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Director of Investigations Lord John Castlemere erhob sich, umkurvte seinen Schreibtisch und schüttelte Caulfield herzlich die Hand.

»Sie sind also Gwen Caulfield, sehr erfreut, Sie endlich kennenzulernen. Und gutes Timing.«

Caulfield lächelte zurück und nickte, Saunders schaute etwas verdutzt drein.

»Dazu kommen wir gleich, Paul. Jetzt erst mal die Fakten. Also, was habt ihr, was ich noch nicht weiß?«

Saunders gab zu Caulfields Erstaunen keine Details aus dem Bericht, sondern nur die Kommentare des Pathologen wieder. Castlemere nickte jedoch, als ob eine Ahnung bestätigt worden war. Dann lehnte er sich zurück und blickte kurz aus dem Fenster auf die Themse und das Panorama am gegenüberliegenden Ufer, bevor er sprach.

»Gut. Zuerst die Formalitäten. Paul, Gwen Caulfield hier hat sich vor zwei Monaten bei uns als Detective und Anwärterin auf den Inspector beworben. Gwen, ich darf Sie doch so nennen? Ich bin John, das ist Paul. Gwen, Ihre Bewerbung war eigentlich nicht erfolgreich gewesen, weil sie dank unserer wundervollen englischen Zukunftsplanung wegen knapp gehaltenen Personalresourcen abgelehnt wurde. Jetzt aber, nicht nur wegen Ihrer Mit-Zuständigkeit in dieser Ermittlung, sondern auch wegen meiner persönlichen Einschätzung und Entscheidung ist sie durch. Wir brauchen hier Leute wie Sie oder Paul, aufs Budget pfeife ich da, beziehungsweise das ist das Problem meiner Chefin. Ich habe einen Gefallen eingelöst und das gerne. Mit anderen Worten, Sie können bei uns anfangen, dies wird Ihr erster Fall. Was sagen Sie?«

Caulfield blickte völlig verwirrt, unsicher und zugleich glücklich drein. Schließlich kam ein etwas ersticktes »Sir, ja, ich, ähm …«

»John. Sir auf dem Flur und in den Räumlichkeiten. In diesem Büro, auf dem Sportplatz und im Pub John. Willkommen im Team!« Er stand auf, grinste sie fröhlich an und gab ihr erneut die Hand.

Saunders, zuerst nicht minder verwirrt, hatte sich schneller gefangen als seine neue Kollegin, offenbar war er derartige Überraschungen gewohnt. Auch er schüttelte Caulfield herzlich die Hand.

Castlemere hatte sich hingesetzt und seinen Monitor umgedreht, er zeigte das Bild und die Akte eines sehr attraktiven jungen Mannes.

»Das ist Stefan Kramer. 32 Jahre, wie das Opfer in Barnet ebenfalls deutscher Staatsbürger und in London wohnhaft. Beide Opfer sind also in den besten Jahren, kerngesund, mit extrem gut bezahltem Job hier und extrem plötzlich unter anderem per Infarkt aus dem Leben geschieden.«

»Also war Kramer auch kein Herzinfarktskandidat? Und wieso unter anderem?«, fragte Caulfield.

Castlemere nickte. »Eben. Sein Tod ist weitaus komplizierter. Er war Analyst in einer der führenden Investment- und Brokerfirmen im Financial District. Ganz hohe Schule. Und in seinem Bereich wohl ein absoluter Rockstar. Hat irgendeine Megasoftware entwickelt, die Trends vorhersehen konnte. Ging dann aber schief. Es hieß, er hätte dran gedreht, Geld wegen Drogenproblemen und Schulden veruntreut und ist dabei erwischt worden. Als ihn unsere Leute von der Wirtschaftsabteilung abholen wollten, ist er aufs Dach gestiegen und gesprungen. Klassisch, könnte man sagen. Wären da nicht die abnormen Blutwerte und das Verdikt unseres Pathologen. Offiziell ist Kramers Abgang ein Suizid. Aber fragen Sie sich selbst: Wenn Sie einen Infarkt haben, hüpfen Sie dann vom Dach?«

