Читать книгу RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4) - Indira Jackson - Страница 59

2014 - Krankenhaus Alessia - Ein offenes Gespräch

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„Guten Morgen - na ausgeschlafen?“, sagte eine Stimme sanft und leise als Carina die Augen öffnete. SEINE Stimme!

Einen Moment war sie verwirrt, dann erkannte sie ihr Krankenzimmer, in das Jassim sie gestern zurückgebracht hatte. Ihr kleiner Ausflug hatte sie doch mehr Kraft gekostet, als ihr klar gewesen war. Wie üblich war sie mit dem Frühstück am folgenden Morgen sehr früh geweckt worden und so war sie nach dem Mittagessen noch einmal eingeschlafen. „Ein Stündchen nur.“ Hatte sie sich gedacht, doch offenbar hatte sie länger geschlafen.

Sie blickte neben sich und sah nun Rayan auf dem Stuhl neben ihrem Bett sitzen. Er hatte also sein Versprechen gehalten und war tatsächlich gekommen. Und wie er aussah! Frisch rasiert und geduscht, diesmal in europäischer Kleidung. Er hatte ein makelloses weißes Hemd an, die obersten beiden Knöpfe offen, darüber ein schwarzes Sakko, das vermutlich nicht billig gewesen war. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen und so konnte sie erkennen, dass er dazu eine dunkelblaue Jeans trug. Alles drei stand ihm perfekt. Wow! Dachte sie, er hat offenbar Geschmack, was Kleidung angeht.

Und er lächelte sie an! Zum ersten Mal sah sie ihn offen lächeln, fast sanft und wieder fiel ihr das intensive Blau seiner Augen auf, das in so wunderbarem Kontrast zu seinem orientalischen Äußeren stand.

Noch immer etwas verwirrt fragte sie ihn, wie lange er schon da sei? „Noch nicht lange, nur ein paar Minuten.“ Das Lächeln intensivierte sich noch. „Sie haben so schön geschlafen, ich wollte Sie nicht wecken.“

Einige lange Sekunden lang blickten sie sich in die Augen und alles um sie herum schien zu verschwinden: Gegenwart, Zukunft, ihre Diskussionen in der Vergangenheit …

Dann wurde ihr bewusst, was sie da gerade im Begriff war zu tun: sich zu verlieben! In absolut den falschen Mann! Und sie brach den Bann, indem sie fragte: „Wie spät ist es?“

Er zog seinen Ärmel hoch und blickte auf seine Armbanduhr: „Kurz nach vier.“ Sie hatte also mehr als drei Stunden geschlafen.

Auch sie hatte automatisch mit auf die Uhr geschaut. Sie konnte zwar die Zeit vom Bett aus nicht erkennen, doch sprang es sie sofort an, um was für eine Art von Uhr es sich handelte: eine Rolex. Eine Rolex?! Was für eine Art Mensch musste man sein um hier, am Ende der Welt mit einer Rolex herumzulaufen? Bei all den armen Menschen, die sie draußen auf den Straßen von Alessia gesehen hatte?!

Und auf einen Schlag war der Zauber, der sie beide eben noch so stark umfangen hatte, verflogen.

Auch Rayan hatte den Wechsel in ihrer Stimmung sofort bemerkt und von einem Moment auf den anderen war sein Lächeln wieder beißend, voller Ironie und mit vor Sarkasmus triefender Stimme fragte er sie: „Also – wie befohlen bin ich hier, um mich dem Verhör zu stellen. Was möchten Sie wissen?“

Carina war damit zunächst überfordert und so platzte sie mit dem Ersten heraus, was ihr in den Sinn kam: „Wer ist Leila?“

Seine Brauen hoben sich, als wollte er sagen: „Mehr hast du nicht auf Lager?“ „Sie ist Araberin, wurde hier in Alessia geboren und besitzt das Haus, in dem Sie mich gefunden haben.“ Der letzte Teil des Satzes war wieder in einem Unterton, der gleichzeitig sagte: „Und wir beide wissen, wobei Sie mich gestört haben“, und so bekam Carina rote Wangen.

„Ist sie Ihre Frau?“ – wieder hob er die Brauen: „Und wenn es so wäre?“

Doch Carina sah ihn nur weiter auffordernd an, sie würde sich von dem Kerl nicht aus der Ruhe bringen lassen.

