Читать книгу PERRY RHODAN-Kosmos-Chroniken: Reginald Bull - Hubert Haensel - Страница 10

Captain Reginald Bull

Оглавление

Juni 1971

»Endmeldung STARDUST an Zentrale«, hörte ich Perry Rhodans Stimme im Helmlautsprecher. »An Bord alles wohlauf. Wir melden uns ab bis zum Brennschluss von Stufe eins.« Sein Blick schweifte über die Kontrollen, streifte Clark, er nickte dem Doc zu und grinste mich herausfordernd an, als wollte er sagen: »Ab hier gibt es kein Zurück mehr, Bully! Erfüllen wir den Menschen und uns den größten Traum!«

Das Gurgeln und Brodeln der Pumpen einige Dutzend Meter unter uns durchschlug die Isolierungen. In wenigen Augenblicken würden wir auf einem gigantischen Flammenbündel in den Himmel steigen, von gewaltigen Kräften in die Liegen gepresst und mit verzerrten Gesichtern darauf wartend, dass der unerträgliche Andruck endlich wieder nachließ, während zugleich Millionen Menschen in aller Welt gebannt auf ihre Fernsehgeräte starrten und live erlebten, wie ein weißglühender Feuerball im wolkenlosen Sternenhimmel kleiner und kleiner wurde, der Flammenstrahl in den dünneren Luftschichten auffächerte und schließlich erlosch.

Unmögliche Gedanken schossen mir durch den Sinn, Erinnerungen an längst vergessen Geglaubtes; es war, als würde ein zum Tod Verurteilter in Sekundenschnelle noch einmal sein Leben vor sich ablaufen sehen. Hätte ich etwas anders oder besser machen können? Verdammt – ich hatte nicht vor, auf dem Weg zum Mond oder zurück den Löffel abzugeben. Überhaupt sollte ich mich eher auf unsere triumphale Rückkehr konzentrieren, auf die dann fällige Parade durch die Straßenschluchten New Yorks, die tonnenweise herabregnenden Konfetti und – na ja, eben die schönen Seiten des Lebens. Perry war nicht verheiratet, ich ebenfalls nicht, und ich hatte keineswegs die Absicht, was mich anbelangte, daran etwas zu ändern.

Im Geschichtsunterricht würden künftig die Filme, die wir während unserer Ausflüge auf dem Erdtrabanten aufzeichnen sollten, zum Standardprogramm gehören. Das Bild der sichelförmig aufgehenden Erde, strahlend blau im gleißenden Sonnenlicht und wie ein Juwel über den kahlen Kratern und Felsformationen des Mondes ... Was wir zu sehen erwarteten, würde die Strapazen der Ausbildung und den langen Verzicht auf ein geregeltes Privatleben wert sein.

Die chemisch angetriebene erste Raketenstufe zündete. Jeder von uns hatte schon eine Reihe Starts und Landungen mitgemacht – Erdumkreisungen, Aufenthalte in der Raumstation im Orbit, sogar einen Flug in die Mondumlaufbahn –, doch diesmal war es anders.

Zieht euch schon mal warm an, ihr kleinen grünen Männchen da oben – wir kommen!

Die Augen geschlossen, versuchte ich mir vorzustellen, wie die Zündungsdruckwelle über das Startgelände hinwegfegte und die STARDUST, von Versorgungsleitungen und Halteklammern losgelöst, majestätisch langsam, geradezu gemächlich, anruckte. Für bange Sekunden mochte es nach einer beängstigenden Neigung des Rumpfes aussehen, doch ich hatte nie daran gezweifelt, dass Computer und schwenkbare Steuerbrennkammern uns wie immer sicher auf Kurs bringen würden.

Das Atmen wurde zur Qual. In meinen Schläfen rauschte das Blut, und eine unheimliche Last drohte meinen Brustkorb zu zerquetschen.

Der Brennschluss der ersten Stufe folgte, begleitet von Augenblicken der Stille und diese nur durchbrochen von meinem eigenen gequälten Atmen. Planmäßige Flughöhe achtundachtzig Kilometer – lächerliche achtundachtzig Kilometer, verglichen mit den rund 380.000 Kilometern, die noch vor uns lagen. Geschwindigkeit 10.115 Stundenkilometer, zu wenig, um den Anziehungsbereich von Mutter Erde zu verlassen.

Zündung der zweiten Stufe. Das neu entwickelte kernchemische Triebwerk erreichte eine Ausströmgeschwindigkeit von 10.102 Metern pro Sekunde. Die maximale Endbeschleunigung betrug beachtliche 9,3 Gravos.

Du hättest abspecken sollen, Bully.

Fast glaubte ich, Perry Rhodan lästern zu hören. Doch die Worte entstanden nur in meiner Einbildung. Ich war nicht dick, wie er mir seit geraumer Zeit einzureden versuchte – was er als Speck ansah, waren in Wirklichkeit trainierte Bauchmuskeln. Und vielleicht ein klein wenig zum Zusetzen, sollte unsere Mission länger dauern als geplant. Aber dick? Warum fragte er nicht General Pounder, ob ich dann für die Mondmission ausgewählt worden wäre ...

Von einem Augenblick zum anderen wich die erdrückende Schwere.

Brennschluss und Abtrennung der zweiten Stufe. Schwerelosigkeit! Mein Magen rebellierte nicht nur, er war im Begriff, sich umzustülpen. Brennend stieg die Magensäure in der Speiseröhre hoch. Ich durfte mich auf keinen Fall übergeben, eine solche Schweinerei hätte in der Enge des geschlossenen Helms fatale Folgen gehabt.

Jemand hustete krampfhaft. Es war der Doc selbst. »Wir haben das Schlimmste hinter uns«, stieß er abgehackt hervor.

Hastig schluckend versuchte ich, die Magensäure zurückzuhalten. Nur nicht reden, auch wenn es schwerfiel.

»Bully, was ist los mit dir?«

Ich musste irgendwas essen, um die aufgewühlten Magennerven zu beruhigen. Leider verboten die verfluchten Vorschriften so ziemlich alles vor dem Ende der Beschleunigungsphase.

»Dicker, hat es dir die Sprache verschlagen?«

Wie durch einen fahlen Schleier hindurch sah ich Perrys Konturlager umklappen. Die Armaturen folgten der Bewegung.

»Alle Systeme arbeiten einwandfrei. Bully, du bist nicht zum Vergnügen an Bord – ausschlafen kannst du später.«

»Da soll gleich dieser und jener ...«

Mein Sessel schnellte hoch, doch die Gurte hielten mich zurück. Nur mein Magen ruckte nach vorne, wurde von den Muskeln aufgefangen und zurückgefedert. Das war ein Gefühl, als würden sich die Gedärme verknoten. »Was haben diese Büroheinis mit uns gemacht? Sag mir das, Perry! Die Sesselfurzer wissen überhaupt nicht, wie sich unsereins fühlt. Keine Ahnung haben die in der Bodenstation, aber uns ein neues Triebwerk unterjubeln, das können sie. Ich fühle mich, als hätte mich jemand an die Wand geklatscht und dort kleben lassen.«

»Es war härter als sonst«, gab Perry Rhodan zu. »Immerhin wurden wir vorübergehend auf 15,4 Gravos beschleunigt.«

Clark G. Flipper blutete aus den Mundwinkeln. Er war leichenblass, und wenn ich seinen Zustand richtig einschätzte, ging es ihm dreckiger als mir.

Alle Vorschriften konnten mir gestohlen bleiben, ich löste meine Gurte. Die Magnetsohlen knallten auf den Boden und halfen mir, mich an die Schwerelosigkeit zu gewöhnen.

Flippers Sichtscheibe verschmierte allmählich von innen. Doch so schlimm, wie es aussah, war seine Verletzung zum Glück nicht. Unser Astronom schien sich nur kräftig auf die Zunge gebissen zu haben.

»Bist du nicht satt geworden, Flipp? Oder war die Henkersmahlzeit vor dem Start nicht dein Geschmack? Freie Auswahl, Junge, wie vor dem Gang aufs Schafott!«

Er grinste mich schief an, als ich seinen Helm abnahm, brachte aber nur ein schmerzerfülltes Stammeln über die Lippen. Blutstropfen schwebten wie Perlen an einer unsichtbaren Schnur davon, bevor sie an der nächsten Konsole zerstäubten.

Während Perry Rhodan der Bodenstation Meldung machte, nahm ich die Ausgleichsberechnungen vor. Mit knapp vier Sekunden voller Schubkraft würden wir den Zeitverlust ohne neues Flugfenster ausgleichen können.

Endlich begann das kernchemische Atomstrahltriebwerk der letzten Stufe zu arbeiten. Diese Technik war unabdingbar für die Eroberung des Weltraums. Wenn wir weiter hinauswollten als bis zur Mondbahn, mussten wir eines Tages ein reines Ionentriebwerk besitzen, das unsere Raketen bis nahe an die Lichtgeschwindigkeit beschleunigen konnte. Dann dauerten Reisen zum Mars, zur Venus oder gar bis in den Asteroidengürtel nicht länger, als wir heute für den Flug zum Mond benötigten. Vom Beschleunigungs- und Bremsmanöver einmal abgesehen.

