Читать книгу Tödliche Intrige - Inge Elsing-Fitzinger - Страница 10
ОглавлениеRobertos neues Zuhause
Der Junge stand in dem großen Raum, der bis unter das Dach reichte. Schwere Holzsparren zierten die schrägen Giebel des alten Herrenhauses. Was er da an Unbekanntem, Schönem erblickte, überstieg all seine Vorstellungskraft.
Sein altes Zuhause. Die armselige Hütte. Der wacklige Tisch, zwei ebenso wacklige Stühle. Die wenigen Klamotten an derbe Haken gehängt. Der Herd, eine kleine Grube im Lehmboden, in der ein rauchiges Feuer gloste und qualmte. Ein alter Strohsack als Lager. Bei Onkel Pedro war es um wenige Nuancen besser. Doch selbst die neuen Möbel, die der aufstrebende Möchtegern-Geschäftsmann in letzter Zeit angeschafft hatte, waren mit diesen Prunkstücken nie und nimmer zu vergleichen.
Dass es so herrliche Dinge gab, konnte er in seiner trostlosen Armut nicht fassen. Geschnitzte Schränke aus dunklem Holz, mit feinem Zierrat aus Metall, geschmiedeten Schlössern und verglasten Türen. Eine riesige Anrichte reichte von einer Wand zur anderen. Darauf standen Krüge und Schalen, Vasen und Statuen aus Kupfer, Holz und Keramik. An den Wänden hingen seltsame Masken, die er aus Schulbüchern kannte und immer für unauffindbare Schätze gehalten hatte. Herrliche Bilder in verschnörkelten Holzrahmen hingen an den Wänden. In der Mitte des unermesslichen Raumes stand ein mächtiger Tisch.
Ein breitschultriger, starker Mann trat ins Zimmer. Roberto zuckte zusammen. „Du bist also Roberto Cortez! Ich habe gehört du suchst Arbeit. Hast Glück, mein Sohn, ich brauche tatsächlich einen flinken Burschen, der im Haus mithilft.“
Ungläubig starrte Roberto hinauf, zu dem Riesen.
„Mach dich gleich daran, alles kennen zu lernen.“ Er deutete auf eine kleinere Türe. „Hier ist die Küche, alles andere wird dir José zeigen und erklären.“
Roberto stand wie angewurzelt auf der Schwelle. Die Küche, hatte der Herr gesagt. Ein Raum, voll gefüllt mit Stellagen und Schränken, Geschirr und Hausrat für eine ganze Stadt, mit einem Herd, größer als das Zimmer, in dem er und Mutter ihr Leben gefristet hatten. Darauf standen Töpfe und Kasserollen, in denen duftende Speisen köchelten. Wer sollte all die Köstlichkeiten aufessen? Sein Magen machte einen Luftsprung. Das Knurren war deutlich zu hören.
„Bist du zum Helfen oder zum Schauen hergekommen, Amigo.“ Die Fistelstimme des Kochs weckte ihn aus seinen Betrachtungen.
„Was soll ich tun?“
„Koste, was es heute gibt. Sag mir, was noch fehlt. Zeig, ob du ein guter Küchenjunge werden kannst.“
Das ließ sich Roberto nicht zweimal sagen. Er hüpfte von einem Topf zum nächsten. Fasste mit einem breiten Holzlöffel nach einem Stück Fleisch, nach verschiedenem Gemüse, schlug sich seinen hungrigen Bauch endlich einmal voll. Der Koch grinste.
„Iss nur tüchtig“, sagte er, „damit ein ordentlicher Kerl aus dir wird.“
Es war eine gute Zeit, damals. Mit vollem Bauch konnte Roberto auch arbeiten. Wachsam schaute er dem tüchtigen Koch auf die Finger. Bald gab es kaum eine Speise, die er nicht auch selbst zubereiten konnte. Doch er wollte mehr erreichen, viel mehr.
Jede freie Minute verbrachte er in den Stallungen, die unmittelbar an das Haupthaus anschlossen. Die Pferde hatten es ihm angetan, und davon gab es eine stattliche Anzahl. Er beobachtete die Knechte bei der Arbeit. Die überraschten Augen des Major Domus musterten den Burschen kritisch. Der Bengel hat Gefühl und Ausdauer, urteilte er wohlwollend und ließ ihn gewähren.