Caulfield begann, mit der schwarzhumorigen Lockerheit dieses Lords warm zu werden. Sie hatte einiges von ihm gehört, wenig davon schmeichelhaft. Aber dann war der Flurfunk in der Metropolitan Force nie wirklich nett, schon gar nicht, wenn es um die Upper Class ging. Die wenigen professionellen Ratgeber hatten aber alle das Gleiche gesagt: „Geh hin, Mädel. Wenn dich einer pushen kann, dann Castlemere.“ Und nun saß sie hier, ihr wurde warm ums Herz. Castlemere hatte inzwischen weitergesprochen.

»… mit dem Kollegen Saunders. Folgendes: Dies ist das zweite deutsche Opfer in einer Sache, die mich schon länger interessiert. Daher können wir jetzt offiziell aktiv werden, weil das ein internationaler Fall ist, also unser Terrain. Ich habe schon mit meiner Kollegin vom Bundeskriminalamt in Berlin telefoniert. Birte Halbach, tolle Frau. Eine Stimme wie Marlene Dietrich, soll auch ein ähnliches Temperament haben. Egal. Also, ich habe jemanden aus ihrem Team angefordert. Lustigerweise ist der bereits auf der Insel, in Schottland. Das heißt, er war da und ist schon auf dem Weg zu uns. Saunders, Sie holen den Mann ab, der Name ist Kiran Mendelsohn, Ankunft King’s Cross in anderthalb Stunden.«

»Mendelsohn, ist das der deutsche FBI-Profiler, der sich mit den Russen angelegt hat?«

»Genau der, hat in Quantico studiert, spricht fließend und hoffentlich kein allzu amerikanisches Englisch. Ein sehr interessanter Kollege. Eher buddhistisch, andererseits laut Gerüchteküche mit einer Ausbildung, die der SAS nicht besser hinbekäme. Aber wie gesagt, der Mann ist laut meinen Informationen friedlich, sehr nett und kollegial, also kein Grund zur Beunruhigung.«

Caulfield schielte zu Saunders, der die Neckerei aber locker zu nehmen schien. Cas-tlemere war noch nicht fertig.

»Gwen, Ihr Reisepass ist gültig? Gut. Sie starten gleich durch. Die Witwe unseres aktuellen Opfers, Frau Anstetter, ist vor drei Wochen mit den Kindern nach Deutschland zurückgekehrt. Sie hat sie von einem Tag auf den anderen von der Schule geholt, mitten im Schuljahr, und das von einer sehr teuren internationalen Schule. Ich will wissen, warum. Sie fliegen in zwei Stunden nach Hamburg, dort wird Sie Mendelsohns Kollege, ein Bolko Blohm, in Empfang nehmen und mit Ihnen zur Witwe fahren. – Fragen?«

Caulfield schwirrte der Kopf. Das aber, wie sie erstaunt feststellte, vor Glückseligkeit. Hier lief alles ab wie beim Sprint. Und sie genoss es, nachdem sie die entnervende Langsamkeit im CID oft zur Verzweiflung getrieben hatte. Sie schüttelte den Kopf, stand auf und folgte Saunders nach draußen.

Sie gingen durch den Flur, Saunders tippte etwas in sein Handy und öffnete die Tür zur Terrasse.

Die Aussicht war herrlich. Das Gebäude der NCA lag unweit des östlichen Themse-Ufers gegenüber dem Milbank. Entlang der Themse blickte man nach Norden auf Westminster Abbey, Aquarium und London Eye, geradeaus auf das Tate Museum. Es war, als ob sie aus dem Moloch in einen Garten getreten war.

»Ging mir beim ersten Mal auch so. Man beginnt ein neues Leben.«

»Waren Sie da so cool, wie Sie jetzt aussehen?

