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Reginald Bull, potentiell Unsterblicher

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1975 und 1976

Weihnachten 1975. Wieder ein Christfest, das ich nicht zu Hause im Kreise der Familie verbrachte. Ich dachte an Mutter, Schwester und die anderen Verwandten, die jetzt im Häusermeer New Yorks den Plastikbaum aus der längst verschlissenen Schachtel hervorzogen und mit Wachskerzen, Zuckerstangen und Marzipankringeln behängten. Wie gerne wäre ich an diesem Tag zu Hause gewesen und nicht irgendwo in der Milchstraße, ungefähr zweieinhalbtausend Lichtjahre von der Erde entfernt. Eigentlich eine unvorstellbare Entfernung.

Vorübergehend spielte ich mit dem Gedanken, den Bordrechner anzuweisen, mir die heimische Sonne auf den Zentralbildschirm zu holen. Das Licht, das ich dann zu sehen bekam, hatte Sol vor zweieinhalb Jahrtausenden ausgesandt, zu einer Zeit, da Jesus Christus noch nicht geboren und in Griechenland durch gleiches Recht für alle Staatsbürger die Demokratie geschaffen worden war. In China hatte zu jener Zeit Kung-tse, wir nannten ihn Konfuzius, seine religiös vertiefte Ethik begründet, den Glauben an menschliche Humanität und Sittlichkeit.

Mit einem neuen Schiff, der STARDUST II, waren wir auf dem einzigen Planeten einer einsamen, sterbenden Sonne gelandet, den wir Tramp nannten. Minus fünfzehn Grad Celsius zeigten die Außenthermometer. So kalt war es in New York bestimmt nicht. Die Wetterkontrolle würde lediglich Werte um den Gefrierpunkt zulassen.

Tramp wirkte marsähnlich. Drei Viertel der Oberfläche bestanden aus roten Wüsten. Es gab keine Ozeane, die Vegetation war spärlich genug, und die höchsten Erhebungen stiegen sanft ein paar hundert Meter weit an. Längst hatte die Erosion markante Strukturen nivelliert. Dieser Planet lag im Sterben, und die Suche nach Leben, das größer war als im Sand verborgene Mikroben, erübrigte sich wohl.

Dennoch hatte eine Reihe rätselhafter Botschaften uns zu diesen Koordinaten geführt.

Am 29. Juli 1972 war Perry in seiner Eigenschaft als erster Präsident der Dritten Macht mit einem persönlichen Appell an alle Regierungen der Erde herangetreten, eifersüchtige Eigenbröteleien zu unterlassen. Die Bedrohung durch die Individualverformer war unmissverständlich gewesen – wir Menschen standen im Begriff, uns der galaktischen Völkerfamilie anzuschließen, doch auf diesem Weg lauerten ungeahnte Gefahren ebenso wie die Erkenntnis, dass nur eine geeinte Menschheit eine Chance haben konnte.

»... unser Weg ins All ist weit und dunkel«, hatten die Medien Perry Rhodan zitiert. »Jeder muss mithelfen, diesen Weg mit sicherem Schritt zu finden!«

Nicht einmal drei Jahre hatte es gedauert, die Vision unserer Stadt der Zukunft zu verwirklichen. In der Wüste Gobi war Galakto-City entstanden, mit zweihundertunddreißigtausend Einwohnern bereits, die sich aus allen Nationen der vereinten Erde zusammensetzten; Industrieanlagen; Raumschiffswerften und nicht zuletzt Raumhäfen, die schon heute für eine größere Anzahl von Raumschiffsgiganten Platz boten. Für all dies trug ich als Sicherheitsminister die Verantwortung – ein schöner Titel, doch so richtig wohl fühlte ich mich nicht.

Am 25. Mai 1975 hatten wir schwere Erschütterungen des Raum-Zeit-Kontinuums angemessen, hervorgerufen durch die Materialisation von einhundertzwanzig großen Raumschiffen aus dem Überlichtflug. Ausgangspunkt der Schockwellen war das Wega-System gewesen, das mit siebenundzwanzig Lichtjahren Entfernung nach kosmischen Maßstäben vor der Haustür unseres Sonnensystems lag. Da eine Entdeckung der Erde zu befürchten stand, hatten wir uns entschlossen, frühzeitig zu handeln.

Zum ersten Mal war das Überlichttriebwerk der GOOD HOPE eingesetzt worden. Natürlich konnte irdische Mathematik die Überwindung der Lichtgeschwindigkeit nicht erfassen. Für uns ebenso gewöhnungsbedürftig war der Wahnsinnswert von 500 Kilometern pro Sekundenquadrat, mit dem der Kugelraumer beschleunigte. Rein rechnerisch bedeutete das ein Erreichen der Lichtgeschwindigkeit nach läppischen zehn Minuten.

»Schade, dass der gute Albert Einstein das nicht mehr erleben durfte«, hatte ich nach unserer ersten Transition festgestellt. Inzwischen waren wir daran gewöhnt. Transition bedeutete, den Körper zu verlieren, nicht mehr aus Fleisch und Blut zu existieren, sondern für eine nicht messbare Zeitspanne als überdimensional-energetische Schablone, eine gigantische Datenfülle, die am Zielort Atom für Atom wieder zusammengebaut wurde, angefangen von der großen Zehe bis hin zur letzten Haarwurzel. Oder umgekehrt. Das interessierte noch wenig. Wichtig war doch nur das Ergebnis, dass jeder von uns hinterher wieder er selbst war, dass alles richtig zusammengesetzt und alle Körperteile genau da waren, wo sie hingehörten.

Im System der Wega hatte eine Raumschlacht zwischen den dort heimischen Ferronen und den echsenartigen Topsidern getobt, die ebenso wie die Individualverformer dem Notruf des zerstörten Arkonidenkreuzers gefolgt waren. Bei den Positionsberechnungen musste den Echsen indes ein lächerlich kleiner Fehler unterlaufen sein, der die Erde vor einem schlimmen Schicksal bewahrt hatte.

Natürlich hatten wir auf Seiten der Verteidiger eingegriffen. Erst ein unerwartet materialisierendes arkonidisches Schlachtschiff der Imperiums-Klasse, ein achthundert Meter durchmessender Gigant, hatte der GOOD HOPE schwere Schäden zugefügt und uns zur Notlandung gezwungen.

Irgendwie bewegte mich auch jetzt, fast ein halbes Jahr später, noch ein eigenartiges Gefühl der Hochstimmung. Die Echsen hatten den Arkoniden den 800-Meter-Kugelraumer geklaut – wir hatten den topsidischen Flottenadmiral »überredet«, sein Flaggschiff von der Besatzung räumen zu lassen. Für solche Bubenstücke war ich immer zu haben.

STARDUST II hatten wir unser erbeutetes Schiff nicht ohne Stolz getauft. Und nun stand der Koloss auf einer kahlen und kalten Wüstenwelt, vielleicht dem Endpunkt der Suche nach dem Planeten des ewigen Lebens.

Vor zehn oder zwölf Jahrtausenden hatten die Ferronen Schiffbrüchigen geholfen, die angeblich länger als die Sonne lebten. Jene Unbekannten hatten eine rätselhafte Spur hinterlassen. »Finde die Welt, auf der die Koordinaten liegen. Wisse, dass du nicht heimkehren kannst, wenn du den rechten Weg nicht kennst. Weit ist dein Ziel!« Diese Worte waren der bislang letzte Hinweis.

In meiner Studienzeit hatte ich einige Vorlesungen in Philosophie belegt. Obwohl ich schon immer eher praktisch veranlagt gewesen war, mit einer unbestreitbaren Vorliebe für alles, was man anfassen konnte. Mit dem Schweißapparat konnte ich ebenso gut umgehen wie mit Trennscheiben – Arbeiten, die mittlerweile Roboter in unermüdlicher 24-Stunden-Schicht erledigten. Auch mein Elektronikstudium war meilenweit neben den Geisteswissenschaften angesiedelt gewesen. Trotzdem sah ich in dieser letzten Botschaft etwas sehr Prägnantes, vor allem empfand ich ihre Logik als äußerst bestechend. Um nicht zu sagen, ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass uns jemand gehörig auf den Arm nahm.

In New York fiel jetzt Schnee, die Wetterkontrolle hatte weiße Weihnachten angekündigt. Abrupt fuhr ich mit meinem Kontursessel herum. »Wisst ihr, was ich vermisse, Leute?«, fragte ich laut.

Schweigen. Niemand kam auf das Naheliegende.

»Falls mir jemand eine Tasse Glühwein aufdrängt, lehne ich nicht ab«, sagte ich seufzend. »Und mindestens ebenso lieb wären mir Marzipankringel und Butterplätzchen.«

Einer unserer Kadetten schaltete eine Telekomverbindung zur Schiffsküche. »Sie bekommen zwei Scheiben Christstollen mit Marzipanfüllung, Sir!«, verkündete er nach kurzem Wortwechsel triumphierend.

Fast war ich den Tränen nahe, massierte mit zwei Fingern meine Augenwinkel.

»Sir?«, erkundigte sich der junge Mann zögernd. »Mr. Bull, Verzeihung, habe ich etwas falsch gemacht?«

»Nein«, wehrte ich ab. »Mir war nur nicht bewusst, dass unsere Vorräte rationiert sind. Seit wann eigentlich?«

Erst lachte nur einer. Aber sehr schnell ließen dann auch alle anderen ihrer Heiterkeit freien Lauf. Mich steckten sie ebenfalls an. Nach der Anspannung der letzten Wochen und Monate tat es sogar gut, über sich selbst lachen zu können.

Mitten hinein in die allgemeine Heiterkeit platzte Perrys Funknachricht. Er war mit drei Shifts aufgebrochen, unseren Flugpanzern, um die Hügelregion im Nordosten zu erforschen, und stellte fest, dass Unbekannte mit telekinetischen Fähigkeiten ihm den Aufenthalt zu verleiden versuchten.

Stunden später meldete Perry ein Rudel biberähnlicher Tiere. Er beschrieb sie als putzige Gestalten mit dickem Hinterleib und löffelförmigem Schwanz, insgesamt einen Meter groß, mit runden Ohren und spitz zulaufendem Maul.