Du bist ungeduldig, Bully, stellte ich für mich selbst fest. Bis vor wenigen Tagen war der Flug zum Mond für dich das Höchste, und schon willst du mehr. Vielleicht werden deine Kinder eines Tages auf dem roten Planeten spazieren gehen, warum nicht, aber vorerst musst du dich auf das Machbare beschränken. Die Landung auf dem Mond ist für uns vier ein kleiner Schritt, doch ein großer für die Menschheit.

Hinter uns die Erde – ein aus dieser Distanz zerbrechlich anmutender blauer Ball in der matten Schwärze des Weltraums. Die Sterne funkelten nicht, aber ihre Zahl war weitaus größer, als man selbst von den höchsten Berggipfeln aus je bewundern konnte. Sie schienen zum Greifen nahe und waren dennoch unendlich weit entfernt.

Wie klein und bedeutungslos wurden auf einmal all die selbstgemachten Probleme, mit denen wir Menschen uns herumschlugen. Die Erde war verletzlich, filigran das dünne Band der Atmosphäre, die alles Leben vor der tödlichen kosmischen Strahlung schützte.

Ich nahm mir einige Atemzüge Zeit, diesen Anblick zu genießen, und ich glaube, den anderen erging es ähnlich. Für einen Augenblick innehalten und die eigene Bedeutungslosigkeit spüren ... Die Erde konnte wirklich nicht alles sein, da draußen musste es mehr geben, als wir in unseren kühnsten Träumen zu ahnen wagten. Sehr viel mehr.

Irgendjemand beobachtete mich. In dieser Sekunde – ich fühlte es.

War das Gott? Oder wenigstens seine Nähe?

Die Russen hatten nach ihren Erdumkreisungen behauptet, Gott hätten sie nicht gesehen. Das waren Phrasen, Propaganda, nicht mehr und nicht wert, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

»Seit wann so nachdenklich, Dicker?«, fragte Perry wie beiläufig.

»Unser Reginald schlägt sich mit tiefschürfenden Gedanken herum«, nuschelte Flipper. »Ihn interessiert, ob es eine Frau im Mond gibt.«

Für die Bemerkung schenkte ich ihm mein mitleidigstes Lächeln. »Clark G. Flipper«, sagte ich, »du hast dich noch nicht fest genug auf die Zunge gebissen. Beim nächsten Mal helfe ich nach.«

»Was ist los bei euch da oben?«, wollte die Bodenstation wissen. »Gibt es keine Arbeit an Bord?«

»Frühstückspause«, konnte ich mir nicht verkneifen. Soeben war die Sonne hinter dem Erdball aufgegangen.

Es kann angenommen werden, dass Erde und Mond annähernd zur gleichen Zeit entstanden, vor schätzungsweise 4,6 Milliarden Jahren. Dass über die frühe Geschichte des Mondes heute mehr bekannt ist als über die der Erde, liegt daran, dass die Oberfläche des Trabanten sich seit drei Milliarden Jahren nicht mehr verändert hat, während die Erde einem steten Wandel unterlag: Kontinente verschoben sich, Gebirge wurden abgeschliffen, und neue Bergzüge wuchsen aus der Tiefe empor.

Es muss eine wilde Zeit gewesen sein, als vor allem Wasserstoff und Helium die Urmaterie für die Sonne, ihre Planeten und die vielen Monde bildeten, die sich zu einer rotierenden Scheibe zusammenballte. Im Inneren dieser Wolke wurde die Sonne geboren, im äußeren Bereich formten sich die Planetenkerne.

Millionen Jahre vergingen. Die wirbelnden Gasmassen verstärkten den Druck auf das Zentrum der Wolke und zündeten die Sonne. Tödliche Ultraviolettstrahlung umflutete die Planeten, gemeinsam mit dem heftigen Sonnenwind fegte sie Gas- und Staubreste der Urwolke davon.

Weitere Hunderte von Millionen Jahren waren die Planeten dem Ansturm größerer Körper ausgesetzt, deren Einschläge tiefe Krater rissen ...

Zum Greifen nahe sah ich die Krater und Mare-Becken des Mondes vor mir. Die von Licht und scharfkantigen Schatten geprägte schroffe Landschaft unter der STARDUST war ein wahrhaft erhebender Anblick. Noch knapp 90 Kilometer hoch, begannen wir die fünfte Umkreisung auf einer von Pol zu Pol führenden Route. Die westlichen Ausläufer des Mare Nubium kamen in Sicht, kurz darauf der große Walter-Krater.

Störgeräusche prägten zunehmend den Funkkontakt mit der Bodenkontrolle. Als General Pounder sich zum letzten Mal meldete, bevor wir für kurze Zeit in den Funkschatten eintraten, wünschte er uns für die Landung viel Glück: »... lasst euch nicht unterkriegen. Ende.«

Die vier Teleskopbeine der STARDUST wurden ausgefahren, die Auflageteller mit jeweils vier Quadratmetern Kontaktfläche entfaltet.

Das Warten ohne Funkverbindung zehrte an den Nerven.

Dann, endlich, wieder Kontakt.

Kurskorrektur.

Gegenschub.

Hundertmal geübt, aber doch anders. Das Triebwerk brüllte auf. Der nächste Bremsstoß sollte die Umlenkung bringen und anschließend die vertikale Ausrichtung der Heckdüsen. Mit einer Fallgeschwindigkeit von maximal vier Metern in der Sekunde würde die STARDUST aufsetzen. Inmitten der bizarren, in Licht und Schatten erstarrten Felslandschaft.

Die Funkverbindung wurde zum ultrahohen Pfeifen und Kreischen. Ich glaubte zu spüren, dass die Rakete zu taumeln begann. Das war weder Einbildung noch eine Störung meines Gleichgewichtssinns. Beim ersten Mal im Raum war es mir so ergangen, hatte ich vorübergehend die Orientierung verloren und mich krampfhaft an den Haltestangen festgeklammert. Das Gefühl, in endlose Tiefe zu stürzen, ist schrecklich.

Hektisch flackerten die Warnsignale. Unsere Zeit wurde knapp.

»Kein Zündimpuls!«, schrie ich, während Perrys Faust auf den Katastrophenschalter krachte und Magnetbänder uns an die herumkippenden Sitze fesselten. »Wir fallen über den Landepunkt hinaus. Die Störungen verhindern den Empfang ... Wieso in drei Teufels Namen auf unserer Frequenz?«

Viel zu schnell kam die zerklüftete Mondoberfläche näher. Auch wenn uns der Aufprall nicht töten würde – zu Fuß nach Hause zu gehen behagte mir nicht.

Es war fast schon eine Reflexbewegung, mit der Perry die STARDUST aus der Fernsteuerung löste.

»Bordcomputer übernimmt Landeautomatik. Die Berechnungen laufen – sind beendet. Landung wird eingeleitet ...«

»Notlandung« wäre treffender formuliert gewesen. »Absturz« zweifellos auch. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich die scharfkantigen Ränder eines Kraterwalls. Wie Haifischzähne ragten sie auf. Gleichzeitig brach ein grässliches Tosen und Bersten über uns herein, ein schwerer Schlag stauchte uns in die Pneumoliegen.

Das harte Rütteln und Vibrieren der Außenhülle schien nicht aufhören zu wollen. Untermalt wurde es vom Gurgeln der Landebein-Hydraulik. Wir hatten kaum noch Höhe. Unwillkürlich spannte ich die Muskeln an. Was Perry unternahm, war ein verzweifelter Versuch, das nahezu unkontrollierbar gewordene Schiff auf Biegen und Brechen aufzusetzen. Runter kommen sie immer. Diese tiefschürfende Weisheit galt also nicht nur für Testflugzeuge aller Art, sondern auch für Mondraketen.

Der Triebwerkslärm schwoll zur Kakophonie, als die STARDUST von den Steuerdüsen herumgerissen wurde. Gleich musste das grässliche Kreischen berstenden Stahls zu hören sein, begleitet vom leiser werdenden Fauchen ausströmender Atmosphäre. Danach blieb nur noch der Sauerstoff in den Rückentornistern unserer Raumanzüge. Wie lange würde es dauern, bis eine eilig zusammengestellte Rettungsmannschaft eintraf?

»Achtung, Bodenkontakt!«, rief Perry Rhodan. »Jetzt!«

Das Tosen und Bersten, Knistern und Krachen vermischte sich zu einem atemberaubenden Stakkato. Der Aufprall presste mich erst auf die Pneumoliege und gleich darauf in die Gurte – aber irgendwie hatte Perry es geschafft.

Stille ...

»Du hast schon sanftere Landungen hingelegt«, sagte ich, und meine Anspannung wich endlich einem Gefühl innerer Zufriedenheit. »Trotzdem: Willkommen auf Luna Space Port. Bitte bleiben Sie angeschnallt, bis wir die Terminals erreicht haben. Wir hoffen, Sie hatten einen angenehmen Flug und beehren uns bald wieder. Wenn Sie aussteigen, lassen Sie kein Gepäck an Bord zurück ...«

Ein schrilles, beinahe hysterisches Lachen erklang.

»Captain Flipper!«, tadelte Perry Rhodan scharf. »Nehmen Sie sich zusammen!«

Das Lachen brach ab.

