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Im Mahlstrom der Sterne

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17. August 3580

Wenn er es recht bedachte, hatte er vierzig Jahre verloren ...

... und nun floh er an der Seite seines »halb verrückten« Privatroboters quer durch Imperium-Alpha – »verrückt« insofern, als Breslauer die zurückgewonnene Freiheit mit riskanten Winkelzügen wieder aufs Spiel setzte.

Ein verwirrendes Konglomerat lange entbehrter Gefühle stürzte in diesen Minuten auf Reginald Bull. Vierzig Jahre an sich bedeuteten für einen potentiell Unsterblichen wie ihn wenig, sie waren kaum mehr als ein kurzer Abschnitt im Fluss der Zeit. Ob aufregend oder nicht, Bully zählte Jahrzehnte im allgemeinen wie andere Leute die Tage, dennoch sah er sich selbst nicht als etwas Besonderes – so überheblich war er nie gewesen und würde es niemals sein. Mitunter empfand er die Unsterblichkeit eher als Last denn als Lust, und denen, die ihn früher stets beneidet hatten, hätte er gerne entgegengehalten, sie sollten sich nur einige wenige Jahrzehnte lang mit dem psychischen Ballast abquälen, der sich unvermeidbar ansammelte. Freunde, Verwandte, geliebte Menschen altern und sterben zu sehen, während man selbst sich nicht veränderte, nicht einmal ein graues Haar bekam, das waren Erfahrungen, die sich in steter Folge wiederholten und jedes Mal tiefe Narben hinterließen.

Hin und wieder hatte Reginald Bull geglaubt, den Punkt erreicht zu haben, an dem er es nicht mehr aushalten konnte, an dem ihm die eigene Haut endgültig zu eng geworden war wie ein Panzer, der ihm die Luft abschnürte und sich als schrecklichstes aller Gefängnisse erwies. Doch er hatte gelernt, dass es besser war, zu schweigen und den Frust in sich hineinzufressen, weil er überall nur auf Unverständnis gestoßen wäre: beim normalen Bürger mit seinen annähernd einhundertundfünfzig Jahren Lebenserwartung ohnehin, aber ebenso bei den anderen Zellaktivatorträgern, denen das Schicksal wie ihm zur Unsterblichkeit verholfen hatte. Reginald Bull war überzeugt davon, dass auch sie ihre typisch menschlichen Regungen unterdrückt hatten. Es konnte gar nicht anders sein.

Was immer Menschen sich erträumten, besaß für sie nur so lange unschätzbaren Wert, wie es ein Traum blieb.

Hatte ihm Schlimmeres geschehen können als die Realisierung seiner Träume? Bully stieß ein unwilliges Schnaufen aus. Die Achterbahn der Empfindungen drohte ihn mitzureißen. Er musste gerade jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Vierzig Jahre hatte er ohne Gefühle gelebt und nur die Logik in den Vordergrund gestellt, doch plötzlich war alles wieder da: Liebe, Hass, Sehnsucht und Trauer.

Warum habe ich diesen Irrsinn unterstützt?, hämmerte es unter seiner Schädeldecke – ein pochender Schmerz, der sich tief in seine Seele einbrannte.

Die Menschheit stand am Rand eines Abgrunds und war unfähig, das nahende Ende zu erkennen. Aphilie – ein Kunstwort, das frei definiert soviel wie »Lieblosigkeit« bedeutete, bezeichnete den Zustand und die Geistesverfassung. Die Erde ähnelte einem totalitären Ameisenstaat, in dem das Individuum nur zweckbedingt und nach rein logischen Grundsätzen handelte.

»Warum?«, stieß Reginald Bull keuchend hervor. Einen Augenblick lang hielt er inne und lauschte in die Stille der Korridore und Gänge, Liftschächte und Rohrbahntunnels. »Sag mir, warum Menschen so reagieren!«

Wie nahe waren die Verfolger? Sie würden ihn töten, sobald sie seiner habhaft wurden; sie mussten es tun, denn das verlangte die Logik. Selbst Maschinen handelten menschlicher als diejenigen, die sie erschaffen hatten.

Wie ein Fels in der Brandung hatte sich Reginald Bull gefühlt, doch jäh erkannt, dass er nichts anderes gewesen war als ein glattgeschliffener Kiesel, den die Wogen des Schicksals mitgerissen hatten. Alles in ihm befand sich nun in Aufruhr; in den Schläfen pochte das Blut, Hitze durchtobte die Adern, und sein Magen rebellierte ohnehin, seit er das eigene Versagen erkannt hatte.

Vergeblich stemmte er sich gegen den metallenen Koloss, der ihn unnachgiebig an die Schachtwand presste – zu seinem Schutz zweifellos, aber damit wollte Bully sich nicht abfinden. Wut und Zorn mischten sich mit grenzenloser Enttäuschung, und was er absolut nicht vertragen konnte, war das Empfinden, in jeder Hinsicht auf den Roboter angewiesen zu sein. Die Springflut lange entbehrter Gefühle erstickte ihn schier.