Ich übergab die zweite Nachtwache an Thora. Wir wechselten einige belanglose Worte, deren tieferer Sinn mir erst nachträglich bewusst wurde. Als ich schon in meiner Kabine auf dem Bett lag und, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, zur Deckenprojektion des nächtlichen Sternenhimmels über Tramp aufblickte, glaubte ich, so etwas wie Sorge um Perry Rhodan herauszuhören. Das waren völlig neue Töne.

»Na ja«, murmelte ich für mich selbst, »so unrecht hat sie nicht einmal. Perry ist im Grunde seines Herzens der Risikopilot geblieben, und das wird sich nie ändern. Er könnte in einem weichen Bett schlafen, aber er zieht es vor, sich in der Wildnis die Hörner abzustoßen.«

Warum wohl nicht bei Thora?, fügte ich in Gedanken hinzu. Ich hatte gelegentliche Blicke zwischen den beiden bemerkt, sogar hin und wieder eine flüchtige Berührung, wenn sie sich unbeobachtet wähnten, aber ganz so, als schrecke jeder noch vor sich selbst zurück.

Die Arkonidin war durchaus eine schöne Frau. Für meinen Geschmack etwas zu mager und viel zu arrogant, aber Perry und sie konnten dennoch ein ansehnliches Paar abgeben – falls sie es jemals schafften, sich zusammenzuraufen.

Mit einem bitterbösen Gedanken schlief ich ein. Trotz Weihnachten. Für sie waren wir Tiere, also musste Thora jede körperliche Beziehung mit einem Menschen entsetzt von sich weisen. Oder hatte sie endlich akzeptiert, dass Perry ihr ebenbürtig war?

Immer noch starrte ich zu der Projektion des Sternenhimmels empor. Alle meine Jugendträume waren plötzlich wahr geworden. Trotzdem erschien es mir immer noch, als müsse die bunte Seifenblase im nächsten Moment zerplatzen und mich auf den Boden der Tatsachen zurückfallen lassen.

Wie oft hatte ich in sternenklaren Nächten zum funkelnden Band der Milchstraße aufgeschaut und mich gefragt, wie Leben da oben wohl beschaffen sein mochte. War es so wie wir oder ganz anders? Zerbrechliche Kreaturen auf Siliziumbasis; ätherische Geschöpfe, die in der Atmosphäre ihres Planeten schwebten; klobige Monster, die in der Giftsuppe einer Urwelt auf Beutejagd gingen? Ich hatte pseudowissenschaftliche Abhandlungen verschlungen, dass irgendwann in ferner Zukunft, wenn die Sonne zu einem matten roten Riesenstern geworden sein würde, längst Insekten die Herrschaft über die Erde an sich gerissen hatten. Halbintelligente Ameisenheere in düsteren Endzeitvisionen; unüberschaubare Heuschreckenschwärme, die den Tag zur Nacht werden ließen und das letzte zögerlich sprießende Grün von der Oberfläche vertilgten ...

Es ist seltsam, dass der Mensch nie mit dem zufrieden ist, was er besitzt. Nichts hatte ich mir sehnlicher gewünscht, als eines Tages zu den Sternen zu fliegen, weiter hinaus als die lausigen dreihundertachtzigtausend Kilometer bis zum Mond. Ich hatte mich für das Marsprojekt beworben in der Hoffnung, dann noch nicht zu alt zu sein für das Auswahlverfahren. Zugleich hatte ich darauf spekuliert, Alter mit Erfahrung zu kompensieren.

Der Mars war für mich ebenso wie für viele Astronautenkollegen schon gleichbedeutend mit dem tiefen Weltraum gewesen. Mehr hatten wir ohnehin nicht erwarten dürfen, bestenfalls eine Umkreisung der Venus – aber der Asteroidengürtel, Jupiter, Saturn oder deren Monde, das war von Anfang an späteren Generationen vorbehalten geblieben.

Vergeblich versuchte ich, bekannte Sternbilder aus der beinahe schon erdrückenden Fülle ferner und fernster Sonnen herauszufiltern. Es war unmöglich. Zweieinhalbtausend Lichtjahre Distanz zur Erde hatten nicht nur den Beobachtungswinkel verschoben, sondern die Hauptebene der Milchstraße weit deutlicher hervortreten lassen. Das Sternengewimmel war unbeschreiblich, wirkte an manchen Stellen schon wie eine undurchdringliche Mauer. Anderswo stanzten Dunkelwolken und fein ziselierte Gasnebel Löcher in die Lichtfülle.

Mein Blick wanderte hinüber zur Leuchtanzeige der terranischen Uhr. Längst nicht mehr alles an Bord der STARDUST II entstammte arkonidischer Produktion. Seit der Hypnoschulung kannte ich die arkonidische Zeitrechnung und wusste, dass ein Erdenjahr nur 0,846 Arkonjahren entsprach, dass die Arkoniden ihr Jahr in zehn Perioden zu jeweils sechsunddreißig Tagen unterteilten und es zudem fünf separate Tage zum Jahreswechsel gab, mit denen alte Fruchtbarkeitsgötter geehrt wurden. Aber was konnten Menschen schon mit einer Datumsbezeichnung wie 11. Prago der Hara 18.953 da Ark anfangen? Wenn ich mich nicht bei der gedanklichen Umrechnung verschätzt hatte, bezeichnete dieser Riesenbandwurm den Start unserer guten alten STARDUST.

00.42 Uhr. Der 25. Dezember.

Die Uhr war auf die Zeit von Galakto-City eingestellt. Woran sollten wir uns sonst orientieren? »Wo das Herz schlägt, ist das Zentrum«, hatte ich immer gesagt. »Und unsere Wüstenstadt ist das Herz des Solaren Imperiums.«

War es der Duft des frischen Christstollens, der mich nicht einschlafen ließ? Normalerweise hätte ich bleischwer in die Kissen fallen müssen. Ich hatte mir gleich drei Scheiben des Gebäcks mit in die Kabine genommen, als erstes Frühstück für den kommenden Morgen. Das Aroma von Rosinen, Mandeln und Zitronat hing trotz der effektiven Luftumwälzung verführerisch im Raum.

Ohne das Licht anzumachen, tastete ich neben mich, brach mir eine halbe Scheibe ab und begann zu kauen.

Auf Tramp graute jetzt der Morgen. Was würden Perry und seine Begleiter finden? Nur einige Herden verspielt-harmloser Bibermäuse oder wirklich die Welt des ewigen Lebens, derentwegen Crest und Thora auf dem irdischen Mond gestrandet waren?

Wäre nicht die Kette kosmischer Rätsel gewesen, diese eigenwillige Schnitzeljagd, die wir dank der Mutanten bislang ganz passabel überstanden hatten, ich hätte die Behauptungen der Arkoniden in die Rubrik »Phantastereien« eingeordnet. Zu sehr erinnerte mich alles an ähnliche Sagen oder Legenden auf der Erde. An Shangri-La zum Beispiel, jenes nebelumwobene Paradies irgendwo im Himalaya oder in der Mongolei. Sogar mit unseren Raumschiffen hatten wir es nicht entdeckt. Oder, angeblich im Norden Südamerikas gelegen, das sagenhafte Goldreich Eldorado. Welchen Spuren Heerscharen von Abenteurern auch nachgegangen waren, bis heute waren alle ins Leere gelaufen.

Oder sollte ich die bislang wenig erfolgreiche Suche der Arkoniden mit der irdischen Gralssuche vergleichen? Es gab ebenso viele Interpretationen dafür wie Beschreibungen des Grals selbst als Kelch, Becher, Kessel oder Schale. Auf jeden Fall stand der Heilige Gral sinnbildlich für die Suche nach dem letzten Ursprung, nach Wiedergeburt oder dem Quell der ewigen Jugend.

Erstaunliche Parallelen waren das, doch weshalb sollte sich in der Milchstraße nicht im Großen fortsetzen, was auf der Erde quasi im Kleinen in vielen Variationen verbreitet war? Wahrscheinlich hatten die Arkoniden der von uns entdeckten robotgesteuerten Venusfestung vor zehntausend Jahren den Keim für all diese Legenden auf die Erde gebracht. Atlantis selbst war bis heute ein solches Rätsel; das Robotgehirn auf der Venus hatte von arkonidischen Siedlern auf der Erde gesprochen. Floss demnach in menschlichen Adern arkonidisches Blut?

Diese tiefschürfenden Erkenntnisse würden mich am nächsten Tag mit schwarz geränderten Augen und hoffnungslos übermüdet in der Zentrale erscheinen lassen. Was war das nur für eine Nacht? Meine Überlegungen sprudelten wie eine Gebirgsquelle, ließen sich nicht abstellen. Wahrscheinlich tat ich besser daran, aufzustehen und mir den Sonnenaufgang über den Hügeln anzuschauen. In der kalten und klaren Atmosphäre von Tramp musste das Feuer der sterbenden Sonne ein überwältigendes Schauspiel abgeben. Auch die hellsten Milchstraßensterne würden zu sehen sein.

Meine Gedanken schweiften zu Miriam ab. Ich hatte in den vergangenen vier Jahren keine Zeit gefunden, mich mit ihr in Verbindung zu setzen. Nun ja – mir steckte plötzlich ein Frosch im Hals, der sich nicht vertreiben ließ –, möglicherweise kam mir diese Ausrede gerade recht. Dem armen kleinen Astronauten der U.S. Space Force hätte Miriam bei entsprechender Mitgift-Lebensversicherung und der Publicity wegen keinen Korb gegeben, heute, als Perry Rhodans Stellvertreter bei der Dritten Macht, wäre sie wohl wie der Teufel hinter der armen Seele hinter mir hergewesen.

Und Denise? Das mit ihr hatte ich nur als eine kurze, heftige Affäre angesehen. Auf Dauer wäre mir Denise zu anstrengend geworden.

01.28 Uhr. Seufzend wälzte ich mich auf die Seite, aber auch das brachte nicht die wahre Erfüllung. Meine eigenen schweren Atemzüge schreckten mich aus dem ersten beginnenden Schlaf auf.

Ich fühlte mich beobachtet. Als wären da irgendwo unsichtbare Augen, deren Blick mir durch und durch fuhr.

