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7. Kapitel
ОглавлениеSeine Träume, gab es die noch? Sicher, mit der Zeit hat sich einiges relativiert, war ihm abhandengekommen. Nach dem Abitur wollte Paul die Welt erobern. Trotz seines mäßigen Notenschnittes konnte er sich in Düsseldorf bei der Kunstakademie immatrikulieren. Seine Note sehr gut in Kunst und seine Arbeitsproben überzeugten die Auswahlkommission. Eine Mischung aus Respekt für die Leistungen der alten Meister und der Schwenk zur Moderne sicherten ihm den Studienplatz.
Nach dem ersten Semester sehnt sich Paul nach etwas anderem, als die ihn immer mehr einengende bierselige Stimmung von Düsseldorf. Da er nur wenige Leute kennt, trampt der nach Berlin, um dort richtige Großstadtluft zu schnuppern. Rheinischer Frohsinn gegen Hauptstadtfeeling ist seine Devise. Zeit steht ihm zur Verfügung. In der Szene findet er schnell Anschluss. Wenn er auf die Frage: „wo kommste her und was machste?“ antwortet: „Düsseldorf; Kunststudent“, dann gab es meist ein herzhaftes Lachen für den Jungen aus der deutschen Kleinstadtprovinz. Schnell hat er spitz, wenn er sich als Münchener Künstler auf der Durchreise ausgibt, dann hat er bessere Karten. Er bezeichnet sich als Spontimaler, findet sich zu nächtlichen Happenings ein und ist bald in der Szene anerkannt. Düsseldorf ade. Endlich frei.
Paul achtet penibel auf sein äußeres Erscheinungsbild. Immer saubere Klamotten zur Hand,so fiel es im nicht schwer bei Kunstvernissagen aufzukreuzen und sich auf dem Laufenden zu halten. Bei einer der angesagten Events kommt Paul mit einem Mann mittleren Alters ins Gespräch. Markus Beierle, wie sich der neue Bekannte vorstellt, ist Kunstrestaurator und macht sich mit Paul auf den Weg durch die Ausstellung. Jedes einzelne der großformatigen Ölgemälde wird zunächst begutachtet und dann kommentiert. Der Restaurator lädt Paul zu sich ein um ihm sein Atelier zu zeigen. Lange zu überlegen gibt es da nichts. „Super Idee, da sage ich doch glatt schon mal zu und übrigens vielen Dank für den tollen Meinungsaustausch, hat echt was gebracht.“
Paul steht schon am nächsten Nachmittag vor der Werkstatttür von Markus in Berlin Pankow. Paul ist begeistert von dem was es hier alles zu sehen gibt. Markus ist Teilhaber am Geschäft und arbeitet mit weiteren Kollegen an einem aus dem Mittelalter stammenden Marienbild. Als er sich von Markus verabschiedete, fragte er, ob er am nächsten Tag noch einmal wiederkommen dürfe.
Als Paul mit Markus wieder einmal über die Kunst sprach, erhält er das überraschende Angebot als Praktikant in der Werkstatt mitzuarbeiten. Voraussetzung sei aber, dass Paul zu einem radikalen Schnitt in seinem bisher ungebundenen Leben als Vagabund bereit sei. Paul kann sein Glück kaum fassen. Er sieht diese Wendung als große Chance an. Durch die Vermittlung von Markus und dessen guten Beziehungen soll Paul wieder in Düsseldorf an der Akademie einsteigen. Die Zeit als Hiwi bei den Restauratoren wird ihm als Praxissemester angerechnet. In den Semesterferien kommt Paul regelmäßig zurück nach Berlin, um Geld zu verdienen und um seine praktischen Fähigkeiten zu verbessern.
Ein kleiner Arbeitsunfall, eigentlich nicht der Rede wert, nötigt Paul zu einem Besuch in der Notaufnahme im Berliner Krankenhaus Sankt Hedwig an der Saalbachstraße, unweit der Adresse eines Kunden, bei dem er mithalf die aufgearbeiteten Bilder in dessen Hausbar einzubauen. Durch eine Unachtsamkeit rutscht ihm die Bohrmaschine ab und schon hat er sich eine schmerzhafte und stark blutende Fleischwunde im linken Unterarm zugezogen. Als der Arzt die Wunde näht wird im schwarz vor Augen und er klappt regelrecht zusammen.
Vor der Krankenliege, auf den sie ihn verfrachtet habe, stand eine junge schwarzhaarige Krankenschwester, die ihn wieder zurück in die Wirklichkeit holte. Als die Wirkung des Narkosemittels der örtlichen Betäubung nachließ, fühlt er sich schnell wieder besser. Paul wollte wieder zurück zu seiner Arbeit. Als er dann nach einer Stunde die Krankenstation endlich verlassen durfte, bekam er klare Anweisungen mit auf den Weg. Die Tabletten, falls er in der Nacht Schmerzen bekommen würde, hielt Paul für unnötig. Das bisschen Schmerz würde ein starker Mann schon wegstecken. Für Paul kein Problem, zumindest bis zu dem Zeitpunkt als er einschlafen wollte und wegen der pochenden Schmerzen keine Ruhe fand.
Zur Nachbehandlung ließ es sich Paul nicht nehmen wieder auf die Station des Krankenhauses Sankt Hedwig zu fahren, obwohl dies für ihn ein Umweg war. Er hätte zu jedem niedergelassenen Arzt zur Nachsicht gehen können, doch da hätte Paul nicht die Krankenschwester wiedergesehen und heute wäre er mit der adretten Vietnamesin nicht verheiratet.
Im Haus ist alles ruhig. Frau und Kinder schliefen bereits, als er von seiner kleinen Werkstatt im Keller die Treppe hochstieg. Im Wohnzimmer setzt er sich auf die Couch, hebt den Laptop auf die Knie und schaltet das Gerät an. Er formuliert den Text einer E-mail. “Hallo Roger, habe mir dies Sache überlegt; das Projekt „The painting men“ kann anlaufen; rufe mich auf meinem Handy am Donnerstagabend ab 20 Uhr an.“ Es folgt keine Grußformel nur ein P mit drei Punkten, die er aus Versehen zu viel eingetippt. Die E-Mail-Adresse hat er sich von der Visitenkarte von Roger Schneider in sein kleines Notizbuch, mit dem schon etwas abgegriffenen Ledereinband, übertragen.
Ein letzter kurzer Blick auf den leuchtenden Bildschirm und dann drückt er die Taste senden und seine Nachricht ist in Sekunden auf dem Weg ins rund 45 Kilometer entfernte Ingolstadt. Aus einer Bierlaune entstand beim Klassentreffen, mehr so ins Blaue hinein fantasiert, diese spinnerte Idee. Nie hätte er vermutet, in Roger einen Partner, ja einen Gleichgesinnten, zu finden. Ja er wollte dieses Spiel wagen, passieren konnte ja nichts dabei. Spannend nur die Frage, funktioniert es die Fachwelt zu täuschen, den selbsternannten Gurus und Kunstpäpsten etwas derartiges unterzujubeln. Cool muss er sein um das ganz große Ding zu drehen, nicht selbstgefällig. Seinen Teil am Projekt wird er beisteuern. Dafür braucht es Zeit für die schrittweise Umsetzung. Es würde sich lohnen. Er weiß, wie er vorgehen muss. Jetzt oder nie. Eine solche Gelegenheit würde so schnell nicht wiederkommen.