„Nein ist sie nicht – zufrieden?“

Und tatsächlich fühlte Carina ein Gefühl von Erleichterung – warum eigentlich? „Woher kennen Sie sie?“

Doch auf diese Frage bekam sie nicht die erhoffte Antwort. Stattdessen sagte er: „Das ist Leilas Geschichte und die werde ich Ihnen sicher nicht auf die Nase binden. Fragen Sie sie selber, wenn Sie es unbedingt wissen müssen.“ Er hielt einen Moment lang inne und fuhr dann fort: „Aber eigentlich bin ich doch nicht hier, damit wir beide über Leila reden, oder?“

Carina seufze, denn er hatte ja Recht. „Also gut – wann werden Sie von hier aufbrechen?“

„Morgen früh“, antwortete er ruhig. Carina erschrak, morgen schon? Dann war das vermutlich ihr letztes Gespräch. Sie versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen und so neutral wie möglich zu fragen: „Und wie lange werden Sie weg sein?“

Daraufhin grinste er breit: „Warum? Werden Sie mich vermissen?“ Doch er erwartete nicht wirklich eine Antwort, wurde stattdessen auf einmal sehr ernst und fügte hinzu: „Um es kurz zu machen: Ich werde morgen früh mit meinen Männern losreiten, in Richtung Norden, wo ich dem Kerl einen Besuch abstatten werde, der mir den Attentäter geschickt hat. Und dann werde ich ihn und seine Brut auslöschen.“ Den letzten Teil hatte er völlig ruhig, aber mit eiskalter Stimme gesagt. Seine vorher so warm strahlenden Augen waren eine Nuance dunkler geworden und wirkten nun ebenfalls eiskalt.

Carina fröstelte – da war er wieder, der Grund warum dieser Mann absolut nicht gut für sie war. Er war definitiv psychopathisch! Sie wartete ab und tatsächlich fuhr Rayan von sich aus fort: „Ich kann Ihnen daher tatsächlich nicht sagen, ob und wann ich zurückkommen werde. Es wird nicht leicht werden und einige Opfer müssen gebracht werden.“ Letzteres sagte er mehr zu sich selbst.

Wieder fuhr Carina ein Schauer über den Rücken: „Ob er zurückkommen würde???“ Doch ihr blieb keine Zeit, sich weiter Gedanken zu machen, denn diesmal wandte er sich an sie und mit einem drängenden Unterton in der Stimme sagte er:

„Hören Sie! Ich habe mit dem Arzt gesprochen, heute ist Dienstag, am Samstag dürfen Sie nach Hause fliegen. Es geht ein Flieger via Dubai nach München. Samstagabend können Sie schon wieder zuhause sein. In Ihrer schönen Wohnung in der Merseburger Straße. München! Hört sich das nicht gut an für Sie?“

Es war seine Absicht sie zu provozieren und das gelang ihm auch. Schlagartig war sie wieder wütend. Was fiel ihm eigentlich ein, mit ihrem Arzt zu reden? Und wieso gab der ihm Antworten? Galt die ärztliche Schweigepflicht heutzutage denn nichts mehr? Den Flugplan hatte er auch schon im Kopf! Und woher wusste er eigentlich, wo sie wohnte?

„Ich will aber nicht nach Hause fliegen!“, maulte sie und eine leise Stimme in ihrem Kopf sagte ihr, dass sie sich wie ein kleines Kind aufführte.

Rayan hatte sie provozieren wollen, um sie dazu zu bringen, ihn zu hassen und freiwillig zu gehen. Dass sie jedoch auf stur schalten würde, hatte er nicht vorher gesehen. Dabei hätte er es sich ja denken können.

Er seufzte: „Hören Sie. Es ist kein Witz, dass ich gesagt habe, ich weiß nicht, wann ich wieder komme und ob ich überhaupt wieder komme. Minimum, wenn alles gut geht, bin ich sechs Wochen weg. Wollen Sie wirklich hier sitzen und warten? Ohne jede Chance auf Informationen?“

Doch bockig antwortete sie: „Lieber sitze ich hier als in München.“

Er versuchte eine andere Tour, sie zur Abreise zu bewegen: „Und wovon wollen Sie das bezahlen? Mit Ihrem Gehalt?“

Carina giftete zurück. „Woher wollen Sie etwas über mein Gehalt wissen?“

Trocken antwortete er: „Sie verdienen 3800.- EUR brutto und das in München.“

Ihr blieb der Mund offen stehen – der Kerl war echt unverschämt! Jetzt war sie stocksauer und lauter werdend raunzte sie ihn an: „Was geht Sie eigentlich mein Gehalt an?“, und giftete gleich noch dazu: „Ach ja, ich vergaß! Sie haben ja ein 'freundschaftliches Verhältnis' zu meinem Chef in München aufgebaut, was? Und wie ist das, wenn ich nicht abreise? Sagen Sie ihm dann, er soll mich feuern???“

Rayan dachte für sich, dass die Idee doch tatsächlich nicht so schlecht wäre? Hauptsache sie würde abreisen. Er war nicht gut für sie und das wusste sie auch. Viel zu verschieden waren die Welten, in denen sie aufgewachsen waren. Sie würde ihn vermutlich nie verstehen können.