»Licht!«, stieß ich seufzend hervor und setzte mich auf. Die Automatik aktivierte eine gedämpfte, der Morgendämmerung entsprechende Helligkeit. Die Leuchtplatten in der Decke fielen nur bei genauem Hinsehen auf.

War ich krank? Manchmal fragte ich mich, ob ich unter einer Art Verfolgungswahn litt. Begonnen hatte das Gefühl, beobachtet zu werden, während des Mondflugs. Ebenso gut entsann ich mich an den Greis mit dem chinesischen Ziegenbärtchen und an zwei weitere Vorfälle, in denen ich von einer Sekunde zur anderen geglaubt hatte, jemand stünde plötzlich neben mir.

Bislang hatte ich nicht einmal Perry Rhodan davon erzählt. Das war etwas, das ich mit mir selbst ausmachen musste. Natürlich würde mir jeder, der von diesen Halluzinationen erfuhr, zu einer umfassenden neurologischen Untersuchung raten. Doch genau davor schreckte ich zurück. Ich hatte mir lange genug den Kopf zerbrochen und mich in fachspezifische medizinische Artikel eingelesen. Im Schrank langen außerdem mindestens fünfhundert auf Mikrofiche verfilmte Seiten einer Abhandlung über »Neurologische Störungen und Bewusstseinstrübungen, bedingt durch Einwirkung kinetischer Kräfte auf Schädelknochen und Hirnhäute«.

Für mich lag die Diagnose bereits auf der Hand: Nervenabrisse oder winzige Blutungen infolge hoher Andruckkräfte. Das Beschleunigungsvermögen der STARDUST war um ein mehrfaches höher gewesen als das früherer Trägerraketen. Dagegen muteten selbst einige hundert Flugstunden in überschallschnellen Jägern wie ein Kinderspiel an.

Aber ein Reginald Bull zog sich nicht in sein Schneckenhaus zurück, um Dinge auszusitzen; das hatte ich nie getan, sondern auch den unangenehmsten Situationen immer ins Auge geschaut. Alles andere hätte ich mir selbst als Feigheit vorwerfen müssen.

Diesmal war es anders.

Ich war feige.

Ja, verdammt, ich wollte nicht hören, dass einer dieser hochstudierten Neurologen mich am Erdboden festnagelte: »Mr. Bull, Sie riskieren einen lebensbedrohenden Schlaganfall, sobald Sie Ihre perforierte Hirnhaut und die brüchigen Blutgefäße weiterhin unkontrollierbarem Andruck aussetzen.«

»Die arkonidischen Absorber ...«

»Wir reden über ein medizinisches Problem, Mr. Bull, nicht über eine angebliche Supertechnik, die jederzeit versagen kann. Es ist Ihre Gesundheit, mit der Sie spielen. Verzichten Sie ab sofort auf weitere Weltraumflüge! Auf der Erde gibt es hinreichend Probleme, für deren Lösung Sie sich einsetzen können. Andernfalls, Mr. Bull, kann ich für ihre Gesundheit nicht garantieren!«

Mein Blick schweifte durch die Kabine – natürlich war ich allein, wie hatte ich das auch anzweifeln können? – und blieb wie magnetisch angezogen auf dem Christstollen hängen.

»Gutes Essen ist der Sex des Alters.« Ich erinnerte mich nicht mehr, wer das zu mir gesagt hatte, aber ein wahrer Kern steckte dahinter. Wobei gut und viel sich keineswegs ausschließen mussten.

Ich griff nur nach der abgebrochenen halben Scheibe, damit Perry nicht unbedingt neuen Anlass bekam, mich »Dicker« zu nennen. Momentan fühlte ich mich in meiner Haut durchaus wohl, und ein dünnerer Bully, so einer, der in der Sonne keinen Schatten mehr warf, sobald sie ihn im Profil sah, nein, das wäre nicht mehr ich gewesen. 1,68 Meter und 76 Kilogramm, daran hatte ich mich gewöhnt und betrachtete das als mein Idealgewicht. Es würde immer Leute geben, die das störte, aber meine Freunde suchte ich mir selbst aus. Ich rege mich doch auch nicht auf, wenn einer dürr wie eine Zaunlatte daherkommt.

Trotz meines Heißhungers kaute ich auf dem Stollen herum wie auf einer Kante trockenen Brotes. Immerhin begannen Miriam und Denise in meinen Gedanken zu verblassen, was den Spruch mit dem Sex und dem Essen zu bestätigen schien. Ich war jetzt siebenunddreißig, sah aber keine Gefahr, dass ich mein Leben als Junggeselle beschließen würde. Andererseits hatte ich fest vor, meine Freiheit möglichst lange zu genießen.

Da war ein Prickeln unter der Schädeldecke. Ein verhaltenes, wie mir schien, amüsiertes Lachen.

Übermüdung!, redete ich mir ein. Bully, du hättest mit der Expedition rausgehen und dir diese komischen Mausbiber ansehen sollen. Das Wacheschieben an Bord ist nichts anderes als ein öder Schreibtischjob.

Das Lachen irritierte, und von dem lähmenden Stadium zwischen Müdigkeit und Wachsein konnte mich nur eine kalte Dusche erlösen.

Wie lange ich mich in der Nasszelle von prickelnden Wasserstrahlen und belebender Ultraschallmassage durchwalken ließ, wusste ich danach nicht zu sagen, jedenfalls fühlte ich mich wieder einigermaßen fit.

Der Teller neben dem Bett war leer. Dabei hätte ich schwören können, dass da noch zwei Scheiben Stollen gelegen hatten.

Eine Krümelspur zog sich quer über das zerwühlte Bettlaken bis hinüber an die andere Kabinenseite. Ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, was ich sah – das heißt, ich wusste nur, dass die Krümel nicht von selbst über den Tellerrand marschiert sein konnten.

Das Summen des Telekoms ließ mich herumfahren.

»Gespräch annehmen.«

Thoras Konterfei erschien auf dem Schirm. »Rhodan hat angerufen«, platzte sie heraus, ohne sich für die Störung zu entschuldigen. »Es hat Probleme gegeben, möglicherweise ein neuer Hinwei...«

Ein leicht belustigter Zug begann sich um ihre Mundwinkel abzuzeichnen. Es war das erste Mal, dass ich Thora derart hintergründig lächeln sah, aber den Grund dafür ...

... die Kabinenaufnahme stand auf Weitwinkel. Thora sah mich auf dem Schirm so, wie Gott mich geschaffen hatte.

»Und?«, rutschte es mir heraus. »Wie groß ist der Unterschied zwischen Menschen und Arkoniden wirklich?«

Die Antwort hörte ich nicht. Falls Thora überhaupt antwortete. Sie hatte die Telekomverbindung von sich aus abgebrochen.

»Wer schafft mir endlich diesen grässlichen, hartköpfigen Terraner vom Leib?«, schnaubte die Arkonidin wutentbrannt.

Sie meinte Perry, aber mich taxierte sie mit dem Blick einer leidenschaftlichen Insektensammlerin, die ein außerordentlich seltenes Exemplar einer noch selteneren Spezies entdeckt hatte und im Begriff war, es mit einer hauchdünnen Nadel aufzuspießen. Als Sammlerstück, das in einer Vitrine langsam verstaubte, eignete ich mich indes überhaupt nicht.

»Machen Sie's doch selbst, Thora – oder lassen Sie Rhodan entscheiden!«, sagte ich scharf. »Er wird den Befehl zum Rückzug erst in wirklich aussichtsloser Lage geben. Muss ich Sie daran erinnern, dass wir Crest und Ihnen nur einen Gefallen tun?«

Ihre Züge verhärteten sich.

»Mr. Bull hat recht, Thora«, wandte Crest ein. »Wir suchen schon viel zu lange nach dem Planeten des ewigen Lebens ...«

»Ich verzichte auf die Hilfe dieser nackten Wilden!«, unterbrach sie den Wissenschaftler schroff. »Primitivlinge sind sie allemal.«

Crest wandte sich mir zu. »Was haben Sie Thora angetan, Mr. Bull?«

»Ich?«, hörte ich mich sagen, ohne es eigentlich wirklich zu wollen. Ich hatte keinen Anlass, mich zu verteidigen. »Nichts. Ganz bestimmt. Glauben Sie, ich würde freiwillig in ein Schlangennest greifen?«

An Bord der STARDUST II war es mittlerweile zu bedrohlichen Erscheinungen gekommen, als wäre der Zwischenfall mit dem zerbröselten Weihnachtsstollen, dem im Übrigen sämtliche Rosinen abhanden gekommen waren, nur der harmlose Anfang gewesen. Vor einer halben Stunde hatte einer der wartungsfreien Schwerkraftgeneratoren verrückt gespielt und wechselnde Schiffssektoren mit Schwerefeldern bis zu 15 Gravos belastet. Etliche Mannschaftsmitglieder lagen seitdem mit Knochenbrüchen und Gehirnerschütterungen in der Medostation.

Perry Rhodans Gruppe hatte nach dem Angriff feindlicher Roboter zwei Tote zu beklagen. Fellmer Lloyd redete seither von Gehirnwellenmustern, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten, die einen von einem nahezu lächerlichen Spieltrieb kündend, die anderen von abgrundtiefem Hass gegen alles besessen, was nicht auf diese Welt gehörte. Letztlich war es aber gelungen, in eine unterirdische Fabrikanlage vorzudringen und die etwa einen halben Meter hohen, ellipsoiden Roboter zu bergen – tot, zerstört, wie immer man das sehen mochte. An Bord sollten ihre Erinnerungsspeicher untersucht werden, denn vermutlich waren die gesuchten Unsterblichen die Schöpfer dieser Roboter.

Zwei Tage lang herrschte leidlich Ruhe, doch als der Alarm losheulte, waren alle Ängste und Befürchtungen wieder da.

Im Arsenal hatte sich eine Arkonbombe aus der Halterung gelöst und schwebte frei im Raum. Arkonbomben waren die schrecklichsten Waffen, die die Milchstraße kannte, dazu ersonnen, ganze Welten zu vernichten, indem sie alle Elemente mit einer Ordnungszahl höher als zehn in unlöschbarem Atombrand verzehrten. Oder, wenn der Zünder anders justiert wurde, Elemente ab einer höheren Ordnungszahl.

