Читать книгу Die Lavendelgang Gesamtausgabe - Inge Helm - Страница 11
Kapitel 2
ОглавлениеAm nächsten Tag schlurfte eine nach der anderen mit verquollenen Augen und Kater im Magen – sie hatten noch bis zum Morgengrauen bei einem guten Tropfen zusammengesessen und ausgiebig geklönt – Richtung Esszimmer. Und siehe da, Kochkünstlerin Cécile empfing die Mädels mit einem echt französischen Frühstück: Kaffee, schwarz wie die Nacht, frisch gepresster Orangensaft, noch ofenwarme Croissants mit Nougat, mit Marzipan und mit nix.
„Wie hast du denn das alles hergezaubert?“, fragte Marie erstaunt.
„Mit deinem Auto unten aus dem Dorf“, antwortete Cécile fröhlich.
Die Freundinnen ließen sich auf den bereitstehenden Stühlen nieder und versuchten ihre Lebensgeister mit dem starkem Kaffee wieder zu erwecken. Und um ein wenig die Unterhaltung anzukurbeln, schlug Marie den „Bergischen Boten“ auf in der Hoffnung, die ein oder andere aufbauende oder heitere Nachricht verkünden zu können. „Hört mal zu, hier lässt der Bürgermeister eine Frau Lang mit ihren zahlreichen Nachkommen hochleben, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts geboren wurde. Was die wohl alles erlebt hat?“
„Na, auf jeden Fall zwei Weltkriege“, sagte Julie nachdenklich. „Und ob die Zeiten danach besser waren?“
„Im Gegenteil“, Marie ließ die Zeitung sinken, „selbst ich kann mich noch daran erinnern, wie wir nach 1945 gehungert haben, oft dachten meine Eltern, es geht nicht mehr weiter, und dann ging es doch.“
„Und außerdem“, fügte Franca hinzu, „hatte diese Frau, nach dem Artikel zu urteilen, zahlreiche Kinder, Enkel und Urenkel, die ihr sicher halfen, mehr als ein ganzes Jahrhundert auf den Beinen zu bleiben.“
Eleni schenkte Kaffee nach. „Würdest du denn gerne so alt werden wollen, Marie?“, wandte sie sich an die Freundin.
„Selbstverständlich“, grinste diese verschmitzt. „Was haltet ihr davon, wenn wir uns überlegen, wie wir den dritten Frühling in Zukunft alle gemeinsam genießen können? Ausschließlich Familie ist doch heute mehr als nur ein Auslaufmodell.“
„Genau“, sagte Franca, „und außerdem besteht zwischen den Großmüttern von damals und denen von heute ein gewaltiger Unterschied.“
„C’est vrai“, stimmte Cécile ihr zu, „vor knapp zwei Generationen gehörte nämlich zu deren ständiger Ausrüstung noch Schürze und Kochlöffel, und sie hatten unbegrenzt Zeit für ihre Ableger und deren Nachkommen.“
„Ja“, fügte Julie hinzu, „wir dagegen laufen meistens in Jeans herum, duften nach Dior oder Laura Biagiotti, sind irrsinnig anderweitig beschäftigt, und einige von uns jetten von einem Termin zum anderen.“
Marie lachte. „So ist es, und im Übrigen sind wir alle noch fit und lebensbejahend genug, um in einem biblischen Alter diese Erde zu verlassen, mit dem köstlichen Bewusstsein, dass uns möglichst wenig im Leben entgangen ist … Reich mir mal bitte noch ein Croissant“, bat sie Cécile, „die sind ja einfach himmlisch.“
„Und wie hast du dir die gemeinsame Zukunft so vorgestellt?“, wollte Franca wissen. „Wir leben zwar alle auf diesem Planeten, aber in fünf verschiedenen europäischen Ländern.“
„Eine Wohngemeinschaft …“, begann Cécile nachdenklich.
„Oh Gott, eine Alten-WG!“, stöhnte Eleni entsetzt dazwischen.
