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Vorwort

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Die Gleichberechtigung der Geschlechter schreitet voran. Längst sind Frauen nicht mehr nur für Kinder und Haushalt zuständig. Für viele unserer VäterVater war die Kinderbetreuung unmännlich, heute bleiben immer mehr junge Männer zu Hause, um sich zumindest ein, zwei Monate um die Neugeborenen mit zu kümmern. Das ist ein guter Schritt in Richtung Gleichberechtigung und für mehr Freiheit bei den Lebensentwürfen. Doch politische Maßnahmen stoßen schnell an ihre Grenzen. Sobald die verpflichtenden dreißig Prozent an Frauen in Gremien erreicht sind, stagniert die Zahl oder sie wird wieder rückläufig. Wenn es mit der Umsetzung nicht weitergeht und die Politik mit Vorgaben und finanzieller Unterstützung („less than 1 % of the EU’s Structural and Investment Funds“, CEWS 2019b: 59) nicht vorwärtskommt, muss auch an anderer Stelle angesetzt werden: in unseren Köpfen. Dies ist kurzfristig umsetzbar und langfristig wirksamer als alle politischen Maßnahmen. Dazu trug die Diskussion um gendergerechte Sprache bereits ihren Teil bei. Aber althergebrachte Denkweisen, falsche Argumente, etwa es ginge um Gleichmacherei, Verteidigung von etablierten Machtstrukturen und besonders verfestigte Rollenbilder behindern ab einem bestimmten Punkt die Weiterentwicklung. Es geht jedoch eben nicht darum, dass Männer und Frauen gleichgemacht werden sollen, sondern darum, sie als gleichwertig zu akzeptieren und gleichberechtigt zu behandeln. Dazu gehört auch Respekt vor vermeintlich selbstverständlichen Frauenleistungen wie Altenpflege und Kinderbetreuung. Stereotype wie diese blockieren viele Lebenswege, und viele Einflüsse tragen dazu bei, sie aufzubauen und zu stabilisieren.

Wie kommt es nun aber, dass wir trotz aller politischer Maßnahmen und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen faktisch noch keine Gleichberechtigung haben? Warum gibt es nach wie vor große Unterschiede zwischen der in den Grundgesetzen eigentlich zugesicherten Chancengleichheit und der Realität? Verliert unsere Gesellschaft nicht, wenn sie auf die Präsenz und Leistung der Mädchen und Frauen in vielen Sparten, aber auch die der Jungen und Männer in anderen verzichtet? Verlieren nicht auch Jungen und Mädchen, wenn sie davon abgebracht werden, das Leben nach eigenen Wünschen zu gestalten statt nach Rollenvorgaben und Geschlechterklischees?

Immer mehr junge Frauen in den Seminaren an Universitäten sind der Meinung, sie hätten keine Nachteile aufgrund ihres Geschlechts und es gäbe wirkliche Chancengleichheit und individuelle Freiheit in Deutschland. Dies entspricht nicht den Tatsachen, die sich unter anderem aus den Statistiken zum Einkommen und zum Anteil von Männern und Frauen in den verschiedenen Berufsfeldern ablesen lassen. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz zwischen der EigenwahrnehmungEigenwahrnehmung/selektive Wahrnehmung und der Realität?

Dies zu verstehen und Verbesserungen anzustoßen ist ein wesentlicher Beweggrund für dieses Buch. Es will die Fragen beantworten, welche Möglichkeiten wir als (zukünftige) Eltern und Lehrende haben, mehr Chancengleichheit zu schaffen, und welche Potenziale die Schulsituation bietet.

Zunächst müssen wir mehr über Fakten und Zusammenhänge erfahren. Der Band will daher über die verschiedenen Faktoren, die für die Ausbildung der GeschlechtsrollenGeschlechtsrolle während des Sozialisierungsprozesses ineinandergreifen, informieren. Er will die GenderkompetenzGenderkompetenz der Erwachsenen fördern, da sie die Grundlage für entsprechendes Wissen der Kinder darstellt. Vor allem will er die Rolle der Sprache beleuchten. Das komplexe Kausalgefüge, das zur Entstehung und Festigung von Geschlechterklischees führt, umfasst die gesamte Lebenszeit und bewegt sich teils außerhalb unseres bewussten Zugangs. Sprache spielt dabei eine wesentliche Rolle als Informationsträgerin und als Ausdrucksmittel. Rollenvorgaben lernen wir bereits als kleine Kinder in der InteraktionInteraktion mit den anderen, mit unseren Eltern, ErzieherErzieher/in/innen und Lehrer/innen, den Gleichaltrigen und über die MedienMedien. Stereotype beeinflussen unsere Einstellungen und die Erwartungshaltung, die wir uns und den anderen gegenüber entwickeln. Sie formen unser Selbstbild und wirken sich darauf aus, wie wir die anderen wahrnehmen. Wenn alles zusammenpasst und wir agieren, wie wir glauben, agieren zu sollen, fühlen wir uns gut. Damit entsprechen wir den Stereotypen. Das ergibt einen sich stabilisierenden Kreislauf. Für manche aber bewirken Stereotype einen inneren Leistungsdruck, wenn sie dem Bild entgegen ihrer Neigungen und Bedürfnisse entsprechen wollen.

Der Band will den Leserinnen und Lesern den Einfluss von Sprache auf die Wahrnehmung von GeschlechtsrollenGeschlechtsrolle bewusst machen und sie für das Problem sprachlicher Stereotype sensibilisieren, um Verbesserungsmöglichkeiten erkennen zu können, Kindern und Jugendlichen mehr Chancengleichheit zu ermöglichen und Diskriminierung zu begegnen. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern werden behandelt und quasi dramatisiert, damit sie sichtbar und dadurch kognitivKognition, kognitiv fassbar werden als Voraussetzung für die kritische Auseinandersetzung und die Entwicklung eines eigenen Standpunktes. Alle, die Teil im sozialen System sind, vor allem aber diejenigen, die mit der Betreuung von Kindern und Jugendlichen zu tun haben (werden), sind dabei angesprochen. Daher runden praktische Anregungen für den Schulalltag die Ausführungen ab.

Spätestens bei der Darstellung der biologischen Faktoren zeigen sich auch Genderausprägungen jenseits der typischen binären Pole, die alternativ zu oder in einem Übergangsbereich zwischen den zwei Geschlechtern anzusiedeln sind. Die aktuelle Forschungslage legt hierauf weit größeren Wert, als im Rahmen des Bandes für die momentane öffentliche Realität umsetzbar wäre. Für das Buch ergibt sich daraus das Dilemma, einerseits theoretisch auf dem neuesten Stand sein zu wollen, andererseits aber zunächst ein Umdenken mit praktikablen und akzeptablen Alternativen zu fördern. Da Letzteres ein zentrales Anliegen des Bandes ist, bedeutet die Fokussierung auf die beiden typischen Gendervarianten einen pragmatischen Kompromiss und vorläufigen Verzicht auf ein derzeit noch utopisches Ideal.

Die Kapitel schließen jeweils mit Hinweisen auf einige wichtige und weiterführende Literatur ab. Außerdem finden sich unter der Überschrift „Forschungsaufgaben“ Themenvorschläge für kleinere Abschlussarbeiten.

Gender - Sprache - Stereotype

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