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National-Komitee

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Sequoyahs selbst auferlegte Aufgabe blieb ihm lange erhalten, mit trägen Fortschritten und niederschmetternden Rückschlägen. Jedes Zeichensystem, das er auf Tafeln malte und ritzte, blieb ein Haufen Symbole, deren Bedeutung sogar er oft vergaß und deren Verbindung zueinander unverständlich blieb. Zur Schrift wurde keines. Jeder Versuch scheiterte, und jeder außer ihm erkannte die Unmöglichkeit des Vorhabens. Es verdross ihn, stoppte ihn aber nicht. War es erst ein Traum, wurde es bald zur Obsession, zum Wahn, fast zum Fluch. Für Amayeta war es schon lange einer gewesen. Nächtelang blätterte Sequoyah die Bibel durch, um sie mit dem zu vergleichen, was er sich an Zeichen tagsüber ausgedacht hatte. An manchem Morgen verwarf er alles wieder. Er glaubte wiederkehrende Laute im Cherokee zu hören, notieren konnte er sie nicht. Weil die Zeichen nur Bilder blieben und die Laute nur Töne. Eine Verbindung wollte ihm nicht gelingen, und wenn, vergaß er sie oder verwechselte sie mit anderen. Es war wie verhext: Entweder erschuf er solche Symbole, die den ausgedrückten Dingen ähnlich sahen, dann konnte er die Zuordnung in der Sprache erkennen. Jedoch würde er dafür genauso viele Symbole benötigen, wie es Dinge auf der Welt gab. Zu viele, um sie als eine Schrift in Zeichen zu setzen und zu nutzen. Oder er suchte nach allen Lauten der Sprache und gab ihnen jeweils ein eigenes Zeichen. Zeichen, die wiederum keinen natürlichen Zusammenhang aufwiesen, weil Töne keine Bilder oder Dinge waren. Sofern er alle Laute fand, wie sollte er die Unterscheidung der Laut-Zeichen festhalten? Außerdem stieß er fortwährend auf neue Laute. Die Nachbarn behaupteten, er sei verhext von der Schrift, doch er wusste, die Schrift selbst war verhext. Theoretisch ganz simpel zu entzaubern, und der Beweis dafür lag direkt vor ihm. Diese Bibel von Mattheus Hildebrand. Sie war der boshafte Beweis der Möglichkeit, eine Sprache in Schrift zu verwandeln. Was ihm misslang. Als ob die Sprache der Cherokee sich dagegen wehrte, es nicht zuließ, in Bildern zu existieren. Vielleicht hätte er selbst geglaubt, dass er keine Chance hatte, und es demütig hingenommen, wenn in den alten Geschichten nicht vom Gegenteil berichtet worden wäre. Während der andauernden Misserfolge begann Sequoyah sogar irgendwann, die eigenen Erinnerungen an diese Geschichten anzuzweifeln. Hätten Gulkalaski und Nanye-hi seine Erinnerungen nicht bestätigt, hätte er wohl aufgegeben. Doch auch ihnen war als Kinder erzählt worden, dass ihre Ahnen den Zauber beherrscht hatten, die Sprache in Zeichen zu malen. Aber weil die Cherokee nie in gespaltener Zunge redeten, so besagte es die Legende, benötigten sie keine Schriftzeichen, und daher vergaßen sie diese mit der Zeit. Es war also möglich! Es hatte einmal eine Schrift existiert, die er nur wiederfinden musste. Und weil sie jetzt mehr als je zuvor ihre Schrift brauchten, war Sequoyah sich sicher, dass der Große Geist ihm auch helfen würde, den alten Zauber neu zu entdecken. Irgendwann, wenn er sich würdig genug gezeigt hatte. Um das Geheimnis der Zeichen-Magie zu lüften, musste er Opfer bringen, musste beweisen, wie existentiell wichtig für ihn und den Stamm die alte Gabe des Gedankenmalens war. Er durfte das Haus nicht mehr verlassen, stand für ihn fest, bevor er die Aufgabe gelöst hatte. Sogar als Gulkalaski und Nanye-hi ihn zur Großen Versammlung in Etowah abholen wollten, wimmelte er sie ab, weil er keine Zeit für so etwas Banales wie eine Stammesversammlung hatte. Nicht so kurz vorm Durchbruch. Die Freunde sahen das anders, genau wie Sequoyas Frau Amayeta. Der Durchbruch lag ihrer Meinung nach genauso fern wie die alte Schrift selbst. Unerreichbar. Amayeta hatte ihn verlassen, nach einem Streit, den Sequoyah kaum wahrnahm. Während seine Frau schrie und ihm sein Versagen vorwarf, schwirrten ihm bloß Zeichen und Laute durch den Kopf. Amayeta zog ins Dorf ihrer Eltern. Mit ihrer Tochter Galihali. Sie würden nie wieder zu ihm zurückzukehren, drohte Amayeta ihrem Mann. Sequoyah fiel ein Symbol für ›Zurückkehren‹ ein und ritzte es rasch in die Holzplatte des Tisches, bevor er es vergaß. Als er sich zu seiner Frau umdrehte, war sie fort. Sie bat die alte Nanye-hi und Gulkalaski, auf ihn aufzupassen, ihn zu versorgen und auf ihn Acht zu geben, damit die Besessenheit ihn nicht das Leben kostete. Sequoyah blickte nachdenklich auf das Symbol in der Tischplatte, erinnerte sich nicht mehr, was es zu bedeuten hatte, nahm das Messer und kerbte es durch.

Es war ein wunderschöner Morgen. Vor einigen Tagen hatte ich in Head of Coosa mein erstes Frühlingsfest mit den Familien meiner Freunde gefeiert. Die Sonne schien. Es wurde wärmer: in den Wäldern, in den Dörfern und sogar zuhause mit Vater. Für seine Verhältnisse war er in sehr ausgelassener Stimmung. Was mich misstrauisch machte. Als ich aufbrach, saß er vorm Haus, rauchte und ließ sich genüsslich die Sonnenstrahlen auf das Gesicht scheinen. Ein Morgen ohne Geschrei und Gewalt. Welch Wohltat, dachte ich und brach grußlos nach Springplace auf, um keine Geister zu wecken, die ruhend verträglicher waren. In der Schule saß Byhan vor uns, lächelte, lobte Gallegina für seinen Lerneifer und entließ uns früher aus dem Unterricht. Der Morgen wurde immer besser. Wir beschlossen, Sequoyah zu besuchen. Etwas, was wir lange nicht getan hatten, weil wir zuletzt den Eindruck hatten, er würde unsere Anwesenheit gar nicht mitbekommen. Die Zeit der Dreckwurf-Kampf-Spiele war vorbei. Er saß in seiner Hütte, bleich und ungewaschen, und ritzte immerzu Kerben in Holzstücke, die er mit den Tausend anderen verglich, die überall herumlagen. Sofern er mich mal wahrnahm, stellte er eine Frage zu der Schrift in der Bibel, wartete die Antwort ab und verschwand wieder in seinem Kokon aus Geist und Besessenheit. Hatte ich ihn anfänglich fast täglich besucht, kam ich später nur selten vorbei und seit dem Winter überhaupt nicht mehr. Bei ihm war man mittlerweile so allein wie im Wald vor seiner Hütte. Wobei dort zumindest noch Tiere lebten. Die kalten Tage waren vorüber, und wir hofften, dass auch der Freund vielleicht aus seinem Winterschlaf erwachte. Zu unserer Überraschung klang es danach, als wir durch den Wald zu seiner Hütte ritten. Gezeter und Geschrei hallte uns durch die Bäume entgegen. Soweit ich wusste, hatte Amayeta ihn verlassen, von ihr konnte es nicht stammen. Oder war sie doch zurückgekehrt, entgegen ihrer verkündeten Absicht? Fragend sah ich zu John und Gallegina, die beide verständnislose Mienen zogen. Wir trieben neugierig unsere Ponys an.

