Читать книгу Rayan - Im Licht der Rache - Indira Jackson - Страница 9
Anfang Mai 2016 - Alessia: Flughafen - Auf Carinas Spuren
ОглавлениеAls die kleine Formation die weitläufige Abflughalle des Flughafens von Alessia durchquerte, trafen Alex erneut neugierige Blicke. Der Deutsche überlegte, welchen Anblick sie wohl boten: Ein blonder, sportlicher Mann in abgewetzter Kleidung, umringt von vier Uniformierten, an seiner Seite sein Dolmetscher. Wahrscheinlich hielt man ihn für einen Künstler. Oder für einen Verbrecher. Aber immerhin trug er ja keine Handschellen.
Diese Aufmerksamkeit war Alex gar nicht recht. Zwar war er im Grunde nicht schüchtern, eine Tatsache, um die ihn seine Schwester oft beneidet hatte, aber derart im Mittelpunkt zu stehen, war dann ein bisschen viel des Guten. Wieder bereute Alex, dass er sich nicht mehr Gedanken über seine Garderobe gemacht hatte. Aber wie hätte er ahnen können, dass Touristen hier Mangelware waren? Von seiner „Ehrengarde“ ganz zu schweigen, mit der er nie im Leben gerechnet hätte. So wachsam wie die Männer ihre Umgebung musterten, könnte man meinen, er sei ein VIP und in der Menge könne jederzeit ein Durchgeknallter lauern, der ihm nach dem Leben trachtete. So ein Unsinn! Wer würde sich hier schon für Alex Hartmann aus Deutschland interessieren? Diese ganze Situation war einfach nur surreal.
Aber statt sich zu beschweren, bemühte er sich, die Vorteile zu sehen: Immerhin brauchte er sich keine Sorgen mehr zu machen, eine günstige Unterkunft zu finden. Wenn er alles richtig verstanden hatte, brachte man ihn zu Rayans Haus und der würde ihm sicher nichts abrechnen. Zudem konnte ihm dieser Mehmet sicher helfen, sich in der Stadt zu orientieren. Das waren doch wunderbare Bedingungen. Die Frage, was sein Schwager zu seinem unangekündigten Auftauchen sagen würde, vertagte er auf später. Wozu sich jetzt darüber Gedanken machen. Das würde er sehen, falls dieser sich blicken ließ. Denn schließlich „weilte er nicht in der Stadt“, wie ihn der General informiert hatte. Nach Alex Empfinden war es fraglich, ob Rayan überhaupt kommen würde. Er schien ein wichtiger Mann in seiner Heimat zu sein, da hatte er sicher Besseres zu tun.
Draußen vor dem Gebäude des Flughafens stiegen sie in einen bereitstehenden Geländewagen. Neben dem Fahrzeug standen zwei weitere Uniformierte, die das Fahrzeug offenbar inzwischen bewacht hatten. Einer von ihnen stieg auf der Fahrerseite ein und ließ den Motor an. Der General nahm vorne auf dem Beifahrersitz Platz, im hinteren Bereich waren nicht nur Sitzplätze für Alex, Mehmet und die vier Begleiter, bequem hätten noch vier weitere Personen einsteigen können.
Der Deutsche nutzte die Gelegenheit seinen Dolmetscher als Fremdenführer zu missbrauchen und voller Enthusiasmus beantwortete dieser jede seiner Fragen und erklärte ihm bereitwillig noch einige weitere wissenswerte Details über das Leben in Alessia. Relativ schnell hatten die beiden eine Form der Kommunikation gefunden, die mit Gesten Alex‘ mangelnde Vokabelkenntnisse ausglich. Von Minute zu Minute wurde dieser Mann dem Deutschen sympathischer. Die Militärs verrieten durch keinerlei Mimik, was sie von dieser Art der Gesprächsführung hielten.
Etwa eine Viertelstunde später erreichte der Wagen einen Teil der Stadt, in dem die Grundstücke weitläufiger und die Häuser größer wurden.
Einmal bemerkte Mehmet: „ Dies hier ist das Krankenhaus von Alessia“, er wies auf ein modernes Gebäude zu ihrer Linken. „Hier hat man ihre Schwester behandelt.“ Wieder verriet Alex der Tonfall des Arabers, dass er auf die Bekanntschaft mit Carina besonders stolz war.
„Woher kennen Sie meine Schwester eigentlich?“, fragte Alex neugierig.
„Ich hatte die Ehre ihr Lehrer zu sein!“, kam die stolze Antwort wie aus der Pistole geschossen. Es wurde Alex klar, dass Mehmet nur darauf gehofft hatte, dass er sie stellen würde. „Lehrer? Wofür?“, fragte er weiter.
„Ich habe unsere Scheicha in der arabischen Sprache unterrichtet“, sagte der Andere hochaufgerichtet. Wieder waren seine Wangen ein wenig rot geworden. Diesmal jedoch wohl eher vor Stolz.
