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EINLEITUNG
ОглавлениеBevor ich Sie mitnehme auf meine Reise, noch ein paar Bemerkungen zu Evangile en chemin, wörtlich übersetzt »Evangelium unterwegs«, das ich ab jetzt mit EEC abkürzen werde, so wie wir es selbst auch machen. Die Einzelheiten werden Sie allmählich entdecken – so wie Inhalt und Form sich auch erst durch die drei Wanderjahre hindurch entwickelt haben.
EEC ist ein – so glaube ich – von Gott eingeleitetes und dann durch mich und andere hindurch verwirklichtes Projekt, das ich im Jahr 2008 meinen kirchlichen Behörden (der »EERV«, Eglise Evangélique Réformée du Canton de Vaud, Staatskirche meines Kantons) vorgeschlagen hatte. Es wurde von ihnen in der Form eines Mandates für drei Jahre angenommen.
Es ging – und geht! – darum, aus den buchstäblichen oder wörtlichen Mauern der Kirche und dann auch aus denen im übertragenen Sinne herauszugehen, um die Menschen dort zu treffen, wo sie sind. Da, wo sie sich auf ihrem Lebens- und Glaubensweg befinden. Dort, wo sie gerade sind: auf der Straße, beim Bäcker, im Café … Aber eben nicht in einer Kirche. Denn viele haben diese verlassen und kein Interesse, sie wieder zu betreten. Aber ihr Interesse an Gott ist nicht verloren gegangen, das hat sich im Laufe der letzten drei Jahre immer wieder gezeigt.
Dies ist die äußere Seite von EEC. Die innere, verstecktere, aber wichtigere Seite ist etwas schwieriger zu umschreiben, doch sie gehört dazu: Vor ungefähr neun Jahren zitierte ein Pfarrer bei der Buß-und-Bettag-Versammlung in der Kathedrale von Lausanne Matthäus 17,21: »Aber diese Art fährt nicht aus außer durch Gebet und Fasten.« Plötzlich, ohne jegliche Warnung, schüttelte Gott mich und rief: »Faste!« Ich war völlig überrumpelt. Ich? Fasten? »Aber warum denn, Herr?« Mir war klar, dass der Gedanke von Gott kam. »Und wovon?«
Keine Antwort. Also aß ich eine Woche nichts und dachte über Matthäus 4 nach, wo über das Fasten Jesu in der Wüste berichtet wird und über die anschließende Versuchung durch Satan, den Ankläger, den Illusionsspezialisten, der falsche Bilder von Gott, Mensch und Welt vorgaukelt. Ich studierte den Text, seine Varianten, seine Übersetzungen, biblische Parallelstellen, Kommentare; ich betete und sang. Bis ich verstand, dass Gott von mir ein anderes Fasten wollte – ein »Illusions-Fasten«. Er forderte mich auf, alle falschen Bilder von ihm, mir selbst und anderen als Karikaturen zu entlarven, um dann entschlossen auf sie zu verzichten. Denn falsche Bilder sorgen für hoffnungslose geistliche Verstopfung, Fasten aber macht Platz für Gottes gute Nahrung, die aufbaut, stärkt, wachsen lässt, Freude und Freiheit bringt, wie es das EEC-Morgengebet sagt: »Du willst, dass wir unsere Illusionen verlassen, unsere falschen Bilder und die Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen, die daraus hervorgehen – um dich zu suchen und zu finden; um dich mit unserem ganzen Herzen zu lieben, dir in völliger Freiheit zu dienen. Um so zu uns selbst zurückzufinden und uns zu lieben und zu unseren Nächsten zurückzufinden und sie zu lieben.«
Drei Jahre später begegnete ich einem französischen Nomaden, der mit Pferd und Wagen durch die Welt zog und mir sagte, viele Menschen würden ihn ein Stück begleiten. Denn er sei der Einzige, der heutzutage noch einfach lebe, sich auf das Wesentliche konzentriere. Und vor allem, der Zeit für sie habe.
Aus den beiden Begegnungen, der göttlichen in der Kathedrale und der menschlichen unterwegs in Frankreich, entstand dann einige Jahre später EEC.
So bin ich Wanderpfarrerin geworden und habe mich mit dem Esel Speedy, meinem Hund Barou, meinem Eselwagen Gijs, dem Tipi und vor allem mit Gott, dem »patron«, dem Initiator und Chef des Ganzen, auf den Weg gemacht und bin durch den Kanton »Vaud«, das Waadtland, gezogen: das erste Jahr etwa von der Mitte nach Süden zum Genfer See (Lausanne), von dort westlich und dann nach Norden; das zweite Jahr von den Waadtländischen Voralpen hinunter zum östlichen Genfer See, hoch zum Nordosten und dann zurück in die Mitte; das dritte Jahr von der Mitte nach Nordwesten über die Jurakette und wieder zurück zum westlichen Genfer See mit Endpunkt Lausanne.