„Sattle Rissa, vielleicht mag sie dich und wirft dich nicht sofort wieder ab“, me
inte sein Lehrer. Roberto näherte sich dem Tier mit verblüffender Sicherheit, streichelte über dessen Nüstern. Dann reckte er sich zu Rissas Ohr hoch, und flüsterte ihr leise Worte zu.
„Will sie dich tragen?“, fragte Pablo mitleidig.
„Ich glaube, wir verstehen uns.“
Mit einem kräftigen Schwung hievte er den schweren Sattel auf den Rücken des geduldigen Tieres, zurrte ihn fest und saß im nächsten Augenblick stolz und aufrecht auf dem edlen Ross. Das Tier setzte sich ohne sein Zutun in Bewegung.
Die Stute fand ihren Weg durch das weite Tor und trabte gemächlich über den Kiespfad. Pablo staunte.
Rissa war zwar gutmütig, aber einen Fremden ließ sie im Allgemeinen ganz schön abblitzen.
„Lauf mein Pferdchen, nicht zu schnell, denn es ist gar nicht so einfach, da oben zu bleiben!“
Roberto sprach ruhig trotz der Aufregung. Sein Blut wallte, seine Hände waren feucht. Nach einer Ehrenrunde hielt das gute Tier an.
„Bravo, mein Junge. Aber wenn du wirklich reiten willst, musst du noch allerhand lernen.“
„Würden sie es mir beibringen?“
„Mal sehen, mein Freund.“, hörte er die zufriedene Stimme des Chefs.
Roberto taumelte in die Küche zurück, glaubte kaum, was er eben erlebt hatte. Er hatte ein Pferd geritten, ein wirkliches Pferd. Und es war ein herrliches Gefühl gewesen.
Billy, der Sohn von Mister Graven war sieben Jahre alt. Ein Hauslehrer sollte dem kleinen Mann Lesen und Schreiben und die Grundbegriffe der Mathematik beibringen. Jeden Tag drückte das verwöhnte Kind für einige Stunden die Schulbank und langweilte sich maßlos dabei. Ein eigenes Lernzimmer war mit Büchern und Bildern, Heften und Schreibutensilien, einer Schiefertafel und bunten Kreiden eingerichtet worden. All die nützlichen Dinge suchte Miss Graven mit Sorgfalt aus. Die frühe Förderung und Weckung geistiger Kräfte sollten einen tüchtigen, vor allem aber gescheiten Mann aus dem schwachen, kränklichen Kind machen. Aber schon jetzt zeigte sein Sohn ein ausgeprägtes Desinteresse an der Farm, an den Tieren, an den Geschäften. Das erschütterte den Vater und machte ihn im Innersten auch verbittert.
Seit Monaten beobachtete er Roberto, den neuen Burschen. Ein Prachtkerl. Stets erfüllte er seine Pflichten mit lachendem Gesicht und tadellos. Robertos vielseitige Interessen begeisterte ihn, ließen ihn wehmütige Vergleiche anstellen.
Wohlgefällig beobachtete er dessen Fortschritte beim Reitunterricht.
In einer Anwandlung von großzügiger Gönnerlaune beschloss er eines Tages, Roberto am Unterricht seines Sohnes teilhaben zu lassen, um seinem Jungen die Freude am Lernen zu mehren. Der aufgeweckte Bursche sollte dem schlaksigen Knaben auch zeigen, wie ein Junge reitet und jagt. Für Roberto war kein Pferd zu wild, keine Hecke zu hoch. Der Hauslehrer mit Spitzbärtchen und Nickelbrille konnte wunderbare Dinge erzählen. Er zeigte den beiden Buben Landkarten, auf denen so viele Länder und Meere eingezeichnet waren, dass sogar Billy staunend die Augen aufriss.
„So groß ist die Welt“, flüsterte Roberto begeistert und stellte unaufhörlich Fragen, die der Lehrer bereitwillig und mit großer Geduld beantwortete.
Erzählungen von Kriegen und Königen, von Schlachten und Feldherren faszinierten den kolumbianischen Jungen, dessen unermessliche Neugier dem Lehrer oft ein anerkennendes Lächeln abrang. Er las ihnen aus der Bibel vor, berichtete von traumhaften Abenteuern und wilden Seeschlachten. Schreiben und Lesen konnte Roberto ja schon ganz gut, aber erst die Möglichkeiten der Mathematik faszinierten ihn vollends! Jede freie Minute nützte er um etwas auszurechnen. Wie viele Hühner legen wie viele Eier? Wie viel Geld erlöst man dafür auf dem Markt? Er errechnete die Größe des Besitzes der Graven und später auch den Wert der ganzen Hazienda. In seinem kleinen Kopf kreisten andauernd Zahlen herum, die er bald auch mit dem Begriff Wert und Geld in Einklang brachte.
