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V) Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte

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Ruggie erhielt den Auftrag, bestehende Standards und Gepflogenheiten („practices“) im Bereich menschenrechtlicher Pflichten von Unternehmen zu identifizieren und klarzustellen; sein Mandat war ursprünglich auf zwei Jahre begrenzt.77 2007 verlängerte der Human Rights Council das Mandat um ein Jahr und beauftragte Ruggie, Empfehlungen zu erstellen. Ruggie stellte fest, dass es verschiedene Initiativen gebe, die sich der Frage der sozialen und menschenrechtlichen Folgen des Handelns von Unternehmen widmeten. Diese seien jedoch fragmentarisch und keine habe die Größe und Durchsetzungskraft erreicht, um eine Veränderung auf den Märkten zu bewirken. Er empfahl daher dem Human Rights Council, den „Protect, Respect and Remedy“-Ansatz zu unterstützen, den er in den vergangenen drei Jahren entwickelt hatte.78 Am 18.6.2008 beschloss der Human Rights Council, Ruggies Mandat zu verlängern und beauftragte ihn, seinen Ansatz weiter auszubauen und konkrete Empfehlungen auf seiner Grundlage zu entwickeln; gleichzeitig bat er alle Regierungen, UN-Untergliederungen, Nichtregierungsorganisationen usw., mit dem Sonderbeauftragten zu kooperieren.79

Nach Veröffentlichung eines Entwurfs und einem öffentlichen Konsultationsprozess stellte Ruggie im März 2011 die „UN Leitprinzipien on Business and Human Rights“ vor. Der UN Human Rights Council verabschiedete diese am 16.6.2011 einstimmig.80

Die UN-Leitprinzipien sind kein verbindliches Recht, sondern „soft law“. Die Allgemeinen Grundsätze, die den Leitprinzipien vorangestellt sind, sagen ausdrücklich aus, dass die Leitprinzipen weder neue Pflichten nach internationalem Recht schaffen noch bestehende Pflichten von Staaten beschränken oder aushöhlen sollen.81 Allerdings sehen die Leitprinzipien ausdrücklich vor, dass Staaten Unternehmen gesetzliche Pflichten auferlegen, um der staatlichen Pflicht Genüge zu tun, Menschenrechte zu schützen. Der Kommentar zu Prinzip 3 der UN-Leitprinzpien spricht von einem „smart mix“ zwischen freiwilligen Maßnahmen und zwingenden Regeln.

Die UN-Leitprinzipien haben drei Säulen:82

 – Die staatliche Pflicht, Menschenrechte zu schützen

 – Die Verantwortung der Unternehmen, Menschenrechte zu achten

 – Zugang zu Abhilfe.

Jede dieser Säulen besteht aus „grundlegenden Prinzipien“ („foundational principles“) und „betrieblichen Prinzipien“ („operational principles“). Insgesamt handelt es sich um 31 Prinzipien, die jeweils durch einen kurzen Kommentar erläutert werden.

Die erste Säule verpflichtet Staaten, Verstöße gegen die Menschenrechte auf ihrem Territorium durch Dritte – einschließlich Unternehmen – zu verhindern. Dies soll beispielsweise durch den Erlass von Gesetzen und Regeln, Ermittlungen bei möglichen Verstößen, die Bestrafung Verantwortlicher und die Schaffung von Abhilfe geschehen. Sie sollen Gesetze durchsetzen, die dazu beitragen, dass Unternehmen Menschenrechte nicht verletzen, die Angemessenheit entsprechender Gesetze prüfen und Unternehmen Hilfestellung bei der Einhaltung der Menschenrechte leisten. Darüber hinaus treffen Staaten nach den UN-Leitprinzipien erhöhte Pflichten zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen, wenn sie selbst diese Unternehmen kontrollieren oder diese unterstützen, beispielsweise durch Bürgschaften.

Wenn Staaten selbst mit Unternehmen in geschäftliche Transaktionen eingebunden sind, sollten sie ihr Augenmerk darauf legen, ob diese Unternehmen ihrer Pflicht zur Achtung der Menschenrechte entsprechen.

Die zweite Säule der UN-Leitprinzipien hat die Pflicht von Unternehmen zum Gegenstand, die Menschenrechte zu respektieren. Dies bedeutet nach Prinzip 11, dass sie es vermeiden sollten, die Menschenrechte anderer zu verletzen und sich um negative Auswirkungen auf Menschenrechte, an denen sie beteiligt sind, kümmern. Hierzu müssen sie nach dem Kommentar zum Prinzip 11 angemessene Maßnahmen ergreifen, um die Verletzungen zu verhindern, abzumildern und Abhilfe zu leisten, wo dies angezeigt ist.

Die Menschenrechte, um die es dabei geht, sind mindestens die Rechte, die in der „International Bill of Rights“ niedergelegt sind, also der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“, dem „UN-Zivilpakt“ und dem „UN-Sozialpakt“ (siehe oben S. 10; Prinzip 12). Darüber hinaus nennt Prinzip 12 ausdrücklich die Grundsätze bezüglich fundamentaler Rechte, die sich aus der „Erklärung der ILO über Grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit ergeben“. Die Erklärung der ILO über Grundlegende Prinzipien und Rechte bei der Arbeit“ wurde am 18.6.1998 in Genf verabschiedet. Sie verpflichtet die ILO Mitgliedstaaten, bestimmte Rechte allein aufgrund ihrer Mitgliedschaft in der ILO umzusetzen, auch wenn sie die Konventionen, in denen diese Rechte festgeschrieben sind, nicht ratifiziert haben. Es geht dabei um die Vereinigungsfreiheit und die effektive Anerkennung des Rechts zu Kollektivverhandlungen, die Beseitigung aller Formen der Zwangs- und Pflichtarbeit, die effektive Abschaffung der Kinderarbeit und die Beseitigung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf.

