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4. Kapitel

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Die erste gemeinsame deutsch-amerikanische Projektsitzung ist zu Ende. Es ist Freitagnachmittag kurz nach 16 Uhr und Roger ist froh, dass er sein Hotelzimmer noch einen Tag länger zur Verfügung hat. Nach der Verabschiedung der amerikanischen Gäste, die am Abend noch den Rückflug in die Staaten vom Münchner Flughafen aus antreten, hat sich die Zusammenkunft schnell aufgelöst. Auch die verbliebenen Teilnehmer haben nach dem anstrengenden Meeting keine große Lust mehr zu vertiefenden Gesprächen. Das hat Zeit bis zum Montag. Jetzt ist Wochenende angesagt und jeder schaute zu, dass er schnellstmöglich zu seinem Auto kommt. Ein letztes Tschüss über den Parkplatz zu einem Kollegen und ab geht´s nach Hause zur Familie oder zu sonst Jemanden, der auf einen wartet.

Roger sieht zu, dass auch er von der Bildfläche verschwindet. Eiligen Schrittes durchschreitet er die Lobby des Hotels. Mit dem Lift in den 5. Stock und ohne weiteren Zwischenstopp die Zimmertür von innen zumachen, das ist sein vorrangiges Ziel. Nach dem anstrengenden gestrigen Abend und einigen „Absackern“ in der Hotelbar ist er froh, sich für einige Stunden ausruhen zu können. Noch ein kurzer Anruf bei der Rezeption, damit er um 18.30 Uhr geweckt wird.

Das Lokal „Zur grünen Aue“ liegt in einem Vorort von München. Der Stadtteil Feldmoching ist ihm bis dato total unbekannt. Nie dagewesen. Ohne Navigationsgerät hätte er nicht gewusst, wie er diesen Ort überhaupt erreichen kann. Roger entledigt sich seiner Kleidung, stellt sich unter die Dusche und lässt eiskaltes Wasser über seinen vom vielen Sitzen schlaffen Körper hinunterlaufen. Der erste Schock löst sich beim abtrocknen und weicht einer erfrischenden Wärme, einem angenehmen Wohlbehagen. Noch nicht richtig zugedeckt, da ist er auch schon eingeschlafen.

Das schrille Klingeln des Telefons beendete abrupt die Traumphase. Roger braucht erst einige Momente, um sich zurechtzufinden und vor allem das lästige Telefon in dem fremden Hotelzimmer zu finden. Er nimmt den Anruf der Rezeption entgegen und bedankt sich bei der freundlichen Stimme für den Weckrufservice. Um richtig wach zu werden, hilft nur eine erneute kalte Dusche. Als er den Mischhebel voll in den blauen Bereich dreht, schießt schlagartig ein Schwall eiskalten Wassers auf seinen Körper nieder. Diese Radikalkur ist nicht immer sein bestes Rezept um wach zu werden, heute aber wirkt es wahre Wunder. Nach dem Trockenreiben fühlt sich Roger wieder topfit. Unterwegs will er vielleicht noch eine Kleinigkeit essen, um dann das Klassentreffen zu besuchen. Große Erwartungen hat er nicht. Mal sehen, was sich da ergibt. Falls die ganze Sache sich als Flop erweist, will er sich schnellstmöglich verdrücken und den Abend anderswo ausklingen lassen. Nun ja, ein Versuch ist es immerhin wert.