Der Unterricht wurde in Spanisch und in Englisch abgehalten. Immer wieder wies der Lehrer darauf hin, dass man sich mit Englisch auf der ganzen Welt verständigen könne.
Während Billy, der Sohn des Hausherrn, nur sehr dürftige Fortschritte machte, war Bobs Wissensdurst unendlich groß.
Mrs. Graven musterte die beiden Jungen mit wachsendem Interesse. Traurig zwar, dass ihr eigenes Kind sehr schwach und völlig unbegabt war, verbrachte sie dennoch viel Zeit mit den Beiden. Damals erfuhr Bob das erste Mal von Österreich und von Wien. Wien musste eine unvergleichlich schöne Stadt sein. Eifrig suchte er das kleine Land auf dem Globus, der seit kurzem den Schreibtisch in Mister Gravens Büro zierte, und wollte alles darüber wissen. Gerne erfüllte die Hausfrau Bobs Wünsche. Sie war glücklich, von ihrer Heimat, ihrer Geburtsstadt erzählen zu können. Dennoch hatte sie noch nie bereut, dass sie ihrem Mann gefolgt war.
Zuerst hatte das junge Paar in den Vereinigten Staaten gelebt. Später waren die Eheleute aus wirtschaftlichen Gründen, hierher gezogen. Sie bauten das stattliche Haus und betrieben Land- und Viehwirtschaft in großem Stil. Das forderte viel Schweiß und Hartnäckigkeit. Der Anfang war schwer, seufzte die zarte Frau manchmal, wenn sie sich ihren Erinnerungen hingab. Aber der Erfolg stellte sich ein. Die Familie Graven wurde eine der angesehensten Familien des Landes.
Die Kunstbegeisterung der jungen Lady ließ das Paar neben der Viehzucht auch einen sehr interessanten Wirtschaftzweig erschließen, den Handel mit Kunstgegenständen. Sie kauften altes Mobiliar auf und begannen einen Handel mit näheren und entfernteren Interessenten. Später kamen Bilder, Keramiken und Masken dazu.
Diese Gegenstände horteten die Gravens und renovierten die Stücke mit Ausdauer und Kunstfertigkeit. Fachleute wurden eingestellt, die in Nebengebäuden rund um die Uhr aus ausrangiertem Müll, prächtige Möbelstücke fertigten. Als ihre eigenen Räumlichkeiten ausreichend gefüllt waren, begann man die Schätze gewinnbringend zu verkaufen.
Die guten Verbindungen nach Amerika, der Heimat des Hausherrn, waren nie abgerissen. Eine zahlungskräftige Klientel gab sich die Türschnalle in die Hand. Der Handel boomte und Mrs. Graven genoss besten Ruf in der Branche.
Roberto machte hier auf der Farm seine ersten Gehversuche in Richtung Kunst, und zeigte auch auf diesem Gebiet ein feines Händchen. Vor allem beim Kalkulieren der Preise unterstützte er die heiß geliebte Lady nach besten Kräften.
Von ihr lernte Bob auch die deutsche Sprache und mehrte seine große Liebe für das schöne Wien. Unermüdlich büffelte er Vokabeln, in Englisch, deutsch, später auch noch in Französisch. Sein Kopf arbeitete präzise wie ein Uhrwerk.
„Wissen ist Macht“, sagte Mister Graven häufig.
Sehr bald wurde Bob klar, Wissen allein genügte nicht, man brauchte auch Geld um mächtig zu sein. Doch wie sollte er zu Geld kommen?
Bob war achtzehn. Ein stattlicher junger Mann. Sein hübsches Gesicht war braun gebrannt, sein Körper makellos.
Billy hingegen wurde immer kränklicher, schließlich stand fest, dass er an Leukämie litt. Ein schwerer Schlag für das Elternpaar. Die Gravens alles zu tun, um ihren Sohn zu retten. Bob trug ihn morgens auf die Terrasse, pflegte ihn fürsorglich. Er mochte Billy richtig gern, der nur wenige Jahre jünger war als er. Seine zarte Statur, das blasse Gesicht, die durchscheinenden Ärmchen, ließen ihn immer noch als kleinen Knaben erscheinen. Hilflos und müde lächelte er Bob an, wenn dieser strotzend vor Gesundheit und Kraft von den Abenteuern auf der Farm, vom Einfangen prächtiger Wildpferde, vom Brennen der riesigen Rinderherden erzählte.