Den Inhalt der Verpflichtung zum Respekt vor den Menschenrechten erläutert Prinzip 13 näher: Unternehmen sollten es vermeiden, negative Auswirkungen auf die Menschenrechte durch ihre Aktivität zu verursachen und sich um entsprechende Auswirkungen kümmern, wenn sie auftreten. Darüber hinaus sollten sie sich bemühen, negative Auswirkungen auf die Menschenrechte zu verhindern oder abzumildern, die direkt mit ihrer Geschäftstätigkeit verbunden sind. Das gilt selbst dann, wenn sie nicht zu diesen Auswirkungen beigetragen haben.

Die Verpflichtung gilt unabhängig von der Größe des Unternehmens, dessen Geschäftsbereich oder dessen Struktur. Allerdings kann sich der Umfang der Pflichten abhängig von diesen Faktoren und abhängig von der Schwere der Menschenrechtsverletzung unterscheiden (Prinzip 14). Auch hängen die Maßnahmen, die von Unternehmen erwartet werden, von deren Größe und Umständen ab (Prinzip 15). Unternehmen sollen ein Bekenntnis zur Achtung der Menschenrechte abgeben (Prinzip 16) und eine menschenrechtliche Risikoprüfung durchführen (Prinzip 17).

Die dritte Säule der UN-Leitprinzipien befasst sich mit dem Zugang zu Abhilfe. Staaten sind verpflichtet, Mechanismen bereitzustellen, um Abhilfe für Menschenrechtsverletzungen zu schaffen, die auf ihrem Territorium stattfinden. Entsprechende Maßnahmen können auf Ebene der Gesetzgebung, der Verwaltung oder der Gerichtsbarkeit erfolgen.

Die Leitprinzipien empfehlen ein Nebeneinander von gerichtlichen Abhilfemöglichkeiten und nicht-justiziellen Abhilfemöglichkeiten. Darüber hinaus werden Staaten ermutigt, auch nicht-staatliche Möglichkeiten zu fördern, um Abhilfe zu erlangen.

Die Bewertung der UN-Leitprinzipien ist unterschiedlich. Die einen sehen sie als Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit von Wirtschaftsvertretern, die die Einführung rechtlich verbindlicher Standards verhindern wollten;83 andere loben den transparenten Entwicklungsprozess84 und sehen es als Erfolg, dass ein von der Wirtschaft mitgetragener und breit akzeptierter Standard für die wirtschaftliche Verantwortung von Unternehmen geschaffen worden ist.85

Zu konstatieren sind zwei Dinge: Die UN-Leitprinzipien sind weltweit anerkannt; zahlreiche Standards oder Dokumente, die sich mit der Verantwortung von Unternehmen für die Wahrung der Menschenrechte auseinandersetzen, nehmen auf sie Bezug. Beispiele sind die OECD-Leitsätze für internationale Unternehmen, deren Neufassung im Jahr 2011 an die UN-Leitprinzipien angepasst wurde, die „ICC Guidelines for International Investment“, der Nationale Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte in Deutschland und der Schweiz. Sie haben Gesetze wie den UK Modern Slavery Act beeinflusst;86 das Konzept der „human rights due diligence“, das in den Leitprinzipien entwickelt worden ist, ist ein Kernelement vieler Richtlinien und Hinweise, die die Auswirkungen wirtschaftlicher Tätigkeit auf Menschenrechte zum Gegenstand haben,87 wie beispielsweise die OECD Due Diligence Guidance for Responsible Supply Chains of Minerals from Conflict Affected and High-Risk areas. Auch das LkSG entleiht wesentliche Konzepte und Anforderungen den UN-Leitprinzipien.

Andererseits hat sich herauskristallisiert, dass allein das Vertrauen auf die Selbstbindung der Wirtschaft keinen signifikanten Fortschritt gebracht hat.

77 Report of the Special Representative of the Secretary General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie, A/HRC/17/31, 21.3.2011, S. 3. 78 Report of the Special Representative of the Secretary General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises, John Ruggie, A/HRC/17/31, 21.3.2011, S. 3. 79 Human Rights Council Resolution 8/7. Mandate of the Special Representative of the Secretary General on the issue of human rights and transnational corporations and other business enterprises. 80 UN Doc A/HRC/RES/17/4 vom 16.6.2011. 81 Siehe General Principles der UN Guiding Principles “Nothing in these Guiding Principles should be read as creating new international law obligations, or as limiting or undermining any legal obligations a State may have undertaken or be subject to under international law with regard to human rights”. 82 Es handelt sich hierbei also nicht um die „international anerkannten drei Säulen des Risikomanagements“, wie Ruttloff/Wagern/Reischl/Skoupil, CB 2021, 369, meinen. 83 Khoury/Whyte, Corporate Human Rights Violations, S. 54. 84 Re-righting business: John Ruggie and the struggle to develop international human rights standards for transnational firms, S. 5. 85 Wettstein, Journal of Human Rights 2015, S. 14, 162, 163. 86 Good Business, Implementing the UN Guiding Principles on Business and Human Rights, Presented to Parliament by the Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs by Command of Her Majesty, Mai 2016 (https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/522868/Good_Business_Implementing_the_UN_Guiding_Principles_on_Business_and_Human_Rights_print_version.PDF). 87 Study on due diligence requirements through the supply chain, Final Report, S. 161.

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