Noch bevor wir die Hütte erreicht hatten, verstanden wir die Worte, die dort geschrien wurden. Nichts hatte sich verändert. Sein Winterschlaf war unbeendet. Gulkalaski und Nanye-hi standen vor der Hütte. Fluchend und zeternd. Sie brüllten aufgebracht die Tür an, hießen Sequoyah einen sturen und besessenen Narren. Was er vermutlich nicht einmal hörte, obwohl er gewiss gleich hinter der Tür im Haus saß. Wütend machten sie sich auf den Weg gen Etowah, in die Richtung, aus der wir kamen. Ich kannte ihren Frust. Sequoyah war zu allen gleich, gleich abwesend und abweisend. Ein Winterschlaf, der zornig machte.

»Si-yo, Nanye-hi! Si-yo Gulkalaski«, grüßte Gallegina, als die beiden ihre Pferde an uns vorbeiführten. Erneut fiel mir die Anspannung in Galleginas Tonfall auf, wenn er Nanye-his Namen sagte. Eine Mischung aus Ehrfurcht und zittriger Angst, die ich mir nicht erklären konnte. Sobald wir ihr begegneten, war da diese respektvolle Beklemmung in seiner Stimme. Sie war eine alte Frau und meistens vergnügt. Was war der Grund für das furchtsame Verhalten von Gallegina? So, als ob sie eine unberechenbare Bestie wäre? Zugegeben, ihre Augen wiesen einen schalkhaften Glanz auf. Schalkhaft, aber ungefährlich. Zudem war Nanye-hi uralt. Zumindest sah sie uralt aus. Trotzdem wichen Gallegina und sogar John zur Seite, als die beiden auf uns zukamen. Wären sie Gulkalaski ausgewichen, hätte ich es verstanden. Aber sie hielten die Alte fest im Blick. Als ob sie fürchteten, sie könnte mit einem Beil nach uns werfen. An gammlige Tomaten im Herbst konnte ich mich erinnern und an einen Riesenspaß. An mehr nicht.

»Si-yo! Lasst ihn in Ruhe«, brummte Gulkalaski entnervt. »Es ist besser. Für euch.«

»Und ihm ist eh nicht mehr zu helfen!«, zischte Nanye-hi und zog, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, mit Gulkalaski durch den Wald davon. Wir sahen ihnen nach, und ich glaubte, ihren Verdruss zu verstehen. Als ich mich dann zu Gallegina und John umdrehte, erkannte ich die Erleichterung in den Gesichtern der Freunde und war irritiert. Diesmal platzte die Frage, die ich, obwohl mich das Verhalten der beiden bei Begegnungen mit Nanye-hi immerzu verstört hatte, nie gestellt hatte, aus mir heraus.

»Sagt mal, warum benehmt ihr euch so komisch, wenn wir auf die beiden treffen? Vor allem bei Nanye-hi?«

»Weil sie eine Ghighau ist, eine geliebte Frau«, erwiderte John, als würde es irgendetwas erklären. Unruhig sah er sich um. Der Wald hatte Nanye-hi und Gulkalaski geschluckt.

»Und warum dann diese … entschuldigt, diese Angst? Bei einer geliebten Frau? Das ergibt für mich keinen Sinn.«

»Bei Nanye-hi schon«, grinste Gallegina bemüht locker. »Es heißt, sie hätte im Kampf gegen die Osage, Catawba oder keine Ahnung gegen wen … Auf jeden Fall soll sie, als ihr Mann in der Schlacht getötet wurde, seine Waffen ergriffen und den Tod gerächt haben.«

»Vier Krieger hat sie niedergemetzelt«, ergänzte John und durchschlug dabei mit einem unsichtbaren Tomahawk die Luft.

»Vier?«, rief ich überrascht auf und starrte ungläubig zu den Bäumen, zwischen denen die alte Frau gerade verschwunden war. Gallegina und John nickten, traten an Sequoyahs Tür und klopften an. Niemand antwortete.

Als wir in die Hütte traten, stieg uns ein ekelhafter Geruch entgegen. Eine Mischung aus Schweiß, Tabakqualm, fauligem Obst und überwintertem Dreck. Mittendrin Sequoyah, auf dem Boden kniend murmelte er ein Holztäfelchen an. Ein schwarzer Wust aus Haaren, durchmischt von grauem Staub, hing ihm vom Kopf. In dicken, filzigen Klumpen wischte der Haarschopf über das Holzstück in seinen Händen. Eine Pfeife lag auf einem Haufen Stoff, der im Herbst noch seinen Kopf geschmückt hatte. Nun diente der speckig gewordene Turban der Pfeife, um sie vorm Umfallen zu schützen. Sie glomm vor sich hin, und ich beließ es unkommentiert, obwohl ich eine Halterung aus Stoff für keine kluge Wahl hielt. Von der Pfeife und dem Turban stiegen Wölkchen aus Rauch empor und sammelten sich unter der Decke.

Auf unser Erscheinen reagierte Sequoyah genauso wie auf den Abschied, der bald darauf folgte. Gar nicht. Als wären wir nicht da gewesen. Wir waren nicht da. Für ihn. Die gemeinsamen Spaß-Kämpfe waren im Herbst gewesen. Jetzt im Frühling war es, als hätte es sie nie gegeben. Wir riefen ihn beim Namen, ohne Gehör zu finden. Wir schrien, als wäre er taub. Er war taub. Für uns und alles. Wir versuchten, ihn wachzurütteln, aus einem Traum zu holen, aus dem es offenbar kein Erwachen gab. Murmeln und Kopfwippen. Sogar als wir ihm das Täfelchen aus der Hand rissen, ließ er es einfach geschehen und griff stattdessen nach einem der anderen, die verstreut um ihn herum lagen. Wir warfen uns fragende Blicke zu, ohne Antwort, sahen uns im Raum um und entschieden, ihn allein zurückzulassen. Allein? Auf den Tisch in der Ecke hatten Gulkalaski und Nanye-hi etwas zu essen gestellt. Es würde wohl am nächsten Tag unangerührt am selben Platz stehen, und vermutlich von dem Krieger und der Ghighau durch Frisches ersetzt werden. Allein? Wir traten unschlüssig aus der Hütte. Auf den kleinen Feldern stießen die ersten Triebe aus den Pflanzen. Von den Händen anderer für das Frühjahr vorbereitet. Allein? Wir ahnten, wessen Hände da tätig gewesen waren. Für uns gab es hier nichts zu tun.

»Und was nun?«, brummte ich bedrückt.