Der Zünder der Bombe im Arsenal stand auf 26 – Eisen! Und die Wandungen der STARDUST II enthielten mehr Eisen als ein irdisches Walzwerk. Sobald die Bombe aktiv wurde, war unser Schiff unrettbar verloren.

»Die Orterstationen mit doppelter Besatzung!«, befahl ich. »Außerdem brauche ich Patrouillentrupps, die das Schiff durchsuchen ...«

»In dieser Situation gebe ich die Befehle!«, fuhr Thora dazwischen. »Der Raumer muss sofort evakuiert werden!«

»Wohin sollen wir gehen?«, fragte ich zurück. »Wenn ich mich nicht irre, besteht die Oberfläche des Planeten zu drei Vierteln aus eisenoxydhaltigem Sand. Der brennt wie Zunder, wenn die Bombe hochgeht.«

Bisher hatte ich den Problemen noch einigermaßen gleichmütig zugesehen und mit einem lachenden, aber auch einem weinenden Auge akzeptiert, dass Unbekannte so mit uns umspringen konnten. Wir hätten den Planeten verlassen müssen, und genau darauf zielten die Attacken wohl ab. Dann wären wir aber auch raus gewesen aus diesem Spiel, dessen Einsatz wir offensichtlich nicht mehr selbst bestimmen konnten.

»Falls die Arkonbombe hochgeht, Crest«, wandte ich mich in einem Anflug von Sarkasmus an den arkonidischen Wissenschaftler, »werden wir alle eine Art von Unsterblichkeit erlangen. – Was ich schon lange fragen wollte, Thora, bei der Gelegenheit fällt es mir wieder ein: Messen Sie die Entwicklungsstufe eines Volkes eigentlich daran, welche Art von Bomben es produziert? Hatten Sie uns deswegen zuerst nur in C eingestuft?«

Inzwischen war es Perry gemeinsam mit dem Teleporter Tako Kakuta und dem Telekineten Tama Yokida gelungen, die Arkonbombe dem fremden Zugriff zu entziehen und wieder sicher zu befestigen.

Crest und Thora wollten Tramp augenblicklich verlassen. Für beide war das Maß des Erträglichen überschritten.

»Ihr Verlangen nach Rückzug mag berechtigt sein, Crest«, wehrte ich ab. »Wir würden es uns trotzdem nie verzeihen, nicht wenigstens noch einen weiteren Vorstoß unternommen zu haben.«

Langsam – gedankenverloren, wie mir schien – nickte er. »Ich habe noch kein Volk getroffen, das wie Ihre Menschheit ist. Zielstrebig, hart, lernbegierig und nicht zu stoppen. Dabei waren sie bis vor kurzem im Begriff, sich selbst auszulöschen. – Nun haben sie ein neues Ziel. Wenn die Menschen der Erde ihre Energie gemeinsam in eine Richtung bündeln, werden sie ihren Weg gehen, weiter als jedes andere Volk vor ihnen.«

Er verstummte und beobachtete die Bildschirme, auf denen die mit Waffen und anderen Gerätschaften vollgepackten Shifts zu sehen waren, die als Köder ausgeschleust wurden. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass Crest noch nicht alles gesagt hatte, was ihn bewegte.

Hastig kontrollierte ich die einzelnen Schiffssektionen. Zumindest im Augenblick gab es keinen Grund zur Beunruhigung.

»Sie haben noch etwas auf dem Herzen, Crest. Heraus mit der Sprache!«, forderte ich den Arkoniden anschließend auf.

Er zögerte.

»Das Tai Ark'Tussan zerfällt, Mr. Bull, das Ende erscheint mir unaufhaltsam. Früher hätten wir uns niemals ein Schlachtschiff der Imperiums-Klasse stehlen lassen; die Flotte eines einzigen Sonnenkurs, auch eines unbedeutenden Sektors, hätte die Topsider zur Räson gebracht. Einem Volk wie den Terranern traue ich zu, unser Imperium zu zerschlagen. Ich hoffe, wir werden nie gegeneinander kämpfen müssen.«

Nein, das waren nicht die übertriebenen Befürchtungen eines alten Mannes. Crest war viel zu sehr Realist, um sich von vagen Gefühlen treiben zu lassen.

»Warum sagen Sie das?«, wollte ich wissen.

»Weil ich die Menschen als unsere Erben sehe, egal auf welche Weise. Und weil ich Vertrauen in Sie setze.«

Unsere Techniker hatten die ellipsoiden Roboterwracks analysiert. Empfand ich es schon als Überraschung, dass diese Blechkisten ein organisch gewachsenes Gehirn besaßen – deshalb hatte Fellmer Lloyd ihre Hassstrahlung espern können –, so warf mich die Altersangabe fast um. Fünfunddreißigtausend Erdenjahre. Demnach waren diese Maschinen älter als die arkonidische Zivilisation. Sie waren darauf programmiert, jeden Fremden auf ihrer Welt anzugreifen und zu vernichten.

Perry startete zur zweiten Expedition. In einem offenbar von den possierlichen Mausbibern gegrabenen Stollen, der letztlich einen höhlenartigen Raum bildete, fand er, was wir uns von Tramp erhofft hatten: ein Modell der Milchstraße, das leider allzu rasch in einem Funkenregen verging. Es blieb gerade noch Zeit, die Darstellung mit einigen Aufnahmen zu dokumentieren.

Ein einziges der Fotos zeigte uns, mit allen Tricks arkonidischer Entwicklungstechnik überhaupt erst sichtbar gemacht, einen unscheinbaren Lichtpunkt in der Bildmitte, von dem aus ein leuchtender Streifen zu einem helleren Stern führte. Dieser entpuppte sich als sonnenloser Planet, der nur den Schein benachbarter Sonnen reflektierte – die Welt des ewigen Lebens?

Den Stern am anderen Ende des Striches identifizierten wir als ...

... die Wega.

Unser Ziel war also eine Welt, die sich einsam und ohne Sonne durch die Galaxis bewegte. Und endlich kannten wir ihre ungefähre Position. Wenn das zu Beginn des neuen Jahres kein Fortschritt war.

Zweitausendvierhundert Lichtjahre trennten uns von der Wega, etwa ebenso weit war es bis ins Solsystem. Derartige Zahlen hätte ich noch vor kurzem für absurd gehalten, heute beschleunigten sie nicht einmal mehr meinen Blutdruck. Meinetwegen mochten es 24.000 Lichtjahre sein, für einen 800-Meter-Koloss wie die STARDUST II war das eine wie das andere ein Katzensprung.

Transitionen in Planetennähe verboten sich schon aus rein pragmatischen Erwägungen heraus. Die hyperenergetischen Stoßfronten verursachten tektonische Erschütterungen, wobei Welten mit glutflüssigem Kern und intaktem Magnetfeld besonders intensiv betroffen waren. In Korrelation mit einem solaren Echo, und dieses war abhängig von Masse und Aufbau der Sonne, schaukelten sich kurzfristig Gravitationsstörungen und Partikelfelder auf, die zum planetaren Krustenaufbruch führen, im schlimmsten Fall sogar einen Polsprung einleiten konnten. Zwei Fälle waren in arkonidischen Archiven dokumentiert und im Standard-Ausbildungswerk »Hyperphysikalische Grundlagen überlichtschneller Raumfahrt unter ökonomischem Aspekt« enthalten. Auszugsweise besaßen Perry und ich dieses Wissen seit unserer Hypnoschulung.

Als die STARDUST II entmaterialisierte, spürte ich, dass etwas schieflief.

Fehltransition!

31.560 Lichtjahre.

Die Sterne auf dem Hauptbildschirm funkelten höhnisch, als wüssten sie, dass im Augenblick der Transition die Justierung verändert worden war. Andererseits waren wir von der Welt der verspielten Mausbiber schon viel zu weit entfernt gewesen, als dass eines dieser Tiere ...

Der Alarm aus der Küche kam für mich nicht mehr völlig überraschend. Ich hastete los.

»Schafft mir das Mistvieh vom Hals!«, hörte ich den Koch schon von weitem schreien. »Das Biest muss mit den Expeditionskisten an Bord gekommen sein, und nun frisst es alle Vorräte weg.«

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Perry schien es ähnlich zu ergehen, aber das Zucken um seine Mundwinkel kündete wohl eher einen Heiterkeitsausbruch an. Andererseits gab es herzlich wenig Grund dafür. Mir ging es nicht um die Vorräte, ich war jedoch auf Anhieb überzeugt davon, dass dieser Mausbiber unseren Fehlsprung verursacht hatte. Und der hätte böse ins Auge gehen können; Rematerialisation im Innern einer Sonne zum Beispiel oder im Zentrum eines vernichtenden Hypersturms.

Unschuldig hockte die Riesenmaus mit ihrem breiten Hintern zwischen tiefgefrorenen Früchten, balancierte eine angefressene Möhre zwischen den schlanken Vorderpfoten und knabberte munter weiter.

»Du fasst es nicht ...«, ächzte ich und ballte die Hände.

Ruckartig fuhr der Kopf mit dem blitzenden Nagezahn hoch.

So nicht, schoss es mir durch den Sinn. Nicht mit uns. Was glaubst du wohl, wer du bist?

Das Tier blinzelte mir derart vertraulich zu, als wolle es sich auch noch für das Futter bedanken. Einige der umstehenden Besatzungsmitglieder – die Nachricht von unserem pelzigen Mitesser verbreitete sich wie ein Lauffeuer – begannen verhalten zu lachen. Aber ob dieses Mausbibervieh Männchen machte oder nicht, die STARDUST war in einer unbekannten Region der Milchstraße materialisiert. Wenn Perry nicht die Konsequenzen zog, ich würde es auf jeden Fall tun.

»Du Mistvieh!« Die Finger im Nackenfell verkrallt, zerrte ich den quiekenden Nager hoch. »Erst fliegst du unser schönes Schiff in die dickste Butter der Milchstraße, dann frisst du uns auch noch das Gemüse weg. Rauswerfen in die Sahne werde ich dich! Und von wegen Tierschutz oder so, eine anständige Abreibung hast du dir auf jeden Fall verdient.«

Ich bin kein Schläger, ganz bestimmt nicht. Das hatte ich mir schon damals abgewöhnt, als ich wegen Tess meinen Backenzahn verlor und mich damit trösten musste, dass es schließlich nicht mein einziger Zahn war. Doch im Moment sah ich rot. Das Vieh hätte uns mit seiner Dummheit umbringen können.