Zahlreiche Ärzte wurden konsultiert. Erfolglos.
Im Spätherbst starb Billy. Ruhig und leise. Grenzenlose Trauer legte sich über die Farm. Roberto war tief betroffen. Billy war ein Freund gewesen. Der erste Mensch, den er sterben sah.
Doch er hatte keine Zeit sich traurigen Gedanken hinzugeben, war verantwortlich für Ernte, Viehverkauf und Wirtschaft. Mister Graven hatte ihm volle Handlungsfreiheit gegeben. Personalfragen, Arbeitseinteilung waren sein Arbeitsbereich. Mut und Entschlossenheit hatte er bewiesen, als im Vorjahr, während einer Revolte mehrere Männer die Stallungen in Brand zu setzen versuchten.
Seiner Tapferkeit war es zu verdanken, dass Pablo noch am Leben, die Herden lebend im Stall waren. Todesmutig hatte er sich auf die Brandstifter gestürzt. Ihnen mit einer Axt die Bombe aus der Hand geschlagen. Etwas Glück war wohl auch dabei, denn das brennende Mordwerkzeug flog im weiten Bogen in einen Teich, der dazu diente, die Tiere zu tränken.
Pablo, der Verwalter, war in die Hände der Verbrecher gefallen und zappelte wenig später hilflos, mit einem Strick um den Hals, am Ast einer alten Platane. In wildem Galopp war Bob der Bande nachgeritten. Ein gezielter Schuss. Der Strick riss. Pablo segelte mit flatternden Armen auf den Boden. Die Schurken flohen unter den Flüchen ihrer Verfolger. Zwei von ihnen konnte man ergreifen. Bobs rigoroses Eingreifen verhinderte eine Lynchjustiz.
Pablos Wirbelsäule war schwer in Mitleidenschaft gezogen. Er konnte nicht mehr reiten und humpelte stöhnend auf dem Gut umher. Roberto wurde als Held gefeiert und übernahm Pablos Pflichten.
Roberto fand sehr rasch den richtigen Ton, das bunte Gemisch von Indianern, Mestizen, Mulatten und Kolumbianern, unter einen Hut zu bringen. Sein Gehalt war beträchtlich angestiegen. Er sammelte Peso um Peso.
Das Weihnachtsfest wurde ausgerichtet. Ein Tannenbaum, per Luftfracht auf die Farm gebracht. Lametta und bunten Kugeln. Geschenke, gekaufte oder selbst hergestellte. Ein Fest in Frieden und Eintracht, Verständnis und Liebe. Es half, die Trauer zu verdrängen.
Köstlicher Braten kam auf den Tisch, wo Herrschaft und Gesinde, Feldarbeiter und Cowboys gemeinsam aßen, schmatzten und fromme Lieder sangen.
Am nächsten Morgen rief Mr. Graven Bob ins Büro. Frau Graven saß still neben ihrem Mann.
„Komm Junge, setz dich! Wir haben etwas mit dir zu besprechen.“ Meistens schlug der Herr einen wesentlich lockereren Umgangston an, wenn etwas geplant wurde. „Wir wollen dir einen Vorschlag machen.“ Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner starken Brust.
„Billy, unser einziger Sohn, ist tot.“
Bob schaute unsicher zwischen den beiden Eheleuten hin und her.
„Nach reiflicher Überlegung haben wir uns entschlossen, d i c h zu adoptieren, wenn du einverstanden bist“.
Beide blickten forschend in Bobs überraschtes Gesicht. Was er da eben gehört hatte, träumte er doch nur. Ein so großes Glück konnte es gar nicht geben. Er, der arme Roberto Cortez sollte nun für immer zu Bob Graven werden.
Sprachlos war er aufgesprungen. Starrte das Paar mit weit aufgerissenen Augen entgeistet an. Er fand keine Worte. Seine Blicke verrieten dem Ehepaar Graven, dass es wieder einen Sohn hatte.
War es Zufall? War es Fügung? In den nächsten Wochen standen plötzlich Vater und Sohn Torres vor dem Anwesen der Gravens. Sie wollten einen dunklen Plan realisieren. Ein Geheimtipp hatte in gewissen Kreisen rasch die Runde gemacht. Mit Kunstgegenständen ließ sich herrlich unauffällig Geld waschen.
