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KAPITEL 7

EIN KURZER ABSTECHER: EVANGELIUM UNTERWEGS

Ich habe es öfter so einfach gesagt: Wir kommen ins Gespräch, wir reden und reden … Aber worüber redet man eigentlich so – unterwegs und im Tipi? Die Menschen, die ich treffe, erzählen ihre Geschichte. Sie erzählen ein Stück sich selbst. Da brauche ich nur zuhören. Und wenn ich zuhöre, sehe ich einen Teil dieser Geschichte vor mir. Ich sehe den anderen kämpfen mit seiner Krankheit, ich sehe Eheleute sich anschreien, ich sehe jemand Gott suchen und sich dann schulterzuckend abwenden, weil seiner Meinung nach sowieso nichts passiert und zögernde Gebetsansätze anscheinend nicht gehört werden. Ich sehe Leute mühsam ihre Lebenspuzzlestücke zusammensuchen und feststellen, dass einige ganz wichtige Teile fehlen, sodass alles bruchstückhaft und unbefriedigend bleibt.

Ich sehe, wie Menschen sich ihre eigene Spiritualität zusammenbasteln, weil jeder ja heute frei ist zu glauben, was er glauben will. Sie finden dann zwar eine Art Frieden, aber irgendwie leben sie doch an ihrem eigentlichen Ziel vorbei.

Das ist natürlich nur meine Sicht. Und oft wird diese Sicht, mein eigener Glaube, wie in einer Waschmaschine gerüttelt, geschüttelt, gedreht, bis ich überhaupt nicht mehr klar sehe, weil ich mir vorstelle: Wie wär’s denn, wenn der andere recht hat? Wenn es keinen wirklichen, lebendigen Gott gibt, der die Welt und uns und mein eigenes Leben fest in seiner Hand hält? Der mir in Jesus Christus zusagt, ich brauche nie mehr Angst vor ihm zu haben, ich brauche allerdings dann auch nie mehr meinen Weg so zu gehen, als ob es ihn nicht gäbe … Und dann nützt es nichts zu sagen, was man mir so oft sagt: »Ach, keiner hat hier recht oder unrecht; Hauptsache, man ist authentisch in dem, was man glaubt, und steht dazu.« Als ob die Persönlichkeit des Gottes, der in Jesus Christus uns so toll und so gefährlich nahegekommen ist, eigentlich nichts zur Sache täte.

Wenn das so wäre, dann ist es auch eigentlich egal, an was und an wen man glaubt, Hauptsache, es tut einem gut. Dann gibt es keine Wahrheit, an der man sich und die Welt messen kann – und soll. Und wie einfach kann jemand da sagen: »Wenn du mich nicht da stehen lässt, wo ich bin und mit meinem Glauben, so wie er ist, dann bist du ein schrecklich intoleranter Mensch, und ich will mit dir nichts zu tun haben.« Genau das halte ich mir oft vor: »Für wen hältst du dich denn? Als wenn du besser wärst und glaubst als dieser andere da vor dir.« Und ich nicke in solchen Situationen schon fast zustimmend, da rüttelt mich jemand wach und eine innere Stimme sagt mir: »Darum geht es doch gar nicht, dass du sympathisch und empathisch nicken kannst und den anderen so gut verstehst.Du darfst die Menschen lieb haben und lieb haben und nochmals lieb haben. Aber – also! – leugne mich nicht.«

Wenn ich Gott richtig zuhöre, hebt sich der gedankliche Nebel, ich sehe wieder klar und merke, wie wir alle ständig riskieren, in unsere Lieblingsfalle hineinzustolpern, die da heißt: »Du brauchst nicht zu wählen.« Denn wenn wir uns einen Gott nach unserem Bilde machen, wählen wir ja nicht. Dann geben wir ihm heute diese Form und morgen jene. Und fühlen uns sehr offen. Aber dann schneiden wir uns selber von Gottes Wirklichkeit ab und damit von unseren eigenen Wurzeln. Und dann vertrocknen wir …

Wählen ist heutzutage fürchterlich unpopulär. Aber Gott will, dass wir ihn wählen. Weil er sich mit seinem ganzen Herzen danach sehnt, von uns, seinen Kindern, geliebt zu werden. Und lieben ist wählen. Es geht nicht darum, perfekt zu wählen! Wir sind ja Kinder auf dem Weg. Aber von ganzem Herzen.

Allerdings fängt da unterwegs die (für mich) schwierige Übung an, zu unterscheiden, worauf es ankommt: Was ist jetzt Evangelium, frohe Botschaft, für diesen Menschen? Was ist jetzt wichtig? Muss ich was sagen, und wenn ja, was und wie, jetzt oder später? Und bei alledem gilt es, das Allerwichtigste nicht aus den Augen zu verlieren: Er tut’s. Er arbeitet – und ich darf mitarbeiten. Nicht umgekehrt.

