Читать книгу RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4) - Indira Jackson - Страница 61

2001 - Tal von Zarifa - Nächtliche Schatten

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Es war dunkel geworden.

Rayan hatte die verbleibenden Stunden vor dem Abendessen damit verbracht, durch die Häuserzeilen und das Wäldchen von Zarifa zu schlendern.

Dabei verfolgte er keineswegs nur die Absicht, die Schönheiten von Zarifa in Augenschein zu nehmen, wie den malerisch dahin fließenden Fluss und die wunderschönen Pferde. Nein, er war Experte genug, dass er einem ganz bestimmten Verdacht nachging: Die Oase von Farah war drei Tagesritte entfernt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Scheich Yuemnue dort auf das Geratewohl sitzen und irgendwann losreiten würde.

Er musste einen Informanten hier in Zarifa haben. Dessen war sich Rayan ganz sicher. Er hatte diesen Verdacht bisher niemandem gegenüber geäußert, denn er hatte in der Vergangenheit schon in ähnlichen Situationen schmerzliche Erfahrungen machen müssen. Keiner konnte je glauben, dass es einen Spion gab. Alle vertrauten sich und keiner wollte dem anderen etwas Böses. Klar! Jeder Mann hatte seinen Preis, das war die Erfahrung von Rayan.

Er selbst traute lediglich sich selbst. Deshalb arbeitete er auch am liebsten alleine. Nur die Männer aus seiner ehemaligen Spezialeinheit, Cho und Hummer - das war etwas anderes. Sie waren Profis und hatten bereits jahrelang diverse Aufträge erfüllt. Da lernte man, wie der andere dachte. Darum hatte er sie ins Boot geholt, als Jack Tanner damals 1998 seine Sicherheitsfirma TanSEC gegründet hatte. Und doch hatte er auch sie stets auf Abstand gehalten. Sobald der Job erledigt war, hatte er alle Versuche ihrerseits, ihn zu gemeinsamen Abenteuern und Urlauben zu überreden, unterbunden. Schnell hatten sie es akzeptiert, dass er nicht wie sie nach jedem Job „einen drauf machen wollte“ und seine Gage verprasste. Manchmal zogen sie ihn auf, dass er das ganze Geld sparte, um nachher als „reicher Fatzke“ faul auf dem Bauch liegen zu können und Champagner zu schlürfen.

Und tatsächlich waren sie gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Er hatte während seiner Einsätze ständig Ausschau gehalten nach dem richtigen Platz, an dem er sich später einmal niederlassen konnte. Ihm schwebte eine kleine Insel im Nirgendwo vor, die in wenigen Stunden per Boot mit einer Stadt verbunden war, in der er sich ab und zu mit dem Nötigsten versorgen konnte. Dort würde er seine Ruhe und die Einsamkeit genießen.

Und nun war er hier in seinem Heimatort und fühlte sich einsamer als je zuvor, wenn er bei völlig fremden Menschen gewesen war. Und wieder einmal suchte er einen Verräter. Er hatte die Zeit der Diskussionen am Nachmittag dafür genutzt, während der ausschweifenden Gespräche der Männer unauffällig alles und jeden zu beobachten. Dies ging ihm nun im Dunkeln wieder durch den Kopf.

Viele der Männer hatte er wiedererkannt. Den Alten Tarek, der ihm damals das Reiten beigebracht hatte. Inzwischen war er fast blind. Er war der Älteste des Stammesrates, einige Jahre älter als sein Vater und sein Wort hatte daher viel Gewicht.

Und dann war da noch Ruhi. Als Kinder hatten sie ihn stets gefürchtet. Mit seiner massigen Statur war er der Anführer der Krieger. Sie hatten bei ihm stets Unterricht an den Waffen und in Selbstverteidigung gehabt. Dabei war er nie sehr zimperlich gewesen. Auch heute war er von denen in der Beratung Anwesenden sicher der am meisten ernst zu nehmende Gegner. Rayan erinnerte sich genau, dass seine behäbigen Bewegungen äußerst schnell werden konnten, wenn er kämpfte.

Als Nächstes fiel sein Blick auf Hanif. Seine Bewegungen waren geschmeidig. Er machte einen ständig wachsamen Eindruck. Er schien eine Art Leibwächter seines Vaters zu sein. Rayan überlegte, konnte sich aber nicht an ihn erinnern. Doch nachdem auch er den Dialekt des Stammes ohne jeden Akzent sprach, schien er hier geboren und aufgewachsen zu sein. Rayan versuchte sein Alter zu schätzen und kam zu dem Ergebnis, dass Hanif in etwa fünf Jahre jünger war als er. Das hieß, er war gerade einmal 23 Jahre alt. Kein Wunder also, dass er ihn nicht erkannte, damals hatte man sich nicht mit „den Babys“ abgegeben. Fünf Jahre waren damals wie eine Ewigkeit erschienen, eine ganz andere Liga. Er musste bei diesem Gedanken lächeln, kontrollierte sich jedoch schnell wieder.