Alex antwortete nichts und fragte sich stattdessen, wie viel er eigentlich über seine Schwester wirklich wusste? Dass sie Arabisch sprach, war ihm nicht klar gewesen. Andererseits: War das nicht logisch? Schließlich wohnte sie nun hier.
„Wie haben Sie sie eben genannt?“, erkundigte er sich nach einigen Minuten des Sinnierens.
„Scheicha“, erläuterte Mehmet und erklärte dem staunenden Alex, was dieser Titel bedeutete. Der erinnerte sich zwar, dass Carina ihnen in München dazu etwas gesagt hatte, aber er brachte die Informationen nicht mehr so richtig zusammen.
Und nun verstand er leider mangels seiner Englischkenntnisse auch nicht alles. Aber so viel war klar: Offenbar hatte sein Schwager selbst in dieser Stadt, die einige Flugstunden von Zarifa weg war, jede Menge Einfluss.
In diesem Moment hielten sie vor einem großen Tor an. Alex lehnte sich gespannt nach vorne, um besser sehen zu können. Nachdem sich sowohl nach links, als auch nach rechts eine mindestens drei Meter hohe, weiß getünchte Steinmauer erstreckte soweit er blicken konnte, schien das Grundstück groß zu sein.
Vergeblich versuchte Alex, einen Blick ins Innere zu erhaschen, doch die Flügel waren aus massivem Metall.
Der Deutsche überlegte gerade, ob sie jetzt aussteigen würden, da öffnete sich der Eingang wie von Geisterhand. Der Zugang schien also elektronisch gesteuert zu sein.
Sie fuhren eine Auffahrt entlang, die unter schattigen Bäumen hindurch zum Haus führte.
Im Vorbeifahren konnte Alex aus dem Auto heraus sehen, dass das Tor hervorragend gesichert war. Da waren elektronische Kameras und zu beiden Seiten kleine „Kabinen“, in denen sich gleich mehrere Wachposten befanden. Der Deutsche konnte auffallend viele Waffen erkennen, und obwohl er kein Experte war, schien ihm die Bestückung modern und von schwerem Kaliber zu sein.
Dann vergaß er das Thema Sicherheit, denn der umliegende Garten machte ihn sprachlos. „Wow!“, entfuhr es ihm.
Mehmet lächelte erfreut. „Das Anwesen ist wunderschön nicht wahr? Hier war Ihre Schwester untergebracht, um sich von ihrer Operation zu erholen.“
Alex erinnerte sich daran, in Carinas Buch davon gelesen zu haben. „Aber ich dachte, das Haus gehört einem Freund?“
„Sie sind gut informiert. Seine Exzellenz hat das Haus erst vor kurzem von diesem Freund erworben.“
Kopfschüttelnd wurde Alex klar, dass zwischen seinem Leben in München, wo seine Mutter und seine Tante darum kämpfen mussten, ihren Bauernhof zu bewirtschaften, damit noch einigermaßen etwas für sie abfiel und dem, was er hier und jetzt gerade erlebte, Welten lagen.
„Der Scheich muss ziemlich reich sein, wenn er einfach mal so ein so großes Grundstück kaufen kann“, entfuhr es ihm.
Mehmets Augen weiteten sich entsetzt. Offenbar hielt er diese Aussage für unangemessen. Er schien sich den Kopf zu zerbrechen, wie er reagieren sollte und so half Alex ihm aus der Misere, indem er schnell hinzufügte: „Vergessen Sie es. Das war unüberlegt.“
Einen Moment lang sah der Dolmetscher den Deutschen ratlos an, offenbar war Alex diesmal ein Opfer seiner Vokabelschwäche geworden. Verdammt, hieß „unoverthought“ etwa nicht „unüberlegt“?
Dann aber schien Mehmet sich den Sinn zusammenzureimen und lächelte erleichtert.
Alex jedoch war gerade mehr als deutlich die Schwäche in seinem ursprünglichen Plan aufgefallen: Wie hatte er eigentlich Informationen erfragen wollen, wenn er nur schlecht Englisch sprach? Arabisch schon mal gar nicht. Aber daran hatte er in seinem Eifer vor seiner Abreise in München nicht gedacht. Und da zumindest Tante Martha ein recht passables Englisch sprach, war auch für sie der Punkt Sprache gar keine Überlegung wert gewesen. „Vielleicht wäre besser sie statt mir gefahren“, überlegte er sich. Aber sie wurde auf dem Hof gebraucht. Außerdem war es jetzt für diese Bedenken ohnehin zu spät.
Umso mehr war er Mehmet dankbar, der offenbar nicht auf den Kopf gefallen war, und meist gut erriet, was er ausdrücken wollte, wodurch die Verständigung mit ihm wenigstens einigermaßen möglich war. Er hoffte bloß, dass dessen Auftrag nicht beendet war, sobald sie am Haus angelangt waren.