Читать книгу Teures Lehrgeld - Hermann Schunder - Страница 8

5. Kapitel

Оглавление

Der Samstagmorgen zeigt sich von seiner herrlichsten Seite. Der Himmel hellblau, nur vereinzelt leichter Dunst, was auf eine baldige Wetteränderung hindeuten könnte. Roger ist guter Dinge, als er sich auf dem Weg zum vereinbarten Treffpunkt macht. Für ihn ist es immer wieder schön, auf dem großen Platz vor dem Rathaus zu stehen und das Glockenspiel im Turm des historischen Gebäudes anzuhören. Von seinem Hotel aus war es nicht weit. Sein Auto ließ er deshalb in der Tiefgarage stehen. Das Gepäck hat er schon im Kofferraum deponiert und mit der Dame am Hotelempfang seine Abreise abgestimmt. Bis zum Nachmittag konnte er seinen Audi A 6 in der Garage des Hotels Imperial stehen lassen. Dies war ihm angenehm, da er so zu Fuß durch die Stadt schlendern konnte. Roger wählt den Weg durch die Kaufinger Straße, spaziert am Stachus vorbei und weiter durch die Fußgängerzone Richtung Marienplatz.

Als er den vereinbarten Treffpunkt erreicht, ist es auf seiner Armbanduhr gerade zehn Minuten vor elf. Er umrundet den Platz vor dem Rathaus, stets die Mariensäule in seinem Blickfeld. Paul wäre nicht zu übersehen. Mit einer Körpergröße von 1,95 Metern überragt er die meisten Touristen, speziell bei den Scharen von asiatischen Besuchern fiel ihm das nicht sonderlich schwer. Typisch für Paul, dass er mit der U-Bahn kam und die Steintreppe mit Riesenschritten nach oben stürmt. Die Rolltreppe hätte er nie benutzt. Das hatte er seine Grundprinzipien, täglich zehn Tausend Schritte, das erhält die Gesundheit und ist zudem ein wenn auch nur kleiner Beitrag zur Rettung der Welt. So war sein Kumpel aus der Schulzeit schon damals gewesen, daran erinnerte sich jetzt Roger.

Fast wären Paul und Roger am Ende der U-Bahn-Treppe übereinander gestolpert. Ein kurzes Hallo und sie gingen zur Mariensäule um auf Peter zu warten, der in der Runde noch fehlte. Ihr Gespräch bezog sich auf den gestrigen Abend und dreht sich natürlich um den Eindruck über die einzelnen Teilnehmer, die gnadenlos einer respektlosen Kommentierung unterzogen werden. Nachdem zehn Minuten vergangen sind und Peter nirgendwo zu sehen ist, zückt Paul sein Handy und tippt eine Nummer. Er ließ es lange klingeln, bis sich endlich noch leicht verschlafen, eine weibliche Stimme mit einem knappen „Ja, bitte“ meldet.

Das kurze Telefonat mit Gabi ergibt, dass sie auf Peter nicht zu warten brauchen, der Gesuchte liege noch im Bett und schlafe seinen Rausch aus. Bei der Menge an Alkohol von gestern sei heute mit ihm nicht zu rechnen. „Ok, und was machen wir jetzt?“ Roger übernimmt die Regie und klärt mit Paul ab, wo sie hingehen. Auf die Frage „Frühstücken bei Dallmayr oder Weißwurst mit Bier“ entschied sich Paul für Letzteres. Beide wollen abseits der Menschenmassen an der Isar in einem zünftigen Biergarten ihren Durst löschen. Sie sind erst einige Minuten ihrem Ziel entgegen geschlendert, als Paul einen Vorschlag ins Gespräch einfließen lässt. „Komm, lass uns ins „Karl-Valentin-Musäum“ am Isartor gehen. Das ist richtig schräg.“

