Читать книгу Die Lavendelgang Gesamtausgabe - Inge Helm - Страница 18

Kapitel 9

Оглавление

Während sie am nächsten Abend draußen auf der überdachten Terrasse den offenen Kamin mit eingesammelten riesigen Pinienzapfen einheizten, die Kaninchenteile marinierten und das Auberginengemüse vorbereiteten, wartete der Aperitif auf dem Tischchen direkt neben dem Pool mit Oliven, Kichererbsenmousse und einem von der Hausherrin selbst aufgesetzten Holunderlikör auf ihren Gast. Marie kam mit dem frischen Baguette im Körbchen aus der Küche. „Was, meinst du, macht der berühmte Architekt denn sonst noch so außer anderer Leute Häuser umbauen? Was wird das für ein Mann sein? Ob das ein guter Typ ist?“

„Aber sicher“, sagte eine tiefe Stimme hinter ihr. Sie fuhr herum und sah in ein ihr bekanntes braun gebranntes und zerfurchtes Gesicht mit strahlend blauen Augen, die nun spöttisch auf sie hinunterschauten. Ihr fiel vor Schreck der Brotkorb aus der Hand, und sie wäre am liebsten im Erdboden versunken.

„Was ist?“ Cécile stupste sie an.

Marie konnte nur heiser flüstern: „Der arrogante Heini von der Lyoner Raststätte.“

„Wer, Paul?“

„Jaha.“

Dieser bückte sich gerade nach dem Brot, hob es auf, legte es in den Korb zurück und stellte diesen auf das kleine Tischchen. „Na“, sagte er vergnügt, „die Geschickteste sind Sie aber auch nicht.“ Er begrüßte nun beide sehr herzlich – Küsschen links, Küsschen rechts – inklusive eines warmen und festen Händedrucks.

„Wir haben Ihr Auto gar nicht gehört!“, sagte Cécile erstaunt.

„Das steht unten auf dem großen Parkplatz, ich bin zu Fuß hochgekommen“, antwortete Paul und wandte sich wieder an Marie: „Fühlen Sie sich etwa durch mich verunsichert?“

Cécile lachte. „Das kann ich mir bei meiner emanzipierten Freundin überhaupt nicht vorstellen.“

Und die „Emanze“ fügte trotzig hinzu: „Eben, ich habe nur etwas gegen überhebliche männliche Besserwisser.“

„Ja, so was“, antwortete Paul.

À table“, sagte Cécile, und in heiterer Eintracht ließen sie sich dann die Vorspeisen-Häppchen schmecken und spülten mit dem Selbstaufgesetzten nach.

Im Anschluss an das dîner räumten Cécile und Marie die leeren Teller und Schüsseln in die Küche und machten es sich zusammen mit Paul am flackernden Kaminfeuer gemütlich. Und während die Windlichter vom Tisch Schatten auf die Wand hinter ihnen warfen, holte der Marseiller Architekt seine Pfeife hervor, stopfte sie bedächtig, zündete sie an und sagte schmauchend: „Ich habe mir schon einmal ein paar Notizen gemacht, nachdem mir dein – pardon – Ihr Sohn, Cécile, am Telefon in groben Zügen beschrieben hat, was Sie vorhaben. Doch nun hätte ich es gerne ein wenig genauer.“

„Als Erstes wollen wir mal das förmliche Sie lassen.“ Cécile hob ihr Glas. „Kommt, lasst uns darauf anstoßen.“

Marie und Paul kamen ihrer Aufforderung gehorsam nach, und es gab wieder reihum Küsschen links, Küsschen rechts. „Salut, und auf Du und Du!“

Dann schilderten die beiden ihm ihr Unterfangen, mit drei weiteren, gleich gesinnten Freundinnen das Leben noch einmal neu zu gestalten und zu beweisen, dass man Älterwerden auch als Wandel sehen, sich weiterentwickeln und das letzte Drittel einfach gemeinsam genießen kann.

„Und das alles wollt ihr hier in ‚Les Genets‘ verwirklichen.“ Paul nahm seine Pfeife aus dem Mund und stopfte sie nach.

„Ja“, antwortete Cécile einfach, und Marie fragte misstrauisch: „Oder findest du das verrückt und hältst unsere Idee für ein Hirngespinst?“

„Ganz sicher nicht.“ Er sah die Freundinnen lächelnd an. „Euer Plan ist richtig toll. Am besten machen wir gleich mal eine kleine Begehung durchs Haus.“ Er stand ohne Umschweife auf, marschierte mit weit ausholenden Schritten um die Ecke der Terrasse, öffnete die an der Seitenwand liegende antike Doppeltür, eine oben, eine separate unten – „Wie vor einem Ziegenstall“, hatte Marie vor Jahren gelästert –, und verschwand in dem dahinterliegenden ebenerdigen Appartement. Verblüfft folgten ihm Cécile und Marie. Paul maß aus, machte sich Notizen und überlegte, wie viele Quadratmeter jede von den fünf Freundinnen in etwa zum Wohlfühlen benötigte.

