Читать книгу RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4) - Indira Jackson - Страница 55

2001 - Zarifa - Treffen nach vielen Jahren

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„Ich hatte gehofft, dich hier anzutreffen“, Rayan versteifte sich, als er die Stimme hinter sich hörte. Er hatte am Grab seiner Mutter gekniet, um sich ein letztes Mal von diesem Ort zu verabschieden. Er hatte nicht vor, jemals zurückzukommen.

Langsam erhob er sich, seine Finger glitten zu seinem Messer am Gürtel.

„Du benötigst keine Waffe – ich bin ein alter Mann und unbewaffnet.“ Obwohl Rayan die Stimme Jahre nicht gehört hatte, hatte er sie beim ersten Wort erkannt.

Er versuchte, sich zu entspannen und auf die ihm bevorstehende Situation vorzubereiten. Er fluchte innerlich: „Ich hätte nicht kommen sollen."

Aber er war auf Bitten seiner Großmutter zurückgekehrt, da Großvater Youssef sehr krank war. Als er ankam, erkannte er schnell, dass der alte Mann im Sterben lag. Er hatte seine Großmutter in den letzten Stunden ihres Mannes begleitet und ihr geholfen, Youssef neben seiner Tochter Miriam zu begraben.

Nun stand plötzlich sein Vater drei Meter hinter ihm und es kostete ihn all seine Beherrschung, ruhig zu bleiben. Man begegnete schließlich nicht jeden Tag dem Mann, von dem man umgebracht worden war. Er atmete tief ein und drehte sich langsam um.

„Du bist also tatsächlich von den Toten auferstanden … deine Großmutter ist eine sehr clevere Frau. All die Jahre hat sie mich getäuscht. Ich war mehrfach hier an deinem Grab.“ Scheich Sedat Suekran wies mit einer wirschen Bewegung auf den Grabstein neben ihnen.

„Und trotzdem wirkst du nicht überrascht“, stellte Rayan fest.

„Ich habe zu Allah gebetet, er möge uns in dieser kritischen Lage beistehen – nachts habe ich dann von dir geträumt, du warst noch ganz klein. Erst habe ich es nicht verstanden. Als ich aber heute von Daoud die Geschichte von einem Fremden mit blauen Augen gehört habe, habe ich die Wahrheit geahnt und dich gesucht.“

Entgegen den Warnungen seiner Großmutter hatte Rayan es nicht lassen können, sich näher an das große Tal von Zarifa heranzuschleichen. Sie hatte ihm erzählt, dass sein Bruder Daoud, den er seit seinem 13. Lebensjahr nicht mehr gesehen hatte, um diese Uhrzeit meist die Kinder am Teich beaufsichtigte. Er wusste, dass er aufgrund seiner Ausbildung völlig lautlos auftreten konnte und schätzte das Risiko äußerst gering ein. Er würde wohl mit einer Gruppe Kinder fertig werden.

Wie hätte er auch ahnen sollen, dass ausgerechnet heute eines der kleineren Kinder einen Unfall haben sollte. Ein kleines Mädchen, das seiner Schätzung nach nicht älter als fünf Jahre alt war, war ausgerutscht, hatte sich den Kopf angeschlagen und war anschließend leblos im Wasser versunken.

Daoud war völlig außer sich und mit der Situation restlos überfordert. Er musste inzwischen 21 Jahre alt sein, doch aufgrund seiner Behinderung war er auf dem geistigen Niveau eines 12- Jährigen.

Aus diesem Grund war Rayan kurzerhand aus seiner Deckung aufgetaucht und hatte das Mädchen aus dem Wasser gezogen. Sie atmete bereits nicht mehr, sodass er Wiederbelegungsmaßnahmen einleitete. Nach einigen Minuten Mund-zu-Mund-Beatmung und Herzmassage schlug das Mädchen hustend und spukend die Augen auf.

Er sendete eines der Kinder, die ihn alle mit offenem Mund ansahen, nach Zarifa, um Hilfe zu holen. Dann machte er sich schleunigst davon, bevor ihm noch mehr Leute über den Weg liefen. Daoud rief noch hinter ihm her, doch er antwortete ihm nur, er solle sich um die Kleine kümmern und ließ ihn dann stehen.

