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8. Kapitel

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Die Ankunft des Fluges Delta Airline DA 569 aus Detroit verzögert sich voraussichtlich um circa zwei Stunden verkündet eine monoton klingende Frauenstimme aus dem krächzenden Lautsprecher am Münchner Flughafen. Müller P. hat Roger mit der Aufgabe betraut Richard J. Forster bei dessen Ankunft in Empfang zu nehmen. Als Verbindungsmann der „deutsch-amerikanischen Gesellschaft“ wie Müller P. lachend die Delegation an seinen Mitarbeiter umschrieb, ist ihm die Betreuung des Kollegen zugefallen. „Schneider, kümmern sie sich um den Ami; ich verlass mich da ganz auf sie; Hauptsache er sieht nicht zu viel und stört uns nicht bei der Arbeit.“ Der Abteilungsleiter machte es sich wieder einmal einfach in dem er die Sache an ihn delegiert. Nun ja, jetzt ist es halt sein Job und deshalb sitzt er hier am Airport und wartet das die Zeit vergeht.

Roger steht in der Flughafenhalle herum, unschlüssig, wie er die angekündigte Wartezeit sinnvoll verbringen könnte. Erst schlendert er ziellos durch die Menschenmenge der Passagiere, sieht die auf der großen Tafel angezeigten Flugziele, überlegt, wo er schon einmal im Urlaub gewesen ist. Die Zeiger der Uhr wirken wie festgezurrt. Fünf Minuten sind gerade Mal vorbei, als er am Startpunkt seiner kleinen Exkursion, dem Meeting-point, wieder ankommt. Er hasst dieses sinnlose Warten. Ein weiterer Versuch mit dem Zeit herum bringen beginnt. Zur Abwechslung in umgekehrter Richtung im Terminal.

Dann sucht er sich im Bereich der Flugschalter einen Sitzplatz auf einer Aluminiumbank und beobachtet die Passagiere beim Einchecken. Verwundert ist er darüber, welche Gepäckmengen die Pauschalurlauber mit sich schleppen. Die Geschäftsreisenden sind leicht an ihren typischen Aktenkoffer oder dem obligatorischen Rollwägelchen auszumachen. Nicht ohne zu schmunzeln erkennt sich Roger in den verschiedenen Arten der Flughafenbesucher wieder.

Nach wiederum einigen Minuten verlagert er seinen Blick von den Pauschaltouristen auf allein reisende Damen. Er sucht sich die hübschesten unter ihnen aus und verfolgt diese mit neugierigen Blicken. Wohin würden sie wohl fliegen? Welches Ziel hätten sie? Noch dreißig Minuten und keine neue Lautsprecherdurchsage. Dann endlich rattern die Buchstaben und Ziffern auf der übergroßen Anzeigetafel und spucken neue Infos an die wartenden Passagiere aus. Detroit gelandet. Endlich. Es dauert nochmals gut eine halbe Stunde, die ebenso quälend langsam verging, bis er endlich Richard mit zwei großen Koffern bepackt, aus der Schiebetür herauskommen sah. Als sich der suchende und der findende Blick der beiden Männer kreuzen, ist ein breites Lachen in ihre Gesichter geschrieben.

„Hi, Roger, schön dich zu sehen.“

„Wie war der Flug?“

„Alles glatt gegangen.“

„Bist du müde, soll ich dich gleich zum Hotel bringen?“

Die Sätze schwirrten durcheinander. Dick holt tief Luft und sagt zu Roger:

„Scheiß Verspätung, vom langen Sitzen bin ich gang groggy, lass uns irgendwo die Koffer verstauen und einige Schritte gehen, die alten Knochen brauchen dringend Bewegung.“

Roger schlug vor nach München in die Stadt rein zu fahren, eine Runde im Olympiapark zu drehen, damit Richard sich die Beine vertreten konnte. Dies schien ihm die beste Therapie nach so einem anstrengenden Flug zu sein. Richard ist alles recht. Schon nach etwa zwanzig Minuten parkt Roger seinen Wagen auf einem der vielen leeren Parkplätze vor der gewaltigen Zeltkuppel des Olympiastadions. Der Gast aus Amerika ist froh aussteigen zu können. An der frischen Luft inmitten all der grünen Bäume eilt er mit kräftig ausholenden Schritten voran. Roger hinterher, achtet auf die tiefen Atemzüge seines künftigen Projektpartners. Klang fast wie eine alte Dampfwalze.

