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1.2 Verhalten von Frauen und Männern

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Aus einer Filmszene: Fünf Personen sind vom Rest der Menschheit zeitweise getrennt. Alle haben sich mit einer tödlichen Krankheit angesteckt. Sie finden vier Ampullen mit dem Gegenmittel. Es gibt dazu zwei Kommentare: „Einer bekommt keine, wir losen.“ – „Wir teilen das Serum auf, dann bekommt jeder etwas.“ Welcher Satz stammt von einer Frau, welcher von einem Mann?

Oft wird betont, dass die Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern größer sind als die Unterschiede und dass die Unterschiede innerhalb der weiblichen bzw. männlichen Gruppen größer sind als die zwischen ihnen. Trotz allem aber überstrahlen die Geschlechtsunterschiede alle anderen wie EthnieEthnie, Hautfarbe, ReligionReligion usw. Sie prägen unser Leben gleich von Geburt an oder bereits vorher, wenn in einigen Kulturen die weiblichen Föten abgetrieben werden, die männlichen aber leben dürfen. Der Unterschied ist in allen Kulturen und zu allen Zeiten grundlegend gewesen und führte und führt für einzelne Männer, mehr aber für die Frauen, zu Ungerechtigkeit und Diskriminierung: In den allermeisten Kulturen gilt das Wirken der Männer als prestigeträchtiger, die Arbeit der Frauen wird weniger geschätzt und weniger gut bezahlt. Abweichungen vom erwarteten geschlechtsspezifischen Verhalten werden mehr oder weniger offen missbilligt oder bestraft. Der Mann ist noch immer die Norm, an der die Frau gemessen wird. Und auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für Frauen nach wie vor schwierig oder hält sie gar von ertragreicheren Karrieren ab als denen sie nachgehen.

Obwohl in vielen Ländern die Leistungen von Mädchen und Jungen z.B. in MathematikMathematik, Mathe, <i>math</i> mittlerweile gleich gut sind (vgl. Kap. 7.4.2), mögen viele Mädchen dieses Fach nicht, sind weniger motiviert und selbstsicher und bleiben im Ingenieurwesen und in mathematisch-naturwissenschaftlichen Berufen, also den besser bezahlten Arbeitsbereichen, nach wie vor deutlich unterrepräsentiert. Nosek et al. (2009) finden im internationalen Vergleich einen klaren Zusammenhang zwischen impliziten Stereotypen und geschlechtsbedingten Unterschieden, die sich gegenseitig verstärken, und zeigen, dass sie soziokulturell bedingt sind. Else-Quest et al. (2010) machen in einer Metaanalyse mit Daten aus vielen Nationen Zusammenhänge zwischen Gleichberechtigung beim Schulbesuch, dem Anteil der Frauen an Forschungsstellen und im Parlament und Unterschieden bei den Mathematikleistungen aus. Wenn Mädchen wissen, dass sie ein Recht auf die gleiche Schulbildung haben wie Jungen und dass ihre Gesellschaft die Leistungen von Mädchen schätzt, stärkt das auch das Selbstbewusstsein und das Interesse an besser bezahlten Berufen. Die Autorinnen messen daher der Schule eine bedeutende Rolle beim Mathematik Gender Gap zu.

Zahlreiche Theorien listen Faktoren auf, die dazu beitragen, warum Mädchen sich weniger für MINTMINT-Fächer interessieren und entsprechende Berufe ausüben: HormoneHormone und neuronale Strukturen, schlechte Erfahrungen, die StereotypbedrohungStereotypbedrohung, <i>stereotype threat</i>, schlechte Zukunftsprognosen, die gesellschaftliche Schichtung, die den Mädchen wenig Aussichten auf solch einen Beruf suggeriert und zu wenig Ausbildungsmöglichkeiten anbietet oder einige sogar einschränkt, fehlende Rollenvorbilder in der Kultur und/oder konkret in der Familie, einengende Vorgaben für geschlechtsadäquates Verhalten, einengende Erwartungshaltung von Eltern und Lehrer/innen und falsche Selbsteinschätzung („das kann ich sowieso nicht“). Schüler/innen wenden sich in der Regel eher den Fächern zu, die sie für ihre spätere Laufbahn für wichtig erachten, in denen sie sich kompetent fühlen und glauben, erfolgreich sein zu können. Hier kann die Schule ausgleichend wirken.

