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2.4 Feministische Sprachkritik
ОглавлениеDas Thema Frauen und Sprache kam nach Europa, nachdem im Zuge der feministischen Bewegungen auch die Wissenschaft die Rolle der Sprache entdeckt hatte, etwa zehn Jahre nach der Etablierung der Feministischen Linguistik als wissenschaftliche Disziplin in den USA. 1978 veröffentlichte Senta Trömel-Plötz einen Artikel, der für hitzige Debatten sorgen sollte. Sie und ihre Ko-Wegbereiterin der Feministischen LinguistikFeministische Linguistik in Deutschland, Luise F. Pusch, beanstandeten das generische Maskulinum, das manchmal auf Frauen und Männer referiert und manchmal nur auf Männer, was zu Unklarheiten und Missverständnissen führt. Sie beziehen sich dabei auf das Sprachsystem und die entsprechenden Normen. Der zweite Bereich betrifft das Gesprächsverhalten. Frauen haben aufgrund ihrer Verhaltensweisen in der KommunikationKommunikation mit Männern Nachteile. Diese beiden Aufgabenstränge wurden damals bereits für den englischen Sprachraum diskutiert.
Mit ihrem Überblicksartikel von 1978 wollte Trömel-Plötz zunächst nur die Aufmerksamkeit auf das Thema FrauenspracheFrauensprache, <i>women’s language</i> und women’s studies lenken und auf die Ungleichheit der Frau, die sich auch sprachlich ausdrückt. Sie fragte daher, wie Frauen von der Sprache und von den Sprecher/innen behandelt werden. Das generische Maskulinum bevorzugt Männer und benachteiligt Frauen. Darum ist es nicht, wie gern behauptet, geschlechtsindifferent. Einerseits ist die alleinige Verwendung der Maskulinformen oft genug nicht nötig – es gibt Kundin und Käuferin, warum also bei uns ist der Kunde König? Andererseits sind Frauen nur manchmal mitgemeint. Mit der maskulinen Form sind dann allerdings auch nur Männer mental präsent. In jedem Falle ist das grammatische System unausgewogen zum Vorteil der Männer, da es Frauen sprachlich und gedanklich oft ausschließt. Darüber hinaus gibt es weitere AsymmetrienAsymmetrie wie fehlende Gegenformen (*Kindergärtner, *Putzmann), besser konnotierte männliche Varianten (alte Jungfer/Junggeselle), eine große Bandbreite an Schimpfwörtern für Frauen sowie Unausgewogenheiten in SprichwörternSprichwort (vgl. Kap. 5.3.1). Auch die Sprachgewohnheiten von Frauen sind manchmal anders als die der Männer (Verniedlichungen, Euphemismen etc., weniger Vulgärausdrücke, mehr Fragen, Entschuldigungen, Konjunktive, indirekte Aussagen, Wortschatz im Bereich Kindererziehung und Haushalt), was auf traditionelle Rollen bzw. die Strategie der Höflichkeit, Konfliktvermeidung und Abschwächung hinweist. Dies gilt jedoch als Unsicherheit, so dass die Frau nicht ernst genommen wird und es schwer hat, sich zu behaupten. Die Bereitschaft zur Kooperation geht mit dem Verlust an Autorität einher.
Wieder stoßen wir auf die ‚double bind<i>double bind</i>‘ Situation. Um ernst genommen und gehört zu werden, muß die Frau reden wie der Mann. Redet sie aber so wie ein Mann, dann ist sie männlich und wird als Frau entwertet (Trömel-Plötz 1978: 62).
Da die Sprache auf der Ebene des Systems als auch auf der des Handelns die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern in der Gesellschaft widerspiegelt, sollte sie auch langfristig gleichberechtigt eingesetzt werden. Diese sprachkritischen Überlegungen sehen damit durchaus sprachlichen Wandel vor.