„Hi, Roger, alles bei dir ok? Bist du fit für die kommende Aufgabe? Ich freue mich, dass wir beide im Team sind, da macht der Job doch gleich viel mehr Spaß, wenn man seinen Partner schon kennt und weiß wie sein Verstand so tickt.“ Roger konnte dem nur beipflichten. Auch er hat ein gutes Gefühl und will mit diesem Projekt in der Firma zeigen, was er drauf hat.

Dick J. hielt sich bei ihrem Rundgang nicht lange mit dem allgemeinen Geplänkel auf, gleich kommt er auf die Arbeit zu sprechen. Da ist er ganz der Profi. Er handelt immer nach der Devise: erst arbeiten und dann die Erfolge feiern. Dies imponiert Roger, der von dieser zielgerichteten Einstellung mächtig beeindruckt ist.

„Jetzt hätte ich Lust auf ein kühles Bier, da können wir weiter über den Job quatschen.“

„Sollen wir uns gleich hier in der Nähe in einen Biergarten setzen, Dick? fragt Roger.

„Nein, lass uns lieber zu einem belebten Platz gehen, wo wir die Menschen und vor allem die Autos sehen können, die hier so unterwegs sind.“ Roger ist zunächst nicht klar, was er von diesem Wunsch halten soll.

In Schwabing würde es genügend geeignete Anschauungsobjekte für diese Verkehrsstudie geben. Sie fuhren die kurze Strecke mit dem Auto. „Willst du drinnen oder lieber draußen sitzen?“ „Draußen natürlich, drinnen sieht man doch nichts!“ Roger fügt sich in das kommende, gespannt darauf was Dick ihm erzählen würde. Der erste Schluck Bier schmeckt göttlich. Genau das richtige. Richard wischt sich mit dem Handrücken den Bierschaum von der Oberlippe und beginnt mit seiner Privatvorlesung. Thema Autos, was sonst!

„Schau dir doch mal die Autos an, die hier vorbeikommen und mach dir Gedanken über die Menschen, die hinter dem Steuer sitzen.“ Roger wollte kein Spielverderber sein und tat wie geheißen. Über Automobile und die Marketingstrategie, um diese an die Kunden zu bringen, wusste er bestens Bescheid, da wird ihm der Amerikaner nicht viel Neues erzählen. Mal sehen worauf Richard hinauswollte.

„Unsere Aufgabe ist es ein neues Modell zu vermarkten, richtig? Da ist es in erster Linie wichtig zu wissen, wer sind die Menschen, die ihr Geld in eine neue Blechkiste investieren.“ Roger ging auf das Spiel ein. „Wenn ich meine Erfahrung aus Amerika zu Grunde lege und hier wird es nicht viel anders sein, dann ist doch klar, die Menschen verhalten sich überall gleich. Auch die Autos sind abgesehen von den unterschiedlichen Marken der Hersteller nahezu identisch. Und doch gibt es hier einiges zu erkennen, was die Akzeptanz und den Erfolg ausmacht.“ Richard ist in seinem Redefluss nicht zu bremsen. „Es macht aber einen Unterschied aus, ob du in der Großstadt oder auf dem Land ein Fahrzeug brauchst. Die Frage, wer entscheidet beim Autokauf ist doch von uns Marketingleuten künstlich in die Welt gesetzt worden. Wer das Auto letztlich nutzt ist wichtig.“

Der Feldversuch wird von Richard konkretisiert. „Da, schau mal dort, der Geländewagen. Das ist genau so ein Beispiel von dem ich die ganze Zeit rede.“ Richard fuchtelt mit seinem Bierglas in der Hand und zeigt auf die gegenüberliegende Straßenseite. Dort parkt eines jener allradgetriebenen hochrädrigen Ungetüme geschickt ein. Nun ist auch die Aufmerksamkeit von Roger geweckt, als er beobachten konnte, wie eine zierliche Frau mittleren Alters aus dem Geländeauto mit Vierradantrieb und Seilwinde ausstieg. „Meinst du die kleine Blonde mit dem kurzen Rock? Nicht übel die Beine, kann man ja nicht wegschauen.“ Richard holt übertrieben tief Luft.