Sie stiegen die enge Treppe im Turm hinauf und fanden sich plötzlich in einer anderen Welt wieder. Viel los war am Vormittag wirklich noch nicht. Ihre Bestellung rufen sie im vorbeigehen der den Tresen polierenden Wirt zu. Zwei dunkle Bier, Weißwurst und Laugenbrezeln. Die Inhaberin oder Bedienung, so eindeutig ist das nicht auszumachen, schaut grantig zu den jungen Männern auf. So etwas kann sie am frühen Morgen schon gar nicht haben. Aber egal, schließlich ist es ihr Laden und sie lebt vom Umsatz und nicht vom ärgerlichen Argwohn ihrer Kundschaft gegenüber. So saudumme Lackel kommen ihr gerade recht, als sie es sich dann doch nicht verkneifen kann. Sie fragt mit einem Gesicht der reinsten Unschuld „soll ich die Würstl einpacken oder mechten die Herrn Studiosus vielleicht in aller Ruhe die Mahlzeit zu sich nehmen. Ganz wie es beliebt.“

Sie suchen nach diesem offensichtliche Rüffel sich einen Platz in Nähe eines kleinen Fensters. Roger ist zum ersten Mal hier. Er sieht sich um und hat für einen Augenblick seinen Mitstreiter fast vergessen. Schönes Lokal, nicht schlecht für den Anfang. Paul ist ganz aufgedreht, völlig aufgekratzt, als er beginnt in der Art eines Fremdenführers über den Namensgebers des Museums, das keines ist, zu dozieren. Roger kennt die komödiantische Ader an ihm und lässt seinen Freund Storys aus dem Leben von Karl Valentin rezitieren. Auf diese Art vergeht die Wartezeit bis das Männerfrühstück von der immer noch etwas beleidigten Kellnerin serviert wird. Lustig wird die improvisierte Vorstellung und Roger kann Paul gerade noch in die Schranken verweisen als dieser ansetzt um den bösen Blick der in der Nähe stehenden Bedienung zu kommentieren. Vielleicht ein guter Einstieg für ihr Vorhaben.

„Ah, das tut gut!“ Aus ihrer beider Münder kommt dieser Satz zeitgleich, als sie den ersten tiefen Schluck Bier durch ihre durstigen Kehlen jagen. Der Nachdurst vom gestrigen Abend kann nur so gelöscht werden. „Die Weißwürste sind ordentlich, nur die Brezn könnten knackiger sein, so latschert hab ich die nicht so gern.“ Paul scheint noch in der Rolle des Fremdenführers gefangen.

Roger lenkt mit einer unverfänglichen Frage das Gespräch in die von ihm gewünschte Richtung. „Das war doch Quatsch, was du gestern über deine Kunstfertigkeiten so von dir gegeben hast, wenn es so einfach wäre, würde ich glatt den Job wechseln!“ Paul horcht auf, bedenkt seine Antwort und erwidert: „In der heutigen Kunstszene regiert bei den Spitzenobjekten doch nur das Geld, du glaubst gar nicht, was heute für Höchstgebote bei Auktionen erzielt werden. Gemälde sind beste Renditeobjekte, die nicht gekauft werden um im Museum Horden von Grundschülern zu erfreuen. Diese Zeiten sind längst vorbei. Wertsteigerungen innerhalb von wenigen Jahren, um ein Mehrfaches des ursprünglichen Kaufpreises, sind keine Seltenheit in der Branche. Die Objekte werden heute vermarktet, als wären es Autos oder andere Edelprodukte, aber immer nur unter dem Blickwinkel der Rendite. Natürlich gibt es die Kunstsammler, die ebenfalls um der Kunst willen Geld anlegen, doch das ist in eine andere Liga. Verstehst du was ich meine? Vieles ist in diesem Markt künstlich erzeugt und wird von interessierter Seite hochgejubelt. Alle machen mit, alle wollen verdienen.“

Roger hat mit seiner scheinbar belanglosen Frage das richtige Thema bei Paul angetippt. Der Fisch hatte angebissen. Er hat seinen Freund instinktiv richtig eingeschätzt. In ihm vermutet er eine latente Unzufriedenheit, die auf eine tiefe Frustration, ja Diskrepanz, zwischen seiner Arbeit als Restaurator und der Wertschätzung seiner Person von den Auftraggebern zurück zu führen sein könnte.

Beim Meeting am Donnerstag hatte Dick J. Forster auch davon gesprochen, dass es beim Verkauf nur darum ging, die Schwachstelle beim Interessenten aufzuspüren. Die Motivation, die Rechtfertigung um gerade dieses Produkt zu kaufen, sei nicht die vordergründige Aufgabe in der Werbung. Wenn das Interesse des Kunden geweckt sei, müssen die guten Gründe für die Kaufentscheidung im Prospekt niedergeschrieben sein. Roger spielt mit seinem Gesprächspartner. Wie bei einer Spirale kommt er immer wieder mit seinen kleinen Fragen und Anmerkungen zielgerichtet auf den Ausgangspunkt zurück. Paul ist in seinem Element und redet sich seinen Frust so richtig von der Seele, dankbar einen geduldigen Zuhörer gefunden zu haben. Er merkt nicht, wie er eingelullt wird.