Kurz nachdem der letzte Schnee von den Blättern getaut war und wenige Tage nach dem Fest zum ersten Frühlingsneumond wurde eine Große Stammesversammlung einberufen. Insgeheim. Wie bei fast jedem Geheimnis wussten viele davon. Eigentlich alle im Stamm. Kaum war die geheime Kunde unter den Häuptlingen der Dörfer verbreitet, kursierten bereits die ersten Gerüchte über die Gründe für die Versammlung durch die Dörfer und Städte der Cherokee. Es hieß, manche der Dorfhäuptlinge hätten versucht, Land zu verkaufen. Einige wären mit Walter Hildebrand zusammen gesehen worden. Der Rat verlor an Unterstützung, weil er die Stimmen der Häuptlinge nicht vereinen konnte. Die Cherokee blieben bloß eine lose Ansammlung von Dörfern und Verwandten. Viele waren der Ansicht, dass die Häuptlinge ausschließlich an ihre eigenen Gemeinden dächten, an ihre eigene Macht und an den eigenen Vorteil. Und das Urteil wurde von der Ghostdance-Bewegung bestärkt. Das Ansehen des Propheten, seiner Lieder, seiner Tänze und seiner Visionen stieg. Ein Keil brach durch die Gemeinden, Familien, Clans und Freunde. Die Ghostdance-Traditionalisten standen Reformern gegenüber. Ein Bürgerkrieg drohte, den Stamm zu entzweien. Die Erdbeben des Winters waren nicht vergessen. Die Traditionalisten deuteten sie als Omen und als Warnung des Großen Geistes wegen der Abkehr von der traditionellen Art des Lebens. Was aber war, wenn die Beben das alte Leben erschüttern sollten, um Platz für neue Gedanken zu schaffen? Was, wenn das der Hinweis des Großen Geistes war? Streit brach aus, oft mit Blutvergießen. Deshalb wurden die Krieger der Lighthorse-Patrole ausgesandt, um für Sicherheit und die Wahrung der Gesetze zu sorgen. Die Lighthorse-Patrole waren jedoch vielen Häuptlingen und Clans in den Dörfern ein Dorn im Auge. Für die Sicherheit sorgten sie selbst, und die Gesetze bestimmten sie. Sie waren das Recht und die Ordnung in ihren Dörfern. Ihre Krieger sorgten dafür. Keine Lighthorse-Patrole im Auftrag des Obersten Stammesrats sollte sich in ihre angestammte Ordnung mischen. Gerade weil die Anzahl der Feinde zunahm und sie stärker wurden, durften sie die alte Ordnung, die ihnen immer Halt gegeben hatte, nicht aufgeben. Gemeinsam kämpfen wollten sie, ja, aber nicht die Macht über ihre Dörfer abgeben. Diese Haltung war unter den Häuptlingen weit verbreitet. Die Trennung in Obere und Untere Jagdgründe, in Fluss- und Waldgemeinden schwächte die Geschlossenheit des Stammes. Diesbezüglich war sich der Stammesrat einig. Es waren zu viele eigenständige Häuptlinge, die mehr auf die eigenen Interessen bedacht waren als auf die des Stammes. So war es für den Obersten Häuptling und den Stammesrat unmöglich, für alle Cherokee als Einheit zu sprechen. Was die Verhandlungen mit den US-Nachbarn erschwerte. Die Mehrheit der regionalen Häuptlinge wehrte sich gegen den Verlust von Befugnissen und die Minderung ihrer Macht. Der Stammesrat durfte nicht über sie und ihre Dörfer bestimmen. Bis … ja, bis ein Sinneswandel eintrat. Nicht verursacht durch die Reformer. Oder durch den Obersten Häuptling. Oder durch den Stammesrat. Sondern wegen der Unruhen in den Dörfern durch die Ghostdance-Bewegung trat ein Umdenken ein. Was war die Macht wert, wenn ihr Leben und ihre Existenz bedroht waren? Als Nunnatsunega, den alle Nicht-Cherokee White Path nannten, zum Widerstand gegen den ›Weißen Einfluss‹ aufrief, sogar mit Waffengewalt, werteten viele der Häuptlinge den Aufruf als größere Bedrohung für die Dörfer und ihre Stellung darin als eine übergeordnete Stammesführung. Was bedeutete der Verlust von ein paar Traditionen und ein wenig Macht im Verhältnis zum Untergang des gesamten Stammes und der gesamten Macht über ihre Dörfer? Die Notwendigkeit der Großen Versammlung war dringlich. Das Geheimnis um die Versammlung schürte jedoch vielerorts Misstrauen. Zumal bei jenen, die der Ghostdance-Bewegung nahestanden. Dass es Black Fox war, der ehemalige Oberste Häuptling, den sie wegen der Veränderungen abgewählt hatten, die in seiner Zeit durchgesetzt wurden, der zur Versammlung aufrief, anstelle von Pathkiller, befeuerte die Zweifel. Gab Raum für Gerüchte. Keine Vorzeichen waren am Himmel gesehen worden, die geheime Nachricht war von Mund zu Mund durch den Stamm getragen worden. Allein der Große Geist hatte geschwiegen.

Der Ort der Großen Versammlung lag am Etowah River. Um einen ebenen Sandplatz standen fünf aus Holz gefertigte Höfe mit eingezäunten Ackerflächen, auf denen an den Baumwollsträuchern das erste Grün spross. Daneben würden bald der Mais, Kürbisse, Tomaten, Kartoffeln und Getreide keimen. Um den Ortskern lagen einige flache, fensterlose, rechteckige Bauten aus dünnen Erd- oder Holzwänden. Dort lebten die meisten Einwohner von Etowah. Bald wieder. Viele verließen gerade ihre Winterquartiere, die lehmwandigen Halbkugeln, vor deren schmalen Eingangsöffnungen Pelze hingen. Der Winter war vorbei, die Nächte wurden wärmer, die Familien konnten aus den engen Asi in die kleinen Bauten in direkter Umgebung ziehen. Das vom Winter noch dürre Vieh äste zwischen den Gebäuden und Feldern die hellgrünen Halme des Frühjahrs ab. An der Kopfseite des Gemeindeplatzes erhob sich ein zweigeschossiges Gebäude aus Stein und Holzstämmen. Dort lebte Häuptling Black Fox. Dort wurden die Sitzungen des Dorfes abgehalten. Dort sollte die Große Stammesversammlung stattfinden. Neben den Gemeinschaftsfeldern von Etowah graste eine Herde aus Pferden. Sehr vielen Pferden.

Alle waren gekommen: die Häuptlinge der Oberen und Unteren Jagdgründe, die der Fluss- und der Waldgemeinden. Krieger, die wegen ihres Einsatzes im Kampf und auf der Jagd hohes Ansehen genossen. Die heiligen Männer, die Adonisgi, waren gekommen. Und die einflussreichsten Farmer und Händler, meist Halbblut-Cherokee, die gute Kontakte zu den US-Nachbarn besaßen. Auch die Ghighau, wie Nanye-hi und Cuhtahlatah, waren eingeladen. Alle waren anwesend bei dem geheimen Treffen, von dem alle wussten. Gulkalaski und Corn Tassel standen zwischen Männern in wamsener Feldarbeiterkleidung, direkt daneben die in US-Manier gekleideten Herren wie John und sein Bruder Andrew Ross oder Joe Vann. Manche, wie Oowatie und The Ridge, trugen das Leinenhemd der US-Siedler zu den traditionellen Röcken. Womit wenige gerechnet hatten: Auch der Cherokee Agent Meigs und die Lehrer aus Springplace, Steiner und Byhan, waren erschienen. Sogar der Landhändler Walter Hildebrand nahm am Treffen teil. White Path, Ursache vieler Gerüchte, war ebenso zugegen. Die geheim-bekannte Sitzung hatte alle angelockt. Wie geplant. Von Black Fox und Tagwadi, seinem engsten Vertrauten. In Georgia kannte man den Krieger unter dem Namen The Glass, die Cherokee fürchteten und verehrten Tagwadi als Catawba-Indianer-Killer. Sein Ruhm war ähnlich einschüchternd wie der von The Ridge, von dem es hieß, dass er gleichfalls an der Einberufung der Großen Versammlung beteiligt gewesen war. Noch ein Grund, das Treffen nicht zu versäumen.