In der Tiefgarage angelangt, tippt er die Adresse des Treffpunktes in das Navigationsgerät ein und fährt vorsichtig rückwärts aus der engen Parkbucht. Auf dem Mittleren Ring geht es zunächst einige Kilometer entlang. Dann lotst ihn das Navi auf eine kleinere Straße und führte ihn ohne Schwierigkeiten zu seinem angegebenen Ziel. Roger hatte sich keine Gedanken über die Entfernung zur Gaststätte gemacht und ist überrascht, dass er recht zügig durch den Innenstadtbereich von München kommt. Rund eine halbe Stunde vor Beginn des Klassentreffens erreicht er den Parkplatz in Feldmoching. Bei seiner Ankunft ist noch nicht viel los. Soll er schon reingehen oder besser noch abwarten? Lieber bleibt er noch etwas in seinem Audi A 6 sitzen und beobachtet die Umgebung. Er staunt nicht schlecht. In Autobahnnähe ist hier ein Freizeitzentrum auf der grünen Wiese hochgezogen worden. Es scheint an nichts zu fehlen. Und nach den Werbetafeln und Hinweisschildern zu schließen, gibt es neben einem original bayerischen Speiselokal, Biergarten inklusive, auch zwei Discos.

Nun wird es aber Zeit, aus dem Radio kommt die monotone Ansage, wonach es zwanzig Uhr mit dem letzten Ton des Signals sei und die Nachrichten gesendet werden.

Als sich Roger im Lokal umschaut, findet er zunächst keinen Hinweis auf ein Nebenzimmer für die Teilnehmer des Klassentreffens. Seine Suche wird abgekürzt, als eine der unzähligen Kellnerinnen auf ihn zu rauscht und schon mit einem Abstand von drei bis vier Schritten laut durch den Raum fragt: „Zum Abitreffen?“ Die Antwort auf ihre selbst gestellte Frage schickt sie ohne Luft zu holen gleich hinterher. „Treppe runter und gerade aus!“

Roger folgt dem angezeigten Weg und sieht unter dem Hinweisschild zur Toilette auf dem Treppenabsatz einen roten Pfeil auf den mit schwarzem Filzstift dick das Wort Abiturtreffen angeschrieben ist. Sinnigerweise darunter mit kleineren Druckbuchstaben vermerkt „Geschlossene Gesellschaft“. Dies ist wohl zur Abschreckung gedacht und soll die nostalgische Zusammenkunft vor neugierigen Blicken der WC-Benutzer schützen. Nach einem kurzen Zögern öffnet Roger beherzt die abgetönte gelblich schimmernde Glastür, holt tief Luft und fühlt sich mit einem Schlag in die Zeit des Endes der ehemals so verhassten Schule zurück katapultiert.

Schnell ist Roger ernüchtert von dem, was er da sieht. Alles fremde, erwartungsfrohe Gesichter, die sich der Eingangstür zugewandt haben. Er rafft sich zu einem „Hallo Leute“ auf. Mit fester Stimme hat er seine Begrüßung den etwas knapp über zwanzig Anwesenden zugerufen und schon ist er umringt von seinen Ex-Mitschülern. Gabi und Wolf, die sich als Organisatoren outen, sind vom überwältigend zahlreichen Kommen begeistert. Roger wird genötigt sich auf einer überdimensionalen Teilnehmerliste zu verewiglichen und wird von Gabi in den Arm genommen. „Schön, dass du kommen konntest!“ Die Klassensprecherin ihrer Abiturklasse hat sich nicht verändert. Schon damals war ihr Redefluss kaum zu bremsen. Beschwingt wendet sie sich einem neuen Ankömmling zu, als die Tür zum Nebenzimmer wieder geöffnet wird. Sie lässt Roger einfach in der Mitte des kleinen Saales stehen. Es ist diesmal aber nur die Bedienung, die mit der Frage, was sie denn zum Trinken bringen dürfe, die etwas steife Runde auflockert.

