann ja nichts dafür, wenn man »etwas falsch macht« (Interessant: Schuld und Fehler machen wird oft gleich gesetzt. Sollte Jesus zu der Ehebrecherin gesagt haben: »Geh und mache keine Fehler mehr!«?) Und »Schuld«, wer definiert das schon in einer Zeit und Gesellschaft, wo das Subjekt, also der Einzelne, in den Mittelpunkt gestellt wird und »jeder nach seiner Facon selig wird«?

Hatte Martin Luther noch die existenzielle Frage »Wie kriege ich einen gnädigen Gott?« So fragen wir vielleicht »Wie kriege ich einen gnädigen Lehrer, Chef oder Nachbarn?«. Aber Gott als »Richter«, als »letzte Instanz«, das ist bei vielen absolut nicht im Blick. Folglich ist auch das Angebot »Jesus vergibt Sünden« für viele nicht attraktiv.

Erst die intensive Auseinandersetzung, was mit »Sünde« eigentlich gemeint ist, kann zur Klärung beitragen, die einfache Auskunft, dass Gott Sünden vergibt, wird nicht als Gewinn abgebucht.

Ähnlich geht es mit dem »in den Himmel kommen« (und eben nicht in die Hölle), für Menschen in Luthers Zeiten noch äußerst attraktiver Ertrag des Glaubens. Heute sind wir ganz und gar auf unser Diesseits fixiert und definieren Ertrag aus dem, was wir hier und heute davon haben. Wenn uns da jemand vom Himmel erzählt und davon, dass nach dem Tod noch etwas auf uns zukommt, dann »vertröstet« er entweder aufs Jenseits, oder er macht uns Angst vor Sterben und Tod.

»Du wirst geliebt!« »Du wirst Teil einer großen Gemeinschaft!« »Du bekommst einen Sinn im Leben!« Wenn diese Antworten nicht näher erläutert werden, laden sie nicht unbedingt zum Glauben ein. Liebe kann man nicht behaupten, sie muss erlebt werden – und wenn immer mehr Menschen familien-, eltern- oder partnerlos leben, wird Liebe immer mehr zum leeren Begriff. Und wenn die Kirche sich als Gemeinschaft der Glaubenden versteht, dann muss man ihr das auch abspüren. Nur die Begrüßung als »liebe Gemeinde« und das vereinnahmende »Wir sind hier zusammen, um ....«, reichen da nicht aus. Und »Sinn« ist für viele eben das, was etwas bringt. Also bleibe ich mit Gott als Sinnangebot, ohne zu sagen, was er inhaltlich bringt, die Antwort schuldig.

Fazit: Die »alten« Antworten auf die Frage nach dem, was man von Gott und dem Glauben hat, bleiben oft genug leere Hülsen und schrecken eher ab, als dass sie Menschen, die in Distanz zu Gott leben, anlocken.

Aber sollen wir deshalb aufhören, Antworten zu suchen?

Hoffentlich nicht! Theologie, Gemeindearbeit und allemal auch die Predigt haben keine andere Aufgabe als diese: Den Menschen zu helfen, auf die Frage nach Gott und dem Glauben Antworten zu finden. Und gemeint sind Antworten, die sie auch verstehen und die sie für das Evangelium und Gottes Wirken öffnen. Mit den nächsten Überlegungen möchte ich ein wenig dazu beitragen.

Eine irreführende Frage

Vorweg noch ein Gedanke für euch Fragende.

»Was habe ich von Gott?« So berechtigt die Frage ist, so irreführend kann sie auch sein. Sie kann sich ins Gegenteil verkehren: Ich scheine nach Gott zu fragen, aber in Wahrheit frage ich nach dem, was mir nützt. Ich will meinem Leben etwas Gutes hinzufügen, ich will mich bereichern: Will einen Halt, und wenn es nur der berühmte Strohhalm ist; oder ich will eine neue Qualität für mein Leben, vielleicht eine religiöse; oder ich suche einen Helfer und Heiler; oder ich will geliebt werden und endlich einen Vater, eine Mutter, Schwestern und Brüder haben ... Vermutlich ahnen Sie, worauf ich hinaus will?

Wer nach Gott fragt, aber einen persönlichen Diener meint, einen Qualitätsoptimierer, einen Wunderdoktor oder Wünscheerfüller – der fragt nicht wirklich nach Gott.

Gott als Additiv meines Lebens, als ein gewisses Plus würde von mir auf die Stufe eines neuen schicken Autos, eines Lottogewinns, einer tollen Urlaubsreise usw. gestellt werden.

Wenn ich etwas von Gott haben will, dann mache ich letztlich mich selbst zum Herrn über Gott: Ich entscheide, wann und was ich von ihm habe. Ich nutze ihn für meine Zwecke.

Vor vielen Jahren habe ich mit großer Begeisterung Erich Fromms »Haben und Sein« gelesen. Ich finde, der Therapeut arbeitet unsere Haben-Haltung wirklich prima heraus und ertappte auch mich selbst als darin oftmals gefangen.