»Okay, Flipp, vergiss es! – Aber stell bitte umgehend fest, wo der Störsender steht. Die Unterlagen sind auf den Magnetbändern des Bordrechners gespeichert. Falls Russen oder gar Chinesen glauben, sie könnten uns auf die Weise ausschalten, sollen sie ihr blaues Wunder erleben.«

Die STARDUST hatte das vorgesehene Landegebiet weit verfehlt und war knapp zweiundachtzig Kilometer vom lunaren Südpol entfernt niedergegangen. Als schmale Sichel lugte die Sonne über den nahen Horizont; die Erde war gar nicht mehr sichtbar. Dementsprechend gab es weiterhin keinen Funkverkehr mit der Bodenstation. Falls man uns nicht für tot hielt, mit der STARDUST auf der Rückseite des Mondes zerschellt oder in die Tiefe des Weltraums abgetrieben, arbeitete das Bodenpersonal in Nevada Fields längst mit Hochdruck daran, uns Hilfe zu schicken. Vordringlich ging es für uns darum, den Funkkontakt wiederherzustellen.

Unser geländegängiges Kettenfahrzeug quälte sich durch den Mondstaub. Immer wieder wurden wir von unüberwindbar steilen Kraterrändern zu Umwegen gezwungen. Ich verdrängte meinen Ärger mit der Feststellung, dass Menschen unsere Spuren in Jahrtausenden noch deutlich sehen würden.

»Das ist nicht gerade die Gegend, in der ich Urlaub machen möchte. Keine Palmen, kein blaues Meer, nur Dreck – ein verflucht langer Geröllstrand.«

Obwohl Flipp behauptet hatte, der Störsender stünde ziemlich weit entfernt, wühlte das Unbehagen in meinen Eingeweiden. Ich fühlte mich beobachtet, starrte durch die Luftkuppel nach draußen und sah doch nichts anderes als eine bizarre, in scharf abgegrenzten Schatten gefangene Landschaft.

»Schlecht gefrühstückt, Bully? Du verbreitest eine permanente Unruhe ...«

»Ach?« Meine Stimme klang rau und belegt. »Jemand beobachtet uns.« Es fiel mir schwer, meine Empfindungen einzugestehen. Zumindest sie waren meine ureigenste Angelegenheit. Und woher ich das wissen wollte? Ich hatte keine Ahnung.

Perry Rhodan grinste breit, als er sich mir zuwandte. »Auf dem Mond wimmelt es von Leuten, die uns auf die Finger schauen.«

»Spar dir deinen Spott! Sonst sage ich überhaupt nichts mehr.«

Das schaffst du nicht!, behauptete Perrys Blick. Ich presste die Lippen aufeinander und schwieg. Wieder spürte ich, dass da etwas war, wenngleich Perry es in seiner Dickhäutigkeit und Ignoranz nicht wahrnahm. Irgendwo da draußen, in der Weite des Weltraums ... Eine unbegreifliche Macht, die uns kannte ...

Vor uns wuchs der Husemann-Krater auf. Ungefähr fünfzehn Kilometer Luftlinie vom Pol entfernt, waren wir gezwungen, den auf der Strecke liegenden Leibnitz-Bergen auszuweichen. Zum wiederholten Mal tippte ich auf die Karte, auf der die eingezeichneten Linien wie das Gekritzel eines Irrsinnigen wirkten. Wortlos reichte Perry mir die Wasserflasche. Ihr Inhalt schmeckte längst schal und brackig; in der Direkteinstrahlung meinte es die Sonne zu gut.

Unser neuer Kurs tangierte den Kreis, den Clark G. Flipper auf die Karte gezeichnet hatte. Mir gefiel das nicht.

Für die notdürftige Reparatur der angebrochenen Landestütze und die Erkenntnis, dass die übrigen Schäden an der STARDUST uns länger als befürchtet auf dem Mond festhalten würden, hatten wir fünf Tage gebraucht. Weitere vierundzwanzig Stunden waren für die Montage und Ausrüstung unseres Mondmobils draufgegangen. Und seit zwei Tagen kurvten wir durch die gottverlassene Einöde, in der nicht einmal Geier über unseren Köpfen kreisten. Bald würden wir die Vorräte rationieren müssen.

Ich schmeckte Blut auf den aufgeplatzten Lippen, aber gerade das spornte mich an. So schnell gab ein Reginald Bull nicht auf. Wer wie ich im Moloch New York aufgewachsen war und nachts auch schon mal mutterseelenallein auf einer Bank im Central Park geschlafen hatte, der schreckte vor ein bisschen Felswüste nicht zurück. Vielleicht sollte ich der Nachwelt mehr als nur unsere »Stars and Stripes« hinterlassen. Ich dachte an die Linien von Nazca, die aus einem niedrigen Erdorbit gut zu erkennen waren. Ähnliches auf dem Mond, in Form großer Lettern in den Staub eingekratzt:

Bully was here.

Beeindruckend. Um nicht zu sagen, ein Vermächtnis, das meiner wert war. Ich lehnte mich zurück, schloss die Augen und träumte. Bull City, eine ausgedehnte Kuppelstadt auf dem Mond, von blauschwarz schimmernden Solarzellen umgeben wie eine Blüte von ihren Blättern. Von hier aus rattern Kolonnen von Mondmobilen nach Norden, einer neuen Zeit entgegen. Prospektoren, Abenteurer, Landvermesser ...

Der Panzer ruckte mit heulenden Elektromotoren an und schreckte mich unsanft auf. Perry hatte einen Kraterwall umfahren und beschleunigte auf die vor uns liegende geröllübersäte Ebene hinaus. Staubfontänen wirbelten hinter den rasenden Ketten auf.

»Wenn du weiter so aufs Gas trittst, Perry, haben wir bald die Bullen am Hals.« Ich gähnte herzhaft.

»Schlaf dich aus, Dicker!« Rhodan grinste schräg. »Ich wecke dich, sobald wir am Ziel sind.«

»Falls ich dich ablösen soll ...«

»Das war ein Befehl!«

Träge flossen die Stunden dahin. Nicht mehr allzu weit entfernt stand der Störsender, vermutlich eine unbemannte Kapsel der Asiatischen Föderation oder des Ostblocks. Das war eine Schweinerei ersten Ranges, doch wir würden die Welt erfahren lassen, was gespielt wurde.

Endlich schob sich die Erde über den nördlichen Horizont, ein blaues Juwel in der samtenen Schwärze des Alls. Ihr Anblick trieb mir Feuchtigkeit in die Augenwinkel, denn ein klein wenig fühlte ich mich wie der verlorene Sohn, der nach langer Zeit in die Heimat zurückkehrt. Ich schluckte heiser und griff nach der Wasserflasche, doch die letzten Tropfen reichten nicht einmal, die Lippen anzufeuchten.

Erdaufgang über einem erstarrt wirkenden Meer aus blendender Helligkeit und scharf abgegrenzten tiefschwarzen Schatten – der Anblick war unbeschreiblich schön. Wie klein wirkten schon aus dieser lächerlich geringen Distanz alle Sorgen, Ängste und Nöte. Wir Menschen nahmen uns viel zu wichtig. Ich fragte mich nur, ob es wirklich erst der Mondlandung bedurft hatte, das zu erkennen.

Perry hielt unser Fahrzeug auf einem kleinen Plateau an und fuhr die Richtstrahlantenne aus. Ich schaltete die volle Reaktorleistung auf den Sender.

Was würden wir hören? Dass General Pounder uns nicht helfen konnte? Unsinn. Jeder Astronaut kannte das Notfallprogramm. Irgendeine lausige Rakete würde in Kürze starten, um uns abzuholen.

»Major Perry Rhodan, Kommandant der STARDUST-Expedition, ruft Bodenkontrolle Nevada Fields! Bitte melden. – Major Perry Rhodan, Kommandant der STARDUST-Expe...«

Ein Lichtblitz ließ mich zusammenzucken, ein grünes Flimmern, das sich zu einem intensiven Leuchten verstärkte und irrlichternd über die Sichtkuppel huschte. Die Antenne glühte so gleißend hell auf, dass ich instinktiv die Augen schloss und schützend die Hände hochriss. Das Krachen aus dem Funkgerät wurde zum Knistern schmorender Isolationen, gleichzeitig wogte der Qualm brennender Kunststoffe durch die Kabine.

Irgendetwas hatte die Antenne im wahrsten Sinne des Wortes weggeschmolzen; der Teleskopstab erinnerte an eine abgebrannte Tropfkerze. »Großer Gott«, flüsterte ich und hatte in dem Moment das Gefühl, jedes laute Wort müsse unseren Gegner erneut auf den Plan rufen, »was war das?«

Perry sagte etwas von einer nicht eben humorvollen Art von Funkstörung, von einem vollautomatischen Peiler, der auf unseren ersten Funkimpuls reagiert hatte. Das war Wahnsinn. Ebenso wie das Abbild eines glockenförmigen Etwas, das sich grün fluoreszierend in mein Gedächtnis eingebrannt hatte. So etwas gab es nicht. Auch keinen grellen Blitz, der unsere Antenne wie Wachs geschmolzen hatte.

Perry setzte sogar noch einen drauf. Er war bereit, seinen Kopf zu verwetten, dass wir die STARDUST keinen Kilometer hoch bekommen würden. Weil jemand bestrebt zu sein schien, uns auf dem Mond festzuhalten.