Roger nun wieder allein, wendet sich der ihm am nächsten informell herumstehenden kleinen Gruppe zu. „Bist du nicht der, warte lass mich überlegen.“ Solche und ähnliche Ratespiele finden nun vermehrt im Raum statt. Auch Roger beteiligt sich eifrig daran. Den einen oder anderen Freund früherer Jahre macht er in der Menge aus. Er muss sich aber eingestehen, mit den meisten Gesichtern kann er auf den ersten Blick nicht so recht viel anfangen. Bei den männlichen Teilnehmern kommt er noch einigermaßen zurecht. Aber die Mädels haben sich in den letzten zehn Jahren mächtig verändert. Mit einem lockeren Spruch wie „Kennst du mich noch oder und wer bist du?“ gelingt es Roger schnell, sein Gedächtnis wieder aufzufrischen. Die Mitschüler, mit denen er zur damaligen Zeit nichts am Hut hatte, sind heute auch noch für ihn Unbekannte. Beim unverfänglichen Small Talk werden aktuelle Informationen mit den abgespeicherten Erinnerungen abgeglichen und auf den neuesten Stand gebracht.

Unter den beiden Neuankömmlingen entdeckt Roger ein ihm bestens bekanntes Gesicht. In voller Pracht steht Peter Bauermann vor dem angetretenen Begrüßungskomitee und schüttelt Hände, vervollständigt schwungvoll mit seinem Autogramm die Anwesenheitsliste und beginnt ungezwungen seine Runde durch den Saal. Peter scheint die meisten der Ehemaligen gut zu kennen. Als er auf seiner Tour bei Roger ankommt, ist das Hallo groß. Die beiden Klassenkameraden fallen sich um den Hals und Roger weiß nichts Blöderes zu sagen als: „Mensch Peter, bist du groß geworden!“ Die in der Nähe stehende Gruppe junger Frauen hat für diese Albernheit nur ein abfälliges Grinsen übrig und widmet sich wieder ihren familiären Themen, sozusagen wissend von Frau zu Frau.

„Paul, unser Kunstgenie, kommt auch; hast du ihn schon gesehen?“ Diese Frage hat nicht ihm gegolten, sondern ist an die vorbei wallende Gabi gerichtet. Diese hebt nur die Schultern und ist auch schon wieder in einem anderen Gespräch aktiv. Peter spricht nun an Roger gewandt weiter: „Ich gehöre sozusagen mit zum Kreis der Organisatoren dieser denkwürdigen Veranstaltung. Mit Gabi bin ich, seit die Planung für dieses Megaevent angelaufen ist, sozusagen liiert.“ Peter winkt seiner neuen Flamme Gabi zu und geht zum Ende des kleinen Nebenraumes um im Namen der Organisatoren die offizielle Begrüßung vom Stapel zu lassen. Roger findet es lustig, dass nun ausgerechnet die beiden ehemaligen Klassensprecher friedlich vereint den Abend eröffnen. Früher waren die wie Hund und Katz, die Zeit scheint doch viele Wunden zu heilen, denkt Roger amüsiert.

Nach einer kurzen launischen Ansprache wird das Licht im Saal gelöscht und als besondere Überraschung präsentiert Paul, der Künstler unter ihnen, eine kleine von ihm zusammengestellte Diashow. Damit jeder sich ein Bild der unvermeidlich im Laufe der Jahre eingetretenen persönlichen Veränderungen machen kann, werden die Konterfeis von damaligen Klassenfotos und die unauffällig von jedem bei der Ankunft geknipsten Schnappschüsse nacheinander auf der Leinwand dem staunenden und herzlich lachenden Publikum präsentiert. Nach dem Kurzvortrag ist die Anspannung unter den anwesenden ehemaligen Pennälern einer erwartungsfrohen Stimmung gewichen. Das anfänglich spürbare Eis scheint gebrochen. Lachen und heitere Zwischenrufe überwiegen in der Runde.

