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Bolko fluchte innerlich, als er durch den Hamburger Flughafen sprintete.

Er hatte die Strecke von Berlin nach Hamburg in Rekordzeit zurückgelegt und seinen frisch inspizierten Jaguar XJS komplett ausgefahren, war aber trotz aller Tricks im Norden der Stadt in einen Stau geraten. Er kam an das Gate und stellte fest, dass der Flug ebenfalls Verspätung hatte und die Maschine gerade erst gelandet war. Prima, kein schlechter erster Eindruck.

Eine halbe Stunde später kamen die Passagiere. Auch ohne Bild oder Beschreibung erkannte er Caulfield sofort. Sportliche Figur, starke Schultern, schmales Gesicht, helles Haar, sehr klare Augen, die schnell umhersuchten. Ihr Gang und die Körperhaltung verrieten sie. So lief nur jemand, der in körperliche Auseinandersetzungen verwickelt gewesen oder zumindest darauf trainiert worden war. Ihr Blick blieb auf ihm haften, sie entspannte sich und ging auf ihn zu.

»Hauptkommissar Blohm? DS Caulfield, Hallo.«

Kurz und knackig, auch hier keine Überraschung. »Guten Tag, DS Caulfield, willkommen in Hamburg. Gut geflogen?«

Sein Englisch kam fließend, und Caulfield entspannte sich sichtlich. »Ja, prima. Ein Glück sprechen Sie gut englisch, ich hatte mir Sorgen gemacht.«

»Kein Problem. Also, wir können entweder noch irgendwo einen Imbiss nehmen oder gleich zur Witwe von Rolf Anstetter. Sie wartet auf uns und ist den Nachmittag und Abend zu Hause.«

»Fahren wir gleich, essen können wir dann.«

Bolko nickte. Sie gingen ins Parkhaus, wo sein Wagen die ersten bewundernden Blicke, jedoch keinen Kommentar hervorrief. Sie stiegen ein und tauchten in den beginnenden Berufsverkehr ein. Caulfield blickte nachdenklich aus dem Fenster. Offenbar keine große Rednerin.

»Sie sind also von unserem englischen Pendant. Ich habe, ehrlich gesagt, nicht viel Ahnung von der NCA«, sagte Bolko, tapfer Konversation betreibend.

»Bin erst seit heute dabei.«

»Ach so? Spannend. Lassen Sie mich raten, Detective Constable bei irgendeinem CID, ewiges Warten bis zum Sergeant und danach in der Sackgasse eines schrumpfenden Polizeiapparats.«

Sie blickte ihn an. »Nicht schlecht. Sie auch?«

»Jein. Ich komme hier aus Hamburg. Lief gut, aber zu gut. Und immer brutaler. Ich wollte weg aus dem Sumpf, also nach Berlin zum BKA, ins Ausland, gegen internationale Gangster.«

»Und wie sind die so, die internationalen Gangster?«

»Genau wie die Zuhälter und Drogenbosse hier, nur besser gekleidet. Und gefährlicher.«

»Klingt immer noch brutal.«

Bolko lachte. »Ist es auch. Andere Fälle, verzwickter, aber die gleiche Mentalität dahinter. Wie diese Sache hier. Haben Sie eine Idee, oder wie viel hat man Ihnen erzählt?«

Caulfield lächelte etwas und erzählte ihre Geschichte, vom Morgen in der Pathologie über das Treffen in der NCA, ihrem unerwarteten Wechsel und dem Briefing bei Castlemere.

Bolko nickte, während er elegant einem Laster die Vorfahrt nahm. Er überholte einen abbiegenden Linienbus rechts und beschleunigte auf die Autobahn. Keine Reaktion von der Beifahrerseite. Sehr gut. Schließlich erreichten sie Wohldorf-Ohlstedt. Das modernisierte Haus der Anstetters lag wunderschön im Grünen, trotz der relativen Nähe zur Hamburger City. Sehr schön und sicher sehr teuer, das Ganze.

Sie klingelten. Der Türöffner summte kaum Sekunden später. Sie traten ein und erkannten eine Gestalt am Ende des dunklen Vorraums. Claudia Anstetter hielt sich nur mit Mühe auf den Beinen, ihre Augen waren starr und rot umrandet. Caulfield ging auf sie zu, fast zeitgleich sackte Frau Anstetter nach unten.