Die Antwort auf den Artikel kam einige Monate später von Kalverkämper (1979a) in Form eines polemischen Aufsatzes mit vielen rhetorischen Figuren und unsachlichen, provozierenden, stark wertenden und diskreditierenden Anteilen. Er ging auf die eigentliche Problemlage nur am Rande ein. Der Begriff Übersichtsartikel wird in Anführungszeichen gestellt und dadurch ironisiert, die inhaltliche Darstellung zu einem „plakativen Geschlechterstreit und Rollenkampf“ (Kalverkämper 1979a: 56). Ausdrücke wie „grob-globale[s] Freund-Feind-Bild“ und Fragen wie „Wer hat bloß für solche Thesen Pate gestanden? Das Modell des Heimchens am Herde und der Marlboro-Mann?“ (Kalverkämper 1979a: 67) wirken in einem wissenschaftlichen Artikel deplatziert. Ironisch gemeint ist auch seine „Hoffnung, auf die Diskussion um ‚die Frau und die (d.h. ihre) Sprache‘ einen beruhigenden Einfluß ausüben zu können“ (ibd.: 56). Neben diesen groben stilistischen (und menschlichen) Schwächen sieht aber Kalverkämper das eigentliche Problem nicht: Er ignoriert die Handlungsebene der Sprache. Auf Systemebene postuliert er eine völlige Unabhängigkeit des Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus vom GenusGenus gemäß Saussures Postulat der Arbitrarität des sprachlichen Zeichens. Er wirft Trömel-Plötz deswegen Methodenfehler vor, da sie eine Verbindung zwischen sprachlichen Zeichen und außersprachlichen Aspekten anerkennt und die „Grundprinzipien der struktural-funktionalen SemantikSemantik, -isch und somit der Linguistik überhaupt außer acht“ (ibd.: 62) lässt, ihre Argumentation sei „unlinguistisch“ (ibd.: 60). Vor diesem Hintergrund gebe es nur die LangueLangueLangueParole1, die zählt, und keinen Zusammenhang zwischen Sprache und Denken. Die Argumentation zur ParoleParole, in der es Unterschiede geben mag, wird nicht als seriös akzeptiert (ibd.: 67). Kalverkämper ignoriert, dass bei Bedarf maskuline Formen durchaus nur auf Männer bezogen werden, so dass Frauen dadurch nach Belieben ausgeschlossen werden können, etwa in der Argumentation der Schweiz gegen ein Wahlrecht für Frauen, das laut Gesetz eben nur „Schweizern“ zusteht (Trömel-Plötz 1982: 201f., Kusterle 2011: 22). Warum bei PersonenbezeichnungenPersonenbezeichnung grundsätzlich die maskulinen Formen gewählt werden, bleibt ebenfalls offen. Auf beide Umstände zielt jedoch Trömel-Plötz ab. Kalverkämper versäumt es aber nicht nur, in seinem Artikel auf alle vorgetragenen Argumente einzugehen, er stellt auch Trömel-Plötz’ fachliche Kompetenz infrage. Beides ist wissenschaftlich unangemessen. Dies und der emotionale, provokative Stil führen die Debatte von der wissenschaftlichen Ebene in die Polemik, die Pusch (1979) fortsetzt. Sie fasst zunächst die Argumente von Trömel-Plötz zusammen, ergänzt sie um weitere Beispiele, um dann auf Kalverkämpers Kritik einzugehen: Die strukturalistische Denkweise sei nur eine von mehreren Möglichkeiten. Kalverkämper ignoriere sozio- und psycholinguistischePsycholinguistik, -isch Alternativen. Die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens gelte nicht in hundert Prozent aller Fälle, die feministische Kritik ziele auf Referenz- und Assoziationsprobleme ab, da mit einem angeblich neutralen PronomenPronomen man oder jedermann an Mann gedacht werde und nicht an Frauen (Pusch 1979: 93). Gerade im Bereich der Personenbezeichnungen, aber nicht nur hier, decken sich im Übrigen Genus und Sexus, die Trömel-Plötz keineswegs verwechselt, sondern bewusst – und kritisch – beleuchtet. Diese Replik von Pusch ist zwar auch stilistisch stark markiert und für sie der Beginn zahlreicher Streitschriften und glossenartiger Artikel. Sie basiert aber außerhalb der provokativen Passagen immer noch auf wissenschaftlicher Argumentation. Doch Kalverkämper (1979b) antwortet noch heftiger als zuvor mit Quo vadis linguistica? – oder: Der feministische Mumpsimus in der Linguistik. Er bleibt bei einer prinzipiellen Trennung von Genus und Sexus und schließt mit der Feststellung, dass die Feministische LinguistikFeministische Linguistik für die Sprachwissenschaft nichts Substantielles beizutragen habe (Kalverkämper 1979b: 105), worauf dann wieder Pusch (1980) teils sachlich, teils ironisch-übertrieben antwortet. Leser/innen befinden sich dadurch in der schwierigen Situation, die tatsächlichen Fakten herauszufiltern, ohne sich emotional zu beteiligen. Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema war fast unmöglich, da die Gegner/innen der sprachkritischen Position kaum bereit waren, sich ernsthaft mit der Thematik zu befassen und auf alle Argumente einzugehen, wie ein weiteres Beispiel zeigt.