„Es sollen doch möglichst gleich große Appartements werden, n’est-ce- pas ?“

„Natürlich“, bestätigte Cécile. „Das hier zum Beispiel könnte das Reich von Franca, unserer römischen Freundin, werden.“

Marie nickte zustimmend.

Paul sah sich in dem großen Zimmer um, das durch ein bodentiefes Fenster am anderen Ende eine wunderbare Helligkeit erhielt. „Was für ein idyllischer Blick auf den Innenhof.“

„Und hier haben wir noch ein kleines Duschbad.“ Cécile ging vor und die beiden anderen folgten ihr.

„Oh, en suite, perfekt. Und wohin führt diese Tür dort hinten neben der Toilette?“ Paul öffnete sie, ohne eine Antwort abzuwarten, und stand in der Garage. „Was wollt ihr denn hier machen?“

„Also“, gab Cécile bereitwillig Auskunft, „wenn man sich die Regale mit Gläsern, Körben, den riesigen Vorratsschrank und das andere friperie, auch Trödel genannt, wegdenkt und ein großes Fenster dort in die Seitenwand einlässt, dann hätte unsere italienische Galeristin genügend Licht für ihre Bilder.“

„Aha“, sagte Paul, und Marie warf schnell ein: „Vielleicht eröffnet sie ja dann anstatt in Rom hier in der Provence eine Ausstellung für einheimische und internationale Künstler.“

Der begnadete Architekt schritt umgehend die Seitenfront für ein eventuelles Atelierfenster ab, schrieb etwas in sein Notizbuch, und dann gingen sie weiter durch das Garagentor über die vordere Terrasse ins Haus hinein und betraten als Erstes die wohnliche Küche.

„Hier muss nur neu gestrichen werden.“ Cécile machte eine kurze Rundumbewegung mit ihren Armen.

„Das gefällt mir. Wohlfühlkooperative für alle, wie in den Achtundsechzigern“, zog Paul sie auf und klopfte seine inzwischen erkaltete Pfeife im Küchenkamin aus. Dann wandte er sich der Treppe zu, fragte: „Was befindet sich da oben?“ und stieg schon hinauf zur Galerie.

Bevor Cécile antworten konnte, hielt Marie sie am Ärmel fest und flüsterte: „Mon dieu, das hätte ich mir auf dem Lyoner Rastplatz nicht träumen lassen, dass der blöde Heini so ein toller Typ sein könnte! Was glaubst du, ist der noch zu haben?“

„Na so was?“, kicherte Cécile.

In diesem Moment blieb der tolle Typ auf der obersten Stufe stehen, drehte sich zu ihnen um und sagte mit entwaffnendem Lächeln: „Nicht liiert, keine Kinder und als Partner total ungeeignet …“

„Welche Verschwendung“, hauchte Marie enttäuscht.

„Interessant“, grinste die Freundin nun ungeniert.

Paul versuchte schon eine ganze Weile ernst zu bleiben. „Ich war bisher nur mit meiner Arbeit verheiratet. Außerdem säge ich jede Nacht ganze Wälder ab, neige dazu, hin und wieder ein Glas zu viel zu trinken, und rauche mindestens fünf bis sechs Pfeifen am Tag … auf Lunge.“

Dégoutant!“

„Igitt!“

Marie und Cécile sahen sich an, und Paul ergötzte sich an ihrem entsetzten Gesichtsausdruck. Dann lachten alle drei herzlich, und Paul fragte etwas außer Atem: „Und wohin kommen wir jetzt?“ Er öffnete die erste Türe direkt oberhalb der Treppe auf der Galerie.

„Das wird mein neues Domizil“, antwortete Marie schnell.

Paul schaute sich im großen Schlafraum um, begutachtete das kleine, freundliche Bad und sah sich in ihrem zukünftigen Wohn- und Arbeitsbereich um. „Sehr hübsch. Hier und da ein wenig Farbe, neuer Teppichboden und vielleicht etwas Moderneres im Sanitärbereich …“

„Das mache ich alles selbst“, schnitt Marie ihm hastig das Wort ab.

„Aber helfen darf ich doch vielleicht?“ Er grinste.