»Ich kann gut auf mich allein aufpassen.« Seine Stimme versagte vor Aufregung, und nur ein Stöhnen rang sich über seine Lippen, denn in dem Moment zündete die Bombe, die der Roboter in den abgeschalteten Antigravschacht geworfen hatte.

Die Explosion war wie ein kleiner Weltuntergang und schien Bulls Trommelfelle zu zerreißen. Der grelle Lichtblitz fraß sich durch seine krampfhaft geschlossenen Lider hindurch und blendete ihn.

Breslauer sagte etwas. Wahrscheinlich mit großer Lautstärke, doch für Reginald Bull blieben die Worte ein unverständliches fernes Murmeln. Dafür konnte er, mühsam blinzelnd die klebrige Nässe unter den Lidern vertreibend, im Antigravschacht dichte Rauchschwaden erkennen. Wie ein alles verschlingender Moloch quollen sie heran. Es stank erbärmlich nach schmorenden Kunststoffen und Ozon, eine Mischung, die Bullys Magennerven nicht zur Ruhe kommen ließ.

Der Roboter raste mit ihm in die Tiefe. Die schnelle Abwärtsbewegung war Gift für Bulls ohnehin lädiertes Befinden. »Wir werden am Boden zerschmettern«, stieß er hustend hervor.

Die Antwort fiel ähnlich unverständlich aus wie zuvor.

»Ich bin taub!«, ächzte Bull. »Das muss es wohl sein.«

Der Roboter reagierte in keiner Weise. Fetter schwarzer Qualm hüllte sie beide ein. »Ich bin taub und blind!«, fügte Reginald Bull hinzu. Jeder Atemzug wurde zur Qual. »Verdammt, kümmert es dich überhaupt nicht mehr, was mit mir ...?«

Seine Haarstoppeln sträubten sich. Schier übermächtig wurde das Empfinden, aus nächster Nähe angestarrt zu werden.

Aber das war unmöglich! Breslauer hatte alle Überwachungsanlagen desaktiviert. Zudem war der Rauch so dicht, dass Bull selbst kaum die Hand vor Augen sehen konnte.

Das Unbehagen blieb nicht nur, es wuchs sogar an. Wie Nadelstiche spürte Reginald Bull die fremden Blicke. Sie sezierten ihn ...

Er spannte die Muskeln an und ballte die Hände zu Fäusten. Die Brauen zusammengekniffen, das Kinn trotzig vorgereckt, versuchte er, mehr als nur wogende Schemen in der Schwärze zu erkennen.

Die Zeit war längst stehengeblieben, sie dehnte sich endlos. Nur dieses verdammte Brennen unter der Schädeldecke wurde immer intensiver.

Wer bist du?, fragten Bulls Gedanken.

Er erhielt keine Antwort.

Was willst du von mir?

Nichts. Absolute Stille, einzig und allein durchbrochen vom Knistern schwelender Kunststoffe.

Die quälende Leere in ihm wuchs. Reginald Bull redete sich das nicht nur ein. Nicht nach sechzehn langen Jahrhunderten, in denen er Erfahrungen gesammelt hatte, die anderen Menschen für ewig verwehrt blieben. Sie waren nur eine Handvoll Auserwählte, denen die Unsterblichkeit zuteil geworden war, doch das Schicksal hatte ihnen zugleich übel mitgespielt.

Auserwählte. – Das Wort besaß einen schalen Beigeschmack. Jeder, der zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort gewesen wäre, hätte die Unsterblichkeit erlangen können, das war kein besonderes Verdienst. Der richtige Zeitpunkt war die Woche nach dem 19. Juni des Jahres 1971 gewesen und der Ort eindeutig der irdische Mond.

Reginald Bulls Gedanken schweiften zurück. Nichts hatte er vergessen, seine Erinnerungen lagen nur unter dem Ballast von eineinhalbtausend Jahren vergraben, den es wegzuräumen galt. Dieser Ballast barg einen Hauch von Nostalgie und die Hoffnung auf eine bessere Zeit.

Nahm der Antigravschacht gar kein Ende?

Gehetzt blickte Bull um sich. Er war so verdammt hilflos, auf Gedeih und Verderb dem Roboter ausgeliefert, der nichts von alldem wahrhaben wollte. Immer noch wurde er von irgendwoher angestarrt, aber plötzlich entsann er sich, woran ihn dieses Prickeln unter der Schädeldecke erinnerte.

Es war wie damals, als er auf dem Mond den notgelandeten Kreuzer der Arkoniden vor sich gesehen hatte. Sein Staunen und sein Aufbegehren würde er nie vergessen.

Die Erinnerung schlug über ihm zusammen ...

PERRY RHODAN-Kosmos-Chroniken: Reginald Bull

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