Читать книгу Tödliche Intrige - Inge Elsing-Fitzinger - Страница 6

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Verlobungsreise

Im Frühling war Britt mit Marcus Wieland, dem Sohn des besten Freundes ihres Vaters, nach Paris gefahren. Verlobungsreise. Marc hatte ein umfangreiches Programm zusammengestellt, keine Sekunde sollte verloren gehen, die Stadt mit Haut und Haar verschlungen werden.

Ein Taxi brachte sie ins Ritz. Man hatte reserviert, wurde sofort in eine Suite im zweiten Stock gebracht. Alles perfekt. Die weit geöffnete Balkontüre, der herrliche Raum in glitzerndem Licht. Eine Flasche Champagner, ein bunter Obstkorb mit erlesenen Früchten auf dem Tisch.

Britt verlor keine Zeit. Nach kaum zehn Minuten war sie bereit, die herrliche Stadt zu erobern.

„Für eine Frau bist du bemerkenswert schnell, alle Achtung", lachte Marc heiter, und erhob sich aus dem bequemen Stuhl am Balkon.

„Oh Marc, ich bin so aufgeregt“, stammelte sie atemlos. „Komm, lass uns gehen, ich kann es kaum erwarten.“

Es wurde ein herrlicher Tag. Die Sonne. Ein blitzblauer Himmel. Die Riesenmetropole eingehüllt in warmes, pulsierendes Licht.

Am Nachmittag landeten sie reichlich erschöpft in einem typischen Pariser Bistro. „Sightseeing macht hungrig und durstig!“ Strahlte Britt begeistert und biss in ein knuspriges Baguette.

Britt wollte unbedingt auf den Mont Martre, mit seinen Künstlern und Puppenspielern, seinen engen Gässchen und romantischen Lokalen.

„Wir haben doch auch noch morgen Zeit, mein kleiner Liebling“, versuchte Marc sie zu bremsen. Aber Britt wollte Paris in einem Tag erobern, war nicht aufzuhalten. Gottergeben stapfte Marc hinter ihr her, ließ sich von ihrem, aus dem Reiseführer vorgelesenem Wissen beeindrucken. Oft hörte er nur mit halbem Ohr hin. Seine Beine schmerzten. Britt war mitleidlos.

„Weiter, weiter, mein Alter, keine Müdigkeit vorschützen! Rasten kannst du wieder im Büro. Bei mir findest du keine Gnade. Der Berg wird erklommen.“ Marc stand am Fuße des Hügels, der ihm in diesem Zustand totaler Erschöpfung unbezwingbar schien. Er starrte auf das weiße Wunderwerk. Sacre Coeur. Ein Bauwerk, für die Ewigkeit geschaffen, da kam es doch auf einen Tag mehr oder weniger auch nicht mehr an. Heute würde er diese Tortour kaum noch bewältigen, überlegte er völlig ausgelaugt. Britts unverschämter Enthusiasmus duldete keinen Aufschub.

Eine Zahnradbahn erleichterte den Aufstieg. Unmengen von Kunstwerken junger Maler, die ihre Bilder den Touristen feilboten. Neben erbarmungslosem Kitsch, auch einige bemerkenswerte Stücke. Britt jauchzte, eilte von einem Stand zum nächsten. Sie sprudelte ihre Bewunderung für Maler, Scherenschneider und Kunsthandwerker in fließendem Französisch heraus.

„Du bist ja das reinste Sprachgenie“, lachte er erheitert. Kurz darauf zerrte er sie in ein winziges Restaurant an der nächsten Ecke. Wacklige Stellagen, eine Vielzahl bunter Meeresfrüchte. Sie wählten Muscheln und Krebse. Vertrieben sich die endlose Wartezeit mit köstlich knusprigem Weißbrot, schlürften Rotwein.

Zu guter Letzt waren sie doch wieder in der geräumigen Suite angelangt. Total ermüdet fielen sie in die Betten. Glücklich. Die schwere Turmuhr, irgendwo, über den Dächern von Paris dröhnte zwölf dumpfe Schläge durch die sternenklare Nacht.