„Nun mach mal halblang“, erwiderte Marie ruhig, „das Wort ‚alt‘ wird ab sofort aus unserem Vokabular gestrichen. Aber das mit der WG hat was.“
„Genau“, sprang Franca den beiden zur Seite. „Bloß bei wem und in welchem Land?“
„Bei mir in der Provence!“, kam es wie aus der Pistole geschossen von Cécile. „Ich habe doch das große Haus. Es stehen … wartet mal … eins, zwei, drei, vier Doppelzimmer mit und ohne Bad sinnlos herum, da Kochlehrgänge und Malkurse nicht mehr ‚in‘ sind. Wenn ihr euch alle ein wenig finanziell beteiligt, könnten wir das ‚Mas‘ zu Appartements umbauen lassen, damit ein Teil eurer eigenen Möbel Platz findet. Ich trenne mich Zug um Zug von einigen meiner Dinge, und die große Küche mit Eichentisch und -bänken, Kochinsel, offenem Kamin und allem, was man sonst noch so braucht, wäre dann unser gemeinsamer Treffpunkt für Kocharien, gemütliches Beisammensein und Abende vor dem flackernden Feuer zum Parlieren.“
„Herrlich“, schwärmte Julie und rollte verzückt mit den Augen. „Provence, Land des Lichts, der Dichter und Maler, Heimat der Sonne, der Farben und der Düfte. Dort, wo der Sommer nach Lavendel riecht und der Himmel sich wie ein leuchtend blaues Tuch über weiße oder rote Felsformationen spannt, wäre das Leben einfach ein Traum, selbst für mich als Pariserin … Aber bevor wir das weiter vertiefen, lesen wir uns erst einmal gegenseitig unsere Horoskope für die weitere Zukunft vor, d’accord?!“
„Lass mal sehen.“ Eleni nahm die Zeitung an sich. „Na, wer sagt’s denn“, spottete sie, „ich werde im Beruf große Erfolge feiern … und das bei der unerträglichen griechischen Wirtschafts- und Finanzmisere! Haha!“
„Vielleicht darfst du dich ja auch mit unter den Milliarden-EU-Rettungsschirm stellen“, bot Franca an und drückte die Freundin herzlich im Vorbeigehen.
„Ich bin doch kein griechischer Politiker oder ein griechisches Geldinstitut“, empörte sich Eleni und biss energisch in ihr Croissant.
„Na, wie dem auch sei, ich dagegen werde der Liebe meines Lebens begegnen“, frohlockte die Römerin und schenkte sich Kaffee nach.
„Aber du bist doch verheiratet“, mahnte Julie mit erhobenem Zeigefinger.
„Den Noch-Ehemann sortiere ich dann aus, wir leben schon seit einiger Zeit getrennt.“ Franca machte eine vielsagende Handbewegung.
„Prost Mahlzeit“, mischte sich nun Biggi in die WG-Diskussion ein. „Und ich werde laut deinem Dorfblatt mein Leben völlig auf den Kopf stellen. Da wird sich mein Jean-Pierre aber freuen. Die Frühstückspension war ihm schon immer ein Dorn im Auge.“
„Wieso denn das?“, wollte Cécile wissen.
„Na wegen der Emanzipation meiner Person natürlich und weil zu prosaisch für die Frau eines begnadeten Künstlers.“
„Dann komm doch mit in die Provence“, initiierte Marie, „dir steht nämlich laut Horoskop außerdem ein Klimawechsel bevor.“
„Du bist herzlich willkommen“, pflichtete Cécile ihr bei. „Mir verspricht die Vorhersage keinerlei Veränderung, sprich, ich bleibe auf meinen leeren Appartements sitzen, wenn wir die Idee mit der WG nicht ins Leben rufen.“
„Mach dir mal keinen Kopf“, wandte sich Marie an ihre provenzalische Freundin, „ich bin nach wie vor dabei. Schließlich wird die Zeit mit fünfundsechzig langsam knapp, um etwas Verrücktes zu tun. Kommt, gehen wir auf die Terrasse, nehmt eure Kaffeetassen mit, und dann werden wir die ganze Geschichte mal ernsthaft durchdiskutieren.“