»Daran glaubst du selbst nicht«, protestierte ich. Nach allen hinter uns liegenden Strapazen war ich an einem Punkt angelangt, an dem mir langsam einiges egal wurde. Zudem meldete sich mein Magen mit unüberhörbarem Rumoren. »Ich verschlucke eine Schachtel rostiger Reißnägel, wenn die Chinesen eine solche Waffe erfunden haben. Das wäre eine überwältigende Sache. Okay, okay, ich bin ja schon ruhig. Also, was geschieht nun?«

Perrys Lächeln bedeutete für mich höchste Alarmstufe. Er war wirklich verrückt genug, unseren Gegnern auf die Finger zu klopfen. Dabei hatte er auch noch verdammt recht. Sofern wir nichts unternahmen, würden wir über kurz oder lang verdursten, verhungern oder ersticken. Ich begann mich zu fragen, welche Reihenfolge ich bevorzugte. Und falls wir mit der STARDUST einen Startversuch wagten ... Immer noch ungläubig, starrte ich zu den tropfenförmigen Antennenresten hinauf, die mir ganz und gar nicht gefallen wollten.

Mit acht Stunden reiner Fahrzeit konnten wir den Landeplatz unserer »Freunde« erreichen. Damit rechneten die Burschen bestimmt nicht; sie würden die Augen ganz schön weit aufreißen.

Nach einer Irrsinnsfahrt über knapp dreißig Kilometer reagierten die Infrarot-Taster auf eine starke Wärmestrahlung in der Nähe, exakt innerhalb des Gebietes, das Captain Flipper als Standort des Störsenders errechnet hatte. Ein zerklüftetes Ringgebirge ragte vor uns auf, sechshundert Meter hoch und mit dem Kettenfahrzeug beim besten Willen nicht zu bewältigen. Von der Erde aus gesehen lag der mächtige Krater an der Grenze zur Mondrückseite.

Perry wirkte verbissen. So hatte ich ihn selten gesehen. Er fragte nicht, ob ich eine halsbrecherische Klettertour für sinnvoll hielt, er setzte einfach voraus, dass ich ihm folgte. Ungefährlich war das Gelände weiß Gott nicht, und trotz der geringen Schwerkraft konnte ein Sturz tödliche Folgen haben. Sobald scharfkantiges Geröll den Raumanzug aufschlitzte, halfen die besten Reparaturmechanismen wenig.

Gut zwanzig Minuten später hielt ich das Schweigen nicht mehr aus. »Wenn die Chinesen oder Russen uns schon abmurksen wollen, solltest du ihnen nicht auch noch die Drecksarbeit abnehmen.«

Perry bedeutete mir, den Mund zu halten. Wir befanden uns noch immer am Fuß des Ringgebirges, jedoch ein beachtliches Stück weiter nördlich. In unmittelbarer Nähe musste die asiatische Rakete gelandet sein.

Dann sah ich sie.

»Nein«, stöhnte ich entsetzt, »das nicht, das wirklich nicht ...«

Eine Fata Morgana, eine Spiegelung der grellen Sonne auf dem Ringgebirge? Oder ließen mich Durst und Hunger inzwischen phantasieren? Sekundenlang schloss ich die Augen – aber als ich sie wieder öffnete, war das Ding immer noch da. Es war groß, nein, riesig sogar und schwer zu begreifen.

Die Kerle beeinflussen uns, versuchte ich mir einzureden. Ich habe zwar keine Ahnung, wie sie das schaffen, aber das kann nur ein Trugbild sein. Im Osten experimentieren sie schon lange mit parapsychischen Fähigkeiten.

Mein Puls raste, das Herz hämmerte schmerzhaft gegen die Rippen. Ich taumelte, ging einige schnelle Schritte und konnte mein Gleichgewicht nicht mehr halten. Zeitlupenhaft langsam brach ich in die Knie und fing mich gerade noch mit beiden Händen ab, bevor ich mich überschlagen hätte. Ein heiseres Lachen kam über meine Lippen, und die Anzugheizung produzierte eine solche Hitze, dass die Helmscheibe beschlug.

»Nicht die Nerven verlieren!«, warnte Perry. »Beruhige dich, um Himmels willen! Wenn sie das grüne Leuchten auf unsere Antennen legen, ist es vorbei. Beruhige dich!« Er redete schnell und kaum verständlich; er hatte gewusst, was uns erwartete, vor Stunden hatte er schon gewusst, dass dieses Raumschiff niemals in Asien gebaut worden war. Dass es überhaupt nicht von der Erde stammte.

Wenn ich ehrlich zu mir selbst sein wollte, musste ich eingestehen, dass ich ebenfalls etwas Ähnliches geahnt, den Gedanken aber weit von mir geschoben hatte. Weil das zu phantastisch war. Spätestens seit dem grün flimmernden Kraftfeld, das Parabol-Richtstrahler in blasenwerfenden Schrott verwandelte, hatte ich es jedoch gewusst. Kein Mensch konnte eine solche Erscheinung erzeugen.

»Sie haben eine Bruchlandung gebaut«, stellte ich endlich fest. »Sie haben den halben Kraterwall mit solcher Wucht abrasiert, dass sich mir schon bei der Vorstellung der Magen umdreht. Wer ist das, Perry? Wie sehen sie aus? Woher kommen sie? Und ...«, das Misstrauen brannte wie Feuer auf der Seele, »... vor allem: Was wollen sie hier?«

Obwohl mein Nacken schmerzte, starrte ich immer noch in die Höhe. Wie gerne hätte ich den Blick abgewandt, allein schon um nachzuschauen, ob es noch etwas anderes gab als dieses gewaltige, im Licht der schräg einfallenden Sonnenstrahlen blassrot schimmernde Gebirge aus Stahl – nur, ich konnte es nicht, ich war wie gebannt und erwartete, dass jeden Augenblick ein Heer unglaublich bizarrer, skurriler Aliens aus dem Schiff hervorbrach. Doch nichts dergleichen geschah, alles blieb ruhig – viel zu ruhig, wie ich sofort befand. Über dreißig Kilometer Distanz hinweg hatten die Unbekannten unsere Antenne zerstört, sie hatten es tun müssen, um unsere Rückmeldung zur Erde zu verhindern, das ergab Sinn, jedenfalls aus ihrer Sicht.

Falls irgendwann Außerirdische auf der Erde landen, verehren wir sie entweder als Götter, oder wir bringen sie um. Mir fiel im Moment nicht ein, wer diesen Satz geprägt hatte, aber treffender hätte derjenige es kaum ausdrücken können. Nur war das mit dem Umbringen so eine Sache; wer Raumschiffe wie dieses baute, verstand es wohl, sich vor primitiven Schusswaffen zu schützen.

Meine Kehle war endgültig ausgelaugt, die Zunge klebte wie Sandpapier am Gaumen. Wer Raumschiffe wie dieses baute ..., genau das war mir eben durch den Sinn geschossen; dabei genügte schon dieses eine, um mir erschreckend deutlich klarzumachen, dass unsere STARDUST nichts weiter war als ein blechernes Kinderspielzeug. Mehr von diesen Ausmaßen wollte ich überhaupt nicht sehen.

Als Gestalt gewordener Albtraum stand das gigantische Schiff hinter dem durchbrochenen Kraterwall. Es ruhte auf kurzen, säulenartigen Landebeinen, von denen nicht ein einziges abgeknickt oder auch nur verbogen war. Ihre kreisförmige Anordnung im unteren Viertel des Schiffsrumpfs erschien ebenso optimal wie die Kugelform selbst.

Größtes Volumen bei geringster Oberfläche, folgerte ich. Das bedeutete, die Fremden dachten wirtschaftlich.

Endlich schaffte ich es, nicht mehr nur in die Höhe zu starren, hinauf zu dem matten Rund, das im Schlagschatten mit dem Weltraum zu verschmelzen schien. Perry und ich waren unglaublich nahe an diesem Schiff hinter der sichthindernden Kraterwand hervorgekommen. Langsam ließ ich den Blick tiefer wandern, aber ich sah nur blassroten Stahl, eine glatte Oberfläche ohne nennenswerte Einzelheiten. In Äquatorhöhe umgab ein dicker, wulstartiger Ring das Schiff. Dort lagen die Düsenöffnungen, düster gähnende Scheunentore, aus denen jede Sekunde vernichtende Flammenströme hervorbrechen konnten. Ich versuchte mir vorzustellen, welcher Feuerwall beim Start dieses Schiffes Hunderte Meter weit auseinanderfluten würde.

»Absolute Kugelform, die ideale Bauweise für ein Großraumschiff, vorausgesetzt, man besitzt die entsprechenden Triebwerke.« Obwohl ich mich wieder in der Gewalt hatte, klang meine Stimme heiser. »Bei allen Mondkälbern, das Ding durchmisst mindestens fünfhundert Meter! Wie bringt man eine solche Masse in die Luft – oder besser gesagt, in den Weltraum? Ich habe so eine vage Vorstellung von den Maschinen, die da drüben eingebaut wurden.«

Hörte Perry mir überhaupt zu? Die Spiegelung auf seiner Helmscheibe zeigte das Kugelschiff und überdeckte seine Gesichtszüge. Trotzdem glaubte ich zu erkennen, dass sein Blick begehrlich geworden war. Oder adaptierte ich unwillkürlich meine eigenen Empfindungen? Einmal in einem solchen Koloss fliegen, das wäre Wahnsinn. Wie viel Zeit brauchte dieses Schiff für die Entfernung vom Mond zur Erde? Zwei, drei Stunden vielleicht, bestimmt nicht mehr. Falls überhaupt. Tief atmete ich durch.

