Читать книгу Die Hauptsache - Hilary Leichter - Страница 11
Оглавление»Worum geht’s?«, frage ich. Mein größter Freund hat sich seiner Größe sei Dank die Aufmerksamkeit des Barmanns gesichert und einen Wodka-Soda für mich bestellt.
»Kommt ganz drauf an«, sagt sie geheimnistuerisch. »Was ist mit Seekrankheit? Irgendwelche Erfahrungen? Fortbildungen?«
»Seekrankheit?«, wiederhole ich. Mein größter Freund runzelt die Stirn und wirkt dadurch noch größer.
»In deinem Lebenslauf steht nichts dazu, deswegen frage ich«, sagt Farren. »Sei ehrlich.«
Wenn sie sagt, dass ich ehrlich sein soll, meint sie eigentlich, dass ich mir nicht so viele Gedanken machen und einfach lügen soll. Ich will mir nicht so viele Gedanken machen und einfach jeden Tag lügen. Ich übe vor allem, indem ich mich selbst belüge.
Seekrankheit, denke ich, spreche das Wort aber nicht aus. Ich berühre den Vorstandsvorsitzenden auf meinem Dekolleté.
»Denk dran«, sagt Farren, »wer sich seine Entfristung verdienen will, muss seine Komfortzone ab und zu verlassen. Fleiß und Produktivität kann man auch anderswo unter Beweis stellen. Das ist deine Chance, Beständigkeit zu finden. Die Welt ist unendlich, und Arbeit ist, na ja, endlich eben, hab ich recht?«
Es dauert keine Stunde, und schon holt mich ein schwarzer Lieferwagen ab und bringt mich zu einem großen Schiff. Der Piratenkapitän händigt mir Stempelkarten und eine Vertraulichkeitserklärung aus, allmählich fühlt sich das Ganze offiziell an. Wir spucken in die Hände und besiegeln das Geschäft. Alle meine festen Freunde kommen, um mich zu verabschieden, und ich sehe, wie sie von verschiedenen Punkten auf dem Anleger zum Wasser laufen und winken, Pünktchen in der Ferne mit fliegenden Armen: meine Männer.
Die Götter schufen die Erste Aushilfe, damit sie Pause machen konnten. Sie sagten: »Es werde Freizeit« und »Spring für uns ein, okay? Hier sind unsere Passwörter und Zugangscodes. Hier ist die Schlüsselkarte. Hier ist das Ding, mit dem du die Schlüsselkarte an deine Handtasche stecken kannst. Alles klar? Ach so, sorry, hier ist die Handtasche. Na los, pack sie voll, bis sie platzt! Voller noch! Genau, die Tasche muss schwer sein! Hier ist dein Vertrag, da drüben ist der Kopierer, und da ist der Ordner, zu dem jeder Zugang hat und in dem alles Erdenkliche abgelegt ist.«
Die Erste Aushilfe fiel von einem Meteor und war von keinem besonderen Ehrgeiz getrieben. Die Götter mussten sie festnageln, damit sie nicht davonflog, so rastlos war das neue Seelchen, so flatterhaft sein Wesen. Der Fairness halber sei gesagt, dass die Götter noch keine Schwerkraft erfunden hatten. Arbeitsloses Geschmeiß stieg geradewegs in die Wolken auf, nur eine Anstellung verlieh dem Leben das Gewicht der Redlichkeit.
Ihren ersten Arbeitstag verbrachte die Aushilfe damit, den Ordner zu studieren, zu dem alle Zugang hatten und in dem alles Erdenkliche abgelegt war. Sie machte sich vertraut mit allen Unterabteilungen des Ordners, mit jedem Dokument. Vögel, Bienen, Mitochondrien. Schon damals, als die Erde kaum mehr als eine weite leere Oberfläche war, bemerkte sie den gewaltigen Umfang des Ordners. Was leer aussah, war voller mikroskopischer Anlagen zur Entwicklung von Leben. Unendliche Listen mussten erstellt werden. Aber wenn die Erde schon so voll war, würde die Erste Aushilfe dann je eine Stelle finden? »Stelle« bedeutete damals etwas völlig anderes als heute. Das Wort bezeichnete keine Anstellung, keine Beschäftigung, sondern einen Ort, einen Platz, an den die Dinge gehörten. Die Erste Aushilfe stellte Bäume, Strände, Fossilien und Troddeln ein. Und sie dachte über sich selbst und die Unbeständigkeit ihrer eigenen Stelle nach.
»Kann ich bleiben? Unbefristet?«, fragte sie, und die Götter lachten und machten Mittagspause.
Abends, wenn die Götter in ihre göttlichen Behausungen gingen, dachte die Erste Aushilfe: Und jetzt? Im Büro herrschte nachts dieser Geruch. »Das ist der Duft der Innovation«, hatten die Götter ihr erklärt. Sie suchte sich eine Ecke, in der es nicht so stark roch, und blieb eine Weile dort sitzen. Es war kein richtiges Büro, nicht so, wie man sich heute ein Büro vorstellen würde. Das Büro war eine Ansammlung träger Materie, die einem das Gefühl von Arbeit vermittelte.
Die Erste Aushilfe aktivierte ihre Schlüsselkarte und wischte sich ins Dasein.