Читать книгу Gegenstrom - Ilja Albrecht - Страница 7
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Оглавление»Mr. Mendelsohn. Hören Sie mir zu? Ich kann Smartphones und unaufmerksame Leute absolut nicht leiden, hat man Ihnen das nicht über mich gesagt?«
Kiran blickte von seinem Telefon auf.
»Tut mir leid, Mr. McDonnell, wichtige Nachricht aus Berlin von meiner Chefin.«
Die hängenden Backen seines Gegenübers bliesen sich auf und wurden gleichzeitig dunkelrot. »Chefin? Ich denke, Sie sind dieser deutsche Superanwalt von Alistair Campbell? Chefin, was ist das für ein Bockmist?«
Kiran seufzte innerlich. Diese Unterredung verlief genauso, wie er es in Berlin prophezeit hatte.
Vor zehn Tagen hatte er in seinem Stammlokal Lloyd’s gesessen und bei einem wunderbaren Malt die bevorstehende Reise nach Schottland geplant. Zusammen mit seinem alten Freund und Mentor Horst Roellinghoff sollte es nach Edingburgh gehen, wo man ohne weitere Umstände einen Wagen mieten und nach Norden fahren würde. Eine schöne Tour durch Speyside und Highlands, Whiskytrail inbegriffen.
Während Kiran noch versuchte, etwas mehr Struktur und Etappenplanung in Horsts völlig inakzeptable Herangehensweise zu bringen, hatte sich Alistair Campbell, ein weiterer Stammgast und Freund, an den Tisch gesetzt und mit Roellinghoff angestoßen. Innerhalb einer halben Stunde hatten die beiden, wie es alte Männer zu tun pflegen, sämtliche Aspekte der Roellinghoffschen Nichtplanung elegant über den Haufen geworfen und drei Kneipenstationen inklusive Schlafgelegenheit von „alten Kumpels“ auf eine Serviette geschrieben. Dann hatte Alistair einen ernsten Ton angeschlagen und sich Kiran zugewandt.
»Hör mal, Junge. Du musst mir einen Gefallen tun.«
Etwas in Alistairs Miene ließ die aufkommende Antwort verpuffen. Stattdessen erwachte der Analytiker in Kiran, er hörte aufmerksam zu, und so endete der Urlaub, noch bevor er angefangen hatte.
Wie sich herausstellte, hatte Alistair einen lange anstehenden Operationstermin, sehr unerfreulich, weil ernsthaft und dementsprechend teuer. Deshalb war er weder terminlich noch physisch in der Lage, einen anderen ebenso wichtigen Termin wahrzunehmen, bei dem es um die finanzielle Existenz ging.
Alistair war pensionierter Geschäftsmann, weit herumgekommen, hatte in Hongkong ein Vermögen erwirtschaftet und sich in Berlin niedergelassen, von wo aus er seinen angehäuften Reichtum auf Reisen, in Restaurants und im Lloyd’s verprasste. So dachten zumindest alle.
Tatsächlich war ein nicht unwesentlicher Teil seines Geldes in die Lachsfarmen seines Heimatortes geflossen. Über die Jahre war Dalchranmore dank Alistairs klugem Wirtschaften und dem handwerklichen Geschick seiner Verwandten und Freunde zum Wallfahrtsort der Lachsfischerei in der Region Highland geworden. Ein paradiesisches Qualitätsbiotop, das irgendwann die Aufmerksamkeit eines Raubtiers geweckt hatte.
Kevin McDonnell, reich, Amerikaner mit angeblich schottischen Ahnen und Vorsitzender irgendeiner Investmentgruppierung, hatte sich dazu entschieden, den Bauern im Land seiner Vorfahren mal zu zeigen, wie Wirtschaften wirklich funktioniert. Und so war er samt Hofstaat in mehreren Hubschraubern gelandet und hatte mit der Invasion begonnen.
Zunächst hatte er den Golfclub und einige der Honoratioren für sich eingenommen, den finanziell Schwächsten mitsamt Schloss aufgekauft und innerhalb von drei Monaten rund dreißig Prozent der umliegenden Lachsfischerei an sich gebracht. Dabei, so hatten Alistairs entrüstete Partner berichtet, war es selbst für abgehärtete Schotten mit eher mittelalterlichen Methoden zugegangen.
Nun stand das feindliche Heer vor Dalchranmore, Heimat und wirtschaftliche Ägide von Alistair, der ins Krankenhaus musste und daher Hilfe brauchte. Die ersten Partner und Familien waren bereits von amerikanischen und einheimischen Rüpeln bedroht, ein erstes Übernahmeangebot beim Anwaltskonsortium in Inverness eingereicht worden, das Ganze garniert mit einer Frist von vierzehn Tagen. Es blieb laut Alistair nur eine Möglichkeit: Kiran musste als zeichnungsberechtigter Vertreter Alistairs die Verhandlungen führen. Oder besser, dem Gegner mit Anlauf in den Allerwertesten treten und ihm klarmachen, dass er diesen Fight gegen die Einheimischen nicht gewinnen würde.
Horst Roellinghoff, der den Ausführungen mit zunehmender Sympathie zugehört hatte, war fröhlich aufgesprungen, hatte Alistair und Kiran krachend auf die Schulter gehauen und eine Runde Glenmorangie bestellt. Kiran hatte sich innerlich von seinem Urlaub verabschiedet und sinniert, warum ausgerechnet er immer auf Menschen traf, die Arbeit und Konfrontation als Entspannung betrachteten.