»Dabei waren wir eben noch stolz auf unseren Erfolg«, brachte ich leise hervor. »Wir haben mit einem winzigen Seelenverkäufer den Mond erreicht. Vor uns aber liegt die Milchstraße. Hast du eine Ahnung, Perry, was wir stolzen Menschlein im Verhältnis zu denen da drüben sind, wie immer sie aussehen mögen?«

»Wenn du Affen sagst, explodiere ich!«, sagte Perry Rhodan eisig.

»Ich hatte einen ähnlichen Ausdruck auf der Zunge.« Ich grinste schwach. »Du bist ziemlich stolz, was?«

»Ich bin stolz darauf, ein Mensch zu sein, wenn du das meinst. Auf unser Volk, unsere rasante Entwicklung und die Zukunft, die sich uns eröffnet. Wir haben den Mond bezwungen, und eines Tages werden wir Menschen genauso die Sterne erobern. Dieses Raumschiff beweist noch lange nicht, dass seine Erbauer einen größeren IQ als wir haben. Vielleicht fiel ihnen das Erbe von zehntausend Generationen in den Schoß. Also sag lieber nicht, dass du dir zumindest wie ein Halbaffe vorkommst.« Perry war zornig geworden.

»Damit lösen wir unsere Probleme nicht«, wehrte er ab, als ich meine Waffe tätschelte. »Für mich ist das da keine Überraschung.« Mit einer knappen Armbewegung deutete er auf die riesige Kugel, die so reglos wirkte, als stünde sie seit Jahrtausenden am Kraterrand. »Jeder, der die Erde verlässt, sollte zuvor in Erwägung gezogen haben, dass wir nicht die einzigen intelligenten Lebewesen im Universum sind.«

»Trotzdem wäre mir wohler, wenn wir es nur mit einer kümmerlichen Rakete der Asiatischen Föderation zu tun hätten«, murmelte ich. »Von ihnen weiß ich wenigstens, dass sie keine acht Beine und haarige Beißzangen haben. Von Giftstacheln ganz zu schweigen. Und was geschieht nun? Abgesehen davon, dass ich nicht ewig hier herumstehen will, erwacht in mir langsam eine gewisse Neugierde.«

»Langsam« war untertrieben. Ich brannte darauf, die Fremden zu sehen. Anschließend konnte ich immer noch entscheiden, ob ich bleiben oder lieber die Beine in die Hand nehmen würde.

Mich überlief es abwechselnd heiß und kalt.

Konnten Wesen, die ein solches Raumschiff bauten, Eroberungsgelüsten folgen? O doch, sie konnten. Gerade dieses Raumschiffs wegen. Falls sie über jene Waffensysteme verfügten, die mir durch den Kopf spukten, hatten wir ihnen herzlich wenig entgegenzusetzen.

»Dass die Unbekannten eine Bruchlandung gebaut haben, macht sie ungemein menschlich, findest du nicht?«, wollte Perry wissen. Er grinste über seine eigene Feststellung. »Deshalb werden wir uns die Sache aus nächster Nähe ansehen.«

»Bist du wahnsinnig?«, zischte ich, erschrocken über mich selbst und Perrys Forderung. Dabei hatte er nur meine Überlegungen ausgesprochen. Wir konnten uns nicht zurückziehen und so tun, als wäre nie etwas gewesen, aber wir durften auch nicht ewig abwarten. Abgesehen davon hatten wir ohnehin nur eine geringe Chance, den Mond zu verlassen.

Ein leises Lachen erklang aus dem Helmfunk, ein kurzes, kaum hörbares Geräusch, doch es war da.

»Perry, hast du das auch vernommen?«, flüsterte ich. »Da benutzt einer unsere Frequenz ...«

»Natürlich hören sie mit. Sie haben unsere kümmerlichen Helmsender nur nicht zerstört, weil sie genau wissen, dass wir damit nicht bis zur Erde durchkommen. Das ist eine überwältigend einfache Logik. Also vorwärts, Bully, gehen wir! Du wirst sehen, man erwartet uns bereits.«

Ich starrte wieder zu der Kugel aus Stahl hinauf und biss meine Unterlippe blutig. »Ich habe kein Verlangen danach, intelligenten Tintenfischen oder ähnlichen Monstren mit einem vertrauensseligen Grinsen in die Fangarme zu laufen. Ich bleibe!«

Perry, du elender Hund!, dachte ich bitter. Das darf doch nicht wahr sein. Er scherte sich einen Dreck um mein Zögern, ja er drehte sich nicht einmal um, weil er genau wusste, dass ich keine andere Wahl hatte, als ihm zu folgen.

Ich denke nicht daran, dich da rauszuhauen. Sollen sie dich ruhig kassieren, die Tintenfische oder wie immer sie aussehen. Du wirst schon merken, was du davon hast.

Verdammt, wie komme ich nur darauf, dass ich dich einfach deinem Schicksal überlassen kann? Darüber reden wir später. Irgendwann lasse ich mich nicht mehr ausnutzen, du wirst es erleben, dann bleibe ich wirklich stehen.

Zögernd schloss ich zu ihm auf.

Die Landebeine der Kugel erwiesen sich als massige Säulen mit enorm großen Auflagetellern. Ihre Übereinstimmung mit der STARDUST-Konstruktion war deutlich. Das hieß, die Fremden dachten in ähnlichen Bahnen wie wir Menschen.

Je näher wir kamen, desto ehrfurchtgebietender erschien mir das Kugelraumschiff. Der Äquatorwulst entpuppte sich als mächtiger Ring mit gut und gerne siebzig Metern Breite, und die glasiert wirkenden, stellenweise glatten Bodenflächen unterhalb der furchteinflößenden Düsenöffnungen waren irgendwann weißglühend verflüssigt worden und wieder erstarrt.

Perry schätzte das Gewicht des Schiffes auf mindestens zwei Millionen Tonnen – im Vergleich dazu hatte das Startgewicht unserer STARDUST läppische 6850 Tonnen betragen – und fragte sich, welcher Kräfte es bedurfte, eine derartige Masse zu beschleunigen.

»Schwarzpulverraketen dürften genügen«, stieß ich hervor. Allmählich konnte ich meinen Zorn nicht mehr unterdrücken. Die Fremden hatten zu erkennen gegeben, dass sie über uns Bescheid wussten, nun beachteten sie uns nicht mehr. Was waren wir für sie? Versuchskaninchen? Ein anderer Ausdruck spukte unter meiner Schädeldecke: Laboraffen. Erwarteten die Kerle, dass wir irgendeinen Knopf drückten? Aber welchen, bei allen Mondgeistern? Und unsere Belohnung – wie mochte die Banane aussehen, die sie für uns bereithielten?

Ich starrte hinauf zum unteren Rund der Kugel, die mich schier erdrückte. Das war kein Raumschiff mehr, sondern längst eine kleine Stadt. Ironisch sagte ich: »Unter Ihrem Schiff stehen zwei wilde Eingeborene, hungrig, durstig und mit staubigen Schuhen. Mein Name ist Reginald Bull. Sie waren so nett, uns zur Notlandung zu zwingen. Wir kommen, um uns für Ihre Fürsorge zu bedanken. Wirklich. Außerdem haben wir die Rechnung dabei.«

Meine Finger verkrampften sich um die Rak-Automatik. Besonders geeignet, dort oben anzuklopfen, waren die Explosivgeschosse nicht. Wir trugen Waffen, weil General Pounder mit einem Zwischenfall gerechnet hatte, allerdings kaum mit einer 500-Meter-Katastrophe.

Urplötzlich hüllte uns greller Lichtschein ein. Obwohl sich mein Zeigefinger um den Abzug verkrampfte, beherrschte ich mich. Eine innere Stimme redete mir ein, dass ich tot sein würde, sobald ich nur einen einzigen Schuss abfeuerte.

In der Kugelwand war eine immense Öffnung entstanden. Eine Art Rampe schob sich heraus und faltete sich bei Bodenberührung zu einem glatten Band auf. Stufen gab es nicht. Trotzdem erkannte der untersetzte rothaarige Laboraffe die stumme Einladung.

»Das war wohl eine der leichten Übungen?«

Perry trat vor mir auf die im Winkel von mindestens 45 Grad in die Höhe führende Metallfläche. Eine unsichtbare Kraft hob ihn an und ließ ihn nach oben schweben.

Sekundenlang glaubte ich, erneut ein dumpfes, amüsiertes Lachen zu vernehmen. Diesmal kam es nicht aus dem Funkempfang, sondern schien direkt in meinen Gedanken zu entstehen. Es dröhnte durch meinen Schädel.

Wer bist du?

Das Lachen schwoll zum Tosen eines Orkans an, der jede Zelle meines Körpers erschütterte. Vergeblich riss ich die Arme hoch, um die Finger in die Schläfen zu krallen. Meine Hände krachten gegen den Helm und glitten an dem unzerbrechlichen Material abwärts.

Im gleichen Augenblick war mir, als erwache ich aus einer seltsamen Trance. »Raumkoller«, sagten die Psychologen dazu. Wir Menschen schienen nicht dazu geschaffen zu sein, länger als einige Tage in einen Raumanzug eingesperrt zu sein. Und die Schwerelosigkeit, dieses quälende Gefühl, stetig am Rand der Orientierungslosigkeit zu balancieren, tat ein übriges dazu.

Perry hatte mein Zögern nicht bemerkt. Ich kniff die Augen zusammen, schüttelte mich und schritt entschlossen vorwärts.