Rafael Hernandes Torres war unumstrittener Herrscher des weit verzweigten Mafiosoclans. Der Don, dem die niederen Chargen bedingungslosen Gehorsam zollten. Nahm man seine Befehle stillschweigend zur Kenntnis, konnte man gut leben. Wehe dem Abtrünnigen, der die Familie in Misskredit brachte. Dessen Überlebenschance schrumpfte rapide. E i n Fehltritt wurde verziehen, ein zweiter durfte nicht passieren. Wenig wert war das Leben eines Schwachen in der großen, starken, mitleidlosen Familie.
Nichts ahnend verkaufte der alte Graven gutmütig und stolz seine wertvollsten Kostbarkeiten, ehrlich überzeugt, die zahlungskräftige Kundschaft bestens zufrieden stellen zu können.
Während sich die beiden älteren Männer intensiv mit Wert und Preis der zu erwerbenden Gegenstände herumschlugen, stolzierte Julio, der Sohn, zu den Stallungen. Interessiert bewunderte er die prächtigen Tiere. Sein Städterherz überschlug sich förmlich beim Anblick der stattlichen Hengste.
In den letzten Jahren hatte er von seinem Vater Härte und Strenge, Rücksichtslosigkeit, Gerechtigkeit und Schläue als täglich Brot verabreicht bekommen. Auf einem Pferd aber war er schon lange nicht mehr gesessen.
Bob hatte Julio sofort wieder erkannt. Neun lange Jahre hatte er den Freund nicht mehr gesehen.
„Kann ich dir behilflich sein, mein Freund?“
Bobs Stimme klang erregt, männlich, dunkel. Der Angesprochene drehte sich mit hochgezogenen Brauen zu der Kreatur, die es wagte, ihn, den Sohn des Don, zu duzen und noch viel mehr als Freund zu bezeichnen.
Er wollte schon zum Schlag ausholen. Die strahlenden Augen seines Gegenübers geboten ihm Einhalt.
„Roberto“, rief er, nun selbst völlig überrascht.
„Was hat dich hierher verschlagen? Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Wie ist es dir ergangen?“
Während er sprach, wog er kritisch das Aussehen des Freundes ab. Der feine Wams aus besticktem Samt, das blütenweiße Hemd.
„Du bist ja ein richtig feiner Pinkel geworden“, meinte er reichlich überheblich und konnte sich keinen Reim darauf machen, wie aus seinem ärmlichen Freund ein Edelmann werden konnte.
„Du sprichst mit dem Sohn des Hauses!“, erwiderte Roberto stolz. Die Antwort schlug dem vornehmen Sohn wie Peitschenhiebe ins Gesicht.
Bob fühlte sich ebenbürtig. Er überragte Julio um mehr als einen Kopf, strotzte vor Gesundheit und Tatendrang.
Julio erblasste. Seine Züge verhärteten sich. Hellhäutiger als letztes Mal schien ihm der Freund. Zwei Augenpaare duellierten sich in erbittertem Machtkampf. Der unantastbare Julio Maria Torres und sein Gegenspieler Roberto Cortes. Ein Niemand. Ein Nichts. Ein Bauernlümmel. Seine freundschaftlichen Gefühle sanken rapide. Dennoch lächelte er schmal und streckte Bob die Hand entgegen.
„Das verstehe ich nicht. Wie kommst du dazu, hier den Herrensohn zu markieren? Was soll der Blödsinn? Spinnst du jetzt total?“
Irgendetwas irritierte ihn dennoch. Die Züge Bobs veränderten sich kaum. Noch hatte der Landjunker, keine Ahnung, wer da tatsächlich vor ihm stand. Wie groß der Einfluss dieses jungen Mannes war, wie weit sein Arm reichte.
„Hast du Lust mit mir auszureiten. Such dir ein Pferd aus, es sind alles preisgekrönte Tiere mit endlosem Stammbaum. Jeder ein kleines Vermögen wert“, fügte er mit Besitzerstolz hinzu.
Julio wählte einen glänzenden Rappen, den er fachkundig sattelte.
Wenig später sprengten die beiden Reiter in rasendem Galopp dem nahe gelegenen See zu.
Wortlos stürmten sie über die Weiden, übersprangen Koppelzäune, maßen sich unbewusst. Ein Duell zweier Giganten.
