Читать книгу RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4) - Indira Jackson - Страница 56

2014 - Alessia - Das Wiedersehen

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Carina hatte sich die Szene, in der sie IHN wiedersehen würde, etwa hundert Mal in ihrem Krankenbett ausgemalt. Zeit dazu hatte sie in den letzten Tagen ja reichlich gehabt.

Aber kein einziges Mal war diese Fantasie so peinlich gewesen!

Auf der einen Seite blieb ihr der Mund fast offen stehen, denn es war das erste Mal, dass sie ihn ohne Oberteil sah. Fast gegen ihren Willen bewunderte sie seinen muskulösen Oberkörper. Auch die Oberarme waren trainiert und wohl proportioniert. Mit Faszination sah sie, dass er auf der Brust eine Tätowierung mit dem Emblem von Zarifa hatte, das genauso wie ihre Kette aussah.

Auf der anderen Seite wäre sie am liebsten im Boden versunken, denn es war nur zu deutlich, wobei sie die beiden gerade gestört hatte. Einen Moment lang rang sie nach Worten, doch ihr Problem löste sich von selbst, indem der Scheich seine Männer anwies, sie „ins Wohnzimmer“ zu bringen. Er selbst werde gleich nachkommen. Dann machte die Frau die Tür zu.

Jassim führte sie in ein Zimmer links von ihnen, schräg gegenüber von dem Torbogen, durch den sie gekommen waren. Überrascht stellte sie fest, dass es dort einen richtigen Holztisch gab, wie sie ihn von zuhause kannte und dazu passende Stühle.

Carina setzte sich hin, sie war froh, dass sie ihren Bauch endlich entlasten konnte.

Der Leibwächter stellte sich neben der Tür mit verschränkten Armen hin.

Sie grinste ihn frech an – was meinte der Kerl? Dass sie hier die Einrichtung klauen würde?

Dann ging die Türe auf und die Frau kam herein. Carina verging das Grinsen.

Im flüssigen, mühelosen Englisch sagte sie: „Ich bin Leila und dieses Haus gehört mir.“ Es klang, als wollte sie damit gleich klarstellen, wer hier das Sagen hatte.

„Ich werde Ihnen etwas zu trinken holen.“ Dann verschwand sie in einem Nebenraum. Sie brachte Carina ein Glas Wasser und verschwand wieder ohne ein weiteres Wort.

In diesem Moment trat Rayan ins Zimmer und erneut musste Carina zu ihrer Schande gestehen, dass sie beeindruckt war. Er trug eine schwarze, weite Hose, wie sie hier häufig zu sehen war. Oben herum trug er ein weißes, ärmelloses Hemd, das seine muskulösen Oberarme hervorragend zu Geltung brachte und farblich im Kontrast zum tiefen Braun seiner Haut stand.

Darüber hatte er eine kurze Weste an, aus blauem Satin, welches exakt die Farbe seiner Augen widerspiegelte.

Er warf dem Wächter einen kurzen Blick zu, woraufhin dieser durch die Tür verschwand, durch die sie gekommen waren. Dann setzte er sich ihr gegenüber hin.

Einen Moment lang sagten beide nichts. Carina, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte, Rayan, weil er genau das spürte und sie zappeln lassen wollte.

Dann sagte er mit höhnischem Lächeln: „Und? Nun sind sie hier. Zufrieden mit dem, was sie gefunden haben?“

Carina entschied sich, überhaupt nicht auf diese Frage - da ohnehin rhetorisch - einzugehen. Sie fragte leise: „Warum sind Sie mich nicht im Krankenhaus besuchen gekommen?“

Und er konterte mit hochgezogenen Brauen: „Warum hätte ich das tun sollen?“

Carina ärgerte sich, konnte er nicht einmal ehrlich und direkt antworten? Bissig sagte sie: „Aus Höflichkeit?“ Woraufhin er wieder die Augenbrauen hob: „SIE werfen MIR Unhöflichkeit vor? Wer dringt denn in wessen Haus ein, ohne jemals eingeladen worden zu sein?“

Carina wusste erneut nicht, was sie entgegnen sollte, denn wenn sie ehrlich war, hatte er nicht ganz unrecht. Sie war tatsächlich einfach so hier eingedrungen. Doch das würde sie nie zugeben und darum fragte sie mehr aus Verteidigung heraus ganz keck: „So einen schlauen Plan hätten sie mir nicht zugetraut, was?“

Doch die Reaktion fiel anders aus, als sie gehofft hatte.

