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Epilog

Es ist bitterkalt am 15. Dezember 1999. Der Friedhof liegt unter einer dicken Schneedecke. Eingemummt in Schals und dicke Pelze drängt sich die Trauergemeinschaft dicht aneinander. Arme und Reiche, Einfache und Vornehme, Freunde und Bekannte. Die meisten hören nur mit halbem Ohr die rührenden Worte des Pfarrers, denken sehnsüchtig an den warmen Glühwein, der hoffentlich nach den Feierlichkeiten gereicht würde.

Vor dem offenen Grab steht Berthold Baumann. Kunsthändler in Pension. Elegant wie immer. Unverwandt starrt er auf das dunkle, feindliche Loch. Die zahlreichen Kränze und wunderschönen Gestecke bleiben ungesehen, verschwimmen in einem Schleier ungeweinter Tränen. Sein Leid, die unendliche Hilflosigkeit kann man nur erahnen. Der sonst unbeugsam stolze Mann sucht Halt bei einem zarten, schlanken Persönchen, seiner Enkeltochter. Eine einfache Sonnenbrille verbirgt rot geweinte Augen. Blass und zerbrechlich wirkt sie in dem dunkelblauen Umhang.

Andy, Lisas jüngerer Bruder steht tapfer an der Seite des Großvaters. Hartnäckig kämpft er mit Tränen, die wie ein Kloß in seinem Hals stecken.

Es scheint, als müssten die Kinder den alten Mann unter ihre Fittiche nehmen. Gramgebeugt stützt er sich auf Andrews Schulter, fühlt sich geborgen an Lisas Arm. Unendlich schwer fiel ihm dieser Gang zum Friedhof. Fast auf den Tag genau vor zehn Jahren war er schon einmal hier gestanden, hatte Abschied genommen von seiner geliebten Gattin Valentina. Schon damals schien die Welt für ihn zusammenzubrechen.

Heute muss er seine einzige Tochter auf ihrem letzten Weg begleiten. Schluchzend schwankt er, kann nur mit Mühe das Gleichgewicht halten.

Ein Knabenchor stimmt das Ave Verum von Anton Bruckner an. Baumann blickt kurz auf. Sein Blick bleibt an einem grauen Augenpaar hängen. Gute, Kraft spendende Augen. Es sind die Augen Wielands, seines Freundes und Gefährten durch alle Höhen und Tiefen. Dr. Kurt Wieland war langjähriger Hausarzt der Familie. Wann immer es Probleme gab, war er zur Stelle, wusste Rat, half.

Vor mehr als fünfzig Jahren. Stalingrad. Der Überlebenskampf in dieser mörderischen Schlacht hatte feste Bande geknüpft. Eine Freundschaft fürs Leben war daraus geworden. Schemenhaft flogen Fetzen der Erinnerung in ihm vorbei. Die dreckige Baracke, die Stunde, da er sich hatte aufgeben wollen, die Gefangenschaft. Das Lager verschwand in der endlosen Schneewüste. Eiskalt wehten die Winde aus der Tiefe des unendlich großen Russland. In die Trostlosigkeit der Kälte und des allgegenwärtigen Todes trat ein Arzt. Dr. Wieland.

Auch heute schaffte es Kurt Wieland, seinem Freund Berthold mit einem verständnisvollen Blick, einem kaum merklichen Lächeln die Fassung zurückzugeben. Ein paar Sonnenstrahlen wagten sich durch die dicke Wolkendecke. Plötzlich schien alles erträglicher.

Es muss weitergehen, denkt Baumann. Ich schaffe auch diese Hürde, schon um meiner Enkelkinder willen.

Die Zeremonie war zu Ende. Der Strauß dunkelroter Rosen verschwand langsam mit dem Sarg. „Die Erde hat dich wieder“, sprach der Pfarrer.

„Schlaf wohl, mein gutes Kind. Ruhe in Frieden. Nun kann dir keiner mehr Böses tun. Für Gerechtigkeit haben wir gesorgt, und werden es weiter tun. Ich verspreche es“, flüsterte er kaum hörbar.

Berthold Baumann fühlt eine starke Hand auf seiner Schulter.

„Komm mein Freund!“, lächelt Wieland. „Du musst die Trauergäste verabschieden.“

Die Honoratioren drängten sich, ihm mit mitleidsvollen Gesten ihre Trauer zu bekunden. Der Bürgermeister, einige Minister, Kommerzienräte und deren Gattinnen, viele Stammkunden, die schon Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte bei den Baumanns ausgesuchte Kostbarkeiten erstanden hatten.

Seit drei Generationen führten die Baumanns das große Geschäft am Graben. Unzählige Kleinodien, erlesene Objekte des Wiener Jugendstils, Skulpturen von Gotik bis Barock, Bilder aus verschiedensten Epochen, ausgesuchte Möbel, wobei ihre besondere Liebe dem Biedermeier galt, alte und antike Orientteppiche, Tapisserien, kostbares Markenporzellan und dazu passende Gläser, hatten Großvater, Vater und er, Berthold Baumann zusammengetragen. Wie nichtig schienen ihm in diesem Augenblick all seine Schätze.

Baumann genoss seit jeher den besten Ruf als integrer Geschäftsmann mit großem Sachwissen und bestem Gespür für Kostbares. Nur allzu oft hatte dieser Gauner seine Seriosität zu untergraben versucht.

Dem alten Mann fiel es schwer, die Prozedur des Kondolierens über sich ergehen zu lassen.

Wesentlich leichter wäre dies meinem Schwiegersohn Bob Graven gefallen, denkt er verzagt.

Bob Graven. Gebürtiger Südamerikaner, über zwanzig Jahre lang mit Britt, seiner einzigen Tochter, verheiratet.