„Nun lass uns aber schlafen, sonst überstehen wir den morgigen Tag nicht.“ Britt kuschelte sich in Marcs Arme und schlief sofort ein.

Vögel stimmten ihren morgendlichen Gesang an. Am glatten Himmel tummelten sich vereinzelte Zirruswölkchen. Paris wartet darauf, von neuem erobert zu werden.

Der Louvre. „Nur der Kunst weih ich mein Leben“, deklamierte Britt mit gespieltem Ernst, und verbeugte sich untertänig vor den mächtigen Steinbüsten hoch über ihren Köpfen.

Britt versank eben in der traumhaften Joan Miro Sammlung, als sie Marc in angeregtem Gespräch mit einer lebhaften, sympathischen Stimme vernahm. Ein ihr unbekannter, sehr attraktiver Mann, unterhielt sich intensiv mit ihrem Begleiter. Lächelnd trat sie näher.

„Liebling!“ Marc streckte ihr die Hand entgegen und zog sie an sich.

„Das ist Bob Graven, er wohnt in unserem Hotel, hat uns heute Morgen beim Frühstück gesehen. Er wollte die Gelegenheit nutzen, sich uns vorzustellen.“

„Mademoiselle!“ Charmant beugte er sich flüchtig über Britts Hand. Keinen Moment verlor er den Kontakt zu ihren schönen Augen.

Britt stand da, starrte ihn gebannt an. Ein interessanter Typ. Aber auch etwas anderes war da, was sie bis zu diesem Augenblick noch nicht gekannt hatte. Liebe auf den ersten Blick!!!

Ihr Mund wurde trocken, die Augenwinkel zuckten, auf den Handflächen bildete sich kalter Schweiß. Der Boden schien unter ihr wegzugleiten. Die großen Meister verschwammen zu abstrakten Bildern, die öligen Farben drohten sich über sie zu ergießen. Marc versuchte sie festzuhalten.

„Willst du dich einen Moment setzen, Liebes. Du bist ja ganz blass. Kann ich irgendwas für dich tun?“

Da gab es nun wirklich nichts, was Marc hätte tun können. Vielleicht eines, diesen Bob Graven aus ihrem Gesichtsfeld zu verbannen. Aber wie sollte der arme Kerl das ahnen. Bob blieb starr und fest auf dem gleichen Fleck stehen und lächelte hinreißend.

„Gnädiges Fräulein, ich hoffe, sie erholen sich bald.“

Forsch dirigierte er sie zu einem gepolsterten Hocker. Marc befeuchtete sein Taschentuch mit kühlem Wasser, legte es auf Britts Stirne.

„Atmen Sie tief durch. Die Farbe kehrt in die zarten Wangen zurück.“

Marcs besorgte Miene hellte sich auf. Nach einer kurzen Pause hatte sie sich wieder einigermaßen im Griff.

„Gehen wir weiter. Es gibt noch so viele Kunstwerke zu bewundern“, schwatzte sie nun etwas zu laut, etwas zu schnell und etwas zu nervös.

Sie musste sich eingestehen, dass alle Kunstwerke neben diesem Kunstwerk von Mann, der nun an ihrer rechten Seite stand, verblassten.

Diese nachtschwarzen Haare, diese breiten Schultern, diese raffiniert gewählte Kombination aus silbergrauer Kaschmirhose und weinrotem Sakko. All das wurde jedoch zur Nebensache bei einem Blick in seine glühenden Augen. Krampfhaft hielt sie sich an Marcs Arm fest, versuchte vergeblich sich auf die Gemälde zu konzentrieren. Ihre Augen suchten unwillkürlich immer wieder nach Bob. Sie verschlangen ihn förmlich. Ein unverschämt wohliges Gefühl breitete sich in ihrem Körper aus.