Auf ein Buch, das alternative Schreibweisen wie man oder frau verwendet, gibt es ebenfalls eine extreme Reaktion mit stark emotionalen, disqualifizierenden und beleidigenden Passagen. Griesbach (1985) rezensiert Herrad Meese mit wenig wissenschaftlichen Ausführungen. „Man muß sich wirklich fragen, wer – um Himmels willen – hat denn der Autorin diesen Stuß im Manuskript durchgehen lassen?“ (Griesbach 1985: 50), „Für was für Ignoranten ist dieses Buch eigentlich bestimmt?“ (51). „‚Linguistinnen‘ nennen sich die, die in ihrer entwaffnenden Ahnungslosigkeit etwas im Deutschen entdeckt zu haben glauben, was in ihr feministisches Konzept paßt, aber ebenso töricht wie falsch ist“ (ibd.: 50). Auf die Verfasserin (und die Gruppe der Sprachkritiker/innen) wird referiert als „Einäugige“ (50), „Verbohrte“ (51), „empfindliche[…] Linguistinnen und ihre Anbeter“ (51) mit ihren „verworrenen Vorstellungen“ (51). Die sprachlichen Alternativen seien „ein geradezu geni(t)aler Einfall, der von einem bedrückenden Mangel an Sachkenntnis zeugt und entmutigende Rückschlüsse auf die derzeitige Qualität ihrer Ausbildung und ihres Studiums herausfordert“ (51). Auch Griesbach verweist auf die strikte Unabhängigkeit von GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus und der daraus resultierenden völlig neutralen Verwendung des Genus. Diejenigen, die das verwechseln, werden als inkompetent hingestellt. Zu Recht fragt sich Herrad Meese (1985) in ihrer Replik, „was Heinz Griesbach dermaßen in Rage geraten läßt“ (Meese 1985: 53). Was veranlasst Wissenschaftler (m.) wie Kalverkämper und Griesbach, die bislang als seriös und kompetent wahrgenommen wurden, zu solch emotionalen Ausbrüchen? Darüber hinaus darf auch gefragt werden, warum wissenschaftliche ZeitschriftenZeitschrift solche Texte im Rahmen einer eigentlich akademischen Debatte akzeptieren.
Die weiteren Beiträge verteilen sich mehr oder weniger auf diese zwei Lager: Die Vertreter/innen der feministischen Kritik meinen, die deutsche Sprache sei ungerecht aufgrund zahlreicher AsymmetrienAsymmetrie und der die Frauen benachteiligenden Auswirkungen von Sprache auf Denken und damit auch Handeln (u.a. Guentherodt et al. 1980, Trömel-Plötz et al. 1981, Schoenthal 1985, Müller 1988, Trömel-Plötz 1982, 1984, 1996). Die Gegner/innen argumentieren mit der grammatischen Trennung von GenusGenus und Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus und erkennen Asymmetrien, Wechselbeziehungen zwischen Sprache und Denken und Sprachwandelmöglichkeiten nicht an (vgl. auch Ulrich 1988, Lieb/Richter 1990, Leiss 1994). Zwischendurch gab es durchaus auch seriöse und fundierte Kritik an der feministischen Position (Stickel 1988). Es folgten Forderungen, die Menschen sprachsensibler zu machen und Ungerechtigkeiten zu ändern, was wiederum zahlreiche sprachpolitische Maßnahmen nach sich zog. Gisela Schoenthal führte in ihrem Forschungsbericht von 1985 neben der sprachsystematischen und kommunikativen Perspektive dann einen dritten Gesichtspunkt im Rahmen der Diskussion um Sprache und Geschlecht auf – den der Rolle für die sprachliche Sozialisation.