»Lass verdammt noch mal die Pfoten von allem, was dich nichts angeht!«

Ich hatte die Linke im Nackenfell vergraben, mit der Rechten schlug ich zu. Mehrere kräftige Hiebe auf das fette Biberhinterteil ließen meine Wut schnell verrauchen. Das jämmerliche Quietschen tat ein übriges dazu.

Irgendwie hatte ich wohl doch nicht fest genug zugepackt, denn der Mausbiber fiel zu Boden und floh mit einem weiten Satz in den Kühlraum. Falls ihm der Hintern so weh tat wie mir die Hand ...

Was war plötzlich anders? Die Perspektiven verschoben sich; Perry sperrte den Mund auf und schaute zu mir hoch.

Hoch?

»He, was soll das?« Vergeblich mit Armen und Beinen rudernd, versuchte ich, meinem Flug eine andere Richtung zu geben. »Ich bin doch kein Luftballon! Lasst mich sofort wieder runter! – Tama Yokida, Anne Sloane, das ist kein Spaß!«

Vergeblich rief ich nach den beiden Mutanten. Bis jetzt befanden sie sich noch gar nicht zwischen den Schaulustigen. Dafür begann ich mich zu fragen, wie viele Männer und Frauen wirklich zur Besatzung gehörten. Alle starrten mehr oder weniger offen grinsend zu mir hoch. Worauf warteten sie eigentlich?

Das Mausbibervieh war schuld. Natürlich. Diese Ratten verfügten über telekinetische Kräfte, mit denen sie uns schon auf Tramp in Atem gehalten hatten.

Ich schwebte geradewegs auf die mächtigen Kochkessel zu. Unter mir brodelte eine dicke Erbsensuppe, genug, um die halbe Mannschaft zu verköstigen.

»Mit mir könnt ihr alles machen, was?«, herrschte ich die Gaffer an. »Aber das glaubt ihr nur, das ...«

»Wegen der Fleischeinlage gibt es heute doppelte Portionen«, prustete Perry Rhodan los. »Leute, besorgt euch schon mal Messer und Gabel.«

»Ha, ha, sehr witzig.« Mir gefiel dieser Spaß auf meine Kosten überhaupt nicht. Vor allem würde ich dem Mausbibervieh eine Lektion erteilen, die sich gewaschen hatte. »Holt mich endlich hier herunter! Es muss doch jemanden geben, der mit der Ratte fertig wird.«

Ich sank tiefer.

»Nein, nicht da! Was soll das?« Vergeblich mit Armen und Beinen strampelnd, landete ich in einem Wasserkessel. Und das vermaledeite Ding war mit kaltem Wasser gefüllt. Ich fühlte mich wie eine dieser Witzfiguren, ein Missionar im Suppenkessel halbnackter Barbaren.

»Vielleicht hat Thora wirklich recht: Ihr seid und bleibt Barbaren!« Mein Zähneklappern war kaum zu überhören. Perry lachte immer noch, aber wenigstens streckte er mir helfend die Hand entgegen. Für einen Moment spielte ich mit dem verlockenden Gedanken, ihn zu mir hereinzuziehen.

Der Mausbiber knabberte, von alldem unbeeindruckt, an einem Packen gefrorener Erdbeeren. Er wirkte so unschuldig, dass ich ihm am liebsten sofort das Fell über die Ohren gezogen hätte, hätte Perry Rhodan mich nicht zurückgehalten.

»Du verschwindest erst mal in deiner Kabine zum Trockenlegen!«, befahl er spöttisch. »Und für die Zukunft rate ich dir davon ab, unseren blinden Passagier zu vermöbeln. Er wehrt sich.«

»Willst du ihn an Bord lassen? Als Maskottchen?« Ich schielte zu dem Mausbiber hinüber, der Nagezahn-Plüschtiger schielte giftig zurück und zwinkerte mir erneut zu. Siedendheiß lief es mir den Rücken hinab. Ein entsetzlicher Gedanke, dass das Vieh womöglich intelligent sein könnte. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Gleichzeitig wusste ich aber bereits, dass ich es nicht übers Herz bringen würde, den kleinen Kerl irgendwo auszusetzen, wo er mutterseelenallein auf sein Ende warten musste. Ein Rückflug nach Tramp war zumindest momentan unmöglich.

Wegen der großen, bittenden Augen gab Perry dem Mausbiber den Namen »Gucky«.

Wie wir nach und nach erfahren sollten, war das Kerlchen hoch intelligent und nicht nur ein ausgezeichneter Telekinet und Gedankenleser, sondern zugleich Teleporter. Dass er später zum selbsternannten »Retter des Universums« avancierte, hätte mir in dem Moment niemand erzählen dürfen. Nass, frierend und vorübergehend misslaunig, hätte ich den Betreffenden in eine Zwangsjacke stecken lassen.

Dass Gucky für das Krümelchaos in meiner Kabine verantwortlich gewesen war, gestand er mir erst sehr viel später. Die Rosinen, zumindest behauptete er das, hatten ihm überhaupt nicht geschmeckt.

Die Fehltransition hatte uns nach Tuglan geführt, eine arkonidische Kolonialwelt, auf der wir in der Maske von Arkoniden halfen, einen Aufstand gegen das Große Imperium niederzuschlagen. Als wir Ende Januar 1976 endlich das Wega-System erreichten, stand die Sonne im Begriff, sich zur Nova aufzublähen und die Welten der Ferronen zu verschlingen.

Der Energiehaushalt eines Sterns macht nicht innerhalb weniger Wochen derart radikale Veränderungen durch. Es lag auf der Hand, dass wir ein neues Puzzleteil auf unserer Suche nach dem Planeten des ewigen Lebens gefunden hatten.

Oder spielte jemand mit uns? Ein Unbekannter, der noch verrückter war als der Mausbiber?

Ich entsann mich der Witzzeichnung, die vor unserem Start zum Mond in Nevada Fields kursierte. Die Piloten, die nicht für die erste Mondlandung ausgewählt worden waren, hatten uns auf ihre derbe Art damit Glück wünschen wollen. Eine Kopie der Zeichnung hatte ich noch an Miriam geschickt, an meine Schwester ebenfalls, und ich hatte daruntergeschrieben: Letzter Gruß vor dem Mondflug.

Auf der Zeichnung war die typische Mondlandschaft zu sehen. Ein kleines, harmloses Würmchen ringelte sich aus einem der Krater, und ein Astronaut schaute interessiert auf dieses erste außerirdische Leben hinab. »Wovon das arme Würmchen sich wohl ernährt ...?«, fragte er dabei.

Den Namenszug auf dem Raumanzug hatte ich mit »Bull« überschrieben. Warum? Ich wusste es nicht. Einfach aus einer Laune heraus.

Als köstlich hatte ich den restlichen Körper des Wurmes hinter dem Astronauten empfunden, um einiges größer, beinahe riesig, und das Maul mit furchterregenden Hauern gespickt.

Ungefähr wie dieser Mann im Raumanzug fühlte ich mich, als auf den Bildschirmen unser Ziel sichtbar wurde. Ich war fasziniert von dem Anblick, doch nach rechts oder links schauen konnte und wollte ich nicht.

Wir wussten, dass die Wega früher 43 anstatt der heute 42 Planeten besessen hatte, und der Schluss, dass die verschwundene Welt identisch mit dem Planeten des ewigen Lebens war, lag nahe. Der sonnenlose Himmelskörper wanderte auf einer elliptischen Umlaufbahn durch die Galaxis. Mich verblüffte, dass einer der beiden Ellipsenbrennpunkte unser heimisches Solsystem bezeichnete. An einen Zufall glaubte niemand an Bord der STARDUST II.

Mir war aufgefallen, dass nicht nur Thora, sondern überraschenderweise auch Crest sich seit dieser Erkenntnis deutlich zurückhielten. Es musste einen Grund dafür geben, meiner Ansicht nach einen äußerst schwerwiegenden. Sol – aber nicht Arkon. Der zweite Brennpunkt lag nicht einmal in der Nähe des Kugelsternhaufens. Hatten der oder die Unbekannten damit ein Zeichen gesetzt?

Wir würden es hoffentlich in Kürze erfahren.

Ein wahrhaft homerisches Gelächter begrüßte uns, als die STARDUST an den Zielkoordinaten materialisierte. Dieses brüllende Lachen war nicht wirklich zu hören, sondern entstand überlaut in unser aller Unterbewusstsein. Beinahe schon eine Massenpsychose.

»Nervös, Dicker?«

»Ich? Wieso?« Perrys Frage irritierte, zumal ich es nicht schaffte, den Blick vom Hauptbildschirm abzuwenden. Erst als ich mich unbewusst von neuem am Hinterkopf kratzte, verstand ich die Anspielung.

Vor uns hing ein – ja, was war das eigentlich? – Monstrum an Hässlichkeit, Genialität oder Zeugnis pervertierter galaktischer Baukunst im Raum. Als hätte jemand einen Planeten in Scheiben geschnitten.

Wir näherten uns einer dieser Scheiben, wobei von anderen nichts zu sehen war. Vielleicht existierte nur diese eine.

Das Ding war flach, ein kreisrundes, riesenhaftes Stück Land, das von einem glockenförmigen Energieschirm eingehüllt wurde. Ich sah Berge und Meere, Gebirgszüge, Wälder und Brachland. Hier fand die mittelalterliche Vorstellung ihre Entsprechung: Jeder, der dem Rand der Welt zu nahe kam, würde unweigerlich hinunterfallen. Oder zumindest beinahe. Zweifellos gab es schützende Energiefelder.

»Nachtigall, ick hör' dir trapsen«, stieß ich hervor und erschrak über den belegten Klang meiner Stimme.

»Wie bitte?«, kam es von Perry.

Ich kratzte mich nicht mehr, sondern winkte ab. »Vergiss es. Nach dem Krieg hatte ich eine deutsche Freundin. In Berlin sagt man so.«

»Du ...? Nach dem Krieg ...?«

Sein spöttischer Unterton war nicht zu überhören. Aber was wusste er denn schon von Tess, meiner rothaarigen Kameradin, die mit ihren Eltern in die Staaten emigriert war? Damals hatte ich mich zum ersten Mal gefragt, wozu Kriege gut sein sollten. Ich muss ehrlich sein, eine vernünftige Antwort hatte ich nie gefunden, immer nur Ausflüchte oder Vorwände.