Nachdem wir Sequoyah verließen, machten wir uns auf den Weg nach Head of Coosa, wo John lebte. Sein Vater, The Ridge, war der Häuptling des Ortes. Weil das Haus größer war, ein zwei Stockwerke hohes weißes und nobles Gebäude mit viel Land und mehreren Schuppen dazu, also Platz bot, um sich vor den Eltern zu verstecken, ritten wir zu John anstatt zu Gallegina. Träge Langeweile begleitete den Ritt. Es war, als hätte eine höhere Macht die Strecke verdreifacht. Ungewohnt schweigsam waren die Freunde. Hatten sie zuvor von Springplace zu Sequoyah die Zeit mit Spekulationen über dessen Gemütszustand gefüllt, kam jetzt kein Ton über ihre Lippen. Obwohl ich von uns nie der Redsame gewesen war, war ich jetzt plötzlich der Einzige, der ab und zu etwas sagte. Ohne Reaktion der Freunde. Sie ritten einfach neben mir her. Stellte ich eine Frage, antworteten sie entweder einsilbig oder überhaupt nicht. Tief in Gedanken versunken. Mich aus ihren Gedanken ausschließend. Es machte mich rasend, und ich quatschte vor mich hin. Egal, ob es jemand wahrnahm oder nicht. Als wir die Grenze von Head of Coosa passierten, kam noch etwas Irritierendes hinzu. Die Stimmung im Ort glich der meiner Freunde. Still und abweisend. Einige Frauen standen zwar wie gewöhnlich miteinander redend auf dem mittigen Platz. Es waren aber kein lebhaftes Geplauder und auch nicht das gelegentliche Gezanke wie sonst zu hören, wenn sie dort zusammenkamen. Bedrückend-intim flüsterten sie, als ob sie über den willkommenen Tod eines ebenso nahen wie unerträglichen Verwandten sprächen. Als sie mich mit den Freunden in den Ort reiten sahen, verstummten sie. Irgendetwas stimmte hier nicht. Ganz und gar nicht. Außerdem: Wo waren die Männer? Die Krieger? Dass Johns Vater nicht zu Hause war, war nicht weiter ungewöhnlich. Als Häuptling von Head of Coosa war er oft unterwegs. Aber auch Johns Mutter war nicht da. Weder im Haus noch auf dem Versammlungsplatz bei den anderen Frauen. Als John meine Verwirrung zu bemerken schien, schlug er vor, für ein Chungke-Spiel mit Degataga weiter nach Oothcaloga zu reiten. Ich wurde misstrauisch. Zumal Gallegina dem Vorschlag zustimmte. Ich schluckte mein Misstrauen und folgte ihnen ins Nachbardorf Oothcaloga, wo die Stimmung der in Head of Coosa auf bedrückende Weise ähnelte. Auch dort war die Bevölkerung des Dorfes in tuschelnden Gruppen versammelt und versteinerte, als sie mich mit den Freunden erblickten. Was hatte das zu bedeuten? Als wir Degataga und Galleginas Eltern im Haus der Oowaties nicht antrafen, löste sich meine Selbstbeherrschung in schreiende Neugier auf.

»Was ist hier los?«, brach es aus mir heraus.

»Wieso?«, fragte Gallegina scheinheilig. Immerhin reagierte er auf meine Frage. »Ist doch alles wie immer.«

»Quatsch«, schnarrte ich die beiden an und stupste Gallegina mit dem Finger in die Brust. »Nichts ist wie immer. Ihr schon gar nicht. Was seid ihr so komisch? Stumm und … So wie die da draußen! Was ist mit euren Eltern? Wo sind die? Und … und … und …?«

»Ach so, die! In Etowah«, antwortete diesmal John. In derart beiläufigem Tonfall, dass ich ihn am liebsten dafür geschlagen hätte. Ich verzog wütend das Gesicht und sah ihn feindselig an. Genauso feindselig, wie Gallegina es tat. Wie mir auffiel.

»Was? Was ist los?«

»Nichts!« Gallegina schnarrte das Wort, als ob er sich davor ekeln würde, und warf John finstere Blicke zu. Der Grund dafür war klar: Weil John geredet hatte. »Wir dürfen es dir nicht sagen.«

»Was soll das heißen?«, fauchte ich. Sie zuckten beide mit den Schultern.

»Weil’s geheim ist!«

»Was?«, brüllte ich aufgebracht. »Muss ich euch die Wahrheit erst mit Gewalt rausprügeln?«

»Soll das eine Drohung sein? Ehrlich?« John schmunzelte mich bemüht spöttisch an. Ich hob meine Faust vor sein Gesicht. Er blickte auf meine zitternd verkrampften Finger, lächelte matt und sah Gallegina fragend an. Der zuckte erneut mit den Schultern. Diesmal ergebend.

»Die wollen heute den Häuptlingen der Oberen und Unteren Jagdgründe ihre Macht nehmen, sagt Vater.« John legte seine Hand über meine Faust und drückte sie nieder. »Alle Cherokee-Gemeinden sollen zu einer einzigen Nation zusammengeschlossen werden. Mit einem neuen National-Komitee, bestehend aus dreizehn Häuptlingen, die für den gesamten Stamm verhandeln und entscheiden dürfen.«

»Oh!« Mehr fiel mir dazu nicht ein. Ich war zu erstaunt und zu verwirrt, um die Informationen sofort zu verstehen.

»Ja, und Black Fox wird ihr Anführer, unser Anführer, unser Oberster Häuptling«, fuhr John fort. »Das alles war dringend notwendig. Vater sagt, dass wir einzig als eine Gemeinschaft stark gegen die USA auftreten können. Nur dann erst werden wir von denen ernst genommen werden.«

»Aha.« Ein Wort, mit dem ich möglichst viel Verstehen zum Ausdruck bringen wollte. Vergeblich. »Aber Pathkiller ist doch der Oberste Häuptling! Oder …? Oder nicht?«

»Nach heute wohl nicht mehr.« Ein abfälliges Schmunzeln ging über Galleginas Gesicht.

»Aber …?«

»Nichts aber. Wir müssen konsequenter und zielstrebiger den neuen Weg gehen. Wenn wir hier überleben wollen. Und das geht mit Pathkiller nicht. Bislang jedenfalls.« Gallegina sagte das so bestimmt und fest, dass es mich erschaudern ließ. Sonst war er eher zurückhaltend und John direkt. »Nach den Erdbeben im Winter, White Paths Aufrufen und den Ghostdancern ist die Lage dermaßen bedrohlich geworden, dass wir uns entscheiden müssen. Konsequent. Das werden die Häuptlinge einsehen.«

»Einsehen müssen«, brachte es John nüchtern auf den Punkt. »Außerdem wird das, was der Große Geist uns einst gegeben hat, unser Stammesland, endgültig als unverkäuflich festgeschrieben werden. Mit der Zustimmung aller Häuptlinge!«

»Das ist nicht neu. Aber wenn heute alle zustimmen, gibt es Klarheit für immer. Landverkäufe werden dann im Einverständnis aller mit dem Tod bestraft«, erklärte Gallegina. John nickte zustimmend und sah sich suchend um. Er ging zu einem Tisch in der Raummitte und nahm sich von den Trockenfleischstücken, die dort lagen.

»Zum Tode?«, erschrak ich.

»Zur Sicherheit des Stammeslandes und der neuen Nation.« John biss von dem Fleischstück ab.

»Deshalb wurden ja auch Colonel Meigs und dein Vater dazu eingeladen. Damit sie vom vereinten Stamm erfahren, dass der Kauf und Verkauf unseres Landes für jeden unmöglich ist. Damit sie es endlich verstehen.« Gallegina klopfte um Zustimmung heischend auf meine Schulter. Ich zog sie ihm entsetzt weg.