„Ja, die meine ich, aber mich interessiert weniger der Hintern der Dame, als das Auto mit dem sie hier in der Großstadt herumkutschiert. Eigentlich ist das total unpraktisch. Es ist ja kaum zu erwarten, dass die Hübsche in Verlegenheit kommen wird, ihr Stahlseil einsetzen zu müssen, um an einem der wenigen Bäume, die hier stehen, ihren Truck aus dem Matsch herausziehen zu müssen.“ „Ja und“ fragt Roger, „die Geländeboliden sind doch hype und verkaufen sich wie geschnitten Brot.“ Mit dem letzten Ausdruck konnte Dick J. nichts anfangen und ließ sich die von Roger gebrauchte Redewendung erklären.

„Aber das ist doch unser Thema, wir müssen für unseren neuen Future One definieren, welche Käufermotivation angesprochen werden soll, dann haben wir gewonnen.“ Nunmehr wird es für Roger immer undurchsichtiger, er ist sich nicht mehr so ganz sicher, was ihre Luxuslimousine mit einem geländegängigen Allrad-Truck zu tun haben sollte.

„Sieh, das verhält sich doch so: die Männer kaufen diese Autos und machen ihren Frauen damit eine Freude, weil die sich ein solches Gefährt wünschen. Die einen haben das Geld und die anderen fahren mit der Kutsche dann zum Einkauf oder zum Kindergarten.“ Nun verstand Roger Schneider die psychologische Dimension der Käuferentscheidung. Neben den vielen Argumenten wie der Verkehrssicherheit, der Beschleunigung von 0 auf 100 und dem Volumen es Kofferraumes waren diese Aspekte für ihren Erfolg wichtig.

„Ich habe mir da so eine Theorie zurecht gelegt, die natürlich nicht wissenschaftlich zu belegen ist“ führt Richard Forster das Gespräch fort. „Willst du die hören?“ Roger ist gespannt, was jetzt so als krönender Abschluss kommen würde. „Aber zuerst bestelle ich uns noch ein Weizenbier und dann legst du los, von dir kann ich ja noch jede Menge lernen, einverstanden?“

„Ok.“

„Wie du sicher in der Schule gelernt hast, sind wir Menschen genetisch immer noch in der Steinzeit verhaftet. Dieses Erbe steckt in uns drin und prägt uns. Da sind wir machtlos, weil wir oft gar nicht wissen, dass viele unserer Instinkte von diesen Erfahrungen von früher geleitet werden. Hast du dir schon einmal überlegt, warum die Männer die Jäger sind und für die Beschaffung der Nahrung sorgen und die Frauen in der Höhle sitzen und das Essen versalzen? Wahrscheinlich nicht, oder? Also, was wäre denn, wenn meine Theorie stimmt?“

Richard schiebt geschickt eine Kunstpause ein, nippt an seinem Bier und schaut in die Runde, ehe er mit seinen fundamentalen Erkenntnissen zur Evolutionstheorie dem Stand der heutigen Wissenschaft eine neue Deutung hinzufügt.

„Frauen können genauso gut auf die Jagd gehen wie Männer. Körperlich sind sie dazu in der Lage. Aber warum haben sie das nicht getan? Weil sie schon früher schlauer waren als die Männer. Das liegt doch auf der Hand. Jagen und lange Stecken auf der Suche nach Wild zurücklegen ist ziemlich anstrengend. Bei jedem Wetter, im Sommer wie im Winter, draußen Spuren lesen und Mammuts nachrennen, das war nicht unbedingt Sache der Damenwelt. Die hockten lieber am Feuer in der Höhle und tauschten den neuesten Steinzeittratsch aus. Na kannst du mir noch folgen?“, fragt Richard zwischendurch um die Aufmerksamkeit seines Zuhörers zu testen.

