Читать книгу Dann mal ab nach Paris - Hubert Becker - Страница 15

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Frankfurt

Ein Polizist steht hinter mir, Bundespolizei, der hat sicher ein Bild von mir dabei und nimmt mich jetzt hopps!

„Hör’n Sie damit auf!“, brummt er mit strafendem Gesichtsaus- druck nach meinem letzten Schlag auf den Fahrkartenautomaten, „sonst wird’s noch Sachbeschädigung, und über die kann ich nicht wegsehen.“ Sprichts und steigt in den inzwischen bereitstehenden Zug nach Frankfurt. Den Felsbrocken, der mir vom Herzen gefallen ist, hat er wohl nicht gehört.

Im Automat rattert es und er spuckt endlich das Ticket aus.

In letzter Sekunde, bevor sich die Tür schließt, springe ich in den Zug. Wo ist der Polizist? Den sollte ich weiträumig umgehen. Ich sehe, wie er gerade die Tür zur Zugtoilette öffnet und darin verschwindet, gefolgt von einem überaus lautstarken Furz. Irgendwie menschlich: eine furzende, beamtete Respektsperson.

Glück gehabt. Hätte der meinen Steckbrief, den es vielleicht inzwischen gibt, hätte er mich vermutlich sofort festgenommen. Hat er aber nicht. Gleich hinter der nächsten Tür sinke ich in einen mit Eddingkritzeleien beschmierten Sitz. Der Uniformierte schreckt mich jetzt nicht mehr. Der scheint mit etwas anderem beschäftigt zu sein. Durchfall! Schließe ich messerscharf aus der Geräuschkulisse, die aus dem Zugklo dringt. Ich bin amüsiert und wenig später – eingeschlafen.

„Junger Mann, Endstation, Sie müssen aussteigen!“

Vor mir steht der Polizist und rüttelt an meiner Schulter.

Ein bisschen blass ist er um die Nase. Ob der wohl noch seinen Dienst antreten kann oder hat er Feierabend? Der Weg zur Arbeitsstelle, Lampertheim oder Frankfurt? Ist wohl ziemlich weit.

Jedenfalls ist nicht zu übersehen, dass ich in Frankfurt bin. Die riesige Bahnhofshalle mit ihren stählernen Trägern ist ein imposantes Bauwerk. Das geschäftige Treiben, auch nachts, mit seinem Sprachengewirr und dem ständigen Umherirren von Menschen, die mit lautem Poltern ihrer Rollkoffer in großer Eile zu ihren Zügen hetzen, hat mich schon immer fasziniert. Ich schnappe mir meinen feuerroten Rucksack, drapiere die Jacke darüber und verlasse den Zug. Und dann bin ich mittendrin im Gewühl.

„Pass doch auf du Depp!“ Ein blonder Hüne hat mir seinen Koffer in die Wade gerammt. Er schaut mich drohend an und hebt die Faust.

„Entschuldigung“, sage ich kleinlaut, eingedenk meiner so lange zurückliegenden Lampertheimer Erfahrung. Feigling, sage ich leise zu mir selber, eigentlich hätte sich der entschuldigen müssen. Aber der kann froh sein, dass ich mich nicht auf eine Schlägerei eingelassen habe, wäre dem schlecht bekommen, oder? Wie auch immer, ich kann mich nicht auf eine Schlägerei einlassen. Hier steht an jeder Ecke ein Polizist. Muss wohl so sein, Frankfurt eben!

Die Fahrplantafel: Den TGV, mit dem ich noch nie gefahren bin, kann ich vergessen, der fährt über Mannheim, das inzwischen zum heißen Pflaster für mich geworden ist. Wie gerne wäre ich mit diesem legendären Hochgeschwindigkeitszug gefahren. Sei’s drum, vermutlich hätte mir der Fahrpreis ohnehin ein zu großes Loch in meine Reisekasse gerissen. Die 1.000 Euro, die ich abgehoben habe, sind ein Tropfen auf den heißen Stein für das, was ich vorhabe.

Paris, (m)ein Sehnsuchtsort. Aber auch Schauplatz einer der fürchterlichsten islamistischen Anschläge: Charlie Hebdo! Auch ich hatte mir ein T-Shirt gekauft mit der Aufschrift „Je suis Charlie“. Aber das Flair dieser Stadt kann nichts zerstören.

Ich habe noch Zeit, bis der Regionalexpress nach Saarbrücken fährt. Ich gehe durch die große Halle auf den Bahnhofsvorplatz.Da steppt der Bär! Gesprächsfetzen vieler Sprachen schwirren durch die Luft. Das Elend der Bettler und Drogensüchtigen springt mich an wie ein Alptraum. Leere Schnapsflaschen liegen überall herum. Einige Obdachlose streiten sich um eine Bierflasche.

„Du Penner, die Flasche habe ich gekauft, und ihr alle, ihr habt sowieso nichts zu melden!“

Der Streit droht in eine Schlägerei auszuarten, als plötzlich zwei Männer vom Bahnsicherheitsdienst auftauchen.

„Auseinander, sonst lassen wir euch von der Polizei abführen!“

Pat und Patachon! Der Große, ein Kerl wie ein Bär, und der Kleine sieht aus, als wäre ihm die Uniform zu groß; kein Anblick, der einen Unruhestifter zur Räson bringen könnte. Aber gerade der nimmt den Bierflaschenbesitzer jetzt in den Polizeigriff, während der Hüne grinsend daneben steht.

„Walli, gib’ Ruhe! Der kennt den anscheinend. Du weißt, was die Bullen mit dir machen.“

Ich kann’s mir denken, Frankfurt ist ein hartes Pflaster und die Polizisten sind nicht zimperlich. Das Rotlichtmilieu ist nicht weit und manchmal ist nicht ersichtlich, wer Zuhälter oder verdeckter Ermittler ist. Die Grenzen von polizeilicher Ermittlungsarbeit und Korruption sind fließend. Gerade hat ein rechtsextremistischer Skandal in der Polizei die Mainmetropole erschüttert.

Dem im Polizeigriff Fixierten tropft ein Speichelfaden aus dem Mund. Sein verdrecktes langes Haar sieht aus wie ein Wischmop. Er stöhnt unter dem harten Griff, der ihn zu Boden zwingt.

„Lass doch los, ich bin ja schon friedlich!“

„Merk dir’s und gib Ruhe!“

Die kleine Gewalt löst ihren Griff und hilft dem Wischmop sogar beim Aufstehen. Der grinst wie ein Honigkuchenpferd.

„Wird leider nicht viel bewirken“, wendet sich der DB-Sicherheitsmensch, der seinen Kollegen fast um einen Kopf überragt, beiläufig an mich. „Ist ein alter Bekannter, der macht fast jeden Tag Ärger. Wir behandeln ihn mit Samthandschuhen, weil wir wissen, das er bald den Löffel abgibt. Leukämie, letztes Stadium!“

Mir geht mein Freund Gerd durch den Kopf, der so qualvoll an dieser tückischen Krankheit gestorben ist.

Von Samthandschuhen hat der Sicherheitsmensch gesprochen. Da möchte ich wissen wie das ist, wenn die die Samthandschuhe ausziehen. Egal, ich mach mich vom Acker, bevor es hier für meine Situation zu brenzlig wird.

Dann mal ab nach Paris

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