Auch für Jan-Gustav wird der Abend ein voller Erfolg. Die anfänglichen Zweifel, ob er denn zum Klassentreffen überhaupt teilnehmen soll, sind schnell verflogen. Er fühlt sich als „Hahn im Korb“ und ist eifrig und nicht ohne einen gewissen Charme unterwegs. Als er sich in aller Bescheidenheit als Förderer der schönen Künste tituliert und in einer überwiegend aus weiblichen Zuhörerinnen bestehenden Gruppe davon erzählt, er sei in das Geschäft seiner Eltern eingestiegen und werde in absehbarer Zeit auch vereidigter Auktionator werden, da steht er im Mittelpunkt der ehemaligen Mitschülerinnen. Als Jan-Gustav dann noch ein Wortspiel zum Besten gibt, wonach er schon auf Grund seines Gewerbes, also sozusagen von Amts wegen, sich mit der Schönheit in all ihren Formen auskenne, da fliegen ihm einige Herzen der anwesenden Damen zu, darunter die eine oder andere, die Jan früher angehimmelt hatte, die aber damals unerreichbar für ihn war. Es macht ihm sichtlich Spaß, mit kleinen Begebenheiten aus seinem schnöden Handwerk in einem stadtbekannten Kunsthaus zu brillieren. Er versteht es, den Schwerenöter zu geben und gekonnt seine Person in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen.

„Dieser blöde Gockel mit seinem affigen Gehabe kotzt mich an. Wie früher, als der immer bei den Mädels wegen seiner Kohle von zu Hause gut reden hatte“, kommentiert Paul das aufgedrehte Getue seines ewigen Nebenbuhlers früherer Jahre. Die mit einem Bierglas in der Hand beisammen stehenden Peter Bauermann und Roger Schneider können dem nur beipflichten. Paul, einmal in Fahrt, setzt noch einen drauf, in dem er in die Männerrunde wirft: „Wenn ich mir einige der anwesenden Dämlichkeiten genau betrachte, bin direkt froh, dass ich mich damals nicht getraut habe, sie allesamt anzubaggern.“ Schallendes Gelächter und Zustimmung beherrscht die neu formierte Gruppe. „Prost auf die alten Zeiten“ brabbelt Roger und sein Freund Peter kann sich über die gelungene Zote schier kaum vor Lachen beherrschen. „Noch so ein Joke, und ich mach mir in die Hose“, ist von ihm zu hören, bevor er sein Bierglas mit einem kräftigen Zug austrinkt.

Etwa gegen 23 Uhr machen sich die ersten schon auf den Heimweg. Eifrig werden Handynummern ausgetauscht und mit der Versicherung, sich in Kürze zu melden, beginnt sich die Runde langsam aufzulösen. Nach einem gemeinsam erforderlichen Besuch auf der Toilette macht Peter Bauermann seinen beiden Kumpanen den Vorschlag an der Theke ein letztes Bier zu trinken. Allein wie er betont. Nur wir drei. Mit Nachdruck besteht er auf diesem neuerlichen Freundschaftsbeweis. Etwas abseits finden sie eine stille Ecke und nach der Bestellung legt Peter, der informelle Sprecher aus Kindertagen, den beiden anderen die Arme um die Schulter und beschwört die tolle Zeit von damals.

Aber dann - nach einem ersten herzhaften Schluck aus dem randvollen Bierseidel - kommt Peter schnell zum eigentlichen Thema. „Jetzt aber mal die Hosen runter, was ist aus euch Nichtsnutze denn nun wirklich geworden?“ Seine beiden Begleiter sind zunächst verblüfft, doch beginnt sich auf ihren Gesichtern schnell ein Schmunzeln einzustellen.

„Habt ihr das erreicht, was ihr euch vorgenommen habt?“

Bevor sich die Situation klärt und wieder nur belanglose Floskeln ausgetauscht werden, beginnt Peter Bauermann mit seiner Lebensgeschichte in Kurzform. Die letzten zehn Jahre stehen dabei im Fokus. Die Zeit davor haben sie ja gemeinsam durchlebt. Es stellt sich heraus, dass ihr Freund mit seinen beruflichen Aktivitäten schon des Öfteren nahe am finanziellen Abgrund mit seinem Im- und Export-Automobilhandel gestanden hat.

