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Das Opernglas

Vor vielen Jahren war ich mal mit einer Freundin, ja, es gab auch mal ein Leben vor Hildegard, im Nationaltheater, „Don Giovanni“. Ich wusste, was das bedeutete: Fast drei Stunden nur Gesang, sowas Unrealistisches, wer unterhält sich so lange nur singend? Aber ich wollte nicht als Kunstbanause gelten und außerdem hatte mir Ute ihr Abendkleid vorgeführt und testosterongetrieben wie ich damals war, hatte ich nur auf ihr gewagtes Dekolleté gestarrt.

„Komm wieder zu dir“, hatte sie gegrinst. „Was ziehst du an?“

„Ich hab einen nagelneuen Jogginganzug.“

„Blödmann! Ich hab noch einen schwarzen Anzug von meinem Ex hier!“

„Kommt nicht infrage, ich zieh doch keine abgelegten Klamotten von einem abgelegten Lover an!“

Gut, der Anzug hatte gepasst, nachdem ich zu dem Gürtel noch ein Paar Hosenträger angeschnallt hatte. Der Kerl musste ja klap-perdürr gewesen sein.

Derart aufgebrezelt – Herrgottnochmal, die sah aber wirklich zum Anknabbern aus – zwängten wir uns in ihren „Ford ka“.

Ich hätte mir für diesen Abend schon etwas Besseres vorstellen können als diese Mozart-Oper. Aber Ute war nun mal extrem kulturbeflissen und die Rolle als Spielverderber stand mir halt nicht.

Heutige Vergleiche mit Hildegard verboten sich von selbst.

Hildegard ist bodenständig und warmherziger und außerdem war Ute wieder zu ihrem Verflossenen zurückgekehrt, den sie nicht vergessen konnte. Nun ja, lange vorbei und ich weiß, was ich an meiner Hildegard habe.

Trotzdem blieb mir dieser Opernabend in unangenehmer Erinnerung. Ich war trotz der lauten Singerei eingeschlafen und Ute musste mir mehrmals heftige Rippenstöße verpassen, weil ich ge-schnarcht hatte. Die missbilligenden Blicke meiner Umgebung brennen mir heute noch auf der Haut. Wir saßen im Parkett und ich sah gelegentlich hoch zu den Logen, in denen affektierte Damen durch ihre Operngläser auf das Geschehen auf der Bühne blickten. Und eben so ein Ding liegt nun in dem Paket: ein Opernglas! Ein Papier in reinstem Bütten liegt dabei: „Damit sie mich besser sehen können!“ Unterschrift: „Gabi, Ihre Nachbarin von gegenüber! PS: 23.00 Uhr, ich bin noch wach!“

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Will sie mich verarschen oder hält sie mich für einen Spanner? Oder ist es gar eine Aufforderung zu mehr? Sieht so aus. Was tun, sprach Zeus. Soll ich mit dem Ding weiter zu ihr rüberstarren oder ihr einen Besuch abstatten? Nur gut, dass Hildegard nicht da ist, das hätte einen riesigen Ehekrach gegeben! Mädelsabend, das kann dauern.

Ich entschließe mich zum Besuch und ziehe eine flotte Jeans an und dieses blau karierte Hemd, das Hildegard so schön findet, damit kann ich sicherlich Eindruck schinden. Eindruck schinden?

Will ich das wirklich oder befinde ich mich nach so langer Zeit wieder im Jagdmodus? Mensch, ich bin doch keine zwanzig mehr und hole mir bestimmt eine Abfuhr! Abfuhr, wie das klingt, ich bin doch nicht die Müllabfuhr. Außerdem trenne ich korrekt: gelbe Tonne, blaue Tonne, braune Tonne!