Sedat fuhr im Brustton der Überzeugung fort: „Du bist unsere Rettung, du bist hier, um unser Volk zu retten.“

„Unser Volk?!“ Rayans Stimme war schneidend. „Ich habe kein Volk, schon lange nicht mehr. Das ist damals gestorben und liegt hier begraben.“

„Aber glaubst du nicht an Schicksal? Dass wir uns jetzt hier wiedertreffen, wo die Bedrohung so groß ist?“

„Meine Arbeit erlaubt es mir nicht an Schicksal zu glauben“, Rayans Tonfall war noch immer kalt. Das dunkle Blau seiner Augen war fast schwarz geworden. Wer ihn kannte, wusste dass jetzt Vorsicht geboten war. Schon mancher hatte es bedauert, sich in diesem Moment nicht zurückgezogen zu haben, viele konnten es nicht einmal mehr bereuen.

„Wir brauchen dich! Du musst uns helfen!“

Vor lauter Wut konnte Rayan erst nicht sprechen. Wieder atmete er tief durch. Gepresst brachte er hervor: „Du wagst es wirklich, ausgerechnet von mir Hilfe zu fordern?“

„Ich bin dein Vater!!“

„Deine Dreistigkeit! Du warst es, der darauf bestanden hat, keinen Sohn mehr zu haben. Und dann wäre da noch die Kleinigkeit, dass du mich nicht nur zweimal zum Tode verurteilt hast, sondern auch noch zugelassen hast, dass deine Handlanger mich fast zu Tode gepeitscht haben. Willst du die Zeugnisse davon sehen, die mich mein ganzes Leben lang begleiten?!“

„Aber du bist nicht tot - hör zu“, fuhr sein Vater fort. „Wenn du nicht an Schicksal und nicht an unser Volk glaubst, dann glaubst du vielleicht an Unrecht. Was sie mit uns vorhaben, ist Völkermord!“, seine Stimme war heißer geworden, sein Tonfall dringender.

„Ich bin nicht mehr der Mensch, der ich damals war. Der Glaube, dass du tot bist – durch meine Schuld - hat mich vieles in einem anderen Licht sehen lassen.“ Plötzlich kniete er vor Rayan nieder, Tränen in den Augen.

„Du musst mir glauben, dass ich mich geändert habe. Ich knie vor dir nieder, um dir zu zeigen, dass ich es ernst meine. Ich war stolz! Stolz und dumm! Das weiß ich jetzt. Und ich würde heute alles tun, um die Zeit damals rückgängig zu machen – das musst du mir glauben!! Ich bitte dich in aller Form um Vergebung für das was ich dir angetan habe. Bitte lass unser Volk nicht unter meinen Fehlern der Vergangenheit leiden.“

Rayan drehte sich weg, um sich seine Erschütterung nicht anmerken zu lassen. Dass sein eigener Vater, der einst so stolze Sedat, einmal vor ihm knien und ihn auf diese Weise um Verzeihung bitten würde, war ihm nicht einmal im Traum eingefallen. „Ich gehe jetzt.“

„Bitte überleg es dir – bleib doch noch eine Nacht hier bei deiner Großmutter. Außer mir wird keiner etwas erfahren. Komm wenigstens mit, um dir anzuhören, wie ernst die Lage ist.“

Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Du könntest das große Tal von Zarifa wiedersehen, die Heimat unseres Volkes – deine Heimat! – und deinen Bruder kennenlernen. Er ist zu einem wunderbaren jungen Mann geworden. Auf seine Weise.“

Er ließ seine Worte einige Sekunden lang einwirken. „Wenn du dann immer noch gehen willst, wird dich niemand aufhalten. Wie du weißt, habe ich auch Geld, dann betrachte es als Job.“

Rayan war weitergegangen. Er wollte nicht, dass sein Vater sah, wie innerlich zerrissen er war. Dies war wirklich nicht mehr der Tyrann, den er in seinem Gedächtnis eingebrannt hatte. Er war schon fast am Weg hinunter angekommen, als er hörte, dass sich sein Vater wieder erhoben hatte und sich zum Gehen umwandte: „Ich werde morgen früh mit einem zweiten Pferd auf dich am Teich warten. Bei Sonnenaufgang. Vielleicht überlegst du es dir doch noch.“

Rayan trat auf den Weg. „Jetzt oder nie, ich muss mich beeilen, wenn ich rechtzeitig in der Oase sein will, um die Karawane noch zu erreichen“, dachte er und machte einen Schritt den Berg hinunter.

RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4)

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