»Nach oben«, murmelte ich und holte noch einmal tief Luft. »Hinein ins Vergnügen.«

Augenblicke später sagte eine deutlich akzentuierte Stimme in reinstem Oxford-Englisch: »Sie können Ihre Schutzanzüge öffnen. Die Luft ist für Sie atembar.«

Sie nannten sich Arkoniden und stammten von einer Welt namens Arkon, mehr als 34.000 Lichtjahre von unserer kleinen gelben Sonne entfernt.

Vierunddreißigtausend ... Nur mit Mühe unterdrückte ich einen Hustenanfall. Auch Perry war sichtlich blass geworden.

Sie lügen, war mein erster Gedanke. Wie stolz waren wir eben noch darauf gewesen, eineinviertel Lichtsekunden ohne nennenswerten Zwischenfall überwunden zu haben – und nun behaupteten diese Fremden, seit Jahrtausenden die überlichtschnelle Raumfahrt zu beherrschen. Zu einer Zeit bereits, als wir Menschen uns noch mit Feuersteinbeilen gegenseitig die Schädel eingeschlagen hatten. Was hatte sich seitdem auf unserer Welt verändert? Doch nur die Wahl der Mittel, aber sonst ...

Ich schwitzte in der technisch-nüchtern anmutenden Zentrale des großen Schiffes. Auf gewisse Weise schien ich mich in die Kulisse eines bombastischen Science Fiction-Films verirrt zu haben. Ich stand da wie ein Kind, das zum ersten Mal die Glitzerwelt von Las Vegas sieht, und bemühte mich, die Augen nicht zu weit aufzureißen. Die Fremden sollten nicht erst auf die Idee kommen, dass wir aus der Provinz stammten. Staunen konnte ich hinterher immer noch, sobald wir wieder in der kargen Schlichtheit, um nicht zu sagen Primitivität, unseres Mondpanzers saßen.

Ich versuchte, mich gelassen und gleichgültig zu geben, gar nicht sonderlich beeindruckt – und möglichst viel von der funktionellen Technik für immer in meinem Gedächtnis zu speichern. Niemand konnte heute schon sagen, wofür das gut sein würde. Dabei war ich mir bewusst, dass alles, was ich sah, nur Äußerlichkeiten waren. Was immer dieses Kugelschiff bewegte und in Funktion erhielt, lag für mich unerreichbar hinter den blanken Verkleidungen. Mein berufliches Interesse schrie nach mehr, nach Details, Schaltplänen, technischen Daten des Antriebs, der Energieversorgung, nach der Leistungsfähigkeit des Bordrechners und anderem.

Schon die Frage, weshalb die vergleichsweise dünnen Landestützen nicht unter der enormen Masse der 500-Meter-Kugel abknickten, barg genügend Brisanz. Der rötliche Stahl musste von außergewöhnlicher Festigkeit sein. War er molekularverdichtet? Gelegentlich geisterte dieses Schlagwort durch die Entwicklungsabteilungen unserer Raumfahrt. Wann würden wir Menschen in der Lage sein, derartige Raumschiffe zu bauen? Was Perry Rhodan und ich hier erlebten, war unser Gestalt gewordener Traum. Ich zwickte mich kräftig ins Ohrläppchen. Es tat weh, also träumte ich wohl doch nicht.

Perry hatte mein kurzes Zweifeln bemerkt und warf mir einen bedeutungsvollen Blick zu. Er gab sich Mühe, mich weitestgehend aus dem Gespräch mit den Arkoniden herauszuhalten. Nur so erhielt ich Gelegenheit, mir vieles einzuprägen, was sonst in der Aufregung an mir vorübergegangen wäre. Hinterher würde ich Skizzen anfertigen, Beschreibungen, Spekulationen zu Papier bringen. Es juckte mich in den Fingern, die eine oder andere Verkleidung abzulösen und nachzuschauen, was dahinter verborgen lag. Ein Gewirr von Kabeln, Leitungen, Rohren oder nur elektronische Schaltkreise, Computerchips, die leicht zugänglich und austauschbar waren?

Mehr als vier Personen hatten wir noch nicht zu Gesicht bekommen. Zwei Männer dösten in ihren zu Liegen umfunktionierten Sesseln, ohne Perry und mich überhaupt zu registrieren. Verklärt beobachteten sie schnell wechselnde geometrische Figuren auf einer Reihe von Bildschirmen. Auf mich wirkte der Vorgang wie eine psychedelische Gehirnwäsche, aber die Arkoniden gingen darin auf wie New Yorker Kids vor dem Flipper.

»Ein Großteil der Bevölkerung unserer Welten liegt täglich vor den Schirmen und genießt die fiktiven Simulator-Spiele.« Crest sagte es mit bebender Stimme. Seine Bewegungen wirkten hilflos und schwach; er war krank.

Crest – die Arkoniden kannten anscheinend keine Unterscheidung von Vor- und Familiennamen – war sehr hager und überragte Perry um Kopfeslänge. Unter seiner hochgewölbten Stirn lagen zwei Augen von großer Ausdruckskraft, ihre albinotische Rotfärbung strahlte etwas Fremdes und Unwirkliches aus. Dementsprechend war sein Haar fast weiß, wenngleich die samtene Hautfarbe eher an einen Südseeinsulaner erinnerte.

Auf der Erde, in einer x-beliebigen Großstadt und unter schrägen Typen, wäre Crest niemandem aufgefallen. Unbewusst hatte ich es beim Anblick des Raumschiffes zwar gehofft, es aber dennoch für wenig wahrscheinlich gehalten, dass die Fremden menschenähnlich sein würden. Was ihr Äußeres anbetraf, gab es kaum nennenswerte Unterschiede zu uns. Nur die drückende Schwüle und das bläulich schimmernde Licht waren Indizien dafür, dass ihre Welt anders als die Erde sein musste. Vermutlich kreiste der Planet um einen sehr hellen, heißen und blau strahlenden Stern. Warum auch nicht? Ich empfand das bereits als selbstverständlich und vergaß schier, dass wir bis vor wenigen Stunden keine Ahnung von der Existenz außerirdischer Intelligenzen gehabt hatten.

Das ist falsch, berichtigte ich mich. Wir haben sie bewusst ignoriert, weil wir vor einer solchen Begegnung immer zurückschreckten. Gleichzeitig fühlte ich mich wie Alice im Wunderland. Wenigstens ein klein wenig.

Das 500-Meter-Schiff hieß AETRON. Crest bezeichnete es als Forschungskreuzer, der mit fünfzigköpfiger Besatzung aufgebrochen war, um den legendären Planeten des ewigen Lebens zu finden. Nach dem Ausfall des Überlichttriebwerkes hatten sie auf dem Mond notlanden müssen. Das war vor ungefähr vier Monaten gewesen.

»... wie lange gedenken Sie zu bleiben?«, platzte ich heraus.

Crest hustete gequält. Sein Lächeln wirkte wie eine Maske, die seinen wirklichen Gemütszustand verbarg.

»Bilden Sie sich tatsächlich ein, es würde uns leicht fallen, in der Nähe primitiver Kreaturen der Entwicklungsstufe C zu verweilen?«, stieß Thora eisig hervor. Sie war die Kommandantin des Schiffes, hochmütig, eingebildet, arrogant – mir gingen die Adjektive aus, aber ich war überzeugt davon, dass man sie zur Zeit der Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt hätte. Andererseits war sie schön, hochgewachsen, schlank, mit langem weißblondem Haar und goldroten Augen, die leider zuviel Gift verspritzten.

»Wenn Sie uns für derart primitiv halten, warum haben Sie uns dann in Ihr Schiff geholt?«, fragte Perry.

»Das hat Sie nicht zu interessieren.«

Ich ertappte mich dabei, dass ich Miriam mit Thora verglich. Miriam war nicht so aufregend exotisch, aber beileibe nicht so unterkühlt. Ich wusste schon gar nicht mehr, wie es war, sie im Arm zu halten. Bis auf einige wenige Telefonate in den vergangenen Wochen hatten wir uns auseinandergelebt.

»Es geschah auf meine Veranlassung«, erklärte Crest. »Meine Erkrankung erlaubt mir, das Gesetz zu umgehen. Wir dürfen mit unterentwickelten Geschöpfen Kontakt aufnehmen, sobald unsere Existenz ...«

»Ich verstehe«, unterbrach ihn Perry. »Sie benötigen Hilfe. Haben Sie keine Ärzte an Bord, Sir?«

»Es gibt kein Mittel gegen seine Krankheit«, sagte Thora schroff. Das klang endgültig. »Gehen Sie nun! Crest hat Sie gesehen, und damit ist mein Wohlwollen erschöpft.«

In diesen Minuten schrieben wir an Bord des riesigen Kugelraumschiffs Geschichte. Falls man die Schmierenkomödie so nennen konnte. Die Lethargie der Besatzung entpuppte sich als Dekadenz; Crest selbst, wissenschaftlicher Kommandant der AETRON, bestand aus übertriebener Höflichkeit und Zurückhaltung, und die im Vergleich zu ihm junge Frau entpuppte sich als eingebildete Kratzbürste erster Rangordnung.

Langsam, mit einem amüsierten Lächeln um die Mundwinkel, legte Perry Rhodan seinen Helm auf die nächste Konsole.

