Читать книгу PERRY RHODAN-Kosmos-Chroniken: Reginald Bull - Hubert Haensel - Страница 12
Im Mahlstrom der Sterne
Оглавление17. August 3580
Imperium-Alpha war seit Jahrhunderten das Nervenzentrum des menschlichen Sternenreichs. Dabei kam dem Namen an sich keine andere Bedeutung zu als die einer der beliebten Kodebezeichnungen militärischer Ränge. Perry Rhodan hatte stets darüber gelächelt, Bully selbst sich immer mit einem Achselzucken darüber hinweggesetzt.
»Lasst den Militärs ihr Spielzeug«, hatte er gesagt, »dann kommen sie wenigstens nicht auf den Gedanken, anderes kaputtzumachen.« Reginald Bull war eben geradeheraus, mitunter launig, manchmal derb. Er ließ sich nichts aufzwingen, und daran hatte sich in den sechzehn Jahrhunderten seit der Mondlandung der STARDUST herzlich wenig geändert.
Der Rauch im Antigravschacht reizte zum Husten. »Ich hoffe«, stieß Reginald Bull schwer atmend hervor, »du hast wenigstens einen guten Wein kalt gestellt.«
»Hätte ich das tun sollen?«, gab der Roboter zurück.
»Nein, natürlich nicht. Nimm nicht alles wörtlich, Breslauer.« Bully reagierte gereizt. Nach dem ersten Entsetzen spürte er die Abgründe, die sich aufgetan hatten. Aphilie – die Verwandlung fühlender Menschen in kalte Kreaturen, die weder Mitleid noch Nächstenliebe kannten und erschreckenden Gesetzmäßigkeiten gehorchten.
Bis zu diesem Tag hatte er selbst dazugehört, war nichts anderes gewesen als ein funktionierender Roboter aus Fleisch und Blut und hatte nie die Möglichkeit besessen, die Veränderung an sich selbst einzugestehen. Die anderen, die als verrückt bezeichnet wurden, waren die Normalen, weil sie immer noch leben, lieben und lachen konnten. Doch ihre Zahl schrumpfte schnell.
Reginald Bull spürte Tränen in den Augenwinkeln. Er zwinkerte, kniff die Augen zu und wischte letztlich mit dem Handrücken über sein Gesicht.
»Du weinst?«, fragte Breslauer.
Was ging es den Roboter an, wie er sich fühlte? »Es ist der Qualm«, log Bully. »Er beißt in den Augen. Sieh endlich zu, dass wir hier wegkommen ...«
... ehe wir gezwungen sind, Aphiliker zu töten, schoss es ihm durch den Sinn. Die Menschen konnten nichts dafür, dass sie so geworden waren und die wenigen Immunen verfolgten. Als Ursache allen Unheils galten fünf- und sechsdimensionale Strahlungskomponenten der Sonne Medaillon, die Erde und Mond seit rund 120 Jahren umkreisten. Dagegen gab es kein Mittel ...
Bull brauchte Kontakt zur OGN, der Organisation Guter Nachbar, der Immunengruppe auf Borneo. Der 17. August des Jahres 3580 würde eines Tages als Beginn der Befreiung in den Annalen der Geschichte Einzug halten. Sofern er es schaffte, lebend aus Imperium-Alpha zu entkommen. Er hatte dieses gigantische Nervenzentrum wachsen und sich ausdehnen sehen, er kannte besser als jeder andere das verschachtelte Gewirr aus Tiefbunkern und Kommandozentralen, Liften, Transportbändern und Rohrbahnschächten. Die Grundfläche der obersten Etage maß fünfzig mal fünfzig Kilometer, zwölf Hauptetagen waren angelegt, und die Räumlichkeiten reichten tief in die Erde hinab.
Terrania City wurde als das Herz des Solaren Imperiums bezeichnet, gewachsen in der Wüste Gobi, rund um den Goshun-Salzsee. Folglich war Imperium-Alpha so etwas wie die Seele. Hier hatte mit der Landung der STARDUST die neue Geschichte der Menschheit begonnen. Bis vor wenigen Jahrzehnten hatten Denkmäler und Kunstwerke die Vergangenheit wach gehalten, die meisten waren mittlerweile von den Aphilikern geschleift worden.
Fabriken für die autarke Lebensmittelversorgung fanden sich ebenso in den ausgedehnten Tiefbunkern wie mächtige Kraftwerke zur Deckung des immensen Energiebedarfs. Gestaffelte Schutzschirme riegelten Imperium-Alpha bei Bedarf ab, die ausfahrbaren Panzerforts verfügten über eine Feuerkraft, wie sie sonst nur von zweihundert Großkampfschiffen aufgebracht werden konnte. Oft genug in der Geschichte des Solaren Imperiums hatte sich die Notwendigkeit dieser Riesenanlage mit ihrem weitreichenden Hyperfunksender, dem Giganttransmitter und den umfangreichen Nachschublagern erwiesen.
In den Gängen, Hallen und Schächten, den Zwischendecken und Leitungskanälen konnten sich ganze Kompanien verbergen, und die Suche nach ihnen würde Wochen dauern. Um wie viel schwieriger musste die Jagd nach einer einzelnen Person ausfallen, die noch dazu von sich behaupten konnte, die unterirdischen Anlagen fast wie die eigene Westentasche zu kennen. Reginald Bull dachte indes nicht daran, sich zwischen Frischwassertanks und Aufbereitungsanlagen, im Ortungsschutz von Energiewandlern oder in Wartungsschächten zu verbergen, deren einziger Sinn offenbar darin bestand, vorhanden zu sein.