[G]irls will perform at the same level as their male classmates when they are encouraged to succeed, are given the necessary educational tools, and have visible female role models excelling in mathematics (Else-Quest et al. 2010: 125).

Das Faktorenbündel, das über die Wahl des späteren Berufs entscheidet, ist hochkomplex und führt dazu, dass immer noch sehr viele Mädchen technische und Jungen soziale Karrieren oder solche mit Sprachen meiden, obwohl es sie oftmals interessieren würde und sie vielleicht glücklicher damit wären. Dazu kommt, dass die Gesellschaft die Leistungen von Mädchen gern geringschätzt; daher bilden sie weniger Selbstbewusstsein aus – eine elementare Voraussetzung für Erfolg, Zugang zu Führungspositionen und damit mehr Geld und mehr Unabhängigkeit. Das heißt, dass im Wesentlichen Kultur, Gesellschaft und Schule in einem vielschichtigen Kausalgefüge mit psychologischen, kognitiven und sozialen Aspekten für im Endeffekt ungleiche Einkommens- und Lebenssituationen von Männern und Frauen verantwortlich sind. Der vorliegende Band legt den einen Schwerpunkt auf die Rolle der Sprache als Teil des Kausalgefüges.

Sprache sozialisiert und schafft neue Wirklichkeit. In der Lehre ist Sprache das wichtigste Mittel, welches der oder dem Lehrenden zur Verfügung steht. Daher liegt es nahe, diesem ‚Werkzeug‘ besondere Aufmerksamkeit zu widmen (Spieß 2008: 43).

Deswegen sollte zur Ausbildung an den Universitäten bereits eine geschlechtergerechte Sprache gehören, eine symmetrische Behandlung der Studierenden, die Überprüfung von Stereotypen in den MedienMedien, die Würdigung der Leistungen von Frauen in der Wissenschaft sowie die Thematisierung der Probleme (Spieß 2008: 44f.).

Im Elternhaus, im KindergartenKindergarten, in SchulenSchule und anderen Institutionen gibt es geschlechtsbedingte Unterschiede im Umgang mit Kindern und Heranwachsenden, was zu Benachteiligung und Chancenungleichheit führen kann. Hierbei spielt die Sprache eine nicht zu unterschätzende Rolle: Durch die Sprache schaffen, zementieren und vermitteln wir Stereotype, die Denken und Wahrnehmung und damit Handeln beeinflussen. In der Sprache und in der tagtäglichen InteraktionInteraktion werden Unterschiede hergestellt, gefestigt, tradiert.

Sprache ist Ausdruck des Denkens und Instrument des Denkens und Handelns.

Der zweite Schwerpunkt liegt auf der Position der Schule. Die Lehramtsstudiengänge bereiten nicht genügend auf das Gender-Thema vor. Wie Martina Mittag formuliert: „Es scheint diesbezüglich nicht nur in der fachwissenschaftlichen Ausbildung, sondern auch und gerade in der Fachdidaktik Optimierungspotenzial zu geben“ (Mittag 2015: 257). Das Thema Gender fehlt im Fächerkanon bei der Ausbildung der Lehrer/innen (Bartsch/Wedl 2015). Dieser Band möchte dazu beisteuern, die Lücke zu schließen. Er soll dazu anregen, sich der Zusammenhänge bewusst zu werden und einen gendersensiblen Umgang miteinander zu praktizieren.

Frauen und Mädchen, Männer und Jungen sollen lernen und wirklich wissen, dass sie im Prinzip jede Rolle übernehmen können, wenn sie das wollen. Das muss ihnen von Anfang an auch vorgelebt werden. Elternhaus, Schule, peer group und die MedienMedien wirken auf Kinder und Jugendliche zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Gewichtungen ein. Informationsvermittlung und die Aushandlung von Rollen funktionieren im Wesentlichen sprachlich.

Sprache ist ein zentrales Mittel, um mehr Gendergerechtigkeit zu erzeugen.

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