Vergeblich wartete ich darauf, dass sich das dröhnende Gelächter auf die eine oder andere Weise wiederholte. Unsere Telepathen spürten nur noch ein leises Raunen. Betty Toufry, mit nicht einmal zehn Jahren das jüngste Mitglied des Mutantenkorps, sprach davon, dass sich viele Millionen Menschen unterhielten. Aber wo zum Teufel steckten sie?

Ein schneebedecktes Riesengebirge wuchs vor uns auf. In den Tälern wucherte tropisch dichter Urwald. Vulkankegel ragten in die Höhe. Falls plötzlich Lava über die Hänge gequollen wäre, hätte mich nicht einmal mehr das gewundert.

Flugsaurier zogen tief unter dem Kugelraumer weite Kreise. Sie erinnerten mich an das gefährliche Viehzeug, das die Venus bevölkerte. Dazwischen bunte, zartgefiederte Vögel – Tiere mit Schwanzfedern, die jeden Paradiesvogel in den Schatten gestellt hätten. Schmetterlingsähnliche Kreaturen mit Schlangenleibern machten Jagd auf die Vögel.

»He, Leute«, entfuhr es mir, »verrate mir einer, was das hier sein soll! Ein galaktischer Gemischtwarenhandel?«

»Eine Art Zoo«, meinte Perry. »Flora und Fauna in heimischer Umgebung.«

Wasser unter uns, ein ausgedehnter Ozean. Die Küstenlinien erschienen mir wie mit einem Skalpell gezogen.

Dann Pilzwälder in gigantischer Ausdehnung, die gemeinsam mit violetten, korallenroten, blauen Riesenfarnen dem Licht einer künstlichen Sonne entgegenstrebten.

Urzeitliches Brüllen, diesmal nicht nur in meinen Gedanken, ließ mich herumfahren. In der nebenan liegenden Ortungszentrale war ein schleimiges Monstrum materialisiert. Peitschende Tentakel begannen, unser schönes Schiff in Schrott zu verwandeln.

Perry hetzte zum offenen Schott hinüber. »Fiktivtransmitter!«, schrie ich ihm hinterher. »ER hat uns das Vieh an Bord gesetzt!« ER oder ES, ich hatte die Bezeichnung von unseren Telepathen übernommen. Und Fiktivtransmitter, das war für mich die vollkommene Transportmethode, ein Transmitter, der keiner Empfangsstation bedurfte. Die STARDUST war von einem solchen Gerät vom vierzehnten Planeten der Wega in die Raumregion von Tramp versetzt worden.

Mit ihren lausigen Thermostrahlern feuerten unsere Männer auf das Monstrum. Das war ungefähr so, als würden sie eine Zehnmeterqualle mit einem Feuerzeug quälen. Abgesehen von grässlichem Brandgestank erreichten sie nichts.

Ich zerrte einen schweren Desintegrator aus dem Waffenschrank. Das Ding wog knapp einen Zentner, doch ich hatte genug von den geschmacklosen Späßen des Unbekannten und seinem Herumtrampeln auf meinen Nerven.

»Verdammt, macht euch nicht so dick! Zur Seite! Hier kommt die Kavallerie!« Ich hatte Mühe, mich nach vorne zu zwängen. Mehrere Männer packten mit an, und Sekunden später zeugten von dem schleimigen Biest nur verwehende Molekülschwaden.

Die Aufregungen rissen dennoch nicht ab.

Reginald Bull, redete ich mir ein, du bist jetzt siebenunddreißig Jahre alt und entweder schon am helllichten Tag stockbesoffen oder senil, wenn nicht an der Grenze zur Schizophrenie. Da ersteres leider nicht zutraf und zweites mir in beiden Versionen nicht gefiel, blieb nur eine einzige mögliche Schlussfolgerung: Die Konturen der nordamerikanischen Black Hills waren echt, ebenso die tobende Schlacht zwischen indianischen Ureinwohnern und den bärtigen weißhäutigen Menschen in dunkelblauen Kavallerieuniformen.

Spuk, das Ganze. Zumindest sah es danach aus, als nach unserer Landung ein Offizier den Colt auf Perry richtete, ich auf sein Pferd schoss und innerhalb weniger Augenblicke die ganze Szenerie verflog. Nur der Peacemaker, Baujahr 1867, tadellos erhalten und mit sechs 45er Patronen in den Kammern, lag im Gras.

»ES« spielte mit uns, und uns blieb keine andere Möglichkeit, als das Spiel nach »seinen« Regeln zu beenden. Wie hätten wir bluffen sollen und womit? Unser einziger Trumpf waren die Mutanten.

Zweiter Landeplatz der STARDUST II auf der achttausend Kilometer durchmessenden und sechshundert Kilometer dicken Scheibenwelt, der wir den Namen Wanderer gegeben hatten, war das Zentrum einer architektonisch kühnen Maschinenstadt. Strahlend blau, mit zarten weißen Wattebäuschen übersät, präsentierte sich der Himmel über uns. Sekundenlang schloss ich die Augen und fühlte mich wie zu Hause – ich glaubte sogar, amerikanische Großstadtluft zu atmen.

»Wir sind am Ziel.« Perry vertauschte den Funkhelm mit der zerknautschten Schirmmütze, die ebenfalls das Emblem der Dritten Macht trug. »Etwas, das länger als die Sonne lebt, erwartet uns. Crest, Ihre Träume könnten sich erfüllen. Sie begleiten uns. Thora natürlich ebenfalls.« Er blickte in die Runde und grinste schräg. »Eine Bande von Straßenräubern würde vertrauenswürdiger wirken. Wie lange ist es her, dass wir uns zum letzten Mal gewaschen haben?«

»Unrasiert und fern der Heimat!«, kommentierte ich. »Wann, zum Teufel, hätten wir bei dem ständigen Theater baden sollen?«

»Denken Sie sich nichts dabei, Mr. Bull, ich bemerke Sie kaum«, warf Thora bissig ein. »Ein Mikrofilter in meiner Nase hält den Gestank fern. Jeder adlige Arkonide trägt auf Planeten mit barbarischen Einwohnern solche Filter.«

Ich starrte sie an, schnappte nach Luft, klappte den Mund wieder zu – und spürte, wie mir die Röte ins Gesicht schoss.

»Was bilden Sie sich eigentlich ein, Sie ... Sie Sternenziege! Und wenn Sie die letzte Frau in diesem Kosmos wären, ich würde mir lieber was abschneiden, als Sie anzurühren. Oder resultiert Ihre Überheblichkeit aus Minderwertigkeitsgefühlen? Das wird es sein, sicher, jetzt hab' ich's endlich kapiert: blond und schön und außerirdisch, eine aggressivere Mischung gibt es gar nicht.«

Ich hatte mich in Rage geredet und hätte Thora wohl endlich noch eine ganze Menge Beleidigungen an den Kopf geworfen, doch ihr helles, amüsiertes Gelächter traf mich wie eine eiskalte Dusche. Ich war darauf gefasst gewesen, dass sie mir die Augen auskratzen oder mich mit der Waffe bedrohen würde, aber dass sie einfach nur dastand und lachte, überstieg mein Begriffsvermögen.

»Mach endlich den Mund zu, Dicker!« Perry grinste spöttisch.

»Ich glaub', ich bin im falschen Film.« Nach Fassung ringend, sah ich mich nach der nächstbesten Sitzgelegenheit um. »Ihre Unnahbarkeit kann lachen! Wirklich und wahrhaftig.«

Thora hatte sich wieder gefangen und lächelte mich an. Das ließ den Kloß noch anwachsen, der mir im Hals steckte.

»Okay, keine Müdigkeit vorschützen«, kommandierte Perry. »Bully, du stellst das Landekommando zusammen. Gucky und Marshall sind auf jeden Fall mit von der Partie ...«

Thora nickte knapp. Hatte sie ihre grässliche Arroganz wirklich abgelegt? Solange sie die blütenweiße Uniform einer arkonidischen Großkampfschiffskommandantin mit dem violetten Schulterumhang trug, wirkte sie auf mich eisig.

Von Heiterkeitsausbrüchen jeglicher Art hatte dieser Tag wahrlich genug zu bieten. Schon wieder erklang das brüllende, grenzenlose Gelächter, das die künstliche Welt zu erschüttern schien.

Es reicht!, dachte ich. Bin ich in ein Irrenhaus geraten, oder was ist los?

Der Unbekannte spielte nicht nur mit uns, sondern auch mit der Zeit. Wir hatten nicht einmal herausfinden können, ob General Custers kämpfende Truppe erst aus der Vergangenheit herangeschafft worden war, als wir sie gesehen hatten – eigentlich ein irrwitziger Gedanke, aber mittlerweile erschien so ziemlich alles denkbar. Der Colt war jedenfalls echt, ein Original, keine billige Kopie. Zu allem Überfluss hatte uns ein verwahrloster Revolverheld bedroht und war von Perry mit dem 45er erschossen worden. »Nur in meiner Zeit kannst du mir etwas tun, Bruder.« Seine mürrisch hervorgestoßenen Worte klangen mir noch in den Ohren. Der Kerl hatte sich anschließend verflüchtigt.

»Treten Sie ein!«, erklang eine dunkle Stimme, diesmal wirklich akustisch zu hören. »Willkommen!«

»Die Sache mit dem Colt war nicht übel«, sagte Perry. »Der Herr haben einen skurrilen Humor, oder täusche ich mich da?«

Obwohl der Unbekannte wieder zu lachen begann, wussten wir, dass wir endlich das Ziel vor uns hatten.

ES war nicht menschlich.

ES schien nicht einmal ein organisches Lebewesen zu sein. Vielleicht hatte ES vor sehr langer Zeit einen Körper besessen, bis ES im Laufe von Jahrmillionen dessen überdrüssig geworden war.

Wir hatten eine riesige gewölbte Halle betreten, in der es nichts gab außer undefinierbaren Aggregaten. Und über den Boden wehende Nebelschleier, die langsam ineinanderfließend rotierten und Kugelform annahmen.

