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2001 - Lager vor Zarifa - Besuch im Dunkeln

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Die Sonne war gerade untergegangen, als Rayan in das Zelt von Fürst Harun Said glitt.

Es war leer, wie er es erwartet hatte.

Der Chirurg hatte eine Stunde gebraucht, den Stock zu entfernen und zwei weitere, bis alle Splitter aus der Wunde waren. Jetzt hing Sarif an einem Tropf, der ihm Kochsalzlösung gegen den Blutverlust und Antibiotika in die Adern laufen ließ. Einer der anderen Helfer hatte schließlich noch den Bruch gerichtet und eine Schwester hatte einen Gips angebracht.

Nun standen die Chancen gut, dass der Junge überlebte.

Resul war nicht von der Seite seines Freundes gewichen. Eine Schwester hatte auch ihm die Wunde am Kopf, die er von Rayans Schwertgriff davon getragen hatte, verbunden und nun schlief er tief und fest auf einer Decke direkt neben dem Lager seines Freundes.

So hatte Rayan die beiden zurückgelassen.

Es war ein schlimmer Tag gewesen mit Verlusten auf beiden Seiten. Der Zugang zu Zarifa sah fürchterlich aus, tote Pferde, Leichen, ganz oder in grässlichen Stücken. Und Blut, überall Blut.

Gegen Abend hatten sich die Angreifer erst einmal zurückgezogen, um ihre Wunden zu behandeln und da nachts die Gefahr zu groß war, in das Minenfeld zu geraten.

Diese Zeit der Ruhe hatte Rayan genutzt, um sich ebenfalls zum Gegner aufzumachen. Die meisten Männer waren so sehr mit sich und ihren Verletzungen beschäftigt, dass es keinem auffiel, dass er nicht zu ihnen gehörte. Er hatte sich das Gewand eines der Toten umgeworfen und war ungehindert bis in die Mitte von Saids Lager gelangt.

Der Fürst schien mit seinen Anführern in einer Lagebesprechung zu sein, deshalb wartete Rayan im Inneren des Zeltes auf ihn. Er setzte sich auf ein Kissen und machte es sich so bequem wie möglich, denn er erwartete eine längere Wartezeit.

Doch bereits nach etwa einer Dreiviertelstunde kam Harun ins Zelt. Rayan verhielt sich still, bis der andere am Tisch in der Mitte des Zeltes eine kleine Lampe entzündet hatte und sich umdrehte, um sich zu entkleiden. Auch für ihn war es ein langer und verlustreicher Tag gewesen.

Rayan hatte eine kleine Armbrust gespannt auf seine Brust gerichtet.

„Einen Laut und du bist so schnell tot, dass du es nicht einmal mehr merkst, wenn dein Körper auf dem Boden aufschlägt. Die Pfeile sind vergiftet“, sagte er leise.

Harun Said zögerte lediglich eine Sekunde lang. „Ich nehme an, Sie sind der Fremde, der meinen kleinen Bruder hat“, stellte er sachlich fest.

Rayan grinste kurz, er mochte die direkte Art von Said, sagte dann jedoch ernst: „Das klingt, als hätte ich ihn entführt und nicht ihm das Leben gerettet. Ein wenig Dankbarkeit wäre doch angebracht, oder?“

„Wofür, dass Sie mich jetzt damit erpressen? Ich bin nicht überrascht, Sie hier zu sehen.“

Rayan spielte einen Moment den Beleidigten: „Jetzt hab ich mir solche Mühe gegeben …“, dann nahm seine Stimme einen harten Klang an. „Ich töte weder Kinder, noch erpresse ich deren Familie mit der Drohung, sie zu töten. Das ist nicht mein Stil.“

Auch Saids Stimme war härter geworden: „Was wollen Sie dann hier?“

„Ihnen ein Angebot machen. Der Arzt sagt, er kann nicht garantieren, dass Sarif die Nacht überlebt. Er hat zu viel Blut verloren.“

„Durch Ihre Schuld …“, unterbrach ihn Said bitter.