»Mein Vater? Spinnt ihr?« Panik durchfuhr mich beim Gedanken an meinen Vater. Wenn es wahr war, was sie sagten, und davon ging ich aus, würde ich es sein, den er für ihren Beschluss bestrafte. Nicht mit dem Tod, aber mit Schmerzen. Weil ich der Einzige in Vaters Reichweite war.

»Nicht nur er, sondern auch Byhan und Steiner«, ergänzte Gallegina begeistert, als ob er mir meine Panik nicht ansähe. Vermutlich sah er sie nicht. Er lächelte glücklich über das ganze Gesicht. »Wir werden neue Schulen bauen. Viele Schulen. Und wir werden dafür sorgen, dass alle dorthin gehen. Um eure Welt zu verstehen und euch zu zeigen, dass wir ebenso gut sind wie ihr.«

Mit einem Mal gehörte ich nicht mehr zu Gallegina, John und den Cherokee. Zack, ein Satz, und ich war ein Fremder. Ich erinnere mich an nichts mehr, was die beiden anschließend sagten. Der restliche Tag ist aus meinem Gedächtnis getilgt. Bis auf die Schläge meines Vaters. Wegen des Verrats ›meiner Freunde‹. Freunde? Waren sie das? Wenn ja, verrieten sie mich umso mehr. Wer sagte, dass ich und unsere Freundschaft ihnen nicht bloß als Mittel zum Zweck dienten? Von Anfang an. Für ihren Zweck. Um leichter an Vater heranzukommen. Um ihn in Sicherheit zu wiegen, bis zu dem Beschluss auf der Großen Ratsversammlung. Ich hasste ihn. Für die Schläge weniger als für alles andere. Für den Zweifel an der Freundschaft.

Es waren dermaßen viele Stammesmitglieder zur Versammlung in Etowah erschienen, dass der Plan, im Häuptlingshaus zu tagen, verworfen wurde. Auf dem zentralen Sandplatz direkt am Fluss wurde totes Holz zusammengetragen, das seit einem mysteriösen Baumsterben im Überfluss in der Umgebung des Dorfs herumlag. Viele hielten das Sterben der Bäume für ein Zeichen von Selu, der Mutter Erde. Über Jahre starben die Bäume und verstreuten ihre Äste am Fluss. Weshalb er wie die Gegend Etowah genannt wurde, der Ort des toten Holzes. So unvermittelt es angefangen hatte, endete das Baumsterben wieder. Das tote Holz lagerte seither in Hütten, Höhlen und Verschlägen. Es wurde von den Bewohnern Etowahs über viele Winter zum Heizen genutzt. Bis zur Großen Versammlung. Auf ihr wurde der Rest entzündet. Auf dem Platz am Etowah River. Trotz Feuer und Frühling wurde es kalt und eng auf der Versammlung.

Nicht jeder Gast war willkommen. Als Walter Hildebrand mit Steiner und Byhan in das Dorf ritten, verstummte plötzlich das Rauschen der Gespräche. Eine bedrohliche Stille trieb durch den Ort. Feindselige Blicke folgten ihrem Weg. Gottlieb Byhan wollte sofort kehrt machen, doch Hildebrand und Steiner ließen sich am Rand des Platzes von den Rücken ihrer Pferde rutschen. Byhan zögerte. Als sie über den Platz schritten, wo Black Fox und The Ridge standen, saß auch Byhan ab und folgte ihnen. Die narbigen, tätowierten Krieger umschlossen mit ihren Händen die Griffe ihrer Messer, die Adonisgi und die Ghighau musterten die Ankömmlinge unheilsam, und die Didanawisgi zuckten verächtlich mit den Lippen, als ob sie stumm tödliche Flüche aussprächen. Obwohl nicht alle feindlich gesinnt waren, so stand für jeden fest, dass die drei Männer an diesem Ort zu solch einem Anlass unerwünscht waren. Weil es ihnen verboten war, hier zu sein. Trotzdem verharrten die Anwesenden vorerst und sahen bloß zu, was geschehen möge.

Da versperrte ein hochgewachsener und bulliger Krieger den unerwünschten Gästen das Weitergehen. »Was machen die hier?«, protestierte er lauthals. Drei etwas ältere Cherokee gesellten sich neben ihn. Einer von ihnen war riesig, sogar größer als der bullige erste Krieger, der ihnen entgegengetreten war. Sein Kopf war gezeichnet von unzähligen Malen. Eine der Narben zog sich von der Stirn über die linke Augenbraue bis auf die Wange hinab. Neben dem tiefen Hautspalt krümmte sich die Nase zu einem schartigen Buckel, wie ein nackter Bisonrücken. Der rot gefärbte Haarschopf, der aus der Schädelmitte ragte, fiel auf helle Flecken, wo verlorene Haut auf dem Kopf wieder zusammengewachsen war. Eines seiner Ohren fehlte vollends. »Die haben kein Recht hier zu sein!«

»Haben sie! Wir haben sie eingeladen«, widersprach Black Fox kühn. Ein verständnisloses Gemurre brummelte durch die Reihen der Anwesenden.

»Den nicht«, fauchte der narbige Hüne und zeigte auf Walter Hildebrand. Sogar Black Fox schrak kurz zusammen. Hildebrand hörte bloß die Stimme, ohne die Worte zu verstehen, und doch war ihm die Brisanz der Situation klar. »Fremde sind auf einer Stammesversammlung unerwünscht. Verboten! Unsere Feinde sollten wir töten, nicht einladen!« Die Missionare und der Landhändler starrten ängstlich zu Black Fox, der sich nicht rührte.

»Was soll das?«, brüllte The Ridge, und alle Blicke gingen zu ihm, weshalb er leiser und sanfter weitersprach. »Black Fox ist der Häuptling von Etowah, und das sind seine Gäste!« Mit einer einladenden Geste wies The Ridge auf Hildebrand, Steiner und Byhan, die wie versteinert dastanden.

»Bei jeder anderen Gelegenheit«, knurrte der bullige erste Krieger und sah The Ridge hasserfüllt an. »Aber jetzt ist es ihnen nicht erlaubt. Und da du es gerade sagst, Ganundalegi, Inali ist bloß ein Dorf-Häuptling, nicht unser aller Oberster Häuptling.« Abfällig spuckte er The Ridges Namen und den des ehemaligen Obersten Häuptlings über die versammelte Menge. »Er hatte kein Recht, eine Große Stammesversammlung einzuberufen. Du erinnerst dich? Ihr habt das einst über unsere Köpfe hinweg beschlossen. Gilt euer Recht nicht für euch?«

»White Path, ich verstehe deinen Zorn«, senkte The Ridge die Stimme zu einer bittenden Tonlage, was White Path mit einem abschätzigen Fauchlaut bewertete. Alle wussten: Er hasste den Anführer der Lighthorse-Patrole und Häuptling von Head of Coosa. »Die sind eingeladen worden, damit wir ihnen unsere endgültige Entscheidung als vereinigter Stamm, als Volk der Cherokee, an ihren Präsidenten mitgeben. Damit es bleibt, wie es ist. Damit unser Land unverkäuflich bleibt. Damit die wissen, wer Land verkauft, hatte kein Recht dazu und wird dafür sterben.«

The Ridge wies zur Bestärkung der Worte mit einer nachlässigen Geste zu den unwillkommenen Gästen.

White Path musterte ihn misstrauisch und zuckte nervös mit den Mundwinkeln. »Sie haben hier nichts zu suchen«, beharrte er.