»Sie weigern sich?«, fragte Crest fassungslos. »Wissen Sie noch immer nicht, mit wem Sie es zu tun haben?«

»Doch, doch, sehr genau! Ich besitze zufällig ein gut funktionierendes Gehirn. Obwohl sich Ihre Kommandantin alle Mühe gibt, diese Tatsache abzustreiten. Es ist unübersehbar, dass ich es mit einem Raumschiff voll Schlafmützen zu tun habe. Schon die beiden Männer da drüben würden auf der Erde zur Behandlung in eine Nervenklinik eingewiesen.«

Das hatte gesessen. Ich sah Thora blass werden und hinter ihr zwei menschenähnliche Maschinen auftauchen. Roboter!

Perry hob die Waffe, die man uns unverständlicherweise gelassen hatte. Sein Finger lag am Druckpunkt.

»Sie wagen es ...?« Thora verkrampfte sich. »Wenn Sie mir nicht sofort aus den Augen gehen, lasse ich Sie vernichten.«

»Nicht nötig. Wir starten mit der STARDUST nach Abschluss aller Reparaturen. Oder ziehen Sie die Möglichkeit vor, uns ein zweites Mal zu begegnen?«

Thora schnaubte zornig: »Ich gestatte nicht, dass Sie den Kreaturen des dritten Planeten von unserer Anwesenheit berichten.«

»Wollen Sie uns verhungern, verdursten und ersticken lassen? Wir können Mondgestein nicht in Wasser und Nahrungsmittel verwandeln; immerhin haben wir eben erst mit der Eroberung des Raumes begonnen.«

Crest stieß einen schrillen Ausruf aus. »Wiederholen Sie das bitte! Womit haben Sie begonnen?«

»Mit der Eroberung des Raumes«, sagte Perry ungerührt. »Was ist ungewöhnlich daran? Eines Tages werden wir ebensolche Riesenschiffe besitzen wie Sie. Wahrscheinlich sogar wesentlich schneller, als Sie jemals für möglich halten.« Er ließ die Waffe sinken, als sich zwischen Crest und der Kommandantin ein hitziger Disput entwickelte.

Das war die idiotischste Situation meines Lebens, und eigentlich hätten wir wirklich verschwinden sollen, solange uns noch Zeit dazu blieb. Aber Perrys Argumente überzeugten mich. Er sah ungeheuerliche Möglichkeiten auf uns zukommen, deren bloße Andeutung irdische Regierungschefs schon in Schreikrämpfe hätte ausbrechen lassen. »... wir stehen hier in Vertretung der Menschheit, und diese Menschheit muss eines Tages groß, einig und stark sein. So sehe ich die Zukunft. Kannst du das nachvollziehen, Bully?«

Und ob ich das konnte. Andererseits hing ich zuallererst an meinem eigenen Leben. Wem half es, wenn ich von einer arkonidischen Energiewaffe getötet wurde, weil Thora sich provoziert fühlte?

Die Kommandantin zog bei dem Streit mit Crest den kürzeren. Wütend verschwand sie in Begleitung ihrer Roboter.

Crest hatte uns Menschen soeben in Entwicklungsstufe D eingereiht und bezeichnete uns als jung, tatendurstig und aufnahmefähig. Er sprach davon, dass seine Rasse früher ebenso eroberungsfreudig, hart und wissenshungrig gewesen sei. Aber schon vor einigen tausend Jahren hatte sich der Niedergang des Tai Ark'Tussan, des Großen Imperiums, abzuzeichnen begonnen. Die Kämpfe um die absolute Macht ließen das Reich immer schneller auseinanderbrechen; mehr als fünfzig raumfahrende Rassen führten fürchterliche Kriege in den Tiefen der Milchstraße. Wir Menschen spürten nichts davon, weil unsere Sonne fern vom Geschehen in einem unbedeutenden Seitenarm der Galaxis lag.

Nach der Notlandung auf dem Mond hatte das Forschungsschiff nicht mehr starten können, weil es keine Ersatzteile gab. Die dekadente Besatzung hatte diese einfach vergessen.

»Wir werden alles anfertigen«, versprach ich spontan. »Zeigen Sie uns, wie es gemacht wird, und Sie bekommen jedes benötigte Werkzeug. Wir holen Ihnen die Sterne vom Himmel, wenn Sie uns nur sagen, was wir dazu brauchen.«

Mit Hilfe eines gewöhnlichen Transportfelds zur Bewegung materiell stabiler Körper hatte Thora die STARDUST von ihrem Landeplatz geholt und neben dem Kugelschiff abgesetzt. Das verdankten wir Crest. Dr. Manoli war ziemlich schnell mit dem arkonidischen Wissenschaftler verschwunden, um ihn eingehend zu untersuchen, während Flipper sich fassungslos in der kreisrunden Zentrale des fremden Riesenraumschiffs umsah.

Perry verhandelte mit Thora. Ihre Macht war wohl überall akzeptiert worden, deshalb reizte Perrys Verhalten sie zur Weißglut. Die beiden redeten über Tauschgüter für Entwicklungswelten: Werkzeugmaschinen mit Vollrobot-Steuerung, tragbare Elementtaster und Schwerkraft-Neutralisatoren ...

»Was haben Sie eigentlich für sogenannte wirkliche Intelligenzbestien?«, forschte Perry. Gleich darauf winkte er ab. »Ich kann es mir vorstellen. Sorgen Sie nur dafür, dass die STARDUST ausgerüstet wird – und vergessen Sie nicht die Spezialgeräte.« Er entsann sich, dass die Nutzlast sechzig Tonnen keinesfalls überschreiten durfte. »Entfernen Sie alles, was sich noch im Laderaum unseres Schiffes befindet! Oder, noch besser, stellen Sie uns eines Ihrer Beiboote zur Verfügung. In einer Stunde erreichen wir damit die Erde.«

»Eine lächerliche Vorstellung ist das«, sagte Thora herablassend. »Wir brauchten nicht einmal fünf Minuten, um genau zu sein. Aber darüber diskutieren wir nicht. Nichts außer Crest und einigen Geräten wird je Ihren Planeten erreichen. Ich leite doch keinen Zoo.«

»Wir wurden von Crest aufgrund unserer Leistungen aufgestuft.«

»Ihr Glück, andernfalls gäbe es keine Grundlage für Verhandlungen. Trotzdem wird kein Beiboot Ihre Welt anfliegen. Ich kann und will die Schaltungen der Bordpositronik nicht löschen. Wir hatten eine andere Aufgabe zu erfüllen.«

»Welche? – Verraten Sie mir das großzügig?«

Thora rümpfte die Nase. »Es genügt, wenn Sie wissen, dass wir nicht auf Ihrem kahlen Mond landen wollten. Auf Ihrer zerstrittenen Welt ebenso wenig. Mein Ziel lag einige Lichtjahre entfernt.«

Doc Manoli kam zurück. Er hatte alle Möglichkeiten unseres Bordlabors ausgereizt und festgestellt, dass Crest an Leukämie erkrankt war. Auf der Erde gab es ein Serum dagegen, es war vor zwei Jahren in Australien entwickelt worden. Die Frage war nur, wie der hagere Arkonide darauf reagieren würde. Eine Heilung war ebenso möglich wie eine Katastrophe.

Zum ersten Mal zeigte Thora den Anflug einer menschlichen Regung.

»Sie wollten wissen, was wir in diesem abgelegenen Raumsektor suchen. Ich sage es Ihnen. Wir Arkoniden sind bestrebt, Leben und Werk unserer großen Geister zu erhalten. Deshalb fliege ich einen Planeten an, dessen Bewohner das Geheimnis der biologischen Zellerhaltung kennen. Crest gehört nicht nur wie ich zur Dynastie Zoltral, er ist unser bedeutendster Wissenschaftler und noch nicht von der allgemeinen Dekadenz erfasst. Retten Sie ihn! Tun Sie alles, was denkbar ist! Ich werde Ihnen jede Unterstützung geben, Major Rhodan. Aber vergessen Sie nicht, dass eine einzige meiner Energiekanonen ausreicht, um einen kleinen Kontinent in einen glutflüssigen Ozean zu verwandeln. Vergessen Sie das niemals!«

Nach vierzehnstündiger Flugzeit tauchte die STARDUST in die obersten Schichten der Erdatmosphäre ein. Als Ursache unseres langen Schweigens meldete Perry einen teilweisen Energieausfall in der Funkanlage. Außerdem schützte er Komplikationen bei den Triebwerksschaltungen vor.

»... nähere Angaben nach der Landung.«

Wir drangen in den Erfassungsbereich der Großstationen Alaska und Grönland ein, aber irgendetwas stimmte nicht. Die Kontrollsymbole über Perrys und meiner Liege zeigten Abweichungen.

Soweit es mit dem Raumanzug möglich war, drehte ich den Kopf. Manoli und Flipper reagierten noch nicht, beide warteten angespannt auf die in wenigen Minuten vorgesehene weiche Landung. Und Crest – er hatte einen Platz auf der Notliege erhalten – wirkte gleichermaßen müde wie gelangweilt.

Beinahe schon andächtig betätigte Perry Rhodan eine Reihe von Kippschaltern. Die Fernsteuerung durch die Bodenkontrolle, seit knapp zwei Minuten aktiv, brach zusammen.

Bremsverzögerung ...

Umlenkungsschub der Steuerdüsen ...