Das Schicksal hatte in Gestalt seines persönlichen Roboters Breslauer eingegriffen und die Fehlfunktion des Zellaktivators korrigiert. Eine leichte Schwingungsstörung des lebenserhaltenden Gerätes hatte ihn zum Aphiliker werden lassen, während die anderen Unsterblichen verschont geblieben waren. Lange Zeit hindurch hatte er geglaubt, die reine Vernunft empfangen zu haben; er hatte schon zu Anfang die Macht an sich gerissen und die Freunde aus besseren Tagen vor die Wahl gestellt: Hinrichtung oder lebenslange Verbannung von der Erde.
Alles, was geeignet gewesen wäre, auch in Zukunft Probleme zu bereiten, war mit einem geschickten Schachzug bereinigt worden. Die »Gruppe Rhodan«, mehr als eintausend Männer und Frauen, Terraner und Nichtterraner, unter ihnen die Mutanten ebenso wie einfache Immune, hatte am 10. Juli des Jahres 3540 für immer die Erde verlassen. Keinem war ein Haar gekrümmt worden. Das hatte jene Massen beruhigt, denen damals noch nicht die Gnade der reinen Vernunft zuteil geworden war und die eine endgültige und sofortige Beseitigung des Sicherheitsproblems niemals gutgeheißen hätten.
... endgültig und sofortig. Angewidert verzog Reginald Bull das Gesicht. Das war die Terminologie der Lieblosigkeit, deren er sich bedient hatte, ohne ihre Perversion überhaupt zu begreifen.
Er war froh, dass Breslauer ihm endlich die Augen geöffnet hatte. Homo sapiens hatte schon viel erdulden müssen, aber dieser Wahnsinn, der sich tagtäglich von neuem manifestierte, war unbeschreiblich.
Vor weniger als dreißig Minuten hatte Reginald Bull noch an der Spitze der Aphiliker gestanden, war ihr Bruder-eins gewesen und hatte für die Erde eine neue Zeitrechnung eingeführt. Die Zeit der Lieblosigkeit – welche Ironie schwang für ihn jetzt darin mit. Aber endlich würde er das tun, was er immer schon getan hatte: die Ärmel hochkrempeln und kämpfen. Für alle Menschen, für eine lebenswertere Zukunft. Und dafür, dass die Erde eines Tages an ihren angestammten Platz in der Milchstraße zurückkehren konnte.
Ihm war bewusst, dass er fast allein stand.
Perry Rhodan und die anderen galten als verschollen und tot. An Bord des größten Fernraumschiffes, das Menschen je gebaut hatten, waren sie in den Tiefen des unbekannten Universums verschwunden. Ich wollte es so, dachte Bull betroffen. An dieses Raumschiff klammerten sich die Hoffnungen all jener Unbelehrbaren, die das Heil der Menschheit ausschließlich in der Rückkehr in die heimische Milchstraße sahen.
Ohne die SOL täglich vor Augen, waren die gefühlsmotivierten Schwärmer bald verstummt und ebenfalls zu Kindern der Vernunft geworden. Niemand spekulierte noch, dass Rhodan nichts Eiligeres zu tun gehabt hatte, als die Milchstraße anzufliegen, die versprengten Reste der Menschheit zu einen und sie zu einem Kreuzzug gegen die aphilischen Machthaber auf der Erde ins Feld zu führen. Die SOL war in Vergessenheit geraten. Auch Reginald Bull hatte kaum mehr an das Hantelschiff aus hellrotem, zugleich einen blassblauen Schimmer ausstrahlendem Ynkelonium-Terkonit-Verbundstahl gedacht. Zweieinhalbtausend Kilometer durchmaßen die beiden Kugelzellen, jede ein eigenständiges Superschlachtschiff. Miteinander verbunden gewesen waren die SOL-Zellen 1 und 2 durch ein zylindrisches Gebilde, gleichsam den Mittelstab der Hantel, mit einer Länge von eintausendfünfhundert Metern und identischem Durchmesser.
Reginald Bull wusste, dass nie Hilfe aus der Milchstraße eintreffen würde. Er hatte dafür gesorgt, dass alle galaktischen Positionsdaten aus den Speichern der SOL und ihrer Beiboote gelöscht worden waren. Wenn er etwas tat, machte er es gründlich und ohne Kompromisse.
»Kampfroboter!«, meldete Breslauer. Es war zu spät, den Antigravschacht durch den nächsten Seitenausstieg zu verlassen ...
Die beiden in der Tiefe erschienenen TARA-III-UH eröffneten kompromisslos das Feuer. Eine Flammenwand hüllte die Flüchtlinge ein, lichtschnell und absolut tödlich und selbst für das geübte Auge kaum zu erfassen. Das Aufblitzen der Waffenmündungen wurde im selben Sekundenbruchteil zum alles umfassenden glühenden Wabern. Doch der Tod kam nicht an Bully heran, das Feuer floss an einer unsichtbaren energetischen Wand auseinander. Er hätte nur den Arm auszustrecken brauchen, um den hochgespannten, das Inferno absorbierenden Schutzschirm zu berühren. Noch atmete er kühle Luft, aber die Thermostrahlen heizten den Schacht auf, und Breslauer war alles andere als ein Kampfroboter, der den entfesselten Gewalten lange widerstehen konnte. Die bereits düster-rot glühende Schachtwand begann blasenwerfend abzuschmelzen.
Punktbeschuss. Die Thermostrahlen der Angreifer vereinigten sich auf dem Schutzschirm. Ungläubig registrierte Reginald Bull die beginnende Verfärbung des Abwehrfeldes; Strukturrisse begannen sich abzuzeichnen, verzweigten sich, griffen die energetische Struktur an.
»Weg hier!«, hörte er sich brüllen, aber Breslauer reagierte nicht.