„Lass uns eine Pause machen, Marc. Ich hab schrecklichen Hunger.“ So eine Dummheit, schalt sie sich im gleichen Augenblick. Ich würde bestimmt keinen Bissen essen können, solange dieser Mensch in meiner Nähe ist.

Doch Bob dachte nicht daran, sich aus dem Staub zu machen.

„Darf ich sie zu einem erfrischenden Imbiss in mein Lieblingsbistro am Quaie de Luxembourg einladen.“ Ohne eine Antwort abzuwarten öffnete er die Wagentür des nächsten Taxis und bugsierte beide auf die Rücksitze.

„Sie werden es nicht bedauern, meine Einladung angenommen zu haben. Ich garantiere für beste Qualität und gediegenen Service.“

Wenn Marc gewusst hätte, was folgen würde, musste, er hätte nicht nur bedauert, er hätte entschieden abgelehnt. Gemeinsam fuhren sie durch die lebendige Stadt mit hunderten von Ampeln, sechsspurigen Straßen, dem brandenden Verkehr, einem neuen Abschnitt in Britts Leben entgegen.

„Sie sind, verzeihen sie die Frage, kein Europäer, Herr Graven?“ hörte sie Marc plötzlich neugierig fragen.

„Das stimmt, Herr Wieland. Herr Doktor Wieland“, verbesserte er sich. Doch Marc unterbrach ihn bestens gelaunt:

„Nennen sie mich doch einfach Marc. Der Engel an meiner Seite heißt Britt, und Ihren Namen haben wir uns gemerkt. Bob, stimmt das? Wohl die Abkürzung von Robert?“

Britt verstand die Welt nicht mehr. Der allzeit bedachte, zurückhaltende Marc drängte sich diesem Fremden förmlich auf.

„Meine Heimat ist Südamerika, Kolumbien. Allerdings lebe ich schon seit einigen Jahren hier in der Nähe von Paris“, kam die reichlich nüchterne Antwort. „Meine Mutter war Österreicherin, genauer gesagt Wienerin, aus dem vierzehnten Bezirk. Daher auch mein hoffentlich einigermaßen brauchbares Deutsch.“ Bob hatte gewaltig untertrieben. Er beherrschte die deutsche Sprache nahezu akzentfrei und mit einer Perfektion, die jeden studierten Dolmetscher vor Neid hätte erblassen lassen.

„Das erklärt natürlich einiges“, plauderte Marc unbeschwert weiter.

Wie fernes Rauschen hörte Britt die Unterhaltung der beiden Männer. Ihre Gefühle schlugen Purzelbäume, wirbelten in einem Gewirr freudiger Erregung, ängstlichem Erwarten, unbewusster Vorahnung. Keine Chance, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie fühlte sich willenlos.

Bob hatte nicht zuviel versprochen. Die Atmosphäre des lauschigen Lokals mit dem klitzekleinen Gärtchen, seiner Laube, seinen bunten Lampions an den Sprossen einer schattigen Pergola. Britts Appetit kam nun doch wieder. Übermütig naschte sie einmal von Marcs und dann von Bobs Teller.

„Wir müssen zurück ins Hotel, Britt. Wir haben Karten für die Oper heute Abend. Entschuldigen sie uns, Bob.“

„Was gibt es da zu entschuldigen“, lachte dieser ausgelassen. „Wir fahren gemeinsam. Ich erwarte in einer Stunde einen wichtigen Anruf.“

Nicht anzubringen, dieser Klammeraffe, dachte Britt, musste sich allerdings im nächsten Augenblick eingestehen, dass sie die Gegenwart dieses Mannes faszinierend fand.

„Un télégramme pour Monsieur!“ Der Boy schwenkte ein Poststück vor Marcs Gesicht.

„Es liegt schon mehrere Stunden hier, wir konnten sie leider nicht erreichen, Monsieur“.