Was hatte er vor? Ich verstand nicht ganz. Wollte Perry die Landung in Nevada Fields hinauszögern?

»Was soll ...?«, begann ich, wurde aber vom Funkempfang unterbrochen.

»Major Rhodan, hier spricht General Pounder«, erklang es aus dem Helmlautsprecher. »Wieso unterbrechen Sie die Fernsteuerung? Rhodan, melden Sie sich! Major ...!«

Ein starres, fast bitteres Lächeln hatte sich um Perrys Mundwinkel eingegraben, als er entschlossen die Funkanlage abschaltete.

»Bist du verrückt geworden?«, schimpfte ich. »Wenn der General das spitzkriegt, kostet dich das deinen Rang – und die Pension dazu. Was hast du vor? Rück endlich raus mit der Sprache, oder ich steige vorzeitig aus!«

Er antwortete nicht. Dafür löste er das Notsignal aus, ein normales, unkodiertes SOS.

Unsere Kursabweichung war extrem. Wenn ich mich nicht täuschte, überflogen wir soeben die nordsibirische Taimyr-Halbinsel.

»Weißt du, was die aus uns machen werden?«, schimpfte ich los. »Kleinholz machen die. Dort unten heulen längst die Alarmsirenen, und sobald die Abfangjäger aufsteigen, gute Nacht. Die STARDUST ist das gefundene Fressen für die Föderation. Pounder wird sich das nicht gefallen lassen. Willst du einen Weltkrieg anzetteln, Perry?«

Sibirien lag unter uns. Südkurs.

Die STARDUST war in den Gleitflug übergegangen. Der Reibungswiderstand an den Deltatragflächen zehrte die immer noch hohe Geschwindigkeit weiter auf. Wir zogen einen deutlichen Schweif ionisierter Gase hinter uns her.

Nordchina. Die Wüste Gobi.

Einigermaßen sanft landete Perry die STARDUST auf dem steinigen Gelände nahe dem Goshun-See inmitten der wilden Zentral-Gobi, unweit der mongolischen Grenze. Unsere Position betrug etwa 42 Grad nördlicher Breite und 102 Grad östlicher Länge. Dies war eindeutig Hoheitsgebiet der Asiatischen Föderation.

»Verräter!«, brüllte Captain Flipper und wollte sich auf den Kommandanten stürzen; er erstarrte, als er unvermittelt in Rhodans Waffenmündung blickte. Ich wäre der einzige gewesen, der Perry noch hätte in den Arm fallen können – aber ich tat es nicht. Vielleicht weil ich spürte, dass endlich Bewegung in die Weltgeschichte kam.

»Wir sind zu Hause«, seufzte der Major. »Warum willst du jetzt noch dein Leben riskieren, Flipp?«

»Zu Hause? Hast du wirklich zu Hause gesagt?« Nur die auf ihn gerichtete Waffe hielt Flipper zurück. »Du schmutziger Verräter hast das Schiff in Asien gelandet. Wie lange war das schon geplant? Du willst die STARDUST den Chinesen ausliefern, beste Technik der U.S. Space Force. Und wie viel bekommt der Starpilot für die Drecksarbeit? Sag's mir, danach kannst du mich erschießen. Das würdest du doch ohnehin gern tun. Ein Mitwisser weniger wäre gut für dich, oder?«

»Halt die Luft an!«, stieß Perry ärgerlich hervor. »Wenn du gehen willst, bitte, ich halte dich nicht zurück. Das gilt für jeden von euch.«

»Und warum bist du wirklich hier gelandet?« Irgendwie musste ich der Situation die Brisanz nehmen, bevor sie endgültig eskalierte. Ich ahnte vage, was Rhodan beabsichtigte, und mir war klar, dass er niemals Verrat üben würde. Zudem konnte ich mich nicht entsinnen, dass er jemals etwas grundlos getan hatte.

»Die STARDUST ist gänzlich unbedeutend«, behauptete er. »Die maßgeblichen Köpfe in Moskau, Peking und Washington glauben zwar, sie wäre ein Weltwunder, aber wenn sie wüssten, was wir auf dem Mond gesehen haben, würden sie anders denken. Nur Crest zählt. Er ist der Vertreter einer weit überlegenen Wissenschaft, in seinem Gedächtnis sind Wunder verborgen, die unsere Raumfahrt von heute auf morgen mindestens fünf Jahrtausende überspringen lassen. Es wäre der größte Fehler aller Zeiten, ihn einer einzigen Nation auszuliefern.«

»Das mag ja gut gedacht sein ...«, begann Dr. Manoli, eine harsche Handbewegung Rhodans schnitt ihm das Wort ab.

»Es geht um die Einheit auf unserer Erde. Für mich sind alle Menschen gleich, egal welche Hautfarbe, welchen Glauben und welche Ideologie sie haben. Die ewig in die Irre Geleiteten werden endlich erwachen und diejenigen, die ohnehin gutwillig sind, sich aber nie durchsetzen konnten, werden Grund haben, aufzuatmen. Wären wir in Nevada Fields gelandet, wäre Crest bereits isoliert und ein Gefangener im Hochsicherheitstrakt. Niemand würde sich darum kümmern, ob er krank und hilfsbedürftig ist. Es ginge nur noch darum, ihm sein Wissen zu entreißen und es gegen die anderen Nationen einzusetzen. Unter dem Deckmantel der Selbstverteidigung natürlich.«

»Edel und gut sei der Mensch«, zitierte ich seufzend. »Dir ist hoffentlich bewusst, dass es auch hier in längstens einer Stunde sehr heiß hergehen wird. Alle werden sich auf uns einschießen.«

»Sollen sie. Genau hier, in der Wüste, wird in der Zukunft eine riesige Metropole stehen. Hier werden eines Tages überlichtschnelle Raumschiffe gebaut und wird der Kern für eine geeinte Menschheit geschaffen werden.« Er schaute mich auffordernd an. »Wie entscheidest du dich, Bully?«

Entweder war er verrückt geworden – oder ein Visionär. Ich lachte gepresst. Die freie Entscheidung hatte er mir doch längst abgenommen. Vielmehr: Ich hatte mich schon entschieden, andernfalls wäre es meine verdammte Pflicht gewesen, ihn von der Landung in Asien abzuhalten – wenn es sein musste, mit Gewalt.

»Die Menschen meinen es nicht immer nur böse«, antwortete ich, »sie schauen lediglich auf ihren Vorteil. Aber du hast recht, es ist besser, dass Crest ein freier Mann bleibt.«

»Ich habe darum gebeten, mich keinesfalls einer staatlichen Organisation auszuliefern«, wandte der Arkonide ein, der den Wortwechsel aufmerksam verfolgt hatte. »Major Rhodan hat diesen Landeplatz auf mein Verlangen hin ausgewählt.«

»Wie wollen Sie sich schützen?«, schrie Flipper außer sich. »Das ist doch alles nur fauler Zauber. Als Offizier der Space Force habe ich einen Eid auf die Verfassung geschworen und ...«

»Das habe ich ebenfalls, aber unter den gegebenen Umständen bin ich nur noch Mensch und keiner Landesverfassung mehr verpflichtet. Künftig sind wir gezwungen, in kosmischen Maßstäben zu denken. Oder hast du noch immer nicht begriffen, wie unsagbar lächerlich unsere planetaren Streitigkeiten sind, verglichen mit der Macht des Großen Imperiums? Die Fremden sprechen nur von der dritten Welt des solaren Systems, keinesfalls von irgendeiner Nation. Aus galaktischer Sicht sind wir Erdbewohner, keine Amerikaner, Russen, Chinesen oder Deutsche. So einfach ist das.«

»Das hättest du uns schon auf dem Mond erzählen müssen, Alter«, schimpfte ich. »Ich habe doch gespürt, dass da irgendein Geheimnis war. Aber okay, sei's drum. – Crest, ehe uns die ersten Truppeneinheiten die Hölle heiß machen, müssen Sie sich um einen realen Schutz bemühen. Gute Worte allein halten keine einzige Kugel ab.«

Wir öffneten die Schleuse und atmeten die heiße und trockene Wüstenluft, die dem Arkoniden gutzutun schien. Im Augenblick lag eine fast überirdische Stille über diesem Teil der Wüste – nur, für wie lange noch?

Im Laderaum der STARDUST begann ein rätselhaftes Aggregat der Arkoniden zu summen. Vorübergehend erschien es mir, als würde ein hauchfeiner Schleier den Blick zum Horizont trüben. Aber das waren einfach die überreizten Nerven. Mit beiden Händen massierte ich meine Schläfen.

Hoch im strahlenden Blau des Himmels zogen zwei silberne Punkte ihre schnelle Bahn, die ersten Jäger der Asiatischen Föderation.

Den klobigen Raumanzug hatte ich abgelegt. Gedankenverloren tastete ich über die Schulterstücke meiner Kombination, hakte die Finger ein und riss beide Rangabzeichen ruckartig herunter. So, wie es vor einigen Minuten Perry Rhodan vorgemacht hatte.

Zwei Fetzen Stoff und ein bisschen glänzendes Metall – was war das schon? Ich ließ die Schulterstücke fallen und schaute zu, wie der Wind sie über den karstigen Boden verwehte.

Zum ersten Mal im Leben fühlte ich mich wirklich frei.

Vermutlich ein trügerisches Gefühl ...

PERRY RHODAN-Kosmos-Chroniken: Reginald Bull

Подняться наверх