Читать книгу Rayan - Im Licht der Rache - Indira Jackson - Страница 5
Anfang März 2016 - Ortsausgang von Alessia: Ausgrabungsstätte - Neugierige Einheimische
ОглавлениеGenervt sah Professor Alan Woodson-Drake von seinem Tisch auf. Er ließ die Lupe in seiner Hand sinken. „Schon wieder zwei von diesen neugierigen Bengeln!“, motzte er ungehalten. „Laura, würden Sie sich darum kümmern, dass die beiden abhauen. Wie oft soll man denen das noch sagen, dass hier keiner was verloren hat?“
Laura Miller gab ihren Versuch auf, eine kalte Cola aus der Kühlbox zu fischen und richtete sich seufzend auf. „Professor, Sie sollten sich wirklich bemühen, die Einheimischen zu verstehen…“, begann sie eine Ermahnung, die sie dem alten Kauz schon so oft gehalten hatte, dass sie es kaum noch zählen konnte. Leider ohne Erfolg.
„Ach papperlapapp! Sparen Sie sich Ihre Lektionen. Sie kennen meine Meinung: Jeder, der hier nicht mit Hand anlegt, hat hier nichts verloren. Schon gar keine von diesen dreckigen Rotzgören, die nur Lärm machen und alles in Unordnung bringen. Erst recht nicht, wo dieser ‚Oh-wir-haben-alle-so-einen-Heidenrespekt-Scheich‘ hier auftauchen soll. Stellen Sie sich vor, der Knilch gibt uns seine Zustimmung nicht, dann können wir hier kurzerhand einpacken.“ Er schnaubte verächtlich durch die Nase und murmelte etwas über „Kulturbanausen“.
Dann belehrte er sie lautstark weiter: „Und darum muss ich dieses Stück hier fertigmachen, damit wir etwas vorweisen können. Da kann ich keine von diesen stinkenden Gören brauchen, die vermutlich noch nie eine Schule von innen gesehen haben - nicht davon zu sprechen eine Ahnung haben, was wir hier überhaupt machen - und die mir nur die Zeit stehlen.“
Er wollte noch weiter nörgeln, wobei ihn die Tatsache, dass die beiden Jungen inzwischen bis auf wenige Meter heran waren und somit jedes Wort hören konnten, nicht im Geringsten zu stören schien. Entweder ging er davon aus, dass sie ohnehin kein Englisch verstanden oder es war ihm schlichtweg egal.
Laura dagegen waren die unfreundlichen Worte ihres Chefs überaus unangenehm und so warf sie ungeduldig ein: „Schon gut, ist ja in Ordnung. Ich kümmere mich um sie.“
Mit schnellen Schritten verließ sie das Zelt, dessen vier Seiten man nach oben geschlagen hatte, um zu verhindern, dass sich die Hitze der nahen Wüste darin staute. Draußen ging sie lächelnd auf die beiden zu. Unbewusst stellte sie sich damit zwischen die Fremden und den Professor, wobei nicht klar wurde, wen sie mit dieser Geste „schützen“ wollte: ihren Chef vor der „Belästigung“ durch die Jugendlichen oder die Fremden vor weiteren unangemessenen Kommentaren.
Während sie auf die Jugendlichen zuging, musterte Laura die beiden und kam zu dem Schluss, dass sie keineswegs „dreckig“ waren, sondern sogar einen sehr gepflegten Eindruck machten. Zwar war die Kleidung schlicht - nur die hier üblichen weiten Hosen mit den langen Obergewändern - doch war der weiße Stoff makellos sauber, was Laura als ein Zeichen von Wohlstand deutete. Keiner von beiden trug eine Kopfbedeckung und sie fragte sich, ob die beiden aus der Stadt hierher gelaufen waren? Das wäre ungewöhnlich. So plötzlich wie sie aufgetaucht waren, mussten sie ein Reittier oder ein Fahrzeug benutzt haben. Aber von der etwas tiefer gelegenen Position der Ausgrabungsstätte aus konnte man den Karawanenplatz nur teilweise einsehen.
Der Schlankere der beiden Jungen, der seinen Begleiter um einen halben Kopf überragte, erwiderte ihr Lächeln und grüßte sie freundlich auf Arabisch. Als sie die korrekte Antwortgrußformel erwiderte, schien sich sein Lächeln zu vertiefen und sie konnte sich nicht des Gefühls erwehren, einen Test bestanden zu haben. „Was für ein unsinniger Gedanke“, sagte sie sich. Wie alt mochte der Junge sein? Sechzehn, vielleicht siebzehn, seinen Freund schätzte sie etwa zwei Jahre älter ein.
„Was kann ich für euch tun?“, fragte sie in fehlerbehaftetem Arabisch freundlich.