Durch seine ständige, misstrauische Wachsamkeit wirkte Hanif erheblich älter als er tatsächlich war. Die Vertrautheit, in der er mit seinem Vater umging, versetzte Rayan einen Stich. „Das sollte ich sein! Warum ist er mit mir nie so umgegangen?" Es schien, als habe sich sein Vater einen Ersatzsohn auserkoren. Er wunderte sich über sich selbst, er hatte doch mit allem hier abgeschlossen, wieso fühlte er dann auf einmal all diese unbekannten Emotionen – was? Eifersucht? – lächerlich. Er brauchte niemanden hier. Nur ganz schnell den Auftrag abschließen und genauso schnell verschwinden.

Dann blickte er zu seinem Vater. Wie sehr hatte dieser sich verändert! Wenn man von der kurzen Begegnung 1989 absah, als Rayan fast gestorben war, hatte er seinen Vater 14 Jahre lang nicht gesehen. Wenn er sprach, richtete er sich zu seiner vollen Größe von 1,92 m auf und hatte noch immer diese charismatische Ausstrahlung, die ihn damals so ausgezeichnet hatte. Und doch wirkte er um Jahre gealtert, weitaus mehr als den besagten Zeitraum. Wie alt war sein Vater eigentlich? Man hatte hierzulande nicht die Sitte jedes Jahr Geburtstag zu feiern und so musste sich Rayan eingestehen, dass er gar nicht so genau wusste, wie alt sein Vater wirklich war. Er musste damals in etwa Anfang 50 gewesen sein. Dann wäre er jetzt Mitte 60. Wenn er so auf seinem Platz saß und den anderen beim Reden zuhörte, sah er alt und müde, eher wie Ende 70 aus.

Kam es daher, dass er auch vom Charakter verändert schien? Er ließ die anderen zu Wort kommen, vor allem ließ er sie ausreden und hörte zu! Er erinnerte sich an einen Vater, der stets genau wusste, was er wollte und was die anderen zu sagen hatten, interessierte ihn nicht.

Und auf einmal wurde ihm klar, was diesen Stamm so angreifbar machte: Es fehlte ein Anführer. Sein Vater schien nicht mehr der aktive Part zu sein und auch die anderen Männer waren einfach ins Alter gekommen. So einen müden Haufen sollte er retten? Zum hundertsten Mal fluchte er innerlich, in was er sich da nur hineingeritten hatte.

Er spürte einen Blick auf sich ruhen und wie konnte es anders sein, Hanif beobachtete ihn wieder, gänzlich unverhohlen. Er erwiderte den Blick und für einen Moment starrten sie sich in die Augen, bis Hanif wegblickte. Hätte er nicht ständig so bösartig geschaut, wäre er durchaus attraktiv zu nennen. Er hatte tiefschwarzes Haar, war in etwa 1,82 m groß, schlank und durchtrainiert. Seine pechschwarzen Augen passten wunderbar in sein markantes Gesicht. Bei den Frauen hatte Hanif sicher keine Schwierigkeiten. Rayan bezweifelte jedoch, dass Hanif sich Zeit nahm, sich um Frauen Gedanken zu machen.

Rayan blickte sich weiter um. Nein, von den Männern des Rates war sicher keiner ein Verräter. Er musste den Kreis der Verdächtigen weiter ziehen. Ein Diener oder einer der anderen Krieger eventuell. Aber es musste jemand sein, der direkten Zugang zum Haus und damit zu Informationen hatte. Also sollte er die Hausangestellten intensiver beobachten.

Dabei war ihm ein Mann aufgefallen, augenscheinlich einer der Diener. Rayan konnte nicht genau sagen, warum ihm gerade dieser Mann ins Auge gestochen war. Vermutlich, weil er uneingeschränkten Zugang zum Herrenhaus seines Vaters zu haben schien. Aber auch weil er irgendwie immer präsent – zu präsent! - war.

Und darum ging Rayan jetzt nicht einfach nur spazieren, sondern er fand heraus, wo der Diener namens Yusuf wohnte. Er hatte sich in scheinbarer Bewunderung der Umgebung im Wäldchen in einen Baum gesetzt und mit seinem Fernglas Yusuf beobachtet.

Schnell war ihm klar, wo dessen Haus war, als er am Nachmittag beobachtete, wie er nach Hause ging. Er hoffte bloß, dass er keine Nachricht an seine Auftraggeber am helllichten Tag absetzte, sondern bis zur Nacht wartete. Denn dass Yusuf ein Funkgerät mit großer Reichweite oder ein Satellitentelefon besitzen musste, war ihm klar. Anders konnte er sonst kaum Kontakt halten.

Aber es war unwahrscheinlich, dass er dieses Funkgerät einfach bei sich zu Hause stehen hatte. Das war zu gefährlich. Somit schätzte Rayan das Risiko am Nachmittag als gering ein.

