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Die armen Fische
ОглавлениеMein Sohn Christoph kann sich nur sehr schwer von den Relikten seiner Kindheit trennen. Doch drei Tage vor Mäxchens drittem Geburtstag kommt er überraschend mit seinem alten Indianerzelt und dem Indianerkostüm an, um sie seinem Neffen zum Geschenk zu machen. Damals, als meine Kinder klein waren, wohnten wir noch in einer winzigen Dachgeschosswohnung – kein Balkon, kein Garten –, und das Zelt konnte nur provisorisch im Kinderzimmer aufgestellt werden. Leider war es immer im Weg, beim Putzen, beim Toben und selbst beim Kriegstanz. Ständig kippte dieses dämliche Ding um. Selbst unsere Dackel hatten keine Hemmungen, das Zelt umzurennen, auch wenn die Insassen gerade drinnen im Schneidersitz hockten, um die Friedenspfeife zu rauchen. Trotzdem: Spaß hatte es allemal gemacht, und die Fotos von den Kindern als Häuptling und Squaw sind eine zauberhafte Erinnerung.
Nun sind wir im Besitz eines herrlichen Gartens, meine Kinder aber leider erwachsen. Darum soll Mäxchen lieber das Zelt mit allem Drum und Dran bekommen, bevor es im Keller seines Onkels verrottet.
Der Neffe, respektive Enkel, freut sich ein Bein aus. Indianer wollte er schon immer mal sein, nur sein Freund René heult, er will keine Squaw mimen. Er ist echt sauer und geht heim, sogar die Friedenspfeife nimmt er mit. Das tut Mäxchens Freude keinen Abbruch. Während er in Kostüm und Stiefel schlüpft, sich den Tomahawk in den Gürtel steckt und sich den Häuptlingsfederschmuck aufs Haupt drückt, sagt sein Onkel zu mir: »Bring mir mal bitte einen Hammer, damit ich die Heringe in den Boden hauen kann.«
»Was«, schreit Mäxchen da entsetzt, »du willst lebendige Fische mit dem Hammer inne Erde hauen!?«
Christoph erklärt ihm in aller Ruhe, dass diese Heringe keine Fische sind, sondern Metallstifte, die nur so ähnlich aussehen wie ihre Namensvettern. »Und die haut man mit dem Hammer in den Boden, damit die Seile von dem Zelt daran befestigt werden können.«
Da ist der Junge aber beruhigt. René steht auch wieder vor der Tür, als Old Shatterhand, im Karnevalskostüm seines großen Bruders, und bringt die Friedenspfeife zurück. Beide verschwinden im Zelt. Felix und Christoph grillen draußen auf der Wiese Würstchen, und Frieda und Anton mit Feder im Halsband halten lieber vor dem Grill Wache als vor dem Wigwam. Als ich, bewaffnet mit einer Schüssel Kartoffelsalat, den Garten betrete und das Indianerzelt aufschlage, um die Blutsbrüder zum Essen zu bitten, sagt René: »Hau!« Und Mäxchen ergänzt, indem er mit der Friedenspfeife einen Kreis durch das Innere des Zelts zieht: »Toll nich’? Und das kann auch gaanich mehr umfallen, wegen ich geholfen habe die Sardinen inne Erde zu hauen.«