Auch wenn es sich fromm anhört: »Ich habe meinen Gott!« und wenn ich eine lange Liste aufzählen kann, was er mir alles schenkt und gibt. Am Ende könnte sich herausstellen, dass ich Gott für meine Zwecke instrumentalisiert habe. Die Frage nach dem, was ich vom Glauben an Gott habe, hat sich dann als völliger Irrweg erwiesen. Ich habe gar nicht Gott gesucht, sondern meinen eigenen Vorteil und somit mich selbst.

Krass wird es dann, wenn mir »Gott nichts bringt«. Dann wende ich mich ab und suche mir andere Hilfsmittel, die mir mehr bringen. Und dann kommt nach Jesus eben ein bisschen Buddhismus, dann ein Schuss Esoterik und zum Schluss vielleicht die große Materialismus- und Konsumsause oder »Ist ja doch alles umsonst« - Resignation.

In Indien habe ich mehrfach Hindus mit mehreren Gottheiten auf dem Regal oder bei Taxifahrern auf dem Armaturenbrett getroffen. Einer sagte einmal: »Ich bete jeweils zu dem, der mir Erfolg verschafft!« Na toll. Gott, mein Instrument zum glücklichen und erfolgreichen Leben.

Ich muss ja wohl nicht lange erklären, dass »Gott« der Name für jenes Gegenüber ist, der alles geschaffen hat, für den Ursprung des Seins, für den Allmächtigen, die letzte Instanz, den Herrn über den Kosmos ... und Gott zu instrumentalisieren entspricht weder seiner Größe und Unverfügbarkeit noch ist es überhaupt möglich.

Und noch einen zweiten Gedanken zu der Frage, die einerseits berechtigt ist, andererseits auch völlig daneben liegen kann.

»Was habe ich von meiner Frau?« Ihr spürt, dass auch diese Frage verständlich, aber extrem irreführend sein kann. Hier wird meine Frau instrumentalisiert. Was bei Sachen oder beim Beruf oder bei den Wahlen noch angebracht ist, verliert bei Beziehungen seine Berechtigung. Wenn ich da immerzu nach dem »Ertrag« frage, dann wird es nicht nur anstrengend, sondern dann wird möglicherweise sogar die Beziehung zerstört oder zumindest belastet.

Ich bin Vater. Was habe ich von meinen Kindern? Sie rufen nicht an. Sie besuchen mich nicht. Sie unterstützen mich nicht. Sie fragen nicht nach mir – wenn ich solche Vorhaltungen mache, geht der Schuss mit Sicherheit nach hinten los. Meine Kinder habe dann keine Lust mehr, mit mir zusammen zu sein. Und wenn sie, nun erwachsen, mich nur unter der Frage »Was bringt uns der Kontakt zu unserem Vater?« abbuchen würden, ginge es mir ebenso.

Ja, wenn Gott eine Ideologie wäre, müsste ich fragen, was sie uns bringt. Wenn er ein Katalog an Werten oder ein Regelwerk wäre, dann muss die Frage nach dem aktuellen Ertrag hier und heute unbedingt gestellt werden. Wenn er eine wie eine Partei wählbare Institution wäre, auch dann entscheidet die Frage, was ich von meiner Mitgliedschaft oder der Wahl dieser Partei habe. Aber wenn Gott eine Person ist?

Wenn Gott eine Person ist, bleibt die Frage, was er mir bringt, fragwürdig. Bei Personen nach Ertrag und Nutzen zu fragen, mag im Arbeitsleben gang und gäbe sein, im persönlichen Umfeld ist es jedoch völlig daneben.

Und wenn er oder sie mir nichts mehr bringt? Dann lasse ich ihn oder sie fallen? Dann trenne ich mich? Dann taugt er oder sie nichts?

Ihr merkt schon: So sehr ich meine, wir brauchen Antworten auf die Frage nach dem, was Gott bringt, so sehr halte ich doch diese Antworten für zweitrangig.

Vater und Mutter, wenn es gut geht, lieben auch ohne Gewinn. Ehepartner lieben (hoffentlich!) ohne Bedingungen zu stellen. Kinder lieben ihre Eltern einfach nur so, auch wenn sie als Erwachsene kein Geld mehr bekommen. Immer wieder wird eine Beziehung begonnen und durchgehalten, weil sich etwas ereignet, was nicht im Bereich »Ertrag« und »Nutzen« messbar ist. Liebe ist nicht mess- und zählbar. Im Gegenteil, sobald du sie messen und vergleichen willst, zerrinnt sie. Liebe ereignet sich wie ein Wunder – sobald du sie machen und produzieren willst, entzieht sie sich. Liebe ist zweckfrei – sobald man sie instrumentalisiert, verschwindet sie. Liebe fragt nach Vertrauen und Treue – sobald alles automatisch laufen soll und selbstverständlich wird, vergeht sie.

Ja – ich frage tatsächlich, was Gott mir, dir und uns gemeinsam bringt. Gerade Menschen, die nach Gott fragen, brauchen ehrliche Antworten auf eben diese Frage.

Nein – ich halte die Frage nach dem, was Gott bringt, für zweitrangig und nicht entscheidend für den christlichen Glauben. Gerade Menschen, die in einer Beziehung zu Gott leben, kommen mit anderen Fragen erheblich weiter ... allemal wenn sie jene Antworten finden, die sich erst und nur durch die Liebesbeziehung zu Gott wundersam ergeben.

mit Denken

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