Marc überflog die Zeilen. Sein Gesicht nahm einen ärgerlichen Ausdruck an. Beinahe wütend wandte er sich an Britt. „Diese unverschämten Kollegen schrecken auch vor nichts zurück. Ich muss mich dringend mit einem Anwalt hier in Paris in Verbindung setzen. Es handelt sich um einen sehr heiklen Fall auf internationaler Ebene. Zu dumm, gerade heute. Hätte ich nur niemandem das Ziel unserer Reise verraten.“ Abermals las er Namen und Adresse der Kanzlei, blickte sie dann entschuldigend an.

„Was machen wir nun mit den Opernkarten? Ich habe mich so darauf gefreut, mein Schatz.“ Ein unheilvoller Geistesblitz durchzuckte ihn. „Bob, würden sie Britt in die Oper begleiten? Du hast doch nichts dagegen, mein Schatz“, wandte er sich zögernd an Britt.

Ohne mich zu fragen, verschachert er mich an diesen Bob. Marc, wenn du wüsstest, was du dir da einhandelst. Im Augenblick schien diese Lösung für Marc die einzig richtige zu sein.

Mit galantem Lächeln willigte Bob ein, warf Britt einen fragenden, gleichzeitig fordernden Blick zu, der sie wohl unbedingt daran hindern sollte abzulehnen. Das wäre ihr auch bestimmt nie in den Sinn gekommen. Sie wollte die Oper besuchen und Bob war nun wirklich kein übler Begleiter. Zögernd akzeptierte sie Marcs Vorschlag. In ihrem Bauch begannen unverschämte Schmetterlinge wie verrückt zu tanzen.

Balkon, 1. Reihe, Mitte. Zwei herrliche Plätze. Bob wie aus einem Herrenmagazin entstiegen. Mitternachtsblauer Smoking, Lackschuhe, blassblaues Hemd. In der Masche an seinem Hemdkragen eine goldene Nadel mit einer Perle. Britt beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Einige Leute starrten das schicke Paar reichlich unverschämt an. Britt hatte das kleine, genauer gesagt, das etwas größere Schwarze gewählt. Die silbergraue Perlenkette. Papas Geschenk zum einundzwanzigsten Geburtstag. Hochgesteckte Haare. Ein paar verirrte Strähnchen an ihrem schlanken Hals. Der eiserne Vorhang hob sich.

„Salvatore Dali hat sich selbst übertroffen“, flüsterte sie erklärend. Bob lächelte. Die Musik setzte ein. Auerbachs Keller lud das Publikum zu einem ausgelassenen Studentenumtrunk. Sie liebte die Musik von Jacques Offenbach. Die meisterhafte Virtuosität. Heute war ihr Glückstag. Ihre Lieblingsoper, der Traummann an ihrer Seite. Bob reichte ihr galant das Opernglas, berührte flüchtig ihre Hand. Ein Schauer. Sie wagte nicht, ihn anzusehen. Ärgerlich versuchte sie der wunderbaren Musik zu folgen, doch es wollte absolut nicht gelingen.

Donnernder Applaus riss sie aus unverschämten Träumen, die sie ohne Gewissensbisse genoss. In ihren Ohren hallten die Klänge der Barkarole weiter, hüllten sie in einen Strudel von Begierde. „Schöne Nacht, du Liebesnacht, stille mein Verlangen.“

„Und jetzt?“, fragte die wohltuend weiche Stimme nahe an ihrem Ohr. „Müssen sie sofort zurück ins Hotel, oder unternehmen wir noch etwas.“

Pflichtschuldig blickte Britt auf die Uhr und stellte dann nach außen hin völlig kühl fest: „Wir haben Zeit. Marc ist bestimmt noch nicht zurück. Wir können ja später im Hotel anrufen und Bescheid geben.“

„Wir erobern den Eiffelturm. Einverstanden?“ Bob hatte diesen Satz zwar als Frage klingen lassen, doch erwartete er offensichtlich keine Antwort.