Saunders lachte. »Nein. Ich hatte vom Lord eher Schlechtes gehört und mir ziemlich ins Hemd gemacht. Er hat am Anfang auch nichts getan, um diesen Eindruck zu verwischen. War Absicht, er wusste, wer mir diesen Bullshit gesteckt hatte. Ich bin zwei geschlagene Monate lang verarscht worden, bis er mich Paul nannte. Sie mag er auch. Und das reicht für uns alle hier.« Er grinste Caulfield an.

»Ich bin ehrlich gesagt kein Mensch für diese totale Lockerheit. Entschuldigung, das geht auch alles etwas schnell.«

»Schon klar. Sie gewöhnen sich dran, keine Bange. Und jetzt machen wir einen kurzen Abstecher zu den Rolling Stones. Das soll ich noch mit Ihnen machen, bevor wir losfahren.«

Sie gingen ins Haus und ein Stockwerk tiefer. Flure und Büros sahen unscheinbar und gar nicht nach der Behörde aus, in der laut den Londoner Detectives von der Metro-politan die Musik spielte. Aber dann war der äußere Schein auch meist nichts wert, wie Gwen nur zu gut wusste.

Saunders führte sie in ein Büro, an dessen Tür das übergroße Logo der Stones klebte.

Drinnen saßen zwei blutjunge Kerle an Computern mit monströsen Bildschirmen. An einem leeren Tisch, nur bestückt mit einem überlangen halbrunden Flachfernseher und schmaler Designtastatur, saß die wohl schönste Frau, die Caulfield je bei der Polizei gese-hen hatte. Sie blickte auf, als sie zu ihr traten.

»Darf ich vorstellen, DCI Jane Wyman, gerüchteweise verwandt mit Bill Wyman von den Stones, daher der Name ihres Departments. Jane, das ist DS Gwen Caulfield.«

»Ah, die taffe Lady aus dem Norden.«

Caulfield blickte in meergrüne Augen und lächelte etwas verunsichert. »Irgendwie scheint mich hier jeder zu kennen.«

Jane lachte. »Meine Schuld, Süße, ich habe dich auseinandergenommen und profiliert. Der Chef war beeindruckt. Willkommen im Club.«

Saunders kam zur Sache. »Jane, Castle sagt, du sollst uns briefen?«

»Nicht ganz, eher inoffiziell mündlich unterrichten. Was wir untersuchen und woran ihr arbeitet, hat ein kleines Vorspiel. Es scheint wohl so, dass es in Greater London in den letzten zwei Jahren ein paar Todesfälle gegeben hat, die ähnliche Merkmale aufweisen wie eure beiden Krauts. Ich habe mit dem Autopsiebericht heute Morgen die Order erhalten, alles Datenmaterial dazu abzugrasen. Ich weiß also momentan genauso viel oder wenig wie ihr beiden.«

»Und wozu dann ein Briefing?«, fragte Caulfield

»Wir zwei werden uns gut verstehen. Das Briefing ist meine persönliche Einschätzung: Wir ermitteln jetzt offiziell in einer Sache, in der wir vielleicht schon früher hätten ermitteln sollen, das aus irgendwelchen Gründen aber nicht getan haben. Fragen Sie nicht, auf diese Frage gibt es hier nie eine Antwort, es sei denn, Lord John gibt sie, was er selten tut. Also, Augen auf im Straßenverkehr. Meiner Meinung nach sind wir mehr-gleisig unterwegs.«

»Mehrgleisig?«

»Wir bewegen uns in Bereichen, die andere Dienste betreffen könnten«, erklärte Saunders.

Wyman nickte. »Habt ihr nicht von mir. Und noch was. Gleis ist vielleicht die falsche Metapher. Ich habe so ein Gefühl, als kommt da irgendwann auch Gegenverkehr.«

Gegenstrom

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