Jetzt aber sei er gut im Geschäft mit gebrauchten Edelkutschen für den osteuropäischen Markt. „Die Käufer stehen bei mir Schlange, um sich nobel einzudecken“, so tönt großspurig Peter Bauermann zu seinen Kumpanen. Die meisten Deals wickle er ja sowieso im Internet ab. Da brauche er nicht mehr so wie früher ein großes Firmengelände, auf dem er seine jungen Gebrauchten feilbiete. Alles laufe jetzt sowieso anders, viel professioneller und vor allem schneller. Bei seinen Angeboten brauche es keine Vorbesichtigung vor Ort, Probefahrt so wie früher? Nein, heute verbürge er sich mit seinem guten Namen. Aus die Maus. Bei Nichtgefallen gibt’s umgehend das Geld zurück, so laufe das eben heute. Den richtigen Riecher hat er halt schon mitbringen müssen, sonst wäre gar nichts gelaufen. „Wo allerdings die Ware immer herkommt, da nehme ich es nicht so genau“, gibt er mit einem Augenzwinkern zu verstehen. An seine Freunde gerichtet schließt Peter Bauermann sein Kurzstatement mit der Frage: „Wenn ihr mal was Anständiges braucht, kommt vorbei, da findet sich schon etwas.“ Nach einem dröhnenden Lachen greift er an seinem zwischenzeitlich wieder gefüllten Bierkrug und löscht gierig seinen Durst.

Als nächstes ist Paul, der Künstler, mit seinem Bericht zur allgemeinen Lage an der Reihe. Sein bisheriges Leben sei eher unspektakulär verlaufen. Er habe das Glück gehabt seine Leidenschaft für die Kunst im Allgemeinen und für Gemälde im Besonderen zu seinem Beruf zu machen. Nach dem Studium sei er Restaurator für alte Kunstwerke geworden und habe eine auskömmliche Anstellung bei den Sammlungen des Bayerischen Staates ergattert, gerade hier in München. Er beschäftige sich mit dem, was er schon immer gern getan habe, heute wissenschaftlich und ohne Stress. Reich würde er als Staatsdiener mit Pensionsanspruch natürlich nicht. Dafür brauche er sich aber auch nicht abzuplagen, immer nach seiner Devise, gut Ding braucht Weile, da habe er es sich gut und bequem eingerichtet.

Paul Jordebrecht kommt förmlich ins Schwärmen. Mit leuchtenden Augen beendet er seine Rede mit dem Satz: „Ich mal euch die Mona Lisa, dass selbst Leonardo eine Brille braucht.“ Dann fügt er noch vieldeutig an: “Klar malen muss man schon können und dann kommt noch die Technik der damaligen Zeit zum Tragen. Elementar wichtig sind die Farben und deren Zusammensetzung. Ich zaubere euch in Nullkommanix einen echten Miro für den Hausgebrauch auf die Leinwand sozusagen als Rücklage für schlechte Zeiten, könnt ihr mir ruhig glauben. “Paul Jordebrecht hinterlässt nach diesen Worten bei den anderen am Tresen sprachlose Gesichter und freut sich insgeheim über seine Schlagfertigkeit. Zufrieden lächelt er die anderen an, er kennt sich im Metier aus, hat den Dreh raus.

Als schließlich Roger Schneider von seinem Lebensweg als Mitarbeiter in der Marketingabteilung eines großen Autokonzerns berichtet, findet er die ungeteilte Aufmerksamkeit eigentlich nur von Peter Bauermann, der mit der Zwischenbemerkung „Wir sind ja in der gleichen Branche gelandet“ seinen Schulfreund fast aus dem Konzept gebracht hätte. Roger Schneider findet wieder den Faden und erläutert leicht übertrieben seine Bedeutung im neuen Projekt, dessen verantwortlicher Leiter er sei, beendet seine Ausführungen aber mit einer lakonischen Bemerkung über sich in dritter Person: „Wenn er aber bis zur Rente schöne Worte erfinden muss, dann gebe er sich lieber gleich die Kugel. Auf die Dauer gesehen, sei er damit nicht ausgelastet, da schwebe ihm doch noch etwas anderes vor.“