Sie errötete zart. „Mhm, mhm.“

„Ich kenne einen guten Laden in Avignon für Farben und Bodenbeläge. Wenn ich dort mit so einer charmanten Dame wie dir auftauche, bekommen wir sicher eine ganze Menge Prozente.“

„Ja, aber …“, stotterte Marie verlegen.

Paul amüsierte sich. „Ich helfe dir auch beim Streichen und Teppichbodenverlegen, und fürs Bad kenne ich einen guten Installateur.“ Er zwinkerte ihr übermütig und beinahe zärtlich zu.

Maries Herz fing an zu rasen, ihre Knie wurden weich und sie hatte plötzlich so was wie Schmetterlinge im Bauch.

„Was ist?“ Cécile stupste die Freundin an, während Paul wieder auf die Galerie hinausgetreten war und einer weiteren Tür zustrebte.

„Ich bin vielleicht eine blöde Gans“, stöhnte Marie. „Seit Jahren habe ich mit allen männlichen Wesen abgeschlossen. Und dann taucht so ein attraktiver Kerl auf, und ich kriege weiche Knie.“

„Na und?“ Cécile lächelte. „Wer hat denn gesagt, dass wir trotz Mädels-WG nicht jede Gelegenheit nutzen sollten, um unsere Lebenssituation noch ein wenig mehr aufzupeppen?“

„Ja, wenn man es so betrachtet …“ Und sie folgten dem Aufpepper in den nächsten Raum.

Allez, allez!“, scheuchte dieser sie weiter, beschrieb und erklärte so, als würde er selbst hier einziehen wollen. Jeden Umbau der einzelnen Zimmer schilderte er bis ins kleinste Detail: „Und hier auf dem großen Dachboden kann man eine Wand einziehen, aus dem großen Bad zwei kleine Duschbäder installieren, voilà, und jede Bewohnerin bekäme ihr eigenes, komplettes, wenn auch kleineres Reich, im Gegenzug allerdings auch weniger kostenintensiv.“

„Genau das Richtige für Julie und Eleni“, überlegte Cécile, „aber ob sie auch Dachschrägen lieben?“

„Das müssen die beiden selbst entscheiden“, gab Marie zu bedenken. „Am besten mailst du ihnen die entsprechende Bauskizze, sobald Paul diese erstellt hat. Und im Übrigen haben wir hier oben alle leichte Schrägen in den Zimmern, ich persönlich finde Schrägen einfach urgemütlich.“

„Wunderbar!“ Paul legte beide Arme um die Freundinnen und führte sie die Treppe hinunter. Sie durchquerten Céciles Atelier und Schlafzimmer, ebenfalls mit einem Bad en suite versehen, und traten wieder durch die Küche hinaus auf die Terrasse, wo der Kamin sacht vor sich hinglühte, aber genügend Wärme abgab, sodass sie noch ein Weilchen draußen sitzen bleiben konnten.

„Spendierst du uns eine zweite Flasche von deinem köstlichen ‚Côtes du Rhône‘, Cécile? Dann lassen wir den Abend noch ein wenig ausklingen. Morgen breite ich mich dann in deinem Atelier aus, ma chère, fertige einen genauen Plan an und stelle eine Kalkulation über die ungefähren Kosten für die Umbau- und Renovierungsarbeiten auf. Und sobald ich wieder in Marseille bin, versuche ich Handwerker zu organisieren, die früher mal für mich gearbeitet haben und heute im Ruhestand sind. Vielleicht bekomme ich eine Truppe zusammen, die zuverlässig, schnell und preiswert arbeitet.“

„Und wir sprechen danach dann auch die finanzielle Seite mit unseren Freundinnen durch, nicht wahr, Marie?“

„Was hast du gesagt?“ Marie, die sich im Klang von Pauls tiefer Stimme verloren hatte, schreckte auf. Die Freundin lächelte, und Pauls Augen schauten sie spöttisch, aber auch gleichzeitig zärtlich an.

„Ähem ... ja … Also ich rufe morgen sofort Sabrina an“, stotterte sie und fühlte sich ertappt, „damit Jan umgehend als Makler tätig werden kann, und mein Sohn sich bereithält, das Geld und die Finanzierung für meinen Teil des Traumes in die Hände zu nehmen, d’accord?“

Hélas, das hat noch Zeit“, beschwichtigte sie Paul, „aber nun muss ich in die Falle, damit ich morgen in aller Frühe sämtliche Räumlichkeiten noch einmal genau ausmessen kann.“

„Na dann, bonne nuit und bis morgen“, sagten Marie und Cécile, löschten die Windlichter, nahmen die benutzten Gläser und die leere Flasche mit in die Küche und gingen ebenfalls zu Bett.

Die Lavendelgang Gesamtausgabe

Подняться наверх