»ES ist ein psychisch lebendes Gemeinschaftswesen, das Milliarden Einzelbewusstseine in sich vereint.« John Marshall musste fast brüllen, um das dröhnende Lachen zu übertönen. »Nehmen Sie ruhig an, ein ganzes Volk hätte seine Stofflichkeit aufgegeben, um nur noch in geistiger Form zu existieren.«

Eine eigenwillige, schwer zu beschreibende Stimmung erfüllte die Halle. Da war ein Hauch von Zeitlosigkeit, intensiver, als wir es in unseren kühnsten Phantasien erwartet hatten, aber eben auch ungeahnte Beklemmung.

Ich beobachtete die Nebelkugel – nur einschätzen konnte ich sie nicht. Die Fremdartigkeit der energetischen Erscheinung wurde durch die Kugelform gemildert. Zugleich glaubte ich eine Vertrautheit zu spüren, wie sie sonst nur unter alten Freunden herrschte. Eine Erklärung dafür hatte ich nicht.

Allzu große Kritiklosigkeit kann ähnlich gefährliche Auswirkungen zeigen wie zu große Skepsis. Wenn nur dieses verdammte Gefühl nicht gewesen wäre, ES schon alle Zeit zu kennen. Trotzdem zögerte ich, meine Bedenken auszusprechen. Zögerte ich wirklich, oder wurde ich auf mentalem Weg davon abgehalten? Es war schlimm, mit ansehen zu müssen, wie die eigenen Zweifel sich langsam aufschaukelten – ich wollte es nicht, doch je mehr ich mich dagegen sträubte, desto größer wurden meine Bedenken.

»Nun gehen Sie schon!«, forderte Perry den Arkoniden auf. »Wenn jemand das Recht hat, als erster zu gehen, dann sind Sie das.«

Crest machte einen Schritt ...

Ich sah ihn schaudern. Mir lief ein eisiges Prickeln den Nacken hinab. Was immer geschah, wir hatten keinen Einfluss darauf, selbst wenn wir uns einbildeten, das Geschehen lenken zu können.

Crest machte einen zweiten Schritt – und wurde von einer unsichtbaren Gewalt zurückgestoßen. Gurgelnd landete er vor Thoras Füßen. Nein, sie zog nicht die Waffe, sie stand wie zur Salzsäule erstarrt.

»Sie waren nicht gemeint, Arkonide!«, rief ES dröhnend. »Ihrem Volk gab ich vor zwanzigtausend Jahren die Chance, doch es hat meine Hoffnungen nicht erfüllt. Als dem Vertreter einer degenerierten Art kann ich Ihnen die biologische Lebensverlängerung nicht zugestehen; Ihre verfügbare Spanne ist ungenutzt verstrichen.«

Welche Schmach für Crest. Erst recht für Thora. In dem Moment tat sie mir sogar leid.

»Gehen Sie nach vorne, Mister Rhodan, Sir!« Beinahe feierlich sagte Betty Toufry die Worte. »ES meint Sie, nicht den armen, alten Mann. Gehen Sie, Sir.«

Nur Perry hatte noch immer nicht begriffen. Ich hätte ihn am liebsten in den Hintern getreten, leider stand ich ein paar Meter zu weit entfernt. Mein Gott, war der Chef wirklich so begriffsstutzig, eine solche Chance ungenutzt verstreichen zu lassen? Wenn er nicht sofort ging, dann würde ich ...

»Alles zu seiner Zeit, Reginald Bull«, wisperte eine gedankliche Stimme unter meiner Schädeldecke. Ich kannte diese Stimme, mir fiel nur spontan nicht ein, woher.

»Sieh dich um, mein Freund!«

Ich erschrak. Perry Rhodan schien mitten in der Bewegung erstarrt zu sein, den Mund halb geöffnet. Sein Blick ging starr geradeaus. Er atmete nicht einmal. Alle anderen waren ebenfalls zu reglosen Statuen geworden. Sogar Thoras locker fallendes weißblondes Haar wirkte plötzlich wie Draht. Meine Hand glitt tiefer, berührte ihre Schulter. Stein. Ich spürte weder Wärme noch Kälte, nur einen unglaublich festen Widerstand.

Das Lachen in meinen Gedanken klang durchaus menschlich. »Gefällt dir dieser Zustand, mein Freund? Endlich kannst du tun, was du sonst nie gewagt hättest.«

»Was hast du mit Thora gemacht? Wer bist du überhaupt?« Meine Rechte zuckte zum Holster, die Finger verkrampften sich um den kühlen Griff des Thermostrahlers.

»Ich habe deinen Zeitablauf beschleunigt, Reginald Bull. Um den Faktor fünftausend. Deinen Freunden ist nichts geschehen, wenn du das befürchtest. Und wer ich bin? Du kennst mich. Ich beobachte dich schon lange. Ich habe dich auserwählt ...«

Also doch! »Zeig dich!«, stieß ich keuchend hervor und hastete zwischen den erstarrten Gefährten hindurch. Wie Schachfiguren standen sie da, unbeweglich auf den nächsten Zug wartend. Aber wer waren die Spieler?

»Eine gute Frage, Reginald Bull. Sie zeigt mir, dass ich die richtige Wahl getroffen habe.«

»Wer?« Nein, er würde mich nicht aus der Fassung bringen. Ich dachte gar nicht daran, hier loszubrüllen. »Also gut«, sagte ich. »Wir spielen das Spiel nach deinen Regeln, auch wenn ich davon nicht gerade begeistert bin. – Du bist ES?«

Aus den Augenwinkeln heraus gewahrte ich eine Bewegung, einen Schatten, der hinter Crest erschienen war. Auf dem Absatz fuhr ich herum – und wusste zugleich, dass ich mich zum Narren halten ließ. »Okay, ich werde mich jetzt hier hinsetzen und warten«, sagte ich. »Egal über wie viel Zeit du verfügst, du bist am Zug.«

Endlich erklangen leise schlurfende Schritte hinter mir und ein rhythmisch tackerndes Geräusch. O ja, ich kannte den alten Mann, der da an einem Stock auf mich zuhumpelte. Nur war er bei unserer Begegnung in der Wüste Gobi noch nicht so gebrechlich gewesen. Er trug einen weit fallenden, mit undefinierbaren Schriftzeichen bestickten Umhang. Sein Gesicht erschreckte mich, es wirkte mumienhaft vertrocknet, die Lippen waren blutleer und aufgeplatzt, und nur das verzehrende Feuer in den Augen zeigte, dass überhaupt noch Leben in ihm war.

»Du ... Sie sind ES?«, rutschte es mir heraus. »Aber ... wofür haben Sie ausgerechnet mich ...? Ich verstehe nicht. Was soll der Humbug?«

»... auserwählt? Zähme deinen jugendlichen Wissensdrang.« Wie ein Blinder hob er seinen Stock, stieß dann aber zielsicher gegen meine Brust. »Es ist eine große Aufgabe, mein Freund. Rede zu niemandem darüber – vor allem: Lauf nicht vor dir selbst davon! Andernfalls werdet ihr Menschen das Ende der Frist niemals erleben.«

»Was für eine Frist?«, begehrte ich auf.

»Geduld, mein ungestümer Freund, übe dich in Geduld.«

In Gedankenschnelle verwitterten seine Züge vollends, löste sich die Haut von den Knochen, zerfiel alles zu Staub. Ich rang nach Atem. Zurück blieb ein ebenso rasch verwehendes amüsiertes Lachen. Der Alte war nur eine Projektion gewesen.

Gleichzeitig schreckte Perry aus seinem ungläubigen Zögern auf. Falls es wirklich irgendetwas gab, was interessanter war als dieses unsterbliche Energiewesen aus Milliarden Einzelbewusstseinen, dann wollte ich nicht mehr Bull heißen. Ekkel meinetwegen. Der Name war mir noch in Erinnerung; ein sturer Vorgesetzter bei der Air Force, der am liebsten vierundzwanzig Stunden Bereitschaft gesehen hätte, an sieben Tagen in der Woche.

Der leuchtende, rotierende Ball senkte sich langsam tiefer, bis er ungefähr auf gleicher Höhe mit Perrys Gesicht war.

»So sieht er also aus, der verwegene Eingeborene von Terra, einer kleinen Welt im System einer winzigen gelben Sonne. Er ist hart gegen sich selbst, ein Idealist durch und durch, aber er träumt vom Aufbau. Er will Großes erreichen, ohne zu wissen, was wirklich Größe ist. Und er sieht in mir den Anker für alle seine Träume.« Der Tonfall war spöttisch geworden. »Hallo, alter Freund!«

Gucky quietschte los: »ES spielt mit euch, Chef, genauso gern wie ich. ES spielt mit der Zeit, einfach mit allem ...«

»Sie wollen das Große Imperium der Arkoniden übernehmen, es befrieden, neu ordnen, ist es nicht so? Allein die Keimzelle des Tai Ark'Tussan, der Kugelsternhaufen Thantur-Lok, umfasst einhunderttausend dichtgedrängt stehende Sonnen, aber er durchmisst nur knapp einhundert Lichtjahre. An der Basis erreicht das Imperium hingegen einen Durchmesser von annähernd dreißigtausend bis fünfunddreißigtausend Lichtjahre. Sie können wirklich ermessen, mein Freund, was das bedeutet?«

Und ob, wollte ich rufen, die Erde ist doch nur ein Staubkorn im Sternenmeer der Milchstraße. Und diese? Verrate mir, Unsterblicher, wie viele Galaxien unser Universum bilden.

Du wirst sie sehen, Reginald Bull. Nicht heute, nicht morgen, aber irgendwann. Dir bleibt genügend Zeit, wenn du sie sinnvoll nutzt.

Die Galaxien sehen ... Ein schöner Traum, aber leider unerfüllbar.

»Ich werde es schaffen«, behauptete Perry Rhodan in dem Moment und schreckte mich aus meinen Gedanken auf.

