Читать книгу Tödliche Intrige - Inge Elsing-Fitzinger - Страница 12

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Erinnerungen holten Bob ein.

Die seidenen Vorhänge blähten sich zu plusternden Segeln, die ihn weit über den Ozean in die Heimat entführten. Erinnerungen an längst vergangene Jugendjahre erfüllten ihn mit einer Intensität, die ihm das Blut in den Adern aufheizte.

Er fühlte die heiße Luft des kolumbianischen Sommers. Hörte die ohrenbetäubenden Instrumente der Gauchos, erlebte in seiner Phantasie die wilden Rhythmen, die verschwitzten Leiber der leidenschaftlichen Tänzerinnen in den Nächten, die er mit Julio in der Zeit als junger Gutsherrensohn erlebt hatte.

Das erste große Fest, das sie gemeinsam besuchten. Die alljährliche Fiesta von Medellin. Diesmal ritt Bob an der Seite seines wieder gefundenen Spielkameraden. Ein Edelmann in vornehmen Kleidern, mit bunten Bändern verziert. Seine weiße Stute dampfte. Erhobenen Hauptes lächelte er den dreckigen Straßenjungen zu. Er versuchte ebenso stolz und mächtig über die jubelnde Menge hinwegzublicken, wie die Reiter, die ihn flankierten.

Julio kannte alle und versäumte nicht, Bob in die Clique einzuführen. Solange sein Kumpan keine Gefahr für ihn war, zeigte er sich überraschend freundschaftlich und gönnerhaft. Doch wehe, wenn Bob sich in irgendeiner Form zu exponieren wagte. Dann flackerte in seinen Augen oft eiskalte Überheblichkeit, die Bob zurückverwies auf seinen Platz. Aber Bobs Ehrgeiz, der oberen Schicht nachzueifern, als einer von ihnen zu gelten, wuchs ins Unermessliche. Er musste ebenbürtig werden, gleichwertig. Seine mindere Abstammung sollte vergessen werden, ihn nie wieder einholen.

In den folgenden Wochen lud Julio seinen Retter häufig dazu ein, mit ihm Feste auf verschiedenen Haziendas zu besuchen. Feste, die Bob sich in seinen kühnsten Träumen nicht auszumalen gewagt hatte. Die Wildheit, die Spontaneität, mit der die Reichen zu feiern verstanden, war ihm unbekannt, erfüllte ihn jedoch mit einer Faszination, die ihn nicht mehr losließ.

Trotz alledem spielte Julio immer wieder den großen Sohn hervor, strafte ihn mit Verachtung, wenn ihm die Frauenherzen schneller zuflogen, was nur allzu oft der Fall war. Er lernte bald, wie nützlich es war, den Freund nicht zu provozieren. Ihm den Vortritt zu lassen. Jähzornig schlug er unvermittelt auf wehrlose Gegner ein, ohne Grund, aus reiner Freude an Gewalt und Geltungstrieb.

Bob verhielt sich wie sein Freund. Er fand Gefallen daran, einen Widersacher zu besiegen, ob mit Worten oder Waffen. Das Ausleben von Macht begeisterte ihn.

So schlug er ebenfalls zu, trat sinnlos auf Schwache, Unterlegene ein, fühlte sich gleich stark, gleich mächtig wie sein Freund. Mafiososöhne genießen alle Privilegien. Mädchen, Rauschgift, Alkohol: Nichts war ihm mehr fremd. In diesem Leben fand er seine wahre Natur.

Julio hatte Bob überredet, voll ins Drogengeschäft einzusteigen. Gemeinsam schmiedeten sie unheilvolle Pläne, begeisterten sich an ihren schmutzigen Phantasien. Mr. Graven wurde überzeugt, den Adoptivsohn zu seinem Mittelsmann und Bevollmächtigten zu küren.