Das Bier half sicher mit, dass am kleinen Tisch im „Musäum“ schon bald die gewagtesten Ideen diskutiert werden. „Man müsste, man sollte, eigentlich wäre es gar nicht so schwierig, einfach ….“ Langsam nähert sich Roger dem von ihm anvisierten Punkt seines Anliegens. „Und du kannst wirklich Bilder malen, die sich vom Original nicht unterscheiden lassen? Dass wären ja dann perfekte Fälschungen!“ wirft Roger in das Gespräch ein. Paul antwortet sofort: „Du Depp, ich rede nicht von Kopien, das ist ja banal, merkt jeder Blinde, du musst ein neues bisher der Fachwelt unbekanntes Ölgemälde wie aus dem Nichts aus dem Hut zaubern. Das bringt richtig Kohle. Mit einer passenden Hintergrundstory zur Entdeckung des neuen, entschuldige, alten Bildes lassen sich selbst honorige Fachleute hinters Licht führen. Profit verdirbt die Augen.“

Roger ist beeindruckt. Jetzt will er den Sack zu machen in dem er beiläufig, fast so, als wäre es ein Scherz, feststellt. “Wenn du dabei bist, machen wir das. Ich kenne einige Leute, die wir zur Unterstützung brauchen, dann ziehen wir die Nummer durch. Du, Paul, du bist der wichtigste im ganzen Unternehmen.“ Bingo,das hat gesessen. Paul fühlt sich von der Wendung der Unterhaltung geschmeichelt, hat er doch den Eindruck, eigentlich seien die Impulse von ihm ausgegangen und Roger hätte dem Ganzen nur zugestimmt.

Als Paul von der Toilette zurück an den Tisch kommt hat sich die Gastwirtschaft schon merklich gefüllt. Nahezu alle Tische sind besetzt. Er gibt der Wirtin ein Zeichen in dem er mit dem Zeigefinger und Daumen sein bezahlen wollen andeutet. „Roger, komm lass uns woanders weiter reden, hier sind zu viele Ohren, die mithören können.“ Leicht angeheitert trollen sich beide in Richtung Isar davon.


0-0-0


Der Kellner der Eisdiele Dolomiti serviert den Cappuccino und stellt wortlos einen Aschenbecher auf den kleinen Tisch. Jan-Gustav hat einen Schattenplatz seitlich vom Eingang ausgesucht. Seine Mutter ist mit dem großen Weidenkorb losgezogen, um die Einkäufe für das morgige Sonntagsessen zu besorgen. Er begleitet sie gern am Wochenende. Schon als kleiner Junge ging er mit zum Viktualienmarkt. Im Moment ist es schick, direkt vom Erzeuger Gemüse und seinen Bergkäse nach eingehender Begutachtung beim Käsemacher seines Vertrauens zu kaufen. Seine Mutter steht in letzter Zeit voll auf Bio. Ihm ist das eigentlich egal. Schmecken muss es halt, da ist er nicht so wählerisch, ein Dogma macht Jan-Gustav aus dem Marktbesuch jedenfalls nicht.

Jan-Gustav legt sein Handy griffbereit neben den Aschenbecher auf den Tisch. Fast schon ein Ritual, so festgelegt sind die Abläufe auch an diesem Samstagvormittag. Ein erster Schluck Cappuccino, das Anstecken eines Zigarillos und sich dann gemütlich in die am Kiosk gekaufte Tageszeitung vertiefen. Sein Thema ist der Sportteil. Er vertieft sich gerade in den groß aufgemachten Artikel über das am Abend stattfindende Punktspiel seines Vereins, als sein Handy klingelt. Ein kurzer Blick auf das Display. Er schaltet auf Empfang und meldete sich: „Ferdl, alter Spezi, what s going on?“ In seinem Ohr hört er prompt die erwartete Antwort. „Alles paletti, habe gerade die Karten für heute Abend abgeholt, treffen wir uns wie immer vorher auf ein Weizen im Eckstüberl?“