Braungebrannt, mit anthrazitfarbenem Kaschmirmantel und Seidenschal. Ein Hüne. Einsneunzig groß, blauschwarzes Haar, buschige Brauen, tiefkastanienbraune Augen, ein Lächeln auf den vollen Lippen. Dieses Lächeln konnte Eisberge schmelzen lassen, durchzuckt es Baumann. Dieses Lächeln hatte auch mein armes Kind einst betört, und mich viele Jahre hindurch getäuscht. Baumann sah ihn vor sich auf Valentinas Beerdigung, damals vor zehn Jahren. Erinnerte sich an jedes noch so kleine Detail. Wann würden diese quälenden Gedanken aus seinem Gedächtnis verschwinden.

Zärtlich wendete er sich an Lisa. Flüsterte ihr ins Ohr:

„Mach du für mich weiter, Kind. Ich schaffe es nicht mehr.“

Freund Wieland war zur Stelle. Ohne Umschweife dirigierte er den Weggefährten durch die Menge. Es brauchte nie vieler Worte.

„Ich bringe dich nach Hause. Ruhe dich etwas aus. Vielleicht kommst du später nach. Die Trauertafel im Sacher ist ausgerichtet. Wir werden dich entschuldigen. Man wird Verständnis dafür haben.“

Die Sonne strahlte nun kräftig vom Himmel, die Luft prickelte, der Schnee glitzerte, blendete in den Augen. Der Nachmittagsverkehr hatte eingesetzt. Karl, der den verehrten Chef schon viele Jahre fuhr, lenkte auch heute die große Limousine mit Geschick durch enge Gässchen und Straßen. Karl kannte sein Wien, kannte Abkürzungen und Schleichwege.

Baumann wollte nicht in sein Landhaus in der Hinterbrühl. Er wollte in der Stadt bleiben. Die Überprüfung der Bücher, der Post- und der Zollpapiere musste nach Bobs zweifelhaftem Abgang mit größter Sorgfalt durchgeführt werden. Verschiedene Geschäftsverbindungen durften nicht weiter bestehen bleiben, mussten dringend annulliert werden.

Außerdem wollte er den Kindern Gelegenheit geben, die wenigen Tage, die sie vom Internat beurlaubt waren, mit ihm zu verbringen.

Die Innenstadt pulsierte in hektischer Samstagsstimmung. Elegant dekorierte Schaufenster. Spaziergänger. Manche genossen den freien Nachmittag oder stimmten sich auf den Sonntag ein. Andere nützten die wenigen Stunden, um letzte Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Es wimmelte von Menschen mit roten Gesichtern und fröhlichem Blitzen in den Augen.

Der Schnee begann zu schmelzen. Von den Dächern klatschten dicke Tropfen. Der Hausmeister sollte Warnstangen aufstellen, es könnte eine Dachlawine abgehen, überlegte er. Die Realität hatte ihn eingeholt.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte er den Schwur getan, seinen Schwiegersohn zu vernichten. Ihn für all das Leid in seiner Familie zu bestrafen.

Sein Kampf hatte sich gelohnt. Ein teuflisches Schicksal hatte dem Elenden den Gnadenstoß versetzt und Baumann damit von einer schweren Last entbunden. Zu spät für dich mein Kind, dachte er wehmutsvoll. Es tut mir so unendlich Leid. Ich konnte dich nicht vor deinem traurigen Schicksal bewahren. Verzeih mir.

„Kann ich dich jetzt alleine lassen?“, mit besorgter Miene hatte Wieland seinen Freund während der Fahrt beobachtet.

„Lass gut sein, Kurt. Kümmere dich bitte um meine beiden Kleinen. Gib ihnen die Kraft, die ich mir erst wieder holen muss. Morgen sehen wir uns, mein Alter.“

Baumann stieg aus, warf die Wagentür hinter sich zu. Nach zwei Schritten machte er kehrt, hieß Kurt das Fenster öffnen. „Grüße unsere Henni von mir.“

Henriette Wieland, von allen in der Familie kurz Tante Henni genannt, war Kurts Gattin und seine älteste und beste Freundin seit frühester Jugend. Was hätte er ohne sie gemacht, als seine Valentina damals viel zu früh von ihm gegangen war. Henni war da, immer und überall. Tröstete, half, umsorgte Britt, spendete Frieden und Freude. Sie war der gute Geist in allen Lebenslagen.

Seit dem Tod Valentinas ersetzte sie Britt oft die Mutter. In der Firma hatte sie ein schier unerschöpfliches Reservoir an guten Ratschlägen bereit. Es konnte kommen, was oder wer wollte, sie wusste eine Lösung, sprang hilfreich ein. Selbstlos, uneigennützig. Als Chefsekretärin und langjährige Mitarbeiterin war sie eine allseits respektierte Persönlichkeit. Der Weg zum Chef führte ausschließlich über ihren Schreibtisch. Unangemeldet hatte man keine Chance. Angemeldet ließ sie die Kundschaft je nach Sympathie zumindest eine Stunde, manchmal auch länger warten. Mit allen Problemen und persönlichen Eigenarten ihres Chefs hinlänglich vertraut, hatte sie sein volles Einverständnis für ihr Tun. Der engmaschige Terminkalender irritierte sie kaum. War sie einmal nicht da, was tatsächlich höchst selten vorkam, lief zumindest einiges, wenn nicht alles, schief.

Es fiel Baumann schwer, sich aufrecht zu halten. Erschöpft, unsäglich traurig, einsam war er. Aber Henni würde wieder da sein mit ihrer Engelsgeduld und ihrem offenen Herzen. Sie würde die Schatten verjagen helfen.

Tödliche Intrige

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