Bob traf viele Mitglieder der ehrenwerten Familie, erfuhr von deren Einfluss und gnadenloser Härte, lernte und profitierte zu gleichen Teilen. Kolumbien lag vor ihm wie ein offenes Buch. Grauen und Schrecken ebenso wie Profit und Macht. Schauer durchzuckte ihn bei dem Gedanken an die Zeit in Bogota. An die furchtbare Erkenntnis, die in ihm den Wunsch nährten sich zu exponieren, seine Berufung zu realisieren.

Damals schien es, als könnte niemand die gemarterte Bevölkerung schützen. Resigniert verkrochen sich die Menschen in ihren Häusern. Verriegelten Türen und Fensterläden und hofften, die brüllenden Horden mögen ihr Haus verschonen. Die Brandbombe möge in dieser Nacht nicht zünden, der Arm des Steinewerfers erlahmen.

Mitleid oder ein gütiges Herz waren unmodern geworden. IN war, wer plünderte, mordete, brandschatzte.

Man hatte sich organisiert. Die Mitglieder vermehrten sich wie Moskitos in den Sümpfen des Amazonas. Auf schweren Motorrädern eskortierten sie gestohlene Lastwagen. Eine alles vernichtende Phalanx wälzte sich durch die menschenleeren Straßen. Triumph in den Augen. Stolz über ihre sinnlose Macht in der Brust. Handgranaten verfehlten nie ihr Ziel. Bars, Geschäfte, Banken. Eine grausame Methode, die verängstigten Bürger von der Macht der Familie zu überzeugen.

In dieser erbarmungslosen Zeit schien ein Funke Hoffnung aufzukeimen. Eine Organisation von stattlichen Herren durchstreifte die Stadtteile. Versprechungen. Schutz vor Verwüstung, Zerstörung, Tod. Sie wollten helfen. Das ließen sie die Menschen zumindest glauben.

Diese Leute forderten Geld für ihre Hilfe. Viel Geld, das pünktlich bezahlt werden musste. Der einzige Ausweg wurde zur Sackgasse. Wer Schutzgeld zahlte, wurde verschont, behielt sein Leben, sein Lokal, überlebte.

So rackerten die Menschen von früh bis spät. Legten Schein um Schein zusammen. Am Ersten eines jeden Monats wurde abkassiert. Wer nicht bezahlte, wurde gefoltert und gemartert wie früher. Man fügte sich in das Unvermeidliche. Zahlte pünktlich Schutzgeld, konnte wenigstens in Frieden leben. Die Mafia beherrschte die Szene.

Die Organisation suchte Leute mit Klasse, was gleichzusetzen war mit Intelligenz, Durchsetzungsvermögen, Kälte, und absolutem Gehorsam. Eine unantastbare Institution, die keinen Fehler duldete. Perfektion war oberstes Gebot. Wer nicht parierte, wurde liquidiert. Still, unauffällig, gnadenlos.

Julio hatte Bob den Eintritt in die Familie ermöglicht. Er blühte in diesem Sumpf zur Höchstform auf. Vater und Sohn Torres beglückwünschten sich, einen treuen Kämpfer für die Sache angeworben zu haben.

Dass auch für Bob der Grundsatz vom absoluten Gehorsam Geltung haben sollte, überraschte ihn allerdings. Seine grenzenlose Überheblichkeit, die vertrauensvolle Zuversicht, sich mehr herausnehmen zu können als andere, wurde herb enttäuscht. Hatte er sich auch nach dem Tod seines Vaters mit einem riesigen Vermögen, seiner Farm und den Ländereien, in den Clan eingekauft, duldete man dennoch keinen Fehler. „Selbst mein eigener Sohn würde seiner gerechten Strafe nicht entgehen, sollte ihm ein unverzeihlicher Fehler unterlaufen“, sprach der Don und meinte, was er sagte.

Bobs Geschäfte wurden immer riskanter. Steuerhinterziehung. Schwarzgeld. Korruptionsaffären. Seine Rücksichtslosigkeit machte unüberlegter Dummheit Platz.