Tausend Lichter. Das Wahrzeichen von Paris stand majestätisch vor ihnen. Menschenmassen drängten, stießen, zwangen sie, sich eng aneinander zu schmiegen, sich zu fühlen, sich näher zu sein, als es die Etikette erlaubte. Musik schwang durch die Nacht, die Luft prickelte, unverschämte Schmetterlinge tanzten. Britt schwebte irgendwo im Niemandsland.

Überwältigt versuchte sie, ihre Vermutungen, Gefühle, Empfindungen zu ordnen, das unvermeintliche Glück zu fassen.

Ein Lift brachte sie zur obersten Plattform. Paris lag tief unter ihnen mit all seiner Verführung, seinen Träumen. Der Abendwind kühlte, brachte dennoch keinen Ausgleich zu dem Feuer, das in ihr loderte.

Bobs warmer Atem an ihrem Nacken. So ist es also wenn man liebt, wunderbar, beglückend, berauschend. Britt, was geschieht mit dir?

Unvermittelt drehte er sie zu sich, versuchte sie zu küssen. Sein Atem ging hastig, seine Hände forderten.

„Nein, Bob, ich will das nicht. Noch nicht!“, versuchte sie ihn abzuwehren. Im nächsten Augenblick bereute sie ihre Ablehnung.

„Wir kennen uns doch erst wenige Stunden, ich muss nachdenken.“

„Denk nicht, lass es einfach geschehen.“ Er liebkoste ihr Haar, ihre Wangen. Fuhr mit weichen Fingern über ihre brennenden Lippen, nahm dann den zweiten Anlauf. Nützte ihre Verwirrung schamlos aus.

Die Wirkung seiner Worte war ihm bewusst. Derlei Sprüche hatte er zur Genüge auf Lager. Wer sollte ihm da schon widerstehen. Britt lag in seinen Armen. Er griff nach ihrer Hand und zerrte sie übermütig zu einem riesigen Fernglas. Eine Münze eingeworfen. Er legte ihr Paris zu Füßen.

„Die Stadt der Liebe, nur für uns Beide“, flüsterte er verführerisch. Ein Sternenhimmel, der funkelte und strahlte, heller und schöner als je zuvor, auf Bestellung. Frühlingsduft, kleine Schiffe auf der Seine. Ein silberner Faden, irgendwo dort unten auf der Erde. Britt war dem Himmel ganz nahe.

Ich habe mich mit Haut und Haar verliebt, stammelte sie verträumt. Seine Berührung ist Magie. Noch nie war das Leben so schön. Ihr Innerstes tobte, aufgewühlt von ungekannter Leidenschaft, einer noch nie erlebten Sehnsucht. Zärtlich küsste er ihre Fingerspitzen, strich sanft über ihre Schultern. Wohlige Erregung breitete sich in ihr aus. Gleichzeitig stieg Angst in ihr hoch, kroch von den Zehen in rasender Eile bis zu den Haarwurzeln. Wilde Gereiztheit trat in ihre Augen. Sie wollte davonlaufen. Ihre Beine versagten. Die Gedanken überschlugen sich. Marc, mein armer Marc, was tue ich dir an. Ich liebe diesen Mann, ich kann nicht anders. Ich bin ihm verfallen. Verzeih mir, mein liebster Freund. Ich liebe, zum ersten Mal, bedingungslos.

Später in der Tanzbar verlor sie die letzte Kontrolle über ihre Gefühle. Elektrische Gitarrenklänge vermischten sich mit dem melancholischen Wehklagen eines Tenorsaxophons. Im ekstatischen Rhythmus des Basses vibrierte der willenlose Körper, taumelte in sinnlicher Trance, offenbarte seine innersten Empfindungen. Wendig wie eine Schlange stülpte sie ihre lang unterdrückte Sinnlichkeit an die Oberfläche, war bereit einzutauchen in unbekannte Dimensionen, die sie weit weg trugen, in noch nie betretenes Terrain. Erotik und Erregung, Gefühle die bislang für sie tabu waren, drängten sie in einem Feuer der Leidenschaft hin zu dem einzigen Mann, dem sie von diesem Augenblick an mit Haut und Haar verfallen war.