So oft sage ich: »Ja, aber …« Doch dann höre ich ihn wieder in meinem Herzen: »Nein, Hetty, nicht umgekehrt!«

Vor vielen Jahren, als ich noch Pastorin in Fiez war, hatte ich ein Erlebnis, das ich nie mehr vergessen werde. Ich nenne es meine »Kartoffelfeld-Entdeckung«, weil ich gerade auf einem solchen saß, den Hund beobachtete und in einem Buch las. Da stieß ich auf den Satz: »Leave it to Me.« – »Vertraue es mir an, lass mich machen, übergebe es mir.« Dieser Satz schlug bei mir ein wie eine Bombe. Ich wusste, Gott redet zu mir. Ich wusste auch, warum es so wichtig war. Von klein auf habe ich gelernt, alles selber zu tun. Nur auf mich zu vertrauen und nicht auf Worte und Taten anderer, weil das sowieso nur Treibsand ist. Und nun kommt da dieser Gott und will das alles umschmeißen? Meine schöne Mauer, an der ich so hart und lange gebaut habe? Meine sichere Festung, die mich zwar einsperrt, aber mich auch schützt? Muss ich wirklich lernen, ihm allein in allem zu vertrauen? Etwas in mir schreit: »Nie!« Etwas anderes in mir seufzt: »Wie toll wäre das!« Diese zwei kämpfen.

Und unterwegs mit dem Evangelium wird das alles plötzlich so konkret. Denn wenn ich mich schon einem Gott anvertraue, muss er auch dieses Vertrauen wert sein. Dann darf er nicht willkürlich sein oder gleichgültig oder gleichzeitig gut und schlecht oder Licht und Dunkel zugleich. Dann muss er mich wirklich lieb haben und sich für mich einsetzen, mit Herz und Seele, wenn man das von Gott so sagen darf. Ja, dann darf ich das sagen, weil er nämlich so ist. Und nicht, weil ich ihn mir so zusammenbastele, weil mir das so gut gefällt. Sondern weil Gott selbst durch die Bibeltexte hindurch mir bestätigt, dass er so ist. Ja, die Bibel darf und soll interpretiert werden. Sie ist kein Rezeptbuch. Sie ist nicht wörtlich von Gott diktiert. Aber er hat dieses Mittel gewählt, um sich bekannt zu machen.

Und das heißt dann auch, dass ich, unterwegs als Wanderpfarrerin, nicht nur empathisch nicken soll. Natürlich auch nicht, dass ich pedantisch und arrogant meine, alles besser zu wissen. Aber ich darf ehrlich Zeuge sein von dem Gott, der in seiner großen Liebe zum Menschen sich weigert zu sein, wie dieser will, dass er sei. Weil das des Menschen Untergang wäre.

So versuche ich, einen Weg zu finden. In echter Zuwendung zum Menschen, der mir unterwegs begegnet, und bereit, von ihm zu lernen und mich von ihm infrage stellen zu lassen. Aber auch in echter Freiheit, von dem Gott der Bibel zu erzählen und zu versuchen, etwas von ihm zu reflektieren.

Das erinnert mich an einen anderen Dialog zwischen Gott und mir, in dem er mir sagte: »Widerspiegele mich, reflektiere mich, wie diese Blätter die Sonne widerspiegeln. Habe lieb, habe lieb und habe nochmals lieb.«

Das ist für mich Evangelisation, wenn man denn schon dieses oft missverstandene Wort gebrauchen will: Gott bringen, ihn geben, wie er ist. Durch mich hindurch, wie ich bin. Und das wird nie funktionieren, wenn ich nicht selber verwandelt werde, jeden Tag aufs Neue. Mein Sein muss durch ihn geprägt sein, sonst nützen meine Worte nichts und meine scheinbar so tollen Taten auch nicht. Die weisen ja dann nur auf mich selber hin und dienen letztendlich meiner eigenen Ehre.

So denke und höre und rede ich unterwegs immer in einer Art Gleichgewichtsübung: Gott tut’s, also darf ich »mit-tun« und in dieser Mitarbeit total und froh ich selber sein und alle meine Gaben einsetzen. Ich darf den Menschen lieb haben und ihm sagen, dass Gott mit ihm schon weitergegangen ist und mit ihm weitergehen will, als dieser Mensch sich das vorstellen kann. Und manchmal auch vorstellen will.

Denn das ist die Frage: Will die Raupe ein Schmetterling werden?

Die Wanderpfarrerin

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