»Warten wir es ab«, mischte sich unerwartet eine Stimme aus der versammelten Menge ein. Es war Pathkiller, der The Ridge beipflichtete, obwohl er gewiss ahnte, was der Tag an weiteren Entscheidungen für oder vielmehr gegen ihn persönlich noch aufzuwarten hatte. Einheit sei wichtiger als ein Amt, hatte er im engsten Kreis mit Tassel, Hicks und John Ross beschlossen, bevor sie zur Versammlung aufgebrochen waren. Er empfand die Einladung zur Versammlung zwar wie viele Stammesmitglieder als Affront, aber er wollte die Argumente und Pläne hören, bevor er gegen oder für etwas stimmte. Insgeheim war er sogar bereit, das eigene Amt zu opfern. Die bedrohliche Lage im Winter und die vergeblichen Versuche, die Unruhen im Stamm zu schlichten, hatten ihm gezeigt, wie sehr die Aufgaben seine Fähigkeiten überforderten. Womöglich war Black Fox doch der geeignetere Oberste Häuptling, gestand er einer Handvoll Vertrauter ein.

Leises Gemurmel zog durch die Versammlung. White Path sah von einem zum anderen, versuchte, mit den Augen Verbündete auszumachen, und fand zu wenige. Schließlich nickte er geschlagen.

»War es das schon?«, dröhnte der narbige Riese neben ihm, knetete seine Fäuste und starrte The Ridge angriffslustig an. Ein schelmisches Zucken fuhr über sein brutales Gesicht, das alle, die ihn kannten, einzuschätzen wussten. Auch The Ridge.

»Tsali«, grinste der. Tsali war eine Legende im Stammesland. Seinen Namen kannte jeder. Er war ein Adonisgi, ein heiliger Mann, von dem gesagt wurde, in ihm stecke Yowa, die Kraft der Schöpfung. Er stehe im direkten Kontakt zum Großen Geist. Von Selu, der Mutter Erde persönlich, habe er das Wissen über die Pflanzen und Tiere erhalten, weshalb er als Didanawisgi die Menschen und die Welt heilen konnte. Niemand wusste, wie alt er war. Sofern die Alten es wussten, behielten sie es für sich. Zu den Alten gehörte er gewiss nicht, denn seine Kinder waren recht jung. Die Hochachtung, die er genoss, war hingegen älter und mächtiger als die der meisten Alten. Und obwohl es unmöglich war, weil er eindeutig zu jung dafür war, hieß es, er habe neben Dragging Canoe im letzten großen Gefecht des Unabhängigkeitskrieges für die Engländer gekämpft. Obwohl sie geschlagen wurden, sagte man, sei er lachend vom Schlachtfeld zurückgekehrt. Was jeder glaubte, denn sein Wesen widersprach dem von Kriegen zerschundenen Äußeren zutiefst.

Es zogen sich belustigte Linien über sein Narbengesicht und die gewaltige Hand landete auf der Schulter von The Ridge. Die Wucht der Pranke drückte ihn leicht hinab.

»Warum musst du uns bloß immer den Spaß verderben?«, brummte Tsali erheitert und bearbeitete mit der Hand die Schulter des Häuptlings von Head of Coosa. Als Tsali sich mit White Path in die versammelte Menge zurückzog, begannen erst die Schrecken des Abends für den Landhändler. War die Ankunft hitzig gewesen, folgte bald ein Inferno der Worte, dem er einerseits verständnislos und wegen der eindeutig aggressiven Tonlage andererseits eingeschüchtert zuhören musste. Einen Einfluss auf die Diskussion hatte er nicht. Es waren die Häuptlinge, die stritten. White Path, The Ridge, Black Fox, Pathkiller und John Ross. Es ging um nichts Geringeres als die Zukunft des Stammes der Cherokee. Über alle Einwürfe aus der Versammlung wurde intensiv beraten. Begleitet von Tsalis Scherzen. Trotzdem stand der Ausgang des Treffens lange auf Messers Schneide. Diverse Male war er vom Scheitern bedroht. Dass es nicht zu Blutvergießen kam, hielten manche für ein Wunder. Doch es endete mit Einigungen. Das Verbot von Landverkäufen wurde als Gesetz mit Todessanktion festgelegt. Für die Umsetzung sollten zukünftig die Lighthorse-Patroles sorgen. Sie hatten den Auftrag, diejenigen zu verhaften, die gegen das Gesetz verstießen. Als John Ross das alles Walter Hildebrand übersetzte, fühlte der sich um die Hoffnung betrogen, je seine Mission erfüllen zu können. Sich mit The Ridge, White Path oder Tsali anzulegen, bot für ihn keine Alternative.

Die Notlage des Stammes sprach für die Pläne von Black Fox und The Ridge. Nach der Nacht der Großen Versammlung war ein Weg in die Zukunft unter Achtung der Traditionen beschlossen. Bei dem Vorschlag, mehr Schulen zu bauen, um den Kindern die englische Schrift und Sprache zu lehren, glomm der Streit nochmals auf. Kurz. Ein Flächenbrand blieb aus. Es herrschte Einigkeit, dass der Fortbestand der Cherokee und ihres Territoriums einzig mittels Gesetzen und Verträgen mit den US-Nachbarn zu sichern war. Diese Verträge und Gesetze mussten schriftlich fixiert werden, damit sie von allen Beteiligten anerkannt würden. Der logische Schluss war, um die Kontrolle über die Verträge und Gesetze nicht aus der Hand zu geben, dass möglichst viele der Cherokee die englische Sprache und Schrift lernen sollten. Das sah sogar White Path ein, weshalb er den Beschluss akzeptierte. Es würde ohnehin am Bestehenden wenig ändern. Auf eine deutliche Zunahme an Schülern oder Schulen hofften nicht einmal die Lehrer Steiner und Byhan. Die meisten Familien benötigten ihre Kinder für die Arbeit auf den Höfen. Der Beschluss des an dem Tag neu berufenen National-Komitees änderte daran nichts. Die Erfahrung sagte, dass mehr Schulen wie die in Quotaquoskee oder in Springplace mehr schlecht besuchte Schulen bedeuteten. Colonel Meigs meinte, eine Lösung für das Problem zu haben. Doch das Angebot, zur Unterstützung einen Cherokee-Schul-Fund einzurichten, verwandelte sich abrupt in Gefahr, als er es mit der Option verband, dass die Cherokee dafür die Landverkäufe tolerierten. Sein rascher Aufbruch, gemeinsam mit Hildebrand, Byhan und Steiner, verhinderte, dass die Große Versammlung in einem Massaker endete.

In einer Sache setzte sich White Path durch. Zukünftig würde es keine Versammlungen in Etowah mehr geben. Weder vom Rat noch vom National-Komitee einberufen. Genauso wenig wie in Ustanali oder Head of Coosa, wo Major Ridge der Häuptling war. Um zu verhindern, dass irgendein Häuptling den Versammlungsort zur Verfügung stellte und so Macht über die Versammlung erhielt, wurde ein neutraler Ort für die Versammlungen auserkoren. Was White Path nicht ahnte, war, dass er mit seinem Ansinnen ganz im Sinne von The Ridge und Black Fox handelte. Das kleine Dorf Gansagiyi am Zusammenfluss von Conasauga und Coosawattee zum Oostanaula River wurde als Ort der zukünftigen Stammestreffen bestimmt, weil dort keiner der mächtigen Häuptlinge lebte.

Von der Feuerstelle drangen im Herzschlagrhythmus die Schläge der Trommeln, begleitet von unzähligen Flaschenkürbisrasseln. Ein wummerndes Rauschen wie das Blut in den Adern der Krieger, die dazu tanzten.