Von seiner Einfalt geblendet, legte er eine Gruppe von Kaufleuten unverschämt aufs Kreuz. Vergaß Waren zu deklarieren, geforderte Steuergelder abzuliefern. Er fälschte Papiere, vertraute seinem Scharfsinn, schlug alle Vorsichtsregeln in den Wind, warf alle Prinzipien über Bord, geriet eines Tages in eine Falle der Miliz.

Julio eilte in letzter Minute zu Hilfe. Lenkte mit einer gestellten Blitzaktion die Verfolger kurzfristig ab. Bob konnte durch einen Olympiareifen Sprung über den Kanal seine Rennmaschine erreichen. In mörderischem Tempo raste er seinen Verfolgern davon. Die Narbe an seinem linken Knöchel zeugte von diesem Abenteuer. Ein Schuss aus der Waffe eines beherzten Polizisten hatte ihn nur gestreift. Blut lief in seinen Schuh. Grelle Blitze durchzuckten ihn, ein stechender Schmerz. Er musste weiter, fuhr er um sein Leben.

Wirre Gedanken stoben ihm damals durch den Kopf. Wo sollte er hin? Die einzige Möglichkeit. Der Privatflughafen der Familie Torres und einiger anderer Bosse. Erneut gab er Vollgas, brauste in mörderischem Tempo dem rettenden Hafen entgegen. Julios Privatmaschine stand startbereit auf der Rollbahn. Etwaige Notsituationen waren schon früher durchgesprochen worden. Nun funktionierte alles bestens. Bob riss seine Maschine herum. Schlitterte, überschlug sich. Stand im nächsten Augenblick wieder auf den Beinen und stürzte auf den Sportjet zu, der mit rotierenden Propellern auf den gehetzten Passagier wartete. Er hievte sich neben den Piloten ins Cockpit. Keinen Augenblick zu früh. Der Pilot zog das Flugzeug steil hoch, über das angrenzende Waldstück hinweg. Unter ihnen auf der Rollbahn blinkten die Blaulichter der Polizei.

Julio hatte ihm das Leben gerettet. Er war in Sicherheit. Für den Augenblick zumindest.

Der Vater war bereits verständigt von den ungesetzlichen Aktionen seines Sohnes. Bob betrat das Büro. Vor ihm saß ein leichenblasser Mann, rang nach Luft, gestikulierte wild mit den Armen, versucht seiner Verzweiflung Ausdruck zu geben. Plötzlich stürzte er vornüber. Blieb regungslos auf dem Teppich liegen.

Der Arzt diagnostizierte Gehirnschlag. Die Aufregung und Enttäuschung über den verlorenen Sohn hatten den alten Mann zu einem stummen, verzweifelten Menschen gemacht. Gehetzte Augen versuchten vergeblich, den Besuchern zu übermitteln, wie gerne er sein Testament geändert hätte. Wie sehr ihm eine Enterbung des unverschämten Draufgängers am Herzen gelegen wäre. Bob war wohl der Einzige, der die drängenden Blicke seines Gönners zu deuten vermochte. Doch Bob schwieg. Spielte den gebrochenen Sohn und genoss den Gedanken an das künftige Erbe. Er versorgte den Vater mit allen erdenklichen Wohltaten, um in den Augen seiner neuen Familie das Gesicht nicht zu verlieren. Es war ihm klar, den ersten Fehler hatte er bereits begangen. Es war ratsam, sich keinen weiteren zu erlauben.

Schweißgebadet lag er neben Britt. Seine lebhafte Phantasie hatte ihm einen bösen Streich gespielt. Nie mehr wollte er an diese schaurige Nacht zurückdenken. Nie mehr in eine solche Situation geraten. Warum hatte ihm die Erinnerung gerade heute so übel mitgespielt? Eine Warnung? Er hatte doch sein Leben bestens in den Griff bekommen. Die „Familie“ hatte verziehen. Nicht nur das, sie verhalf ihm zu einem neuen Start in Europa. Er musste funktionieren wie ein Präzisionsuhrwerk, exakt, genau, brillant.

Tödliche Intrige

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