Polemische Debatten und aggressive Reaktionen sind bis heute nicht abgerissen (Kap. 5.5.5). Aber sie waren und sind wohl weniger gegen die eigentliche Sachlage als generell gegen Frauen und Feministinnen gerichtet und der Angst geschuldet, eine privilegierte Position zu verlieren. Die sozialpolitische Situation hatte sich jedoch verändert: Frauen wurden mehr und mehr Rechte zuerkannt mit dem Ziel, eine Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern aktiv herzustellen. Die feministische Sprachkritik richtete sich darauf, dies auch auf der sprachlichen Ebene sichtbar zu machen. Daher führte sie immer wieder AsymmetrienAsymmetrie an, die fast immer zum Nachteil der Frauen arbeiten. Hätte es ein ausgewogenes Verhältnis der Ungleichmäßigkeiten mit Vor- und Nachteilen für Frauen und Männer gegeben, wäre das Thema nicht so nachdrücklich diskutiert worden. Stattdessen aber liegt gerade in diesem überproportional hohen Nachteil schon die erste Asymmetrie. Die Diskussion wurde erschwert durch die anfänglich eher auf Intuition beruhende Argumentation auf Seiten der Kritiker/innen und die grundsätzlich ablehnende Haltung der Gegenseite, die auf die meisten Argumente nicht wirklich einging.
Auf der Ebene des Sprachsystems ist eine Kategorie wie GenusGenus durchaus neutralNeutralform und zunächst nicht an biologische Eigenschaften von Referent/innen gekoppelt, zumal der überwiegende Teil von Nomen für unbelebte Dinge oder Abstrakta steht. Die Diskussion ging von Linguistinnen aus, die sich dieser Tatsache bewusst waren. Aber das war nicht der Punkt. Vielmehr ging es darum, wie eine Form mental verarbeitet bzw. verstanden wird. Beispiele aus anderen Sprachen und anderen Zeitstufen zeigen, dass bei Bedarf eine angeblich neutrale maskuline Form als Beleg für gemeinte männliche Referenten herangezogen wurde / wird. Die feministische Kritik zielte also vorrangig auf das Verständnis außerhalb des Kreises der linguistisch geschulten Sprachbenutzer/innen ab. So kam es auch zur Verwendung des Begriffs Sexismus bzw. sexistische Sprache. Sexismus bedeutet unabhängig davon, welches Geschlecht betroffen ist, Benachteiligung bzw. Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, wird jedoch de facto kaum auf Benachteiligung von Männern bezogen. Gefordert wurde daher, Frauen gleichberechtigt zu behandeln, dann aber auch sichtbar zu machen. Dafür bot sich die BeidnennungBeidnennung durchaus an. Darüber hinaus sollte dabei auch sprachlich klar werden, dass eigentlich männlich erlebte Funktionen und Aufgaben auch von Frauen übernommen werden können und dass schließlich sprachlich präziser zu formulieren sei (Müller 1988). Weiterhin haben zwar PronominaPronomen wie man und jedermann keine maskuline Referenz im grammatischen Sinne, nichtsdestotrotz lösen sie Assoziationen aus, die eher nicht weibliche Bezüge haben. Die Argumentationen, die auf eine konsequente NeutralitätNeutralform des Genus abzielen, ignorieren völlig die Tatsachen und gehen auf die eigentliche Kritik nicht ein, dass aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Bedingungen auch ein veränderter Bedarf besteht, Sprache zu verwenden.
Die feministischen Bedenken richteten sich damit auch gegen die Willkürlichkeit der Interpretation, die rein nach Erfordernis ein Maskulinum als neutral oder männlich (und Frauen damit ausschließend) auslegte. Sie forderten Gleichbehandlung. Die Strukturalist/innen verkennen ein wesentliches Problem des deutschen Genussystems, dass nämlich in einigen Bereichen über ein GenusGenus durchaus auf Sexusbiologisches Geschlecht, Sexus referiert wird, vgl. der Mann/die Frau, die MutterMutter / der Vater, die Oma/der Opa, die Henne/der Hahn, die LehrerinLehrer/in, -kraft, -schaft/der Lehrer etc. Sexus und Genus sind daher nicht grundsätzlich und ausnahmslos unabhängig voneinander. Dies war aber zunächst noch nicht empirisch bewiesen.
Der feministischen Sprachkritik ging es aber auch um die öffentliche Wahrnehmung: Luise Pusch mit ihren stark übertriebenen, aber nicht unbedingt immer ernst gemeinten Forderungen war sie auf jeden Fall sicher. Wie sich Jahre darauf zeigen sollte, erwies sich die feministische Sprachkritik als effektiv, da sie öffentliche Diskussionen bewirkte, Vorschriften und Gesetzgebungen beeinflusste und die nötigen Sprachwandelerscheinungen auslöste, die heute für mehr Gerechtigkeit in der deutschen Sprache sorgen (weiter auch Kap. 5).