„Durch die körperliche Bewegung bekamen aber die Jäger immer mehr Muskelmasse und waren dann auch ihren Frauen in dieser Hinsicht deutlich überlegen. Aber da setzte dann wieder die Schlauheit des weiblichen Geschlechts ein. Sie gaben ihren wilden Männern das Gefühl, sie bestimmten die Geschicke der Familie, machten aber trotzdem was sie wollten.“

„Heute ist es immer noch so. Am Beispiel der zierlichen Modepuppe mit dem Dreitonner ist dies abzulesen. Die Frau will die Maschine beherrschen, genauso machen sie es bei uns Männern. Psychologie ist alles, wenn du das verstanden hast, kannst du dies für dich auch nutzen.“ Roger ist baff, diese kühne Herleitung elementarster Dinge, durchaus bemerkenswert. „Da könntest du recht haben, vielleicht aber nur ein kleines bisschen“ gab er lachend seinen Kommentar zu dem eben Gehörten ab. Richard nickt zufrieden, auch wenn er seine Theorie nicht ganz ernst gemeint hat.

In der Zwischenzeit ist die zum Gesprächsthema gewordene Fahrerin des Geländewagens nach ihren Erledigungen wieder auf der gegenüberliegenden Straßenseite angekommen. Beide Verkaufsstrategen haben dies wahrgenommen und verfolgten jede Bewegung der jungen Frau, die in ihren überdimensionierten Truck klettert. Roger versucht seinerseits das Gespräch zu bereichern. „Aber trotzdem sieht es klasse aus, wenn so eine kesse Blonde in so einem Geländewagen einsteigt, das hat doch etwas.“ „Das ist doch typisch für dich, klar hast du recht, aber ich wollte nur die geschäftlichen Aspekte näher beleuchten. Du bist jung und hast einen anderen Blickwinkel auf die Dinge des Lebens“ erwidert er mit lachenden Gesichtszügen.

„Roger, eins ist mir klar geworden, gut das du in der Marketingabteilung und nicht im direkten Verkauf dein Geld verdienen musst, denn würde so eine zierliche Blonde vor dir verführerisch die Beine kreuzen, sich verführerisch zurücklehnen und mit einem unschuldigen Augenaufschlag säuseln, ob den beim Preis des Autos noch ein Rabatt drin wäre, dann hätte sie bei dir leichtes Spiel.“ Roger konnte dieser letzten Schlussfolgerung nur lachend zustimmen. Da hatte Richard sicher ins Schwarze getroffen. „Und noch was ist mir gerade eingefallen“ ergänzt Richard. „Es geht doch letztlich nur darum zu zeigen, wer mehr Macht hat. Ja, Macht ist das richtige Wort, das gilt sowohl für Dämlein wie Herrlein in gleicher Weise.“ Über die ungewöhnliche Wortwahl musste Roger dermaßen lachen, dass ihn Richard irritiert ansieht, da er meint, sein neben ihm sitzender junger Begleiter habe den Verstand verloren.

„Also wie gesagt, Macht wollen beide, Frauen wie Männer. Zufrieden? Stell dir doch nur mal folgendes bildlich vor, wenn so ein Angeber mit seinem Sportcoupe XXL und deine Angebetete von gegenüber beide gleichzeitig zu einer Parklücke kommen. Der forsche Fahrer kriegt runde Augen, wenn er beim rückwärts Einbiegen den Monsterwagen direkt hinter sich wahrnimmt und nur durch eine Vollbremsung sein bestes Stück vor Schaden bewahren kann. Was glaubst du, wer den Parkplatz bekommt?“

„Keine Ahnung!“

„Die Blonde hat keine Schwierigkeiten mit ihrem Panzer den kleinen Sportflitzer platt zu machen. Und das wichtigste bei meiner Theorie ist, sie weiß das ganz genau. Die Lady setzt diese Macht ohne Skrupel ein. Umgekehrt wäre das schon etwas problematischer.“

Roger und Richard hatten Tränen vor Lachen in den Augen, als sie nach der Bedienung riefen um ihre Rechnung zu bezahlen. Roger dachte bei sich, wenn Dick in den offiziellen Besprechungen ebenso einen Gag nach dem anderen setzen würde, könnte die Zusammenarbeit ja heiter werden.


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