„Oh nein, durch IHRE Schuld! Haben Sie nicht genügend Männer, dass Sie Kinder in den Krieg schicken?“ Rayan war nun wütend. „Ich hasse diese sogenannten Anführer, die ihre Aggressionen auf den Rücken der Kleinen austragen. Es ist doch überall das Gleiche. Sie sind erbärmlich!“

Said war blass geworden. Noch nie hatte es jemand gewagt, so mit ihm zu sprechen. Doch er riss sich zusammen. „Ich habe ihm gesagt, er soll im Lager bleiben. Ich wollte nie … ach, vor Ihnen habe ich mich doch nicht zu rechtfertigen. Wenn Sie nur gekommen sind, um mich zu beleidigen, dann sollten Sie jetzt schnell wieder gehen, bevor ich doch noch nach meinen Wachen rufe.“

Rayan antwortete nicht sofort, er wollte sich erst wieder völlig unter Kontrolle haben. Dass Said so emotional war, war umso besser, dann lag ihm wirklich etwas an seinem kleinen Bruder. Vielleicht gab es doch noch einen Ausweg aus diesem Schlamassel.

„Wie gesagt, es steht nicht gut um ihn. Ich möchte Ihnen die Chance geben, ihn noch einmal zu sehen und anschließend, falls er die Nacht nicht übersteht, mitzunehmen.“

„Dann bringen Sie ihn her.“

„Das geht nicht, er kann nicht bewegt werden, sonst verblutet er sicher. So besteht wenigstens noch ein wenig Hoffnung.“

Harun Said überlegte einen Moment lang. „Und Sie garantieren mir, dass dies keine Falle ist, um mich gefangen zu nehmen?“ Zufrieden stellte Rayan fest, dass er wieder höflicher geworden war. Schon besser.

„Das garantiere ich nach allen Regeln der Gastfreundschaft der Wüste“, versicherte er. Das klang vielleicht etwas polemisch, aber jedem Krieger der Wüste war klar, dass dies ein absolut bindendes Versprechen war.

Doch Saids Reaktion war anders, als er erwartet hatte. Verächtlich sagte er. „Was wollen Sie denn davon wissen? Sie sind keiner der Unsrigen. Was sind Sie? Amerikaner? Seit wann kann man denen vertrauen?“

Rayan war verblüfft, er überlegte, ob er sich zu erkennen geben sollte, dann seufzte er. Und im Dialekt der Tarmanen antwortete er: „Ich bin tatsächlich Amerikaner. Aber andererseits bin ich noch erheblich mehr … Also lassen Sie sich nicht von Äußerlichkeiten täuschen.“ Er wusste, dass Haruns eigener Dialekt dem tarmanischen sehr ähnlich war und er ihn daher gut verstehen konnte.

Jetzt war es an Harun, verblüfft zu sein. Man konnte ihm ansehen, dass er gerne noch weiter gefragt hätte, doch das wäre unhöflich gewesen. Und auch sinnlos, denn ihm war klar, dass der andere ihm bereits mehr gesagt hatte, als er eigentlich gewollt hatte.

Er setzte sich Rayan gegenüber hin „Also gut, was soll ich tun?“

Rayan bat ihn, um Mitternacht an der Stelle zu sein, an der der Unfall passiert war, dann würde er ihn persönlich ins Lager bringen, um Sarif zu besuchen.

Wenn er sich von dessen Zustand überzeugt hatte, würden sie gemeinsam überlegen, wie mit dem Jungen am besten weiter zu verfahren wäre. Er versicherte nochmals, dass er dies völlig unabhängig vom Kampf machen werde.

Said schüttelte den Kopf: „Sie sind ein eigenartiger Mann, auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?“ Aber Rayan war bereits lautlos aus dem Zelt verschwunden.

Harun Said saß noch einige Minuten tief in Gedanken versunken, dann stand er auf, um zu Abdul, seinem Unterfürsten, zu gehen.

RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4)

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