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KAPITEL 5

PALÉZIEUX

Von Forel geht’s heute weiter nach Palézieux. Mit Barou zusammen hole ich Speedy bei den Reymonds ab, und fröhlich machen wir uns auf den Weg. Die Sonne scheint, es ist warm, die Gegend ist wunderschön, der Pfad schlängelt sich durch grüne Wiesen hindurch, die Vögel singen, ich auch. Mittags halten wir bei einem Brunnen im Wald an, die Tiere zum Trinken, ich zum Essen. Ich breite mein ausführliches Picknick vor mir auf dem Boden aus und seufze vor Zufriedenheit. Es sind nur noch ein paar Kilometer bis nach Palézieux, heute bin ich früh dran. Der Hund strahlt, Speedy, der Ausreißer, steht mit drei Knoten im Seil an einem richtigen Baum angebunden – nie wieder an einem Zweig!

Eine Familie kommt mit dem Fahrrad den Weg hochgehechelt und hält an, um etwas zu trinken. Die Kinder wollen gleich wieder weiter, aber die Frau streichelt Speedy: »Schön ist er!« Ich nicke. Ja, er ist schön. Zuerst habe ich gedacht, sein Schwanz sei etwas hässlich, weil er so schnurstracks nach unten fällt. Bis jemand mir bewundernd sagte: »So ein schöner, einfacher Schwanz! Der passt ja toll zum Rest des Tieres!« Da hatte ich diesen interessanten Gesichtspunkt dann gleich adoptiert.

Der Mann kommt herbei und streichelt Speedy ebenfalls. »Der sieht dem vom Samstagabend aber ähnlich, findest du nicht auch?«, fragt er seine Frau. Sie guckt andächtig zu Speedy und nickt.

Die Kinder jammern: »Los, wir wollen weiter!«, aber ich springe auf: »Was meinen Sie mit ›dem von Samstagabend‹?!«

»Ja, da haben wir einen ähnlichen wie Ihren gerettet. Der lief mitten in der Nacht auf der großen Straße herum, und weil sich niemand um ihn kümmerte, haben wir angehalten und ihn zum Café gebracht. Ich würde gerne wissen, wie es weitergegangen ist, aber wir hatten es eilig und mussten gleich wieder los.«

So laufen mir einfach Speedys Retter über den Weg und ich kann mich endlich bei ihnen bedanken. Auch sie zucken die Schultern: »Ist doch normal!« Gleichzeitig freuen sie sich, dass alles so gut ausgegangen ist, und fahren dann wieder los.

»Das gibt’s doch nicht, Herr!«, sage ich, während ich den Esel wieder losbinde. »Das hast du ja toll hingekriegt!« Keine Antwort, aber etwas wie ein leises Echo klingt in meinem Herzen: »Findest du nicht auch?!«

In Palézieux werden wir wärmstens empfangen. François, der Bauer, und seine Frau Nicole kümmern sich liebevoll um Esel, Hund und Pfarrerin. Der Esel wird geimpft, der Hund bekommt eine ausgiebige Dosis Streicheleinheiten und ich werde zum Abendessen im Garten eingeladen. Ich erzähle von Speedys Abenteuer, und dass wir heute seine Retter getroffen haben. François lacht: »Jetzt fehlen nur noch die Straßenarbeiter!« Aber das scheint mir dann doch etwas zu viel verlangt.

Dieses Wochenende fehlt es nicht an Besuchern; die Pfarrerin von Palézieux hat tüchtig Reklame gemacht. Der Nachbar von gegenüber kommt mit seiner Gitarre und entpuppt sich als ein professioneller Musiker und Komponist, was mich unendlich freut: Fast nichts ist so schön wie zusammen Musik machen und singen!

Ein Ehepaar auf Radtour sieht das Tipi und den Eselwagen, kommt neugierig herbei und nimmt sich plötzlich die Zeit, für ein besonderes Anliegen zu beten. Während wir beten, kommt eine Synodalrätin meiner Kirche ins Zelt, sieht, was passiert, freut sich mit.

Am Sonntag sitze ich gerade vor meiner Suppe, da dringt der Geruch gebratener Würstchen in meine Nase. Etwas neidisch schaue ich zur Nachbarwiese hinüber, wo ein junger Mann eifrig grillt. Mein Blick muss wohl sehnsüchtig ausgesehen haben – Gemüsesuppe hat ja doch ihre Grenzen –, denn er ruft mir zu: »Wollen Sie auch ein paar?!«

»Oh ja!!«

Mit Würstchen und Salat auf Papptellern kommt er auf mich zu. Er heißt Patrick und erzählt, dass seine Freundin unten im Bauernhaus eine kleine Wohnung hat. Ich erkläre meine Arbeit und lade beide zum Nachtisch ein: eine riesige Torte, die mir ein Dorfbewohner gerade vorbeigebracht hat. Patricks Freundin kommt auch hinzu und wir machen es uns im Gras gemütlich. Patricks Blick schweift zum friedlich grasenden Speedy: »Schöner Grauer! Sieht zwar ein bisschen fleckig aus, aber François wird das schon hinkriegen, der kennt sich aus!«

Dann meint er zu seiner Freundin: »Mmm, eigentlich sieht er dem, den ich am Samstagabend gerettet habe – weißt du noch, von dem ich dir vorige Woche erzählt hab – ziemlich ähnlich. Ein bisschen heller, würd’ ich sagen.«

Mein Würstchen bleibt halbwegs zwischen Teller und Mund in der Luft hängen. »Wie bitte?!«

»Na ja«, sagt er und schüttelt den Kopf, »vorige Woche haben mein Kumpel und ich einen Esel von der Straße aufgegabelt. Das arme Tier lief zwischen den Autos hin und her mit einem Zweig hinter sich, muss sich wohl losgerissen haben. Ein Ehepaar hat sich dann seiner erbarmt, ja, und dann haben wir uns um ihn gekümmert, weil keiner wusste, wem er gehört. Da haben wir ihn in unsere Scheune geschoben, dort war er wenigstens sicher. Die Polizei haben wir auch angerufen, aber die sind nicht gekommen. Also haben wir einen anderen Kumpel, der ganz in der Nähe wohnt, angerufen; der hat ihn dann schließlich abgeholt und in seinen Stall gebracht. Ihr Esel sieht ihm wirklich ein bisschen ähnlich …«

»Also, Herr, ich bin platt! Du hast echt Humor! Und was für ein Timing …«

Wieder keine Antwort. Aber eine leise, fast zufriedene Stimme sagt in meinem Herzen: »Findest du nicht auch?!«

Die Wanderpfarrerin

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