Als er nichts mehr sagte, log sie noch hinterher: „Machen Sie sich mal um mich keine Sorgen, ich habe genügend Rücklagen, um mich eine Weile durchzuschlagen.“

Er zog die Brauen hoch, denn langsam ging ihm die ganze Situation auf die Nerven. Er war es nicht gewohnt, die Leute lange überzeugen zu müssen. Sie hatten zu tun, was er sagte und basta. Diese Frau dagegen war absolut resistent.

Und so spielte er seine letzte Karte aus: „Über Wasser halten? Ein ordentliches Hotelzimmer hier kostet in etwa 150 Euro, wenn Sie nicht gerade in der Gosse schlafen wollen – wie lange wollen Sie das bezahlen? Zehn Tage? Sie haben genau 1.542,96 Euro auf Ihrem Konto bei der Sparkasse München.“

Jetzt war Carina fassungslos: Wie konnte der Kerl so viel über sie wissen? Ihre Straße – sicher von einem ihrer Ausweise, ihr Gehalt? Zwar seltsam, aber mit etwas Geduld von ihrem Chef? Aber den exakten Kontostand ihres Onlinekontos in München? Das waren vertrauliche Informationen!

Und ohne, dass sie die Frage laut ausgesprochen hatte, fügte Rayan von sich aus erklärend hinzu: „Ich bin ziemlich herumgekommen in meinem Leben, ich habe gute Verbindungen.“

„Ja und vor allem genug Geld auf dem Konto“, dachte Carina. „Zur Not kauft man sich eben seine Informationen." Aber sie sagte nichts laut. Sie war gekränkt, dass er ihre Lüge so eiskalt abserviert hatte. Und dass er sie eigentlich da hatte, wo er sie hin haben wollte: sie müsste nun eigentlich eingestehen, dass sie sich das Hierbleiben gar nicht leisten konnte, denn ihr Chef würde den verlängerten Aufenthalt sicher nicht bezahlen.

Doch sie war zu eigensinnig, das zuzugeben und nun hatte er ihren Stolz verletzt, indem er ihr einfaches Leben so offen zur Schau gestellt hatte. Keine goldenen Löffel oder Rolex-Uhren in ihrer Verwandtschaft!

Ärgerlich stellte sie fest, dass ihr die Tränen in die Augen stiegen und so sagte sie nur kalt, ohne ihn anzusehen, stur vor sich hin an die gegenüberliegende Wand starrend: „Es wird besser sein, wenn Sie jetzt gehen. Es ist alles gesagt.“

Er erhob sich halb, dann schien er einen Entschluss zu fassen und setzte sich wieder hin. Seine Hand berührte kurz ihre Wange, um eine Träne wegzuwischen, die sie nicht hatte zurückhalten können und die ihr nun zu ihrem Ärger herunterlief.

Ganz leise sagte er dabei: „Carina! Es tut mir leid – ich wollte dich nicht kränken. Ich möchte, dass du nach Hause zurückkehrst, wo du hingehörst. Bitte! Ich habe einen schlechten Stern im Umgang mit Frauen. Es gab in meinem Leben bisher viele Frauen. Zu viele! Doch nur zwei, die mir jemals wirklich etwas bedeutet haben. Beide sind tot! Und nun wärst du fast gestorben …“

Carina war überrascht – zum ersten Mal hatte er ihren Vornamen ausgesprochen und sie geduzt. Auch mit derlei Geständnissen hatte sie nicht gerechnet.

