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6. Kapitel

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Roger hat nach dem Wochenende in München am Sonntag lange nachgedacht. Seine Gedanken drehten sich immer um die gleiche Sache. Gegen acht Uhr ist er am Montagmorgen, entgegen seiner Gewohnheit, schon im Büro. Aus seinen PC-Posteingang fischt er die für ihn wichtigste Nachricht aus den vielen Mitteilungen heraus. Müller P. hat die Ergebnisse des Treffens mit den Amerikanern protokollieren lassen und liefert zudem ein Statement zum weiteren Fortgang im Projekt. Der Laserdrucker spukt in rasender Geschwindigkeit Blatt um Blatt des Memorandums in das Papierfach. Roger beginnt damit das Protokoll quer zu lesen und sucht nach Fehlern im Text. Sein Abteilungsleiter, Müller P., ist als Arbeitstier verschrien, aber eins musste man dem „Alten“ lassen, wenn es darauf ankam, dann spulte er sein ganzes Repertoire routiniert ab.

Die E-Mail mit Anhang war um 0 Uhr 45 am frühen Montagmorgen verschickt worden. Respekt, da hatte Müller P. das ganze Wochenende durchgearbeitet. Klar, er hatte seinen Assistenten mit dem Protokoll beauftragt, musste aber Korrektur lesen. Im Meeting würde dann Müller P. seine Kernaussagen zur weiteren Vorgehensweise präsentieren. Roger sah das Protokoll durch und markierte wichtige Textpassagen, die sich auf seinen Arbeitsbereich bezogen. Als er mit dem Protokoll durch war, fiel sein Blick nochmals auf die erste Seite.

Er ahnte eine Unstimmigkeit, kam zunächst aber nicht drauf. Mehr ein Gefühl. Es gab einen Fehler, da war er sich sicher. Klar, das Datum des Meetings war falsch übertragen worden. Sicher in der Hektik, aber eben doch ein Fehler. Über den zweiten Irrtum des Assistenten schmunzelt Roger. Bei der Aufzählung der Tagungsteilnehmer wurde Mrs Zodiak als männlich geführt, obwohl doch offensichtlich beim Anblick der kräftigen vollbusigen und vor allem überaus streitbaren Lady jedem klar sein musste, welchem Geschlecht die Kollegin zugeordnet werden musste. Beim Memo von Müller P. ist Roger Schneider etwa bis zur Mitte vorgedrungen, als ihm ein Blick auf seine Uhr signalisiert, höchste Zeit sich auf den Weg zum Besprechungszimmer zu machen.

Pünktlich um 9 Uhr 30 eröffnet Müller P. noch wohl gelaunt das angesetzte Meeting. Alle sind anwesend; nur der junge Assistent fehlt noch. „Meine Herren, die Tagung in München war in aller Bescheidenheit gesagt ein erster wichtiger Teilerfolg für unsere Abteilung. Ich danke für ihren Einsatz. Aber wir stehen erst am Projektanfang. Viel gibt es noch zu leisten, damit wir von heute an gerechnet in vier Monaten dem Vorstand die Abschlusspräsentation vorlegen können. Das Projekt liegt mir persönlich am Herzen und hat Priorität Eins. Der Endtermin steht unumstößlich fest, da gibt es kein Vertun, meine Herren. Eines bitte ich aber zu bedenken und dies ist von der obersten Heeresleitung abgesegnet, das Projekt Future One obliegt strikter Geheimhaltung. Unser Ziel ist es beim Automobilsalon in Genf unser neues Baby vorzustellen.“ Müller P. sprüht förmlich vor Tatendrang. Er hat seinen letzten Satz noch nicht ganz beendet, als sich die Tür zum Sitzungszimmer öffnet und leise der aschfahle Assistent hereinschleicht. Er hat noch nicht richtig auf dem einzig noch freien Stuhl Platz genommen, als Müller P. auch schon losdonnert.

„Sitzungsbeginn 9 Uhr 30; dies gilt auch für den Herrn Assistenten.“ Das hat gesessen, der arme Kollege musste am Wochenende mit seinem Chef Protokoll und Statement erstellen. Seiner bleichen Gesichtsfarbe nach zu schließen, gab es nicht mehr als drei bis vier Stunden Schlaf zur Erholung. Eigentlich konnte der Assi einem ja leidtun, aber so waren nun mal die Regeln. Müller P. wischt mit einer unwilligen Handbewegung einen möglichen Rechtfertigungsgrund seines Assistenten förmlich vom Tisch, als er nach Ergänzungen, Korrekturen oder Änderungswünschen zu den Vorlagen fragt. Keiner will sich die Blöße geben und mitteilen, er habe die Protokollvermerke aus zeitlichen Gründen noch nicht lesen können. Ein Sündenbock genügt vollends an diesem Montagmorgen.

