Читать книгу 50 - Хидео Ёкояма - Страница 6
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ОглавлениеIm zweiten Stock saßen die Verantwortlichen aller Abteilungen. Shiki, dessen Büro im fünften Stock lag, war noch nicht oft in diese Korridore gekommen. Ganz zu schweigen vom Büro des Präsidiumschefs; hierher hatte es ihn erst ein Mal verschlagen, als er befördert wurde.
Aber er empfand keine Nervosität. Je weiter er lief, desto wütender wurde er. Warum wollte man ihn für diese Aufgabe einspannen? Auch wenn es sich für die Präfekturpolizei um einen gravierenden Fall handelte – Sōichirō Kaji stand schließlich unter strengster Beobachtung in der Zentralstation. Er würde da weder fliehen noch sterben.
»Guten Tag.«
Als Shiki eintrat, sah er auf einem luxuriösen Ledersofa drei Personen sitzen, denen die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben stand. Es waren die Männer an der Spitze des Polizeipräsidiums der Präfektur W: Kagami, Leiter der Zentralstation. Iyo, Leiter der Polizeiverwaltung. Iwamura, Leiter des Kriminaldezernats. Kagami und Iyo galten als Karrierebeamte, von der Nationalen Polizeibehörde temporär hierher versetzt, und wahrscheinlich waren sie deswegen weniger entspannt als Iwamura, der aus der Präfektur stammte.
Doch jetzt sahen sie alle ernst aus, Iwamura eingeschlossen. Kagami, der gerade erst 40 geworden war, wirkte sogar etwas traurig.
»Sind Sie mit Polizeihauptmeister Kaji befreundet?«
Verwaltungsleiter Iyo hatte das Wort als Erster ergriffen.
»Nein. Ich kenne ihn vom Sehen, aber wir haben keine persönliche Beziehung.«
»Das ist gut.«
Iyo mit seinem fleischigen Doppelkinn nickte und schob eine dicke Mappe über den Tisch, direkt vor Shiki. Darin befanden sich Einträge aus Kajis Personalakte. Das erste Blatt war sein Lebenslauf. 49 Jahre alt. Seit 31 Jahren im Dienst. Nach Stationierungen in diversen Kōban, den Polizeihäuschen, und mehreren Revierverwaltungen hatte er seit neun Jahren als Ausbilder an der Polizeischule gearbeitet. Im letzten Frühjahr zum Vize der Ausbildungsabteilung aufgestiegen. Keine besonderen Vorkommnisse. Eltern bereits verstorben. Besitzer eines Eigenheims. Lebte mit seiner Frau Keiko allein.
»Uns bleibt keine Zeit. Wenn Sie das überflogen haben, gehen Sie zur Zentralstation und beginnen mit der Ermittlung.«
Moment mal. Wollte Shiki zumindest sagen. Er unterstand schließlich nicht der Polizeiverwaltung.
Shiki blickte auf Kriminaldezernatsleiter Iwamura hinunter. Der hatte die Augen geschlossen.
»Wissen Sie, dass ich gerade …«, begann Shiki, die Augen wieder auf Iyo richtend, als er von ihm unwirsch unterbrochen wurde.
»Ja, ich weiß. Den Fall wird irgendwer anders übernehmen. Kaji hat jetzt erst mal höchste Priorität. Und Sie sind ja wohl derjenige mit den besten Vernehmungsfähigkeiten, nicht wahr?«
Shiki blickte erneut auf Iwamura. Immer noch geschlossene Augen.
Natürlich hatte er lange als Vernehmungsbeamter gearbeitet und während seiner Zeit als Polizeiobermeister auch den Beinamen »Geständnis-Shiki« erhalten. Aber gerade deswegen war er jetzt ratlos – Kaji hatte den Mord an seiner Frau selbst angezeigt. Das Motiv war eindeutig. Kurz, Kaji war von Anfang an komplett geständig. Es schien nicht nötig, ihn streng zu vernehmen und dafür extra Shiki zu holen, der schließlich schon in einen anderen Fall involviert war.
»In der Zentralstation gibt es auch Vernehmungsbeamte.«
Als Shiki das gesagt hatte, riss Iyo seine Augen auf.
»Das können wir nicht jemandem von der Polizeidienststelle überlassen! Begreifen Sie überhaupt, was für ein Skandal das ist! Ein Polizeibeamter hat einen Mord begangen!«
»Das verstehe ich schon. Aber mein aktueller Fall ist ebenfalls …«
»Ich hab Ihnen doch gesagt, ich weiß, worum es geht. Was ist da das Problem? Irgend so ein Kunstlehrer, der Pestizide getrunken hat, bevor wir in seine Wohnung eingedrungen sind, richtig?«
»Richtig, aber …«
»Na, dann gibt es doch kein Problem. Wenn er es getrunken hätte, nachdem wir eingedrungen waren, dann hätte das als unser Fehler ausgelegt werden können, aber so …«
Das war also sein Maßstab.
Die eigenen Interessen fest im Blick, dafür war er bekannt. Und trotzdem trafen seine Worte einen Nerv. Jedes Mal, wenn dieser Elite-Boss, dieser Karrierebeamte von außerhalb, der noch nie eine Leiche schultern musste, alle bis hin zum Kriminaldezernat mit dem Wörtchen »wir« bedachte, pochte eine Ader auf Shikis Stirn.