Paul hat bei diesem letzten Satz aufgehorcht und bohrt nach: „Und was willst du machen? Hast du irgendwas in der Pipeline?“ Stichworte, bei denen auch Roger aufhorcht und von seinem Traum zu erzählen beginnt: „Ein ganz großes Ding müsste man drehen und dann ab für ein Jahr oder so in die Karibik oder sonst wo hin. Leben halt, die Sau rauslassen.“ In die Runde fragt er: „Wo sind denn unsere Träume geblieben? Damals wollten wir doch alle zusammen die Welt verändern?“ So geht es noch eine ganze Weile hin und her. Alte Erinnerungen werden aus dem Gedächtnis hervorgekramt und zum Besten gegeben.

Klar, inzwischen ist jeder von ihnen seinen eigenen Weg gegangen, mehr oder weniger erfolgreich, wie das Leben eben so spielt. Das Gespräch der drei ehemaligen dicken Freunde hätte noch Stunden so weitergehen können. Sie lachen viel an diesem Abend. Sie sind wieder die Jungs von damals. Mit einer Verabredung am nächsten Vormittag zum gemeinsamen Frühstück heben die drei Schulfreunde die separate Sitzung dann auf. Roger macht sich als erster auf den Nachhauseweg, sagte artig „Gute Nacht“,auch zu Gabi, und erinnert an das morgige Date, um 11 Uhr; Treffpunkt vor dem Münchner Rathaus, an der Mariensäule, ganz so wie früher.

Mit einem Winken an die Gruppe der letzten noch verbliebenen Klassenkameraden im Nebenzimmer der Gaststätte verabschiedet sich Roger. Schwungvoll tritt er den Rückweg zum Hotel an. Seine Stimmung hätte nicht besser sein können. Im Laufe des Gespräches am Tresen der Bierschwemme ist ihm eine Idee gekommen. Das könnte das große Ding werden, von dem er seit langem träumt. Es erscheint total verrückt, aber der Gedanke geht ihm ständig im Kopf herum. Jetzt weiß er auch, wie er es anpacken muss, um einen Matchball zu platzieren. Mit den richtigen Partnern kann sein Vorhaben gelingen. Eigentlich ist das Ganze ja total verwegen und die Chancen stehen nicht mehr als eins zu Hundert. Und damit eigentlich zu verrückt, um aufzufliegen. Ja, das war es, genau das. Alles muss bei der Umsetzung stimmig sein, das ist klar, und dann Bäng, Jackpot, Hauptgewinn, ja das ist sein Ding.

Roger schiebt eine CD in den Schacht des Autoradios und dreht die Lautstärke voll auf. Bei seinen Lieblingssongs singt er mit, eigentlich grölte er den Refrain, um seinem unbändigen Tatendrang den gehörigen Ausdruck zu verleihen. Morgen geht sein Spiel weiter. Er ist sich dabei sehr sicher, die nötigen Partner schon gefunden zu haben. Roger spricht in Gedanken laut mit sich selbst. Nur nicht zu schnell vorgehen und mit der Tür überhastet ins Zimmer fallen. Geduld ist gefragt. Er hat die Fäden in der Hand, auf ihn kommt es an. Aus dem Nichts ans große Geld und dann nichts wie weg in die Sonne. Das Paradies wartet schon am Horizont. Das dies gelingen wird, da ist sich Roger nach diesem Abend ziemlich sicher. Mit einem aufgekratzten Hochgefühl steuert er sein Hotel in der Innenstadt an. Er wird das Eisen weiter schmieden. Es ist schon mehr als heiß, ja, es ist sozusagen glühend heiß. Die Idee hat seinen Denken elektrifiziert und lässt ihn nicht mehr los.


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