Bolko und Caulfield trugen die verzweifelte Hausherrin ins Wohnzimmer und legten sie auf das Sofa. Bolko ging in die Küche, während Caulfield beruhigend auf die zitternde Frau einsprach.

Bolko kam ins Wohnzimmer, in der Hand einen Becher mit heißer Schokolade. Caulfield nickte anerkennend. »Sie wurde heute Morgen von einer Polizistin unterrichtet, und das war’s. Die Kinder sind bei der Schwiegermutter in Kiel. Sie ist seit der Nachricht allein.« In ihrer Stimme war kein Vorwurf, eher Resignation. Für Mitleid und Hilfe gab es wohl auch bei der englischen Polizei kaum noch Personal.

Caulfield wandte sich an Frau Anstetter. »Ist es in Ordnung, wenn wir beim Englischen bleiben? Mein Deutsch ist nicht existent.«

Claudia Anstetter nickte schwach. »Natürlich. Bitte, was ist geschehen, haben Sie diese Scheißkerle?«

Keine Frage wer oder warum, direkt auf den Punkt. Bolko beschloss dennoch, darauf erst mal nicht einzugehen,

»Ihr Mann hatte vor einem Landgasthaus, dem Limetree in Totteridge, einen Infarkt. Das heißt eigentlich zwei, Herz- und Schlaganfall. Meine Kollegin Caulfield weiß darüber etwas mehr, sie war am Unfallort und beim Pathologen.«

Gwen öffnete den Mund, aber Frau Anstetter war schneller. »Blödsinn. Rolf war gesund, durchtrainiert, niemals hatte er einen Anfall, niemals!«

»Wir sehen das auch so. Trotzdem können wir einen Anfall nicht einfach ausschließen«, sagte Caulfield so behutsam wie möglich. »Gibt es in der Familie Ihres Mannes eine medizinische Historie?«

»Nein.«

»Verzeihen Sie, ich muss das fragen, Drogen oder irgendwelche aufputschenden Mittel? Stand Ihr Mann unter Druck oder Stress?«

»Stress? Die haben ihn fertiggemacht!«

»Wer sind die?«

»Seine Firma Wind-Labs, glaube ich.« Sie hielt inne, trank Schokolade, die ihr sich-tlich Kraft einflößte. Dann brach es aus ihr heraus.

»Rolf hat um seine Existenz gekämpft. Die wollten ihm die Schuld an einem verlorenen Projekt geben. Haben gesagt, er wäre nicht stressresistent, könnte nur mit Aufputschmitteln Leistung bringen. Lächerlich. Rolf ist geistig und körperlich topfit.«

Sie hielt inne, erkannte das falsche Wort. Aber sie fing sich, der Zorn war stärker. »Er war dabei, ein absolutes Novum zu gestalten, es war sein Traumprojekt, das Labor und der Windkanal sind die besten in Europa. Niemals hätte er das riskiert. Und er hätte niemals Drogen genommen. Nicht Rolf.«

»Warum hat man ihn beschuldigt, gab es Beweise?«

Claudia Anstetter zuckte mit den Schultern. »Er sagte, nein. Die haben ihm Druck gemacht. Er hat es nicht mehr erwähnt, aber ich habe ihn mal am Telefon gehört. Es sind wohl geheime Forschungsdaten weggekommen. Aber das hat ihn nicht sehr beunruhigt, er war eher sauer. Dann kamen Leute zu uns, die waren fies. Rolf war so tapfer, aber wir bekamen beide Angst.«

»Man hat Ihnen Angst gemacht? Haben Sie deshalb Ihre Kinder hierher zurück nach Deutschland gebracht?«

»Es war furchtbar. Einer sah aus wie ein Soldat und hatte so einen harten Gesichtsausdruck. Und hat Rolf gesagt, dass er die Abfindung kassieren und gehen sollte. Rolf hat nicht im Traum daran gedacht. Das fanden die nicht gut. Die haben immer weitergemacht, angerufen, E-Mails und Nachrichten geschickt. Standen an der Schule. Ich bin dann mit den beiden Mädchen hierher zurück.«

»Ohne Ihren Mann?«

»Rolf wollte heute nachkommen. Er hatte ein Treffen mit jemandem, der ihm helfen wollte.«

»Hat er gesagt mit wem?«

»Nein. Er war so kurz angebunden am Telefon. Ich bin wütend geworden. Er hat gesagt, er trifft ihn am See, dann kommt er. Ich hab ihn angeschrien. Das Letzte, was er von mir gehört hat, waren Anschuldigungen. Mein Gott …« Sie brach zusammen. Das Aufheulen kam wie eine Eruption, ihr ganzer Körper zuckte unter den Weinkrämpfen. Caulfield nahm sie in den Arm und blickte Bolko an.