Wütend fauchte er sie mit vor Sarkasmus triefender Stimme an: „Unheimlich clever, ja. Ich bin echt beeindruckt! – Davon, dass sie noch immer NICHTS begriffen haben!! Ich dachte, wenigstens ein paar unserer Regeln hätten Sie in den Tagen aus Wahi hierher verstanden. Aber Sie denken ja immer nur an sich, nicht wahr? Was Sie anderen mit Ihrer ungestümen Art antun, das ist Ihnen gleich, oder?“

Und ohne weiter abzuwarten, stand er auf, ging zur Tür und gab dem vor der Tür wartenden Wächter eine Anweisung. Dann schloss er die Tür wieder und rief nach Leila.

Die kam wenige Sekunden später und der Scheich sagte zu ihr: „Nimm sie mit hinaus, sie soll aber zusehen. Aber sorg‘ dafür, dass sie den Mund hält, ja?“

Carina verstand kein Wort mehr und folgte daher erst einmal Leila ahnungslos in den Nebenraum und von dort wieder in einen angrenzenden Raum, der direkt neben dem Wohnzimmer lag.

Offenbar handelte es sich dabei um einen der typischen „Haremsräume“ d. h. der Ort an dem in früheren Zeiten (oder heute auch noch, schoss es Carina durch den Kopf) die Frauen durch ein Gitter in der Wand das Geschehen im Hauptraum verfolgen durften, ohne selbst dabei zu sein.

Interessiert blickte Carina durch das Gitter hindurch, sie hatte es vorher von der anderen Seite her nicht gesehen. Aber das war ja die Kunst dieser Art von Konstruktionen.

In diesem Moment packte sie Leila mit erstaunlicher Kraft von hinten. Sie drückte ihr die linke Hand auf den Mund und hielt ihn somit zu und mit der rechten hielt sie ihr ein Messer an den Hals. „Keine Angst, eine reine Vorsichtsmaßnahme!“, zischte sie ihr ins Ohr. „Damit du auch ja deine vorlaute Klappe hältst und dich nicht einmischst.“ Und dann fuhr sie fort „Und damit wir uns richtig verstehen, nur weil ER dich mag, bedeutet das nicht, dass ich dich schonen werde – im Gegenteil, das macht dich mir umso unsympathischer! Wenn du auch nur einen Mucks machst, schneide ich dir zwar nicht die Kehle durch, aber die Stimmbänder. Dann hat Rayan auch mehr Spaß an dir, wenn du dein freches Maul zukünftig halten musst. Also bitte, tu mir den Gefallen und gib mir einen Grund, ja?!“

Carina war überwältigt. Zum einen hatte sie keine Ahnung, was gerade passiert war und zum zweiten erkannte sie, was es wirklich war, das Leila so harsch mit ihr reden ließ: Eifersucht. „Moment? Die Frau, die gerade mit dem Scheich zusammen im Bett war, ist eifersüchtig? Auf MICH?“

Da stimmte doch etwas nicht. Aber bevor sie noch weiter darüber sinnieren konnte, ging im Wohnzimmer die Eingangstüre auf.

Herein kam, völlig verschüchtert, der junge Mann, den sie so gemein ausgetrickst hatte.

Der Scheich war an der einen Wand stehen geblieben und sagte nichts.

Der junge Mann ging vor ihm auf die Knie, verneigte sich dann bis zum Boden, um dann mit nach vorne weggestreckten Armen und der Stirn am Boden zu verharren.

Leila erklärte Carina: „Diese Geste ist bei uns üblich für jemanden, der eine Strafe bekommen soll. Sie drückt sowohl Respekt aus, als auch Unterwerfung und die Bereitschaft, jede ihm auferlegte Strafe zu akzeptieren. Es ist ihm nicht erlaubt zu sprechen, bis er dazu aufgefordert wird.“

Und mit Entsetzen erkannte Carina, was der Scheich meinte, als er fragte, ob sie nichts verstanden habe. Hatte sie doch in der Wüste gesehen, wie ein Mann bestraft wurde, weil er eingeschlafen war- ihr hätte klar sein müssen, dass sie dem jungen Mann Ärger brachte. Sie hatte das Gefühl, der Boden unter ihr würde verschwinden und ihre Beine wurden weich.