Drei Tage später war man in Inverness eingetroffen, hatte bis zum Abend alle juristischen Formalitäten erledigt und sich zur Lachsfarm von Alistair begeben, wo der Vetter mitsamt der Beleg- und Verwandtschaft des Campbellschen Umlands bereits gewartet hatte.
Als Fallanalytiker beim BKA war Kiran ein Experte in Analyse, Planung und Durchführung von Ermittlungen. Dank seiner Ausbildung in Jugendzeiten und später in Quantico galt das Gleiche für gewalttätige Auseinandersetzungen. Dennoch war er überrascht, wie steinzeitlich die Einschüchterungsmethoden von McDonnells Schergen waren. Deshalb gebot er den empörten und daher nicht minder aggressiv auftretenden Rittern des Campbell-Clans Einhalt und empfahl ihnen eine andere Strategie. Diese wurde von den hocherfreuten Schotten mit viel Liebe zum Detail umgesetzt, und bereits vier Tage später hatte man Kiran ins Innere des McDonnell-Schlosses gebeten.
»Also was sind Sie jetzt? Anwalt oder Abgesandter Ihrer Mami? Und sind Sie überhaupt deutsch? Sie reden wie ein verdammter Cavalier.«
»Wie ich schon sagte, Mr. McDonnell, ich habe diverse Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt.«
McDonnell kniff die Augen zusammen. »Aber Anwalt sind Sie keiner, auch wenn Sie so reden. Irgendwie wirken Sie auf mich eher wie einer dieser Langleyboys.«
»Da liegen Sie gar nicht so falsch …«
»Heißt das, Sie haben diese Bauern hier angestiftet, meine Männer in eine Falle zu locken und verhaften zu lassen?«
»Ihre Männer, Mr. McDonnell, haben Landfriedensbruch begangen. Darüber hinaus liegen audiovisuelle und forensische Beweise für gewalttätige Übergriffe vor.«
»Audio, forensisch, wie, was sind Sie, ein gottverdammter Fed?«
Kiran seufzte, diesmal hörbar. »Okay, noch mal. Mein Name ist Kiran Mendelsohn, ich bin Profiler und Senior Agent beim BKA, dem deutschen FBI. Hier bin ich nicht in offizieller Funktion, sondern als legitimierter Vertreter von Alistair Campbell und stehe für sein gesamtes Konsortium.«
»Sie, ein verdammter Cop, vertreten Campbell?«, brach es aus McDonnell hervor.
»Ganz richtig. Und das bedeutet für Sie zweierlei, Mr. McDonnell. Zum einen werden wir jeden Ihrer gewalttätigen Mitarbeiter von jetzt an mitsamt Beweismaterial direkt an die Behörden ausliefern, genau wie Ihre drei Eintreiber aus Queens.«
»Ihre Leute haben den letzten verdammt noch mal durch die Mangel gedreht. Und da soll so ein blonder Kung-Fu-Heini mitgemischt haben, das waren doch Sie, oder nicht?«
»Ich sehe, Sie verstehen, wovon ich rede. Kommen wir zum zweiten Punkt. Ich bin auf beiden Seiten des Ozeans ebenso gut vernetzt wie Sie, Mr. McDonnell. Sollte mir die Geduld ausgehen, werde ich all meine Beziehungen nutzen und von meinen Virginia Farmboy-Freunden den allerkleinsten Dreck ausgraben lassen, der an Ihren Schuhen klebt. Nach allem, was mir über Sie zu Ohren gekommen ist, wird das speziell in Ihrem Countryclub in Connecticut die reinste Freude werden.«
»Sie wollen mir drohen?«
»Ich empfehle Ihnen, das wirtschaftliche und geografische Areal von Alistair Campbell und ganz Dalchranmore von jetzt an in Ruhe zu lassen, nachdem Ihre finanziellen Angebote abgelehnt worden sind. Alles Weitere, speziell die Methoden Ihres Schlägertrupps, wird zu nichts anderem führen als Schmerzen, Anklagen, Kautionen, Anwaltskosten, schlechter Publicity und so weiter. Sie merken, worauf ich hinauswill?«
»Du beschissener, kleiner …«
Es klingelte wieder, Marleen von Bauer, Garn & Dyke. Bolkos Klingelton. Kiran hob die Hand und stand auf.
»Was ist, Bolko? Ich weiß, London. Bin heute noch auf dem Weg, ich ruf dich gleich zurück. Schick mir inzwischen die Details, hat Halbach vergessen.«
Kiran wandte sich wieder dem inzwischen dunkelrot angelaufenen Amerikaner zu.
»Sorry, Mr. McDonnell, die Pflicht ruft. Also, wie ich schon sagte, benehmen Sie sich, auch wenn Ihr Präsident und Burschenschaftsbruder das anders sieht, und erkennen Sie die Grenzen an, die Ihnen die Einheimischen und europäisches Recht hier setzen. Höre ich von einer einzigen Rechtsübetretung, komme ich wieder und sacke Sie mitsamt Ihren Schlägern ein und verfrachte Sie im Laderaum zurück in die Heimat, ist das klar?«
McDonnells Augen waren in den verkniffenen Fleischfalten verschwunden, die Worte aus dem kleinen Mündchen eher ein Zischen.
»London, eh? Große Stadt, schlechte Polizei und verdammt viel Gesocks da. Seien Sie vorsichtig, Mr. Mendelsohn. Seien Sie vorsichtig …«