Wie, was? Was fasle ich da vor mich hin? Hat mich diese Gabi jetzt völlig Gaga gemacht? Mit achtzehn hatte ich mal so ne Phase, als ich mit Kumpels zu viel gekifft hatte. Diese Phase ist längst vorbei, naja, manchmal gibt es einen Rückfall in alte Zeiten, weil ich mich halt nicht mit meinem Alter abfinden kann. Die Midlife-Krise ist doch auch schon längst vorbei! Ich sinniere und sinniere und merke gerade, dass ich schon auf dem Weg zu ihr bin. Ich Blödmann, was tue ich eigentlich, ist mir meine Ehe egal? Egal ist mir nicht, dass ich wie in Trance die Treppe hinuntergelaufen, den Gehweg um den Block genommen und bei ihr geklingelt habe.

Gabi Hoffmann, das wird sie wohl sein. Es tut sich nichts, aber jetzt kommt gerade ein älterer Mann, der sich an einem, offenbar handgeschnitzten, Gehstock festklammert, heraus und hält mir die Tür auf. „Danke!“, murmle ich und steige mit unendlich schlechtem Gewissen die Treppe zu ihrer Wohnung hoch. Im zweiten Stock gibt es nur eine Wohnung und neben der Klingel steht ebenfalls: Gabi Hoffmann.

Ich klingle nochmal und da bemerke ich, dass die Tür nur angelehnt ist. Schlamperei, murmle ich. Wenn man so aussieht wie die, sollte man doch tunlichst seine Wohnungstür geschlossen halten. Einen Freund hat sie ja augenscheinlich nicht. Hätte ich sicher längst von meiner Wohnung aus gesehen, ich schiele ja oft genug hinüber.

Vorsichtig drücke ich die Tür auf. „Hallo Gabi (darf ich doch sicher schon sagen), sind Sie da?“

Keine Antwort, merkwürdig. Im Flur liegt eine große rote Wasserrohrzange. Ist die Heimwerkerin? Schlampig scheint sie wirklich zu sein. Ich hebe das Teil auf und lege es auf das staubige Schuhschränkchen, das unter einem Mordsteil von einem Jugendstilspiegel steht. Jugendstil, der hat mir schon immer gefallen!

„Schönes Teil“, denke ich.

An der Wand im Flur einige große Schwarzweißfotos von längst verschwundenen Gebäuden Sandhofens. Das beleuchtete Transparent der „Broadway-Bar“ in der Hanfstraße, davor 50er-Jahre-Straßenkreuzer der Amerikaner, die Stammgäste der Bar waren. Daneben ein Bild des Eiscafés „Legüsa“, in dem ich als Kind mit meinen Eltern so manchen wunderbar großen Eisbecher verzehrt hatte. Vergangene Träume von wunderbarer Kindheit!

Ich gehe den endlosen Flur entlang, geschmacklose, gelb-rot karierte Tapete, an der Decke Spinnweben. Ich sag’s doch, schlampig! Hätte ich nicht von ihr gedacht, sah doch immer so adrett aus. An der Supermarkt-Kasse trug sie einen entzückenden Minirock. Den konnte ich sehen, wenn ich mich am Kassenband ein wenig streckte und dabei auch in ihre ziemlich weit aufgeknöpfte REWE-Bluse linsen konnte. Rechts eine Tür, die ins Wohnzimmer führt. Großer dunkler Flokati-Teppich und da liegt sie!

Als fleißiger „Tatort“-Gucker kommt mir das alles so bekannt vor: Erst die angelehnte Tür, die aber im Gegensatz zu jetzt meistens aufgebrochen wurde. Die Polizisten zücken ihre Waffen und suchen leise schleichend die Wohnung ab. Schranktüren und Schubladen aufgerissen, ein wildes Durcheinander überall und entweder kein Einbrecher zu sehen oder hinter einer Tür lauert einer und zieht dem eintretenden Beamten irgendein Teil über den Kopf und haut an dem verblüfften zweiten Polizisten vorbei ab. Statt hinterher zu rennen, hilft er zuerst dem verletzten Kollegen auf, neben dem die wahlweise männliche oder weibliche Leiche in ihrem Blut liegt.

Dann mal ab nach Paris

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