Unmittelbar nach der großen Versammlung schickten tatsächlich mehr Familien ihre Kinder in die Missionsschulen. Zumindest in Springplace wurde der Raum für uns enger. Die neuen Schüler besuchten den Unterricht genau so lange, wie die Versammlung unter uns Schülern das Hauptgesprächsthema war. Gerade bei den Neuen hörte ich die Eltern und Verwandten aus ihren Mündern sprechen: Um im Stammesgebiet zu überleben, müssten sie den Menschen in Georgia, Tennessee und den USA beweisen, dass sie gleichwertige Nachbarn waren. Dass sie die weißen Techniken und Maschinen ebenso gut und erfolgreich beherrschten und sogar ihre Sprache und Symbole verstanden. Nicht nur, um von ihnen als Volk anerkannt zu werden, sondern um den Betrug mit Verträgen, wie er in der Vergangenheit oft geschehen war, in Zukunft zu verhindern. Sie wollten ihre eigenen Verträge und Gesetze schreiben. Wie die Neuen diskutierten auch Gallegina und John unentwegt über die Ergebnisse der Großen Versammlung. Doch im Gegensatz zu vielen anderen plapperte Gallegina gewiss nicht die Meinung seines Vaters nach. Oowatie hegte Zweifel an den Entscheidungen des Rates und des National-Komitees, fürchtete den Verlust der eigenen Art zu leben. Sein Sohn Gallegina sah hingegen keine Alternative zum Wandel. Als Jäger oder Farmer wollte er nicht alt werden. Er war fest entschlossen, alles zu lesen und zu erlernen, was es auf der Welt zu lesen und zu erlernen gab, um federführend die Cherokee irgendwann zu einem ›Nationalen Nachbarstamm der USA‹ zu verwandeln. Was er nie müde wurde, zu wiederholen. Meine Erfahrungen mit den Menschen aus den USA bezogen sich auf meinen Vater. Wären sie wie er, würde sich Galleginas Traum niemals erfüllen. Das stand für mich fest. Aber ich behielt es für mich. Weil ich Angst hatte um unsere Freundschaft, dass meine Skepsis sie gefährden und zerstören könnte. Aus heutiger Sicht ein Fehler. Nicht weil ich mit meiner Einschätzung richtig lag, Quatsch, Gallegina hatte Recht. Zweifellos. Eine andere Chance als den Wandel gab es nie, und der Wandel musste aus dem Stamm selbst kommen. Von Cherokee wie Gallegina. Heute weiß ich das. Ganz gleich, wie niederschmetternd die Zukunft ausging. Die Cherokee hatten nie eine andere Chance gehabt. Trotzdem hätte ich damals meine Zweifel aussprechen sollen. Nicht Zweifel an der Überzeugung eines Freundes gefährden eine Freundschaft, sondern das Anzweifeln der Freundschaft. Meine Ansicht hätte nichts verändert, hätte ich sie ausgesprochen. Weder am Verlauf der Geschichte noch an der Freundschaft. Und wenn, hätte es die Freundschaft eher gestärkt als geschwächt. Damals schwieg ich wegen Galleginas Worten am Tag der Großen Versammlung. Die Unterscheidung von Wir und Ihr, zu denen ich mich von ihm zugeordnet fühlte. Ich hielt Abstand zu John und ihm. Aus Angst, aus Vorsicht, aus Gekränktheit, aus Dummheit. Abstand zu halten war in der Zeit nach der Großen Versammlung leicht. War der Platz für neun Schüler in der Schule schon eng gewesen, bekamen wir zu fünfzehnt kaum mehr Luft. Plötzlich hockten zwischen mir und John und Gallegina noch andere Schüler. Nach dem Unterricht brachen die beiden jeden Tag nach Etowah auf, um beim Bau eines neuen Schulgebäudes zu helfen. Es war Galleginas Idee gewesen, und John half, weil der Cousin es beschlossen hatte. Ich hielt mich fern. Da ich jedoch ebenso wenig nach Hause gehen, wie ich die Freunde begleiten wollte, ritt ich nach der Schule zu Sequoyah. Manchmal war Nanye-hi da. Dann half ich ihr, den kleinen Acker um das Haus zu bewirtschaften oder Schnecken aufzulesen. Von Gulkalaski und Corn Tassel lernte ich endlich, was mir John im Sommer zuvor vergeblich versucht hatte beizubringen: mit dem langen Blasrohr zu schießen. Manche Ziele traf ich nun, obgleich selten exakt. Wenn Galihali, Sequoyahs Tochter, ihn besuchte, entfernten wir den Schmutz aus dem Haus oder spielten Chungke. Sie war vier Jahre jünger als ich und ein Mädchen. Eine Gegnerin, der ich mich gewachsen fühlte. Mit ihr kehrte der Spaß für das Spiel zurück. Sequoyah saß im oder vor dem Haus, schnitzte oder malte neue und alte Symbole, was fortwährend zu Verzweiflung führte. Dass er meine Anwesenheit wahrnahm, merkte ich erst, als er eines Tages unvermittelt das Holzstück beiseite legte und mich schweigsam anstarrte. Ich lächelte. Ich blickte zu Boden. Ich griff nach dem Holzstück und fragte, was das Symbol darauf zu bedeuten hätte.

»Was machst du hier, Adahy?« Er sah mir tief in die Augen und zog die Stirn kraus. »Allein? Du solltest nicht bei einem alten, verrückten Mann sitzen. Wo sind John und Gallegina?«

Ich erzählte ihm die Geschichte, meine Sicht der Geschichte, und er hieß mich den Idioten, der ich war.

Gallegina und John arbeiteten in Etowah vor dem Skelett einer Hütte, die am zentralen Sandplatz des Ortes errichtet wurde. Sie trugen lange Bretter von der Ladefläche einer Kutsche zu den beiden Männern, die auf Leitern stehend das Baumaterial als Wände an das Balkengerippe zimmerten.

»Zack, zack, ihr beiden! Schneller«, krakelte der eine. Die Freude, die Sprösslinge von Oowatie und The Ridge bis zur Erschöpfung anzutreiben, war ihm anzusehen. Der andere Mann grinste. »Wenn das so weitergeht ist Winter, bevor wir fertig sind.« Beide lachten.

»Tolle Idee«, fluchte John leise und schleppte das nächste Brett an Gallegina vorbei, dem seines prompt aus den Händen glitt. Seit sie in Etowah mithalfen, sank Johns Stimmung stetig. Die beiden Typen, die das Haus bauten, waren Freunde von Tsali aus Coosawattee. Zwei zynisch-sadistische Mistkerle, wie John fand. Erst hatte es ihn überrascht, dass gerade Tsali Freunde zum Bau der Schule schickte. Mittlerweile war er sich sicher, dass das eigentliche Motiv war, Black Fox’ Pläne unter Beobachtung zu halten. Außerdem zögerte er mit diesen unfähigen Typen die Fertigstellung der Schule hinaus. Oder verhinderte sie sogar. Tsalis Art von Humor. Dreimal war das Eckpfeilergerüst in sich zusammengebrochen, und die Männer auf den Leitern gaben ihnen die Schuld daran. Was für Arschlöcher! Hätte er seinem Cousin nicht versprochen, zu helfen, und geschworen, Ruhe zu bewahren, er hätte schon längst alles hingeworfen. Tausend Rachearten hatte er sich während des qualvollen Schleppens ausgedacht und jeweils in Tausend Varianten durchgespielt. Im Kopf. Auf die Weise hatte er die Plackerei überstanden. Danke Gallegina! Und danke Tsali! Eigentlich mochte er den Humor des Kriegers und bewunderte ihn für all die Heldentaten, die über ihn erzählt wurden. Jetzt meinte John, sein spöttisches Lachen immerzu zu hören, und hasste ihn. Und wer war an allem schuld? »Deine Idee, Streber-Stinktier!«

Bevor Gallegina darauf reagieren konnte, hörten sie Black Fox rufen, der von seinem Haus über den Platz zu ihnen eilte. »Si-yo, Männer. Wie läuft’s? Wie machen sich die beiden Jungs?«

»Bestens«, erwiderte der Mann, der sie zuvor wie Esel vorm Karren angetrieben hatte. »Diesmal wird die Hütte so stabil wie ein Felsen.« Zum Beweis klopfte er auf die Holzbretter. Tatsächlich hielten sie den Schlägen stand. Black Fox lächelte zufrieden. Er hatte den Bau geplant, den Platz ausgesucht, und er sorgte für das Holz. Es sollte seine Schule werden. In seinem Ort. Die Black-Fox-Schule.