Fußball, das ist seine große Leidenschaft. Sie lassen kein Heimspiel aus. Sie feiern jeden Sieg, an dem sie mit ihren markigen Schlachtrufen ja schließlich auch einen gehörigen Anteil haben. Das gefiel Jan-Gustav. Ja, der Ferdl, auf den war immer Verlass. Am meisten profitiert Jan-Gustav von der sprichwörtlichen Bekanntheit seines Spezis. Der ist in der Szene eine feste Bank. Kennt Gott und die Welt, vor allem jede Menge Weiber. Beim Bier am Stammtisch in ihrer Stammkneipe wird oft nur Unsinn verzapft, das gehört für ihn aber dazu. Auch ergeben sich hier beste Gelegenheiten für Frauenbekanntschaften.

Nach den wichtigen Infos über das Fußballgeschehen widmet Jan-Gustav sich den Lokalteil seiner Zeitung. Das neue Kinoprogramm interessiert ihn noch. Den halb angerauchten Zigarillo in der Hand schaut er sich suchend um. Seine Mutter würde sicher noch etwas brauchen, um ihre Besorgungen allesamt zu erledigen. Gerne ist er ihr behilflich, trägt brav den vollen Einkaufskorb zum Auto und zeigt sich als wohlerzogener Sohn. Sein Papps hat für diese Einkaufstouren keinen Nerv, meist terminlich in Sachen Golf unterwegs und von daher unabkömmlich. Sein Bruder verbringt die meiste Zeit im Auktionshaus. Hält sich für wichtig, will alles unter Kontrolle haben. Ein echter Workaholic. So lebt jeder in seiner Welt. Vielleicht mehr als eine Flucht. Mutter wusste das. Aber, dass ihr Jüngster bereitwillig den Begleiter und Lastenesel abgibt, das freut sie ungemein. Jan-Gustav ist doch ihr guter Junge.

Den Schattenplatz hat er gut gewählt. Die Wärme der Vormittagssonne ist zu spüren. Herrlich, so in Gedanken vor sich hin zu dösen. Für Jan-Gustav ist das gestrige Klassentreffen in angenehmer Erinnerung. Oh ja, er versteht es sich bei solchen Anlässen sicher zu bewegen. Schwer tut er sich da schon eher, auf unbekanntem Terrain. Da fühlt er sich unsicher. In Bezug auf Frauen spürt er diese Hemmung besonders oft. Nicht das er keine kennenlernte. Er ist eher der kumpelhafte Typ. Immer dabei, kennt jede Menge Mädchen, war aber nicht der gefragte Liebhaber. So eine Fußballtussi abschleppen, ok, aber für mehr als eine schnelle Nummer im Auto auf dem Parkplatz hinter dem Eckstübchen, für mehr reicht es meist nicht. Kommt eigentlich selten dazu.

Eine richtige Partnerin hat er noch nicht gefunden. Bindungsängste? Vielleicht sogar Beziehungsprobleme? Seine Mutter, klar, die nervt ihn in regelmäßigen Abständen. Mit Anja, da hätte er sich schon einiges vorstellen können. Die junge quirlige Studentin war einige Wochen bei ihnen im Auktionshaus für ein Praktikum. Sie hatten sich ein paar Mal verabredet. Mehr wurde dann aber nicht daraus. Schade eigentlich, sinniert Jan-Gustav vor sich hin, als seine Mutter schwer bepackt in seine Richtung kommt.

Er geht ihr nicht gleich entgegen. Nein, er macht sich einen Spaß daraus so zu tun, als sei er durch ihr plötzliches Auftauchen überrascht. Seine Zeitungslektüre bot ihm die Möglichkeit sich zu verstecken. „Oh, Mama, bist du schon mit deinen Einkäufen fertig? Ich habe dich gar nicht gesehen. Komm setze dich doch einen Augenblick zu mir, hier ist ein schöner Schattenplatz, der Stuhl hat förmlich auf dich gewartet.“ Schnell drückt er den Zigarillo im Aschenbecher aus, er weiß, dass seine Mutter diese dauernde Qualmerei nicht ausstehen konnte. „Was möchtest du, auch einen Cappuccino?“


Teures Lehrgeld

Подняться наверх