Über Wien senkte sich die Nacht. Bob unterbrach ihre Erinnerungen nicht ein einziges Mal. Er hing wesentlich weniger romantischen Gedanken nach. Aufs Angenehmste beeindruckt von all dem Glanz und Reichtum kalkulierte, überschlug er kühl und berechnend den Wert der Immobilie am Graben. Wäre es nur möglich dieses Prunkhaus zu veräußern. Ein Vermögen allein an Vermittlungsprovision. Schamlos verhökerte er in seinen wilden Phantasien das Inventar, die Kostbarkeiten, das Porzellan, die Teppiche. Er jonglierte mit Zahlen, stellte sich die ungläubigen Gesichter seiner Geschäftspartner vor, wenn er ihnen ein solches Objekt zum Kauf anböte. So schwiegen beide, in Gedanken versunken.

Britt hatte ihn einen Augenblick lang verliebt angeblickt, schloss dann wieder die Augen, holte die Erinnerungen an jede Minute, jede Sekunde der ersten Nacht zurück. Dieser faszinierenden Nacht, die ihr Leben völlig aus dem Gleichgewicht gebracht, schlagartig verändert hatte.

Wieder fühlte sie die Wärme seiner Haut, seinen männlich herben Duft, seinen muskulösen Körper.

„Ich habe Frühstück bestellt“, hört sie Bob sagen.

Er stand nackt in der Schlafzimmertür des Hotels, schob mit einer weichen Bewegung die dunklen Haare aus dem Gesicht und strahlte.

„Oder soll ich noch einmal zu dir ins Bett kommen?“

„Raus!“ befahl sie und zog die Bettdecke bis zum Hals. Bei Tageslicht war alles realer, heikler. Gewissensbisse traten auf, die noch vor wenigen Stunden nicht existent waren. Sie verschwand im Bad. Die kalte Dusche kühlte den erhitzten Körper.

Es klopfte. Ein übervoller Servierwagen rollte durch den Raum.

„Merci“, hörte sie Bobs volltönende Stimme.

Kühle Morgenluft vermischte sich mit Sonnenstrahlen, Straßengeräuschen, Blumenduft und Kaffeearoma.

„Kaffe und frische Croissants, Señorita?“ Er arrangierte die üppigen Köstlichkeiten. Leicht und elegant, souverän. Britt strich zärtlich über Bobs Rücken. Er schlang die Arme um ihre Taille, wirbelte sie jungenhaft im Kreis herum.

Der flauschige Bademantel öffnete sich. Lange, schlanke Beine. Zauberhafte Fesseln, grazile Waden, sehnig und drahtig. Errötend wickelte sie den Mantel fester. Bob grinste unverschämt, versuchte ihre Stimmung zu analysieren. Da war die klare und reine Britt, im nächsten Augenblick die sehnsuchtsvolle Frau. In der Nacht wurde sie zur verwegenen Verführerin, die ihn um den Verstand brachte. Unglaublich. Ein Fang, der seine kühnsten Erwartungen noch um einiges übertraf.

Von der alten Turmuhr gegenüber hallten zehn schwere Schläge zu ihnen herüber. Britt blieb der Bissen im Mund stecken. Sie sprang auf. „Mein Gott, Marc.“ Sie hatte ihn völlig vergessen. Im nächsten Augenblick stürmte sie, flüchtig angezogen, aus dem Zimmer. „Ich ruf dich an“.

Der Lift kam nicht. Sie hastete über die Treppen, stolperte, fing sich wieder und stand wenig später atemlos vor Marc.

In seiner Sorge um das geliebte Mädchen hatte er kein Auge zugetan. Der Hotelportier hatte ihm lediglich die Auskunft gegeben, Herr Graven sei auf seinem Zimmer. Marc war in die Suite zurückgekehrt und hatte geweint. Er ahnte, was geschehen war. Britts ungewohntes Verhalten. Der Schwächeanfall im Museum, die Nervosität beim Essen und dann in der Hotelhalle, als er ihr den Vorschlag gemacht hatte, mit diesem Graven in die Oper zu gehen. Sein Herz verkrampfte sich in unsagbarem Schmerz.