Der Scheich ließ den Mann eine ganze Weile warten und Leila flüstere wieder in Carinas Ohr: „Die Zeit, die der zu Bestrafende zu warten hat, ist umso länger, je schlimmer das Vergehen ist.“

Endlich sprach Rayan und Leila flüsterte leise die Übersetzung: „Abbas, es sind gleich zwei Vergehen, für die du dich verantworten musst. Nicht nur, dass du bei deiner Aufgabe im Krankenhaus nachlässig warst, sondern du hast unser aller Sicherheit in Gefahr gebracht. Ist dir bewusst, dass wenn es dieser einfachen Frau gelungen ist, dir so problemlos zu folgen, es jederzeit auch unsere Feinde hätten tun können?“

Carina fehlten die Worte, selbst wenn sie hätte reden können. „Nachlässig? Der arme Kerl war doch nur auf der Toilette!“ Und was heißt hier „einfache Frau“?! Waren zwei der Dinge, die ihr durch den Kopf gingen. Aber laut sagen konnte sie natürlich nichts.

In diesem Moment murmelte Abbas leise mit zitternder Stimme, für Carina wieder aus Leilas Mund übersetzt: „Herr, ich nehme alle Schuld auf mich. Ich sehe ein, dass durch meinen Fehler die Frau überhaupt erst aus dem Krankenhaus weg konnte und dann war ich völlig kopflos und habe uns alle in Gefahr gebracht. Bitte teilt mir meine Strafe mit und ich werde sie als Sühne annehmen.“

„Wie geschwollen die alle sprechen“, dachte Carina bei sich.

„Das möchte ich dir selbst überlassen. Du kannst wählen: 15 Peitschenhiebe durch Jassim, oder sieben durch deine eigene Hand.“

Und ohne zu zögern, entgegnete Abbas trotz seiner Situation mit Stolz in der Stimme: „Ich habe diese Situation verursacht, also werde auch ich selbst sie lösen.“

„So soll es sein. Geh und bereite dich vor.“

Und Abbas erhob sich langsam, verneigte sich nochmals tief und ging rückwärts aus dem Raum.

Einige Minuten stand der Scheich noch reglos da, dann ging auch er nach draußen.

Leila ließ Carina ein wenig Luft, jedoch ließ sie die Deutsche nicht komplett los, denn sie fürchtete nicht ganz unberechtigt, dass diese sonst nach draußen stürmen würde. Stattdessen brachte sie die Frau an ein Fenster, von dem aus sie in den Innenhof blicken konnte.

Und da stand Abbas mit entblößtem Oberkörper und der Peitsche in der Hand. Voller Entsetzen sah Carina zu, wie er sich damit selbst auf den Rücken schlug. Die Wucht war so groß, dass ein roter Striemen zurückblieb.

Carina riss sich los und rannte an den Tisch zurück, wo sie sich auf einen der Stühle setzte. Sie wollte das Geschehen außen nicht verfolgen, sie hatte die Bestrafung des armen Mannes in der Wüste noch allzu deutlich vor ihrem inneren Auge. Und dieser hier tat es freiwillig an sich selbst? Was trieb diese Männer dazu? Warum machten sie so etwas mit? Zum wiederholten Male sagte sie sich, dass sie diese Mentalität nie würde verstehen können.

Diesmal weinte sie nicht. Sie verspürte auch kein schlechtes Gewissen. Sie war zu dem Schluss gekommen, dass nicht etwa sie an dieser lächerlichen Bestrafung schuld war – nein! Es gab jemand anderen, der schließlich diese Anweisung gegeben hatte.

Und als einige Minuten später der Scheich zur Tür herein kam, sprang sie förmlich auf ihn zu: „Ich hasse dich, du abscheuliches Monster! Du bist kein Mensch, du bist ein Tier!“

Doch sie hatte nicht mit Leila gerechnet, die sie am Handgelenk festhielt, bevor sie auf Rayan einschlagen konnte. Der Ruck, der ihr dabei durch den Körper fuhr, erinnerte sie schlagartig an ihre Verletzung und sie stöhnte leise auf.

Rayan, der noch beim Eintreten ausgesehen hatte, als wolle er ihr nun einige Dinge an den Kopf werfen, sagte daraufhin nur ruhig: „Vielleicht überlegen Sie sich nun beim nächsten Mal vorher, ob Sie nochmals einen meiner Männer einen solchen Streich spielen wollen.“

Woraufhin er es auf sich beruhen lies und sanft hinzufügte: „Hören Sie, Sie sind immer noch verletzt – bitte lassen Sie sich jetzt von Jassim zurück ins Krankenhaus bringen, ok? Ich verspreche Ihnen, dass ich morgen Nachmittag vorbei komme.“

Und dieses eine Mal hatte Carina nichts zu widersprechen und nickte nur.

Wenige Minuten später war ein Taxi da und Jassim begleitete sie ohne weitere Vorkommnisse bis in ihr Zimmer.

RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4)

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