ES seufzte. »Ich sah galaktische Hochzivilisationen kommen und gehen, einige von ihnen förderte ich, bis ich die Sinnlosigkeit erkannte. Es mag sein, dass ich Abwechslung benötige. Vor den Arkoniden existierte eine andere hochstehende Kultur und vor dieser wieder eine andere. Ihre Welt ist mir bekannt, Perry Rhodan. Deshalb gebe ich Ihnen und Ihrer Menschheit die gleiche Chance, die ich den Arkoniden zugestand. Für mich werden diese zwanzigtausend Jahre nur ein kurzer Augenblick im Lauf der Geschichte sein, danach werde ich vermutlich wieder auf jemanden warten müssen, der meine Spuren begreift und die Lösung findet. Ich danke Ihnen für das unterhaltsame Spiel, alter Freund; Sie haben sich wacker geschlagen. Vor allem wenn ich bedenke, dass Sie den Weltraum erst vor wenigen Jahren betreten haben. Die technischen Einrichtungen meiner künstlichen Welt stehen zu Ihrer Verfügung. Herausfinden, was Sie damit anfangen können, müssen Sie jedoch selbst.«

Ein Hauch von Wehmut schwang in der verwehenden Stimme mit: »Erwarten Sie von der Unsterblichkeit wirklich die Erfüllung? Alle organischen Lebewesen glauben das, bis sie die fürchterliche Enttäuschung erkennen. Ich bin überzeugt, auch Sie werden einmal froh sein, Ihren Geist vom Körper befreien zu können – aber noch bleibt bis zu diesem Wendepunkt viel Zeit, zumindest für Ihre Begriffe. Ich werde Sie weiterhin beobachten, alter Freund.«

Zwanzigtausend Jahre, hatte ES gesagt. Siedendheiß überlief es mich. War das die Frist, von der der alte Mann gesprochen hatte? Das bedeutete, dass irgendwann innerhalb dieser kleinen Ewigkeit ... Meine Gedanken überschlugen sich. Bei solchen Überlegungen konnte ich nicht mehr ruhig bleiben; ich bebte innerlich und war zum Zerreißen gespannt. Zwanzigtausend Jahre – rückwirkend betrachtet war das noch länger als vom Mesolithikum, der Mittelsteinzeit, bis heute. Kein Mensch konnte eine solche Zeitspanne leben. Dazu waren wir nicht geschaffen. Dieses ganze Geschwätz war Irrsinn. Wir wurden zum Narren gehalten.

Die Energiekugel verwandelte sich in die rotierende Spirale einer Galaxis und erlosch. Gleichzeitig erschien wie aus dem Nichts heraus ein Mann, durchaus menschlich, hochgewachsen und schlank. Bekleidet war er mit einer schmucklosen einteiligen Kombination undefinierbarer Färbung.

»Ich bin für Sie konstruiert und Ihnen zugeteilt worden«, sagte das Wesen sachlich. »Wenn Sie mir einen Namen geben wollen ...«

»Ein Robot?«, fragte Perry.

»Gewissermaßen, Sir, doch keine Maschine in Ihrem Sinne. Mein Gehirn ist eine halborganisch-inpotronische Verbindung, sechsdimensional. Wünschen Sie nun das Physiotron zu betreten?«

»Ein Homunkulus«, sagte Rhodan spontan. »Ich werde dich Homunk nennen. Aber was ist ein Physiotron?«

»Die Zelldusche, Sir. Wahrscheinlich glauben Sie, die biologische Erhaltung könnte nur durch Injektion oder Bestrahlung erreicht werden. In diesem Fall befinden Sie sich im Irrtum. Im Physiotron erhalten Sie für jede Zelleinheit eine Konservierungsaufladung für den Zeitraum von exakt zweiundsechzig Jahren Ihrer irdischen Zeitrechnung. Anschließend tritt ein sofortiger beschleunigter Verfall ein, wenn Sie nicht vor Ablauf der Frist hierher zurückkehren und sich einer weiteren Zelldusche unterziehen.«

Ich musste an mich halten, um nicht lauthals herauszuplatzen. »Nein!«, hätte ich am liebsten geschrien. »Das kann nicht wahr sein!«

War es wirklich nur die Furcht vor der Verwirklichung eines ewigen Menschheitstraums, die mich so reagieren ließ, oder Angst vor der Verantwortung, die uns damit aufgebürdet wurde? In dem Moment klammerte ich mich an Goethes Faust wie ein Ertrinkender an einen letzten Halm: Die Botschaft hör' ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, hämmerte es in meinem Innern.

»Alle zweiundsechzig Jahre«, murmelte Perry und atmete tief ein. Aus unseren vagen Hoffnungen war abrupt Ernst geworden. Zudem hatte ich erst das zweifelhafte Vergnügen gehabt, diesen beschleunigten Verfall mitzuerleben. Ich fühlte mich abgeschreckt. Hatte ich den ziegenbärtigen Alten als Warnung zu betrachten? Aber deshalb auf die Chance der Unsterblichkeit verzichten?

Bully, du alte Schwatztante, schoss es mir durch den Sinn, beiß dich einmal auf die Zunge und halte den Mund! Es reicht, wenn du selbst mit dieser Vorstellung leben musst. Zieh da keine anderen mit rein!

Ich war ein Narr, ich träumte von der relativen Unsterblichkeit, doch der Roboter hatte nicht mich, sondern Perry aufgefordert. Würde er der einzige sein, oder kamen auch andere an die Reihe?

Lass dich nicht verrückt machen, Bully, mahnte ich mich. Entweder gilt das auch für dich, dann hast du es möglicherweise verdient, obwohl du keine Ahnung hast, warum, und wenn nicht ... was ändert sich dann an deinem bisherigen Leben? Du wirst älter werden, irgendwann Kinder in die Welt setzen und eines Tages auf dein Leben zurückblicken und feststellen, dass es trotzdem aufregender war als alles, was man dir an der Wiege prophezeit hat. Hast du nicht schon heute mehr gesehen und erlebt als alle Generationen vor dir?

Ich konzentrierte mich wieder auf den Roboter, der mit Perry redete: »... es ist Ihre Angelegenheit, diesen Planeten zur richtigen Zeit wiederzufinden. Ich stehe Ihnen unbegrenzt mit allen Einrichtungen zur Verfügung, nur müssen Sie mich aufsuchen. Darf ich nun bitten? Ihre Zeit wird knapp werden.«

Ich starrte beiden hinterher, bis sie zwischen den bizarren Aggregaten verschwanden.

»Wir warten, Leute.« Was sollte ich sonst sagen? Keiner redete, jeder hing seinen ganz persönlichen Empfindungen nach. Ich ahnte, was in ihnen vorging, und sie glaubten vermutlich zu wissen, was ich dachte. Der eine oder andere starrte zu Boden; John Marshall, immer der korrekte Banker, der er einmal gewesen war, ließ sich nach einer Weile im Schneidersitz nieder. Meditierte er mit geschlossenen Augen, oder versuchte er, sich in Perrys Gedanken einzuklinken?

Crest schien um Jahre gealtert zu sein. Ich erschrak, als ich seine matten und müden Augen sah. Sein Leben lang war er einer Hoffnung nachgejagt, und nun, da sich sein Paradies als wahr erwiesen hatte, blieb es ausgerechnet für ihn verschlossen. Eine solche Enttäuschung zu überwinden, dazu gehörte menschliche Größe.

»Es ist gut, wie es ist, Mr. Bull«, sagte er leise. »Einige Jahre habe ich dank des Serums noch zu leben. Und wenn ich sterbe, dann in der Gewissheit, dass das Imperium nicht zerfallen wird. Die Menschen werden uns beerben, auch wenn Thora das noch nicht verstehen will.«

»Sie werden es erleben, Crest«, antwortete ich. »Ich wünsche es Ihnen.«

Thora wirkte weiterhin unnahbar. Die Lippen fest zusammengepresst, starrte sie wortlos durch mich hindurch. Die menschliche Ader, die sie kurz offenbart hatte, entsprach doch nicht ihrem Naturell.

Wie lange war Perry schon weg? Zehn Minuten oder länger?

Würde er verändert zurückkommen? Jünger, ohne die Lachfalten um die Augen und die kleine Narbe auf dem rechten Nasenflügel? Erst allmählich wurden mir die vielen offenen Fragen bewusst. Unsterblichkeit für zweiundsechzig Jahre – schön und gut, doch bezog sich das auch auf Krankheiten? Menschen hängen am Leben, denn alles andere wäre kaum im Sinne der Evolution, und sie klammern sich um so fester daran, je länger dieses Dasein von der Natur programmiert war. Bedeutete das aber zugleich, dass wir – dass Perry – künftig schon bei jedem harmlosen Schnupfen in Panik geraten würden? Und dann die Gefahr eines schwerwiegenden Unfalls. Wer unsterblich war, würde wahrscheinlich stundenlang am Straßenrand stehen, bevor er es wagte, eine stark frequentierte Straße zu überqueren, und setzte sich dabei unwissentlich dem Risiko eines herabfallenden Dachziegels aus. Also lieber erst gar nicht aus dem Haus gehen? Von solchen kleinlichen Gedanken musste ich mich losreißen. Unsterblichkeit war nichts für Menschen mit Ängsten, sie erforderte ein neues Denken und eine wesentlich veränderte Sicht des Lebens, ungefähr so wie der Witz mit dem Astronauten und dem Mondwürmchen.

Gucky grinste mich mit seinem blitzenden Nagezahn an. Sein Biberschwanz klatschte im Takt auf den Hallenboden.

Hast du wieder in meinen Gedanken spioniert, du kleine Kröte? Das ist geheim, klar? Wenn ich dich noch einmal erwische, werfe ich sämtliche Erdbeeren aus dem Schiff.

Der Mausbiber grinste immer noch. Entweder hatte ich mich geirrt, oder er war der hartgesottenste Halunke, den ich kannte.

Endlich kam Perry in Homunks Begleitung zurück. Der Reihe nach schaute er uns an. Vergeblich versuchte ich, eine Veränderung an ihm zu entdecken. Er sah aus wie immer, keine Spur jünger.

»Mir wurde freigestellt, auch anderen Personen die Zellkonservierung zu ermöglichen«, sagte er bedeutungsschwer. »Das gilt leider nicht für Arkoniden.«

Sein Blick brannte sich an mir fest. Spürte er, dass ich plötzlich fröstelte? Heiß und kalt lief es mir über den Rücken.

»Vorwärts, Bully!«, sagte er knapp. »Du bist dran!«

PERRY RHODAN-Kosmos-Chroniken: Reginald Bull

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