Читать книгу Hundert Katholikentage - Hubert Wolf - Страница 10

|18|1 MAINZ 3. BIS 6. OKTOBER 1848 Freiheit BLINDE PASSAGIERE DES FORTSCHRITTS

Оглавление

„Am weitesten entfernt aber sind wir von dem Gedanken, irgendetwas gegen die von den Völkern Deutschlands verlangte und von seinen Fürsten gewährte Erweiterung und Begründung der bürgerlichen Freiheit zu unternehmen“, schreibt die erste „Generalversammlung des katholischen Vereins Deutschlands“ an den Papst.

Diese Sätze sind bemerkenswert. Ohne die in der Revolution von 1848 durchgesetzten Grundrechte wie das Vereins- und Versammlungsrecht wäre eine solche Generalversammlung gar nicht möglich gewesen. Aber Pius IX. und seine Vorgänger haben sehr wohl etwas gegen die bürgerlichen Freiheiten unternommen. Gregor XVI. zum Beispiel lässt in seiner Enzyklika „Mirari vos“ 1832 keine Fragen offen. Die Gewissensfreiheit? Ein „Wahnsinn“ und „pesthafter Irrtum“! Die „übermäßige Meinungsfreiheit“, die Freiheit der Rede, die „abscheuliche Freiheit der Buchdruckerkunst“? Lauter Gefahren für das ewige Heil der Gläubigen! „Nichts ist tödlicher für die Seele als die Freiheit des Irrtums“, zitiert der Papst den Kirchenvater Augustinus und fährt fort: „Unsere Aufgabe ist es, die Schafe nur auf heilsame Weideplätze zu führen, die in keiner Weise heimliche Verderbnis bergen.“ Da braucht es Zäune und Hütehunde, aber keine Freiheit.

WAS NOCH?

Die Generalversammlung betont, sich nicht in die Leitung der Kirche einmischen und nicht politisch agieren zu wollen. Für die öffentlichen Reden im Akademiesaal des Schlosses werden genau 1.367 Eintrittskarten verkauft. Grüße gehen an katholische Vereine in England und Frankreich. Ein Kaplan aus Münster berichtet, aufgebrachte Katholiken hätten die Wohnung des westfälischen Oberpräsidenten Eduard von Flottwell bestürmt, weil dieser in der Nationalversammlung einen Antrag gegen den Pflichtzölibat unterzeichnet habe. Ein Toast des Kirchenhistorikers Ignaz Döllinger auf die deutsche Nationalkirche ruft Widerspruch hervor. Die Katholiken rügen – mit einigem Erfolg – die Nationalversammlung in Frankfurt, weil sie die religiöse Freiheit nicht gewährleistet habe. Reden dürfen der Geschäftsordnung zufolge nicht abgelesen werden und nicht länger als 15 Minuten dauern – wie gute katholische Predigten.

Der Papst ist – noch – Herrscher im eigenen Staat. Die deutschen Katholiken dagegen werden seit der Säkularisation zu Anfang des Jahrhunderts überwiegend von protestantischen Fürsten regiert. Aber auch katholische Herrscher versuchen, die Kirche zu einem Werkzeug des Staates zu degradieren. Wallfahrten, Gesangbücher, Kerzen für den Gottesdienst: Alles bedarf der staatlichen Genehmigung. „Freiheit!“, lautet daher die Parole, genauer: „Freiheit für die Kirche!“ Das Verhältnis zu den Freiheitsrechten des Individuums bleibt zwiespältig. Der Katholische Verein schreibt in seiner Satzung ausdrücklich, er werde sich der Rechte der freien Versammlung, Rede und Presse bedienen. Und der Vorsitzende des Mainzer Piusvereins, Domkapitular Adam Franz Lennig, erklärt in seiner Eröffnungsrede im offenen Gegensatz zum Papst: „Wir bekämpfen nicht die Freiheit anders Glaubender, … vielmehr bieten wir ihnen, wo es gilt, ihre Freiheit gegen Beeinträchtigungen zu sichern, unsere Hilfe an.“ Andererseits klagen aber auch die Teilnehmer der Generalversammlung über die „jetzige Zügellosigkeit der Presse“ und den „Pesthauch der falschen Meinungen“.

Trotzdem: Den organisierten deutschen Katholizismus ermöglichen ebenjene Freiheitsrechte, die die Päpste verdammen – und weiter verdammen werden. Denn Pius IX., anfangs Hoffnungsträger der liberalen Katholiken, macht keine guten Erfahrungen mit der Freiheitsbewegung. Fünf Wochen |19|nach dem ersten „Katholikentag“ wird der Ministerpräsident des Kirchenstaates erschossen, Revolutionäre übernehmen die Macht in Rom, und Pius IX. flieht ins Exil nach Gaeta. Erst im Frühjahr 1850 kehrt er mithilfe französischer und spanischer Truppen nach Rom zurück. Von liberalen Reformen möchte er seitdem nichts mehr wissen. Die verbleibenden dreißig Jahre seines Pontifikats, des längsten überhaupt, prägt eine panische Angst vor der Revolution; die Freiheiten der modernen Welt fürchtet der Papst wie der Teufel das Weihwasser.


Der jesuitische Fuchs als blinder Passagier auf dem Wagen des Fortschritts; Karikatur aus der in München erscheinenden Satirezeitung „Leuchtkugeln“: „Liebe Leutchen! Was triumphiert ihr denn so? – Wir haben den Wagen des Fortschritts, der so lange festgefahren war, wieder in Gang gebracht. – Nun, da nehmt euch nur vor dem blinden Passagier in Acht, der unbemerkt hinten aufgesessen ist, dass euch der den Wagen nicht wieder zurückzieht.“

Die Generalversammlung, das uneheliche Kind der katholischen Kirche mit den verdammten revolutionären Freiheiten, findet trotzdem das Wohlwollen des Papstes. Pius IX. antwortet dem badischen Juristen Franz Joseph Buß, dem Präsidenten der ersten Generalversammlung, „dass Uns wohl gefallen hat der von Dir und andern trefflichen Männern Deutschlands gefasste Plan zur starkmütigen und eifrigen Verteidigung der Sache Gottes und der Kirche, zumal bei der so großen Umwälzung der Dinge und Zeiten“.

Hundert Katholikentage

Подняться наверх