Er musste Yusuf unbedingt überführen, anders würde ihm keiner glauben. Auch diese Erfahrung hatte er machen müssen. Im Zweifelsfalle glaubten die Leute keinem „hergelaufenen Fremden.“

So schlenderte Rayan noch ein wenig durch Zarifa und begab sich dann zum Abendessen zurück ins Haupthaus. Er fürchtete die Emotionen, die eine Übernachtung in seinem ehemaligen Elternhaus mit sich bringen würde und hatte daher das Angebot seines Vaters abgelehnt, dort zu nächtigen. Seinem Vater gegenüber hatte er das damit begründet, dass er keinen Verdacht erregen wollte. Dies war definitiv ganz anders als seine sonstigen Aufträge.

Somit war er in einem Nebengebäude untergebracht worden, in dem auch die Diener wohnten. Direkt im Anschluss an den Stammesrat am Nachmittag hatte er von dort aus mit seinem Satellitentelefon ein paar wichtige Telefonate geführt …

Wieder gesellte sich Daoud während des Essens zu ihm und Rayan musste unweigerlich an einen lustigen, freundlichen Hund denken, der seinem Herrn hinterher trottete.

Normalerweise reagierte er immer gleich barsch auf diese Art von Personen, sodass er im Laufe der Zeit eine gewisse Routine entwickelt hatte, alle Annäherungsversuche von freundlichen Menschen zu vergraulen, aber bei Daoud fiel ihm das besonders schwer. Er schien auch nicht auf die üblichen mehr oder minder dezenten Hinweise zu reagieren und Rayan verstand, warum selbst die Stärksten der anwesenden Krieger Daoud einfach gerne haben mussten.

In der Runde hielt er Ausschau nach Yusuf und war beruhigt, ihn in einer Ecke beschäftigt mit dem Servieren der Speisen zu sehen. Er wollte wohl die Gelegenheit nutzen und noch einige zusätzliche Informationen ausspähen.

Rayan entschuldigte sich zeitig, mit der Begründung seiner langen Anreise und den am kommenden Morgen früh anstehenden Aufbruch ins Tal hinunter.

Er ging in sein Zimmer im Nebengebäude, verblieb dort jedoch nicht lange, sondern legte sich im Dunkeln auf die Lauer, um den Ausgang des Haupthauses zu beobachten.

Einmal ging Hanif an ihm vorbei, in Richtung des Nebengebäudes und damit seines Zimmers. Verdammt! Der Kerl war auch zu lästig, hoffentlich kam der ihm nicht in die Quere. Es würde nicht gut ankommen, wenn er die rechte Hand seines Vaters ausschalten musste.

Nach wenigen Minuten kam Hanif jedoch zurück und ging wieder ins Haus.

Etwa zwei Stunden später kam Yusuf aus dem Haus. Rayan folgte ihm völlig lautlos. Er überquerte die kleine Brücke, die über den Fluss führte, und ging langsam den Hügel hinunter ins Dorf. Zunächst betrat er sein Haus, das in der Nähe des Hauptplatzes des kleinen Ortes lag. Vom Hügel aus konnte Rayan das gut beobachten, was es ihm leicht machte, Yusuf unbemerkt mit einigem Abstand zu folgen.

Er achtete dabei darauf, stets im Schatten zu bleiben, denn das Mondlicht strahlte bereits hell vom Himmel herunter.

Vor dem Haus von Yusuf hielt Rayan kurz an und lauschte an der Türe, doch von drinnen war nichts weiter zu hören. Dann schlich er weiter. Er verschmolz mit dem Eingang eines anderen Hauses ein Stück die Straße hinunter und wartete ab.

Plötzlich spürte er, dass er nicht mehr alleine war. Seine jahrelange Ausbildung, aber auch seine vielen einsamen Stunden in der Wüste, hatten seine Sinne geschärft. Er spürte Gefahr. Als er eine Bewegung auf der Straße bemerkte, wusste er, dass er sich nicht getäuscht hatte, sondern ihm tatsächlich ein Mann gefolgt war. Er musste ihn im Mondlicht beobachtet haben, trotz seiner Bemühungen stets in den Schatten zu bleiben. Das passierte ihm nicht oft. So unauffällig, wie Rayan gewesen war, musste er es mit einem würdigen Gegner zu tun haben, nicht viele waren in der Lage ihm zu folgen, wenn er es nicht wollte.

Der Schatten huschte ebenfalls lautlos an Yusufs Tür vorbei und blieb kurz vor Rayan dicht an die Wand gepresst stehen. Nun musste Rayan schnell sein, denn offenbar spürte auch sein Gegner seine Anwesenheit.

Lautlos schnellte er nach vorne, packte den Hals seines Gegners und drückte zu. Ein Gurgeln war zu hören, dann brach der Körper zusammen.

RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4)

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