»Haltet ein«, hallte in dem Moment eine alte, feste Stimme über den Platz. Jeder wusste, zu wem sie gehörte. The Elk. Seit sie an der Schulhütte arbeiteten, tauchte er immer wieder in Etowah auf, um sie vom Bau abzuhalten. Manchmal allein, und manchmal, wie an diesem Tag, begleitet von anderen. Es könnte brenzlig werden, dachte John, als er die bemalten Krieger an seiner Seite erkannte. Gestützt von seinen Begleitern schritt The Elk langsam über den Platz. Seine Stimme erreichte die Hütte lange vor ihm. »In den Bergen hörten wir durch den Nebel ein Zischen und ein Grollen. Wie bei einem Gewitter.« An der Stelle legte der Alte eine Pause ein, beim Sprechen und beim Gehen. Sehr effektvoll, dachte John anerkennend. The Elk verharrte und atmete geräuschvoll ein. »Der Himmel war erleuchtet von grellen Lichtkugeln. Es war Nacht, doch sehen konnten wir, als wäre es Tag. Da kamen sie, die schwarzen Pferde. Auf ihnen ritten aus den Blitzen die Gesandten des Großen Geistes. Sie zürnten: Wir hätten den Weg der Ahnen verlassen. In unserem Land, in unserem Leben und in unseren Herzen gäbe es keinen Platz für die Weißen. Wir alle stammen von Selu ab, aber sind getrennte Wege gegangen. Wege, die nie zusammenkommen dürfen. Die Frauen der Cherokee sollen das Korn mit Hand und Stein zu Mehl zerstäuben, nicht mit der Mühle. Und wir Krieger sollen zur Jagd gehen. Das Land ist uns als heiliges Pfand gegeben worden. Nicht den Weißen.«

»Genau wie in meinen Visionen«, brüllte Tsali dazwischen. Jetzt erkannte John ihn. Er stand etwas abseits. Neben ihm, wie nicht anders zu erwarten, White Path. »Sonst droht uns Verderben. Die Zeichen haben wir alle erleben müssen, also seht sie. Die Beben, die kalten Nächte.« The Elk ging weiter auf das Brettergerippe der Schulbaracke zu.

»Aber … uns zeigten die Boten auch, bevor sie wieder davonritten …«, erklärte er nun so leise, dass John ihn kaum mehr verstehen konnte, »… Hütten am Himmel, die wir den ehrlichen Weißen zugestehen sollen. Denjenigen, die uns wohlgesonnen sind. Die unser Leben akzeptieren und erleichtern.«

»Also war die Entscheidung, Schulen zu bauen, richtig!« Als Black Fox das sagte, sah er jedoch nicht zu The Elk, sondern zu Gallegina und John. John musste schmunzeln. Der Häuptling suchte bei jenen nach Bestätigung, von denen er meinte, sie sicher erhalten zu können. Bei Gallegina und ihm.

»Ach was! Schon Springplace war ein Fehler«, knurrte Tsali abfällig. Trotz der Verachtung in der Stimme und in den Worten zuckten seine Mundwinkel, als ob er ein Lachen unterdrückte.

»Das ist doch alles Unsinn«, schnarrte Black Fox.

»Was meinst du?« The Elk und die Krieger hatten den Platz überschritten und standen direkt vor Black Fox. John griff intuitiv nach einem dünnen Holzbrett. Während er sich neben Black Fox aufstellte, blieb Gallegina zurück. Die beiden, die mit dem Bau der Schulhütte beauftragt waren, setzten sich auf die Sprossen ihrer Leitern und schauten zu.

»Dieser ganze Geistertanzmist!« Unerschütterlich fuhr Black Fox fort. »Hirngespinste, für all die einfachen Geister, die sich nie verändern wollen. Es ist ja ach so simpel, sich dem Schicksal zu ergeben. Nichts zu riskieren. Zu leben, wie wir es immer taten. Das nenne ich feige!«

»Ich zeig dir, wer feige ist!«, brüllte der riesige Tsali. Das Zucken der Mundwinkel war verschwunden. Er hätte Black Fox womöglich den Schädel eingeschlagen, wenn White Path ihn nicht festgehalten hätte. Das geht böse aus, war Johns Gedanke, als er sah, wie Tsali sich loszureißen versuchte. Einige der anderen Krieger halfen White Path. Bevor geschehen konnte, was gerade noch unvermeidbar schien, tauchte The Ridge mit einigen Kriegern der Lighthorse-Patrole auf. Ihre Ankunft im Ort war im Durcheinander unbemerkt geblieben. Jedenfalls nahm John die unverhoffte Hilfe in Person seines Vaters erst wahr, als der das Wort ergriff. Ohne die versammelte Lighthorse-Patrole wäre es blutig geendet, schätzte John.

»Wenn wir uns gegenseitig die Köpfe einschlagen, helfen wir nur den Weißen«, rief The Ridge in den Tumult. »Black Fox hat Recht, wir brauchen eine gemeinsame Strategie, um stark zu sein.« Black Fox hatte kein Wort über eine Strategie, gar eine gemeinsame, verloren. Trotzdem. Bewundernd sah John zu seinem Vater. The Ridges Worte zeigten Wirkung. Die Krieger hörten ihm zu und ließen Tsali los. Der blieb einfach stehen. Wie die Krieger neben ihm. »Der Einwand von The Elk und von Tsali ist ebenso richtig und berechtigt. Warum müssen wir lernen, Felder zu bestellen wie die? Warum sollen die nicht lernen, zu jagen wie wir und uns in Ruhe zu lassen?«

»Wenn die Weißen hier jagen, dann jage ich die«, brüllte Tsali lauthals. Das Schmunzeln zuckte wieder über das Gesicht, die Gefahr war gebannt.

»Tsali, du bist bärenstark«, erklärte The Ridge. »Aber du weißt aus vielen Kämpfen, dass Washington mehr Soldaten hat, als es Cherokee gibt. Außerdem haben wir keine Chance gegen deren Waffen.«

Tsali blickte zu White Path und nickte zustimmend.

»Lasst es uns doch versuchen«, bat The Ridge. »So wie wir es auf der Großen Versammlung vereinbart haben. Wir wollen die Weißen auf weiße Art bezwingen. Im Verbund mit den Traditionen der Ahnen. Für die Ahnen. Für unser Land.« Durch die Reihen neben The Elk, Tsali und White Path ging zustimmendes Geraune.

Als John von der Gruppe zu seinem Vater schaute, erblickte er hinter ihm in der Ferne, auf dem Weg aus Head of Coosa, ein weißes Pony. Fast weiß. Ein Schimmel mit Punkten, mit einem Jungen auf dem Rücken. John sah sich um und gab Gallegina ein Zeichen. Ein Junge auf einem gefleckten Ponyschimmel näherte sich dem Ort. Gallegina lächelte. Breit und glücklich.

Der fremde Cherokee. Freundschaft schreibt Geschichte

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