Eine Weile sagten beide nichts, dann beschloss sie, dass sein Geständnis es wert war, dass auch sie ein wenig von ihren Gefühlen verriet:

„Ich werde ohnehin warten. Auch wenn ich in München wäre. Hier habe ich wenigstens das Gefühl, am Puls der Informationen zu sein. Dort wäre ich ausgeschlossen. Egal ob Sie mir helfen oder nicht. Ich bleibe. Irgendeine Beschäftigung werde ich schon finden, um mir den Aufenthalt leisten zu können.“

Die Gedanken wirbelten in Rayans Kopf und es lagen einige scharfe Bemerkungen auf seiner Zunge, unter anderem Gehässigkeiten wie, was sie denn glaubte für einen Job ausführen zu können, wenn sie nicht einmal die Sprache des Landes ordentlich sprach. Aber er merkte, dass er sie wieder kränken würde, dies an ihrer Meinung unbedingt hier zu bleiben, aber nichts änderte.

Also blieb ihm eigentlich nur der Weg, den er hatte vermeiden wollen: Ihr zu helfen. Er seufzte: „Sie sind so ziemlich das sturste Wesen, das mir je untergekommen ist. Selbst die Kamele in der Wüste könnten von Ihnen noch etwas lernen!“

Dann lächelte er wieder. „Also gut, Sie haben gewonnen. Ich habe einen guten Freund, dem ein Haus nicht weit vom Krankenhaus gehört. Er ist zurzeit nicht in der Stadt, aber ich habe mit ihm gestern telefoniert. Vorsichtshalber habe ich auch über Sie schon mit ihm gesprochen. Sein Haushälter wird Sie am Samstagmorgen abholen. Dort können Sie wohnen so lange Sie möchten.“

Aha, man war also wieder beim „Sie“ – stellte Carina für sich fest, wollte aber das Angebot nicht ruinieren und hielt daher den Mund.

„Hier ist der Deal – Sie bleiben in Hummers Haus – das ist sein Name, er ist Amerikaner – und werden in den kommenden Wochen Arabisch lernen. Ich kümmere mich um einen Lehrer. Damit sind Sie beschäftigt. Wenn ich wieder komme, erwarte ich, dass Sie mit mir Arabisch sprechen können. Und zwar so gut, dass Sie nicht zu sehr auffallen. Im Moment rennen Sie hier herum wie ein bunter Hund. Das kann ich nicht brauchen, verstehen Sie? Ich erwarte, dass Sie unauffällig bleiben und nicht wieder vor irgendwelchen Mädchenhändlern gerettet werden müssen, ok?

Und sollte Ihnen die Warterei – hoffentlich! - zu viel werden, dann kümmert sich der Haushälter um einen Flug für Sie und Sie gehen nach Hause!“

Rayan schaute sie ernst und prüfend an. Sie erwiderte seinen Blick direkt und nickte.

„Und dann vielleicht - vielleicht!! Nehme ich Sie anschließend mit. OK?“

„Ok – Deal.“ Carina strahlte, damit hatte sie überhaupt nicht mehr gerechnet und im Moment war sie bereit, alles zuzusagen.

Damit stand er auf, nickte ihr kurz zu und ging zur Tür. Dort hielt er noch einmal inne und meinte: „Wünschen Sie mir Glück.“

Ohne eine Antwort von ihr abzuwarten, ging er.

Wenige Minuten später kam die Schwester herein. Es war die Irin, die auch an ihrem ersten Tag im Krankenhaus hier gewesen war. Sie hatten sich in den letzten Tagen immer wieder einmal ein wenig unterhalten. Carina war froh, jemanden zu haben, mit dem sie Englisch sprechen konnte und der sie verstand.

Schwärmerisch meinte die Krankenschwester: „Das war aber ein langer Besuch - Was für einen tollen Mann Sie da haben!“ Verwirrt blickte Carina auf die Uhr, die sie im Nachttisch in der Schublade hatte: Es war 16 Uhr 45. Erstaunt fragte sie die Schwester: „Langer Besuch? 45 Minuten?“ Die Schwester antwortete ihr: „Aber er ist doch schon seit 14 Uhr hier!“, und als sie Carinas skeptischen Blick sah, ergänzte sie „das weiß ich genau, da hat meine Schicht angefangen. Er hat wahrscheinlich die ganze Zeit an ihrem Bett gesessen, während Sie geschlafen haben.“

Also hatte er sie angelogen, als er gesagt hatte, er wäre nur einige Minuten hier gewesen, bevor sie aufwachte. Aber natürlich war er wieder zu stolz gewesen, dies zuzugeben.

Und sie konnte sich nicht so richtig entscheiden, ob es ihr peinlich war, dass er ihr so lange beim Schlafen zugesehen hatte, oder ob sie sich geschmeichelt fühlen sollte.

RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4)

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