Speedys Eigentümer sind Jacob und Marguerite Geiser, Mennoniten aus dem Jura, die sich für EEC begeistert haben und mir Speedy leihen, nicht zum Normaltarif von 50 Franken (40 Euro) pro Tag, sondern zuerst für 200 Franken (160 Euro) für sieben Monate und dann ganz umsonst! Sie haben mir gesagt: »Wir geben dir Speedy. Er ist der liebste und geduldigste unserer Esel. Allerdings auch der … langsamste!« Speedy war zuerst vorgesehen als Zugesel, aber es zeigte sich schon bald, dass dies nicht gut möglich war. So wurde seine Zugkraft durch einen Trecker ersetzt; aber er selbst – unersetzbar! – zog mit meinem Hund Barou und mir durch die Lande.
Jeden Freitag fuhr ich mit meinem Auto zum Ort, wo ich das vorige Wochenende gewesen war; und da ging es wieder los mit meinen beiden Tieren, von Dorf zu Dorf, von einer Stadt zur anderen, während alle möglichen Helfer den Eselwagen und mein Auto transportierten, das Tipi aufbauten, sich um das Material kümmerten und die Kommunikation regelten. Samstag und Sonntag blieben meine Tiere und ich dann an dem Ort, wo wir am Freitagabend angekommen waren, und jede Sonntagnacht fuhr ich mit Barou wieder hoch zu meiner Alphütte, wo ich wohne. Am nächsten Donnerstagmorgen ging’s dann wieder den Berg herunter, um die ganze Arbeit um EEC herum zu erledigen und als Gefängnispfarrerin zu arbeiten. So war ich also nur am Wochenende unterwegs; »nur«, denn die Tage gingen von 7 Uhr morgens bis oft tief in die Nacht hinein: 1 oder 2 Uhr morgens war keine Ausnahme.
Während der Woche mussten wir jedes Mal für Speedy eine Unterkunft finden. Wir, das sind meine Unterstützungsgruppe und ich. Denn alleine kann man nicht gut unterwegs sein! Die Leute aus meiner Gruppe werden Sie durch die Kapitel hindurch besser kennenlernen, aber hier seien sie kurz vorgestellt:
Zwei Pfarrer, Philippe Rochat und Georges Besse, und eine Diakonin vom Straßenpastorat, meine Freundin Viviane Maeder, waren bei der Planungsgruppe dabei; denn EEC musste ja erst einmal überlegt und geplant und vor allem erbetet werden. Danach konnten die drei wegen Zeitmangel nicht weitermachen, aber während dieser kurzen Zeit waren sie mir unheimlich wertvoll.
Dann die »festen« Mitarbeiter: Valérie Bornoz, inzwischen Valérie Richard, Priscille Hunziker, Bernard Tripet, Franco Ciardo, Roland Besse. Später kamen hinzu: Aude Gelin und Jean-Claude Clerc. Und noch später: Christian Ringgenberg und Ludovic Papaux. Zusammen haben wir versucht, Gottes Weg zu erforschen und die Richtung einzuhalten, die er uns zeigte. Sie alle haben Wochenenden koordiniert, endlose Telefonate erledigt, praktisch mitgeholfen und an Ort und Stelle oder auf Distanz gebetet. Sie waren treu und mit Einsatz ihrer Kräfte, aber auch ihrer Freude, Fantasie und Einzigartigkeit dabei. Ohne sie wäre EEC nicht das, was es ist.
Neben ihnen haben so viele Leute geholfen: Sie haben Speedy einen Stall oder eine Wiese besorgt, den Eselwagen von einem Ort zum anderen gezogen, der gestrandeten Pfarrerin Pannenhilfe geleistet, sie genährt, ermutigt und, auch hier wieder wörtlich und im übertragenen Sinne, gewärmt. Aber eben auch infrage gestellt und korrigiert. Es ist schade, dass ich nicht jeden Einzelnen erwähnen und mich bei jedem bedanken kann; die Liste würde doch zu lang werden, eben weil es so viele sind. Aber ich habe sie nicht vergessen, und sie haben alle ihren kleinen oder großen Teil dazu beigetragen, dass EEC – diese Art, das Evangelium unterwegs zu sagen und zu leben – eben … unterwegs bleiben konnte!