„Wenn Sie möchten, können Sie Englisch mit uns sprechen“, entgegnete der junge Mann, der auch zuerst gesprochen hatte. Sein Englisch war fehlerfrei, seine Wortwahl ausgesucht höflich. Damit sah sie ihre Befürchtung bestätigt, dass die beiden jedes der unfreundlichen Worte ihres Professors ganz genau verstanden hatten. Sie fluchte innerlich.
„Das ist schön, denn mein Arabisch ist leider bei Weitem nicht so gut wie Ihr Englisch“, entgegnete sie im Plauderton, als wäre nichts passiert.
„Aber Sie bemühen sich zumindest, uns zu verstehen“, war die doppeldeutige Antwort mit einem Seitenblick auf den Professor.
Laura wurde rot und wünschte in Gedanken ihrem Kollegen die Pest an den Hals. Warum musste sie immer seine Launen ausbaden? Die Situation, in der er sie mal wieder gebracht hatte, war an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Würde sie nicht seine Expertise sehr schätzen und daher so viel wie möglich von ihm lernen wollen, hätte sie schon vor Wochen gekündigt.
Doch es half nichts, sie musste da jetzt erst einmal durch. „Ich muss mich für die unfreundlichen Worte meines Kollegen entschuldigen“, sagte sie offenherzig. Vermutlich war diese direkte Vorgehensweise die einzige Chance, um die Situation wenigstens noch ein wenig zu retten.
Beiläufig fragte sie sich, warum es ihr so wichtig war, unbedingt einen guten Eindruck erwecken zu wollen. Sie kam zu dem Schluss, dass sie beeindruckt war, weil zumindest der Sprecher der beiden jungen Männer, seiner fehlerlosen Aussprache nach, eine höhere akademische Bildung genossen haben musste. Entsprechend war es klug, nicht wie die Axt im Walde aufzutreten. Es war nämlich dieser Personenkreis, der ihnen Gehör beim Stadtverwalter verschaffen konnte. Denn der hatte sich bisher geziert, eine Entscheidung zu treffen, ob sie die Genehmigung erhalten würden, ihre Ausgrabungen am Ortsrand von Alessia fortzuführen. Ein Bediensteter hatte ihnen ein Schreiben übermittelt, dass er einen gewissen Scheich informiert habe, der kommen und mit ihnen reden würde. Von dessen Urteil hing also der Fortgang ihres Projektes ab. Man hatte ihnen angekündigt, dass der Mann heute im Laufe des Nachmittags kommen würde, um sich mit eigenen Augen von der Sinnhaftigkeit ihrer Aktivitäten zu überzeugen. Deshalb war der Professor schon den ganzen Morgen lang besonders ungenießbar. Zum Glück war es jetzt gerade einmal Mittag, sodass ihnen noch reichlich Zeit für weitere Vorbereitungen auf den hohen Besuch blieb.
Sie musterte wieder die beiden Ankömmlinge. Als der kleinere der beiden jungen Männer leise etwas zu seinem Freund sagte, wurde das Lächeln des Jungen spöttisch. Obwohl sie kein Wort verstanden hatte, brachte es ihr zu Bewusstsein, dass sie unhöflich gestarrt hatte. Aber sie konnte nicht anders, denn, auch wenn der Junge erheblich jünger als sie und so gar nicht ihre Altersklasse war, konnte sie nicht umhin, zu bemerken, dass er ausgesprochen attraktiv war. Das intensiv dunkle Blau seiner Augen stand im auffälligen Kontrast zu seinem dunklen Typ. Das tief schwarze Haar harmonierte wunderbar mit der gut gebräunten Haut. Wenn er lächelte, zeigte er gepflegte, strahlend weiße Zähne, die sie als weiteres Indiz nahm, dass ihr Gegenüber der Oberschicht angehörte. Verdammter Professor und seine pauschalen Beleidigungen! Um ihre Verlegenheit angesichts des spöttischen Gesichtsausdrucks zu überspielen, sagte sie schnell: „Mein Name ist Laura. Wie kann ich Ihnen helfen?“
„Es freut mich, Sie kennen zu lernen, Laura. Ich bin Tahsin. Mein Freund hier heißt Zach“, war die galante Antwort, und fügte hinzu: „Wir haben von den faszinierenden Entdeckungen gehört, die Sie und ihr Kollege hier gemacht haben und wollten uns mit eigenen Augen davon überzeugen, ob diese Gerüchte wahr sind. Vielleicht möchten Sie uns behilflich sein, diese Neugier zu stillen?“ Das erneute unwiderstehliche Lächeln konnte nicht verhindern, dass Laura den Eindruck bekam, dass Letzteres in Wirklichkeit keine Frage, sondern schlichtweg eine Aufforderung gewesen war.
Nur eine kurze Sekunde lang reagierte sie entsprechend entrüstet. Doch dann fiel ihr wieder ihr eigenes Argument ein: Wenn der Junge wirklich zur Oberschicht gehörte, wie sie vermutete, dann waren seine Eltern sicher einflussreich - genau das, was sie auf ihrer Seite brauchten, um den Stadtverwalter zu überzeugen.