Der hatte eine Idee, ging hinaus und rief eine alte Kollegin und Psychologin bei der Hamburger Kripo an. Sie versprach, in einer Stunde vorbeizukommen.

Claudia Anstetter hatte sich wieder auf dem Sofa zusammengerollt. Aus den Krämpfen war nach und nach stilles Schluchzen geworden, dann war die erschöpfte Frau eingeschlafen. Bolko und Caulfield verzogen sich in die Küche und warteten auf die Psychologin.

Zwei Stunden später starrte Caulfield auf zwei Teller, die soeben serviert worden waren. »Und das ist eine Hamburger Spezialität?«

»Aber ja. Das eine ist Labskaus, hat eine lange Tradition bei uns, das andere Pannfisch.«

»Sieht beides ziemlich übel aus. Als Engländerin sollte ich da aber vielleicht eher ruhig sein.« Caulfield begann mit dem Labskaus und blickte erstaunt auf. »He, das ist gut.«

Bolko grinste erleichtert. »Klar. Wie bei fast allem täuscht der äußere Eindruck. Genau wie bei euch zu Hause.« Er hob das Glas. »Bolko. Und, äh, Gwen oder Gwendo-line?«

»Gwen«, kam es entschieden zurück. »Eines der Dinge, die ich meinem Alten nie vergeben werde. Was für ein Name ist Bolko?«

»So deutsch wie polnisch. Kein Hintergedanke, mein Vater mochte den Namen. Es gibt schlimmere.«

Caulfield nickte. »Dein Kollege ist seit heute in London. Kiran Mendelsohn, das ist definitiv ein komischer Name. Weißt du, ob die was herausgefunden haben?«

Bolko schüttelte den Kopf. »Sie haben niemanden befragt, es gibt wohl jetzt ein Briefing mit einer Ermittlerin von der NCA. Mehr weiß ich nicht. Kiran wird sich melden, wenn er mehr weiß.«

»Ist das auch so ein hochgestochenes Jungchen mit Spezialausbildung? Klang irgendwie so. Du bist da anders, eher von der Street-Force wie ich.«

Das war Bolko auch schon aufgefallen. »Sicher. Ich hatte den klassischen Weg. Streife, Kripo. Und dann irgendwann ein Angebot von der Grande Dame des BKA.«

»Stimmt. Ihr habt eine Chefin. Stelle ich mir einfacher vor.«

»Für dich vielleicht, keine Ahnung. Aber Birte Halbach ist alles andere als einfach. Wirst du nachher sehen, wir treffen sie noch heute Abend.«

»Ich dachte, die sitzt in Berlin.«

»Tut sie auch. Wir fahren nach dem Essen. Die Besprechung scheint wichtig zu sein, sonst lässt sie sich mehr Zeit.«

»Was denkst du, was läuft hier? Und wie passt der Finanzmensch da rein?«

»Ganz ehrlich, keine Ahnung. Es kann mit dem Job zu tun haben. Sieht momentan eher danach aus, als ob beide mit fiesen Jungs zusammengestoßen sind. Aber dann klingt das nicht wie die üblichen Torpedos von Drogendealern. Es sei denn, da ist eine neue und sehr teure Droge unterwegs. Trotzdem ist der Exitus eher krass.«

Caulfield nickte. »Kann natürlich auch Gift sein. Das würde erklären, warum alle so geheimnisvoll tun und so nervös sind bei uns in London.«

Das ergab durchaus einen Sinn. Der Giftmord von Salisbury war noch taufrisch im öffentlichen britischen Bewusstsein. Selbst wenn die Beweisführung der britischen Regierung eher bemitleidenswert war, Auftragsmord durch professionelle Vergiftung war derzeit ein sehr empfindliches Thema in England.

Bolko zuckte mit den Schultern. »Wir werden sehen, was meine Kollegen über den Banker erfahren haben. Bis dahin ist aber noch Zeit für ein Bierchen.«

»Du hast schon zwei. Habt ihr deutschen Copper kein Alkoholverbot?«

»Doch, schon«, meinte Bolko und rief die Bedienung.

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