Der letzte Kraftakt: Julio ließ Bob auf seiner Schimmelstute Cinderella, der Königin des Gestüts, mit wehender Mähne hinter sich zurück. Arrogant drehte er sich um, fühlte sich unschlagbar und gab dem schnaubenden Hengst die Sporen. Cinderella hatte sich kurz aufgebäumt, unternehmungslustig gewiehert und verfolgte nun ihren Rivalen mit spielerischer Leidenschaft. Es wäre Bob ein Leichtes gewesen, den ungeübten Reiter zu schlagen. Aber er hielt Cinderella zurück. Er wollte unbedingt die alte Freundschaft erhalten, sie auffrischen. Dazu gehörte nicht Überheblichkeit und Streitsucht, hier waren Diplomatie und Feingefühl gefragt. Am Ufer des Sees sprangen die Burschen von den Pferden und warfen sich ins hohe Schilfgras.
Unvermittelt begann Bob zu erzählen, was er in den letzten Jahren erlebt hatte. Julio hörte gebannt die unglaubliche Geschichte. Bald hatten sich die Freunde wieder gefunden. Sie respektierten einander, keine Eifersucht mehr, keine Herablassung. Bob zog aus einem Futteral den kleinen Skorpion und hielt ihn Julio vor die Nase.
„Mein größter Schatz. Das Symbol unserer Freundschaft. Ein Leben lang.“
„Bob, wo steckst du denn?“ Britts helle Stimme schreckte ihn aus seinen Gedanken.
„Was treibst du denn so früh am Morgen im Garten?“ Ihr vorwurfsvoller Ton erheiterte ihn.
„Ich zermartere mir den Kopf, wie ich mein ganzes Leben in eine Kurzfassung bringe, die vor dem Treffen mit der gestrengen Familie heute Nachmittag bestehen kann.“
Jetzt lachte Britt herzlich auf. „Wo liegt das Problem? Erzähle einfach vom Anfang an. Das kann doch nicht so schwer sein!“
„Du hast leicht reden.“ Vom Anfang an, du meine Güte, das wäre bestimmt der Anfang vom Ende einer schönen Beziehung. Und ich will diese Chance nicht verlieren, grübelte Bob, im Gesicht das strahlendste Lächeln, das ihm zur Verfügung stand.
Viel Zeit blieb ihm nicht. Er hatte seine Wohnung in Paris aufgelöst, was ihm nun beinahe etwas verfrüht erschien, hatte als Zwischenlösung allen Bekannten und Geschäftspartnern die Telefonnummer eines Freundes in München bekannt gegeben. Er brauchte unbedingt einen festen Wohnsitz in Wien, wenn möglich bei Britt. Wenn heute etwas schief ginge, dann Gnade ihm Gott.
Immer noch war er unruhig und weit weniger gelassen, als bei seinen üblichen Geschäften. Zu viel stand auf dem Spiel. In seinem Kopf schwirrte es wie in einer Voliere. „Der Vater will mir auf den Zahn fühlen. Mich sezieren, wie eine Leiche im anatomischen Institut. Mich Stück für Stück auseinander nehmen, und dann das Geschnetzelte an die Hunde verfüttern. Wenn ich mir auch nur eine Blöße gebe, ist mein Traum vom schönen Leben in Wien jäh zu Ende“, murmelte er vor sich hin.
Britt stand vor ihm und kratzte sich hinter dem rechten Ohr. Ein typisches Zeichen, wenn sie ihr wunderschönes Köpfchen zum Nachdenken zwang.
„Das Frühstück wartet! Mit vollem Magen denkt es sich leichter.“
Bob folgte ihr mit glattem Gesicht, aber sorgenvollen Gedanken. Kleine Britt, dachte er, wenn du wüsstest, was ich alles verschweigen muss, um dich zu erobern!
„Heute Abend werde ich um deine Hand anhalten, ich verspreche es.“
Herr Baumann würde zufrieden sein mit dem, was er zu hören bekäme, versuchte er sich zu beruhigen. Man kann das Negative so geschickt formulieren, dass es schon wieder positiv klingt. Wie oft ist mir das bereits gelungen. Ich schaffe es auch heute, die Familie von meiner Seriosität zu überzeugen. Wäre doch gelacht. Ein Bob Graven gibt nie auf, schon gar nicht jetzt, wo das Glück zum Greifen nahe ist.