Aus der Runde der gesenkten Häupter meldet sich Roger zu Wort und merkt seine beiden entdeckten Unstimmigkeiten an. Nach einem kurzen Aufblicken bellt Müller P. in Richtung seines in Ungnade gefallenen Assistenten: „Abändern.“ Jetzt in diesem Stadium des Meetings erscheint es nicht ratsam, Müller P. weiter zu verärgern. Die To-Do-Liste wird detailliert durchgehechelt. Beim Punkt Übersetzung der bereits von den amerikanischen Kollegen erstellten Foliensätze bestimmt Müller P kurzerhand Roger nachzufragen, wann die deutschen Arbeitsvorlagen ausgehändigt werden können. „Machen sie denen da im 2. Stock ruhig etwas Feuer unterm Arsch!“ Und dann fügt er noch hinzu: „Schneider, nach dem Meeting kommen sie gleich noch bei mir vorbei.“

Roger, der bei den nun folgenden technischen Details nicht mehr gefordert ist, zieht unauffällig sein Handy aus der Jackentasche und beginnt unter dem Tisch mit dem Abfassen einer SMS an das Sekretariat. Eile ist geboten, denn er wollte nicht unvorbereitet ins Büro seines heute nicht gerade gutgelaunten Chefs kommen. Er tippt folgende Kurzmitteilung:

„Liebe MaLu, ich brauche dringend deine Hilfe. Bitte bei der Presseabteilung nachfragen, wann die Übersetzungen kommen. Frage auch nach dem Zuständigen. Ich rufe ihn nach dem Meeting kurz an. Gruß Roger und 1000fach Danke.“

Fertig und weg damit. Hoffentlich war Marie-Luise an ihrem Schreibtisch. Den kleinen zeitlichen Vorsprung konnte er gut gebrauchen. Mit einem Blick auf die Uhr und dem Hinweis, er müsse um elf zum Rapport beim Vorstand, beendet Müller P. das Treffen der Projektgruppe. Roger eilte aus dem Sitzungszimmer sofort zum Sekretariat. Dort erwartet ihn bereits Marie-Luise und reicht ihm einen Handzettel mit den wichtigsten Angaben zu ihrer Recherche. Auf die Idee, die bereits übersetzten Abschnitte der Dokumentation, sobald sie fertig waren, sofort an die Marketingabteilung weiterzugeben, hätte er auch von selbst kommen können. Er nickt anerkennend in Richtung von Marie-Luise.

Genau drei Minuten nach Sitzungsende klopft Roger an die Glastür des Büros von Müller P. „Gute Arbeit Schneider, wenigstens einer, der die Emails überhaupt durchliest. München ist ja gut gelaufen. Was ich sie aber fragen wollte: die Amis haben uns zur Unterstützung einen ihrer Mitarbeiter angeboten. Mir ist schon klar, was die wollen. Die haben gemerkt wie gut wir sind und jetzt wollen sie uns quasi einen Aufpasser unterjubeln. Ablehnen kann ich schlecht. Ich dachte an den älteren Dunkelhaarigen, wie hieß der doch gleich?“

„Forster, Richard Forster.“

„Ja, genau den hab ich gemeint. Der hat doch ganz vernünftige Ansichten.“

Roger pflichtet seinem Chef bei. Ihm war schon klar, dass Müller P. der alte Fuchs die Finte der Amerikaner intuitiv gerochen hat. In dem er sich auf Forster festlegte, glaubt er mit der Wahl des vermeintlich kleinsten Übels gut aus der Sache herauskommen. Müller P. wäre aber nicht Müller P., wenn er nach einem Lob nicht noch eine Rüge in petto hätte. Und schon zückt er mit der nächsten Feststellung sprichwörtlich den Dolch aus dem Ärmel.

„Schneider, die Übersetzungen sind dringend, da hätten sie bevor sie zu mir gekommen sind, doch schon bei der Presseabteilung nachfragen können.“ Roger jubiliert innerlich. Genau darauf hat er gewartet. Kurz und präzise erstattet er Bericht. Als er noch anfügt, dass mit den ersten Teilen der übersetzten Unterlagen im Laufe des morgigen Tages gerechnet werden könne, hat er seinen Matchball platziert. Er habe die persönliche Zusicherung des Verantwortlichen. Müller P. ist für einen Moment sprachlos. Sein bereits geöffneter Mund klappt wieder zu. Mit einem gemurmelten „schön, bleiben sie dran. Jetzt wird es aber Zeit“ flüchtet er sich aus der nicht so erwarteten Situation. Roger aber fühlt sich gr0ßartig. Für heute hat er Ruhe vor Müller.


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