Er starrte Iwamura unverhohlen an. Warum ließ der diesen Möchtegern-Kriminologen einfach so daherreden?
Plötzlich, als hätte er einen Einfall gehabt, wandte sich Iwamuras viereckiges Gesicht Shiki zu.
»Tatsumi soll den Künstler übernehmen.«
Shiki traute seinen Ohren nicht.
Machte der einfach das, was die Verwaltung verlangte?
Er beugte sich vor.
»Aber Herr Direktor, Takano wird gerade ins Krankenhaus gebracht, und wir brauchen einen Durchsuchungsbefehl.«
Iyo schnalzte mit der Zunge, aber Shiki fuhr einfach fort. Zur Hälfte, um Iyo dazu zu zwingen, sich das anzuhören.
»Selbst wenn sich dessen Zustand verbessert, hat Grand Kison Langzeiteffekte, und wenn es bis zur Lunge vorgedrungen ist, wird Takano binnen einer Woche sterben. Für sein Verhör muss auch ein Arzt einbezogen werden, weswegen es ein besonders schwieriges Unterfangen wird.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Tatsumi das nicht kann?«
Shiki wurde von Iwamuras Blick durchbohrt und blieb an dessen Frage hängen. Tatsumi hatte dieselbe Stellung wie er selbst inne, ein Untersuchungsbeamter mit der Befugnis, landesweit zu ermitteln. Und Shiki hegte keinerlei Abneigung gegen ihn.
»Das nicht. Ich will damit sagen, Polizeihauptmeister Kaji könnte von jedem vernommen werden. Es ist nicht schwer, einen Verdächtigen zu vernehmen, der bereits ein volles Geständnis abgelegt hat.«
»Wir wissen nicht, ob es vollständig ist.«
»Was?«
»Dass Kaji seine Frau umgebracht hat, ist drei Tage her.«
Shiki fühlte sich wie nach einem Peitschenschlag.
Dann hatte er sich nicht sofort nach dem Mord selbst angezeigt?
»Auch die Autopsie hat ergeben, dass der Tod schon einige Tage zurückliegt. Diese zwei fraglichen Tage beschäftigen mich. Deswegen haben wir uns sicherheitshalber entschieden, Sie dafür auszuwählen.«
»Aber …«
»Es geht hier auch um Rangfragen. Selbst wenn er ein Verbrechen begangen haben sollte; Kaji ist ein 49-jähriger Polizeihauptmeister. Den kann man nicht einfach von einem jungen Assistenz-Polizeiobermeister oder einem Polizeihauptmeister gleichen Ranges befragen lassen. Die lokale Staatsanwaltschaft will Sase mit der Untersuchung beauftragen, einen der drei ranghöchsten Staatsanwälte. Da können wir hier nicht irgendeinen Neuling ranlassen.«
Shiki wusste darauf nichts zu antworten. Ihm war durchaus klar, was er sagen wollte, aber da er mit Iwamura den Leiter des Kriminaldezernats gegen sich hatte, hätte weiterer Widerstand zur Folge gehabt, dass er seinen Posten als Abteilungsleiter an den Nagel hängen konnte.
»Shiki, bitte übernehmen Sie das.«
Zum ersten Mal meldete sich der Leiter der Zentralstation Kagami zu Wort.
»Und berichten Sie uns bis halb zehn von den Ergebnissen.«
Shiki blickte überrascht auf.
Bis halb zehn? Unmöglich.
»Da beginnt die Pressekonferenz«, ergänzte Iyo. Aber das würde Shiki nicht reichen. Er fragte zurück:
»Meinen Sie halb zehn abends?«
»Morgens natürlich.«
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Sie stand schon auf 7.30 Uhr. Noch zwei Stunden.
»Kaji wurde heute Morgen um sieben in Gewahrsam genommen. Wenn die Deadline für die Abendausgabe der Zeitungen überschritten ist und wir den Reportern mitzuteilen versuchen, dass wir die Verlautbarung zum Schutze der Angehörigen verschoben haben, wird das unweigerlich zu großem Aufruhr führen. Und was es noch schlimmer macht, ist, dass der Mord von einem Leiter der Präfekturpolizei verbockt wurde. Wir können nicht zulassen, dass ein einzelner Idiot unsere Organisation gleich zweimal beschämt.«
Verbockt? Ein einzelner Idiot?
Shiki dachte, dass so etwas nur jemand sagen konnte, der von außen kam. Wahrscheinlich hatte dieser Iyo Shikis vorherige Worte als Ungehorsam aufgefasst; er blickte jetzt auch nicht in seine Richtung.
Es blieb keine Zeit.
Shiki schob sich die Dokumente unter den Arm und stand auf.
Aus der Akte fiel ein Porträtfoto auf den Tisch. Freundliche Züge. Die Augen, die an ein kleines Tier erinnerten, blickten Shiki still an.
Lehrer. Ernst. Sohn verstorben. Frau schwer krank. Stranguliert. Zwei fragliche Tage. Selbstanzeige …
Als Vernehmungsbeamter stellte sich ihm die erste Frage: Warum hatte sich Sōichirō Kaji nach dem Mord an seiner Frau nicht umgebracht?