Jetzt stand sie vor ihm, zerzaust, übernächtig, völlig aufgelöst. In ihren Augen schimmerte ein seltsamer Glanz.

„Ihr habt euch wohl etwas verplaudert“, versuchte er die entsetzliche Situation zu entschärfen. Britt rang nach Atem.

„Marc, ich habe mich verliebt!“

Marc ignorierte den Satz, beugte sich über sie, wollte ihr einen Kuss geben. Sie entzog sich ihm mit wütender Geste.

„Du willst mich nicht verstehen“, kreischte sie hysterisch. Dann fügte sie flüsternd hinzu:

„Ich habe den Menschen gefunden, der mich bezaubert, fasziniert, der mich mit eisernem Griff festhält, dem ich nicht mehr entfliehen kann.“

Sie suchte nach Worten, erschöpft, verzagt, unendlich glücklich:

„Ich habe nie gewusst, was Liebe ist, was Liebe bedeutet. Jetzt weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn man liebt. Ich hoffe, du kannst mir irgendwann einmal verzeihen.“ Unschlüssig blickte sie im Zimmer umher.

Marcs Augen füllten sich mit Tränen. Er schien ganz ruhig, nur ein klägliches Lächeln auf den zitternden Lippen. Sie standen einander gegenüber. Still. Traurig, dass all das Schöne, das sie seit Jahren verbunden hatte, in diesem Moment wie Staub zerfiel.

„Gib mich bitte frei Marc! Steh meinem Glück nicht im Wege. Ich kann nicht anders. Wenn du mich je geliebt hast...“

Marc unterbrach sie brüsk.

„Lass gut sein. Ich versteh schon, was du meinst. Ich gehe. Ich werde heute noch nach Wien fliegen. Du willst ja vermutlich noch einige Zeit hier bleiben.“ Ungewollt klangen seine Worte mehr sarkastisch als deprimiert.

„Lass dir bitte etwas einfallen für Papa“. Zum ersten Mal dachte sie an zu Hause. An ihre Eltern. An das Unverständnis, auf das sie stoßen würde. Ihr wurde schwarz vor Augen. Eine Katastrophe.

Schluchzend fiel sie Marc um den Hals.

“Du bist mein bester Freund, seit ich denken kann. Du musst mich verstehen. Du musst auch mit Papa und Mama sprechen und sie vorbereiten. Ich kann das nicht allein. Wenn du mir hilfst, wird alles gut.“

Sanft schob er sie von sich, schaute nochmals in das vertraute Gesicht, das er so sehr liebte. Er nahm seinen leichten Mantel.

„Ich gehe jetzt, passe auf dich auf, mein Mädchen.“ Nach einigem Zögern fügte er mit kaum hörbarer Stimme hinzu: „Ich werde es den Herrschaften schonend beibringen, du kannst dich auf mich verlassen, Kleines.“

Aus weiter Ferne hörte sie Bobs flüsternde Worte.

„Träumst du noch lange so vor dich hin oder bekomme ich nun doch wieder einmal einen Kuss.“

Britt schreckte zusammen. „Ach Bob, ich war gerade in Paris. Ich wollte alles Glück, das ich damals erlebte, nochmals herzaubern, mit dir unmittelbar da anschließen, wo wir damals aufhörten.“

Bob zog sie fester an sich.

„Kann Liebe weh tun, Bob?“ fragte sie ihn plötzlich kindlich.

„Ich hab Papa gehört, komm lass uns ihm entgegen gehen. Er wird überrascht sein und wahrscheinlich nicht ganz so begeistert wie Mama. Aber lass dich nicht verwirren, ich wickle ihn immer um den Finger. Er kann mir keinen Wunsch abschlagen, und du bist mein größter Wunsch“.

Tödliche Intrige

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