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Kapitel 11

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Die nächsten Tage flogen nur so dahin. Marie war von Lyon aus mit dem Autoreisezug bis nach Düsseldorf gefahren, und von dort brauchte sie nur noch eine gute Stunde, um im Oberbergischen vor ihrer Haustür zu landen. Julie öffnete ihr diese mit geröteten Augen und Taschentuch in der Hand.

Marie hielt ihr aufmunternd eine Flasche Sekt vor die Nase. „Die habe ich von der Tanke!“ Sie umarmte die Freundin herzlich, schob sie bis in die Küche und sagte ohne Umschweife: „Sei froh, dass du den Kerl los bist. Ich sehe immer noch sein unmutiges Gesicht, sobald eine von uns unangemeldet bei euch eintrudelte. Entweder sprach er kein Wort oder verzog sich umgehend nach oben in sein Arbeitszimmer …“

„Ja, aber …“ Julie glaubte, Tom verteidigen zu müssen.

„Siehste, dir fällt nichts ein. Er hat sich weder für deine Arbeit interessiert noch für deine französische Familie, er ist nirgendwo spontan mit dir hingegangen, nicht ins Theater, nicht ins Kino, geschweige denn zum Essen, das war für ihn verschwendete Zeit und überflüssig rausgeschmissenes Geld.“

„Du hast ja recht.“ Julie putzte sich die Nase.

„Eben, meine Liebe, und deshalb ist das jetzt der richtige Moment, um mit mir in die Provence zu ziehen und unseren Traum vom gemeinsamen Älterwerden in Angriff zu nehmen.“

Der Sektkorken zischte haarscharf an Julies linkem Ohr vorbei. „Hilfe!“

Marie lachte, schenkte die von der Freundin eilig herbeigeholten Kelche voll und stieß mit ihr an: „Salut, und ein Hoch auf das richtige Leben!“

Dann ging alles sehr schnell, beinahe überstürzt. Jan hatte ein nettes Ehepaar gefunden, dem das Haus gefiel und deren Hund der weitläufige Garten begeisterte. Marie erhielt eine größere Summe, als sie erhofft hatte, und so bekamen ihre Kinder einen Teil als vorgezogenes Erbe ausgezahlt, der Rest floss sofort auf ein Konto, das Stephen bei seiner Bank für sie eingerichtet hatte. Nach der Vormerkung im Grundbuch war auch die Umschreibung reibungslos über die Bühne gegangen, und ihr Sohn hatte bereits Cécile einen Zuschuss für den gemeinsamen Umbau zukommen lassen.

Und nun stand der Umzug vor der Tür und trieb ihr nachts den Angstschweiß auf die Stirn. Was sollte sie mitnehmen, was würden die Kinder haben wollen, und was musste zum Sperrmüll? Wie schön wäre es gewesen, sie hätte mit Paul darüber sprechen können.

„Doch der hat sich bis heute noch kein einziges Mal bei mir gemeldet“, jammerte sie Cécile am Telefon vor, „dabei hatte er es fest versprochen.“

Die Freundin lachte. „Ja ja“, sagte sie, „Geduld war noch nie deine Stärke. Aber du bist doch emanzipiert genug, um ihn selber anzurufen.“

„Bist du verrückt? Ich laufe doch keinem Mann mehr nach … in meinem Alter. Wo kommen wir denn da hin!“

„Wir werden es sehen.“ Cécile amüsierte sich. „Ich freue mich auf jeden Fall auf eure Ankunft.“

Und Julie, die ihren persönlichen Besitz bei Tom zusammenpackte, beklagte sich bei Marie: „Die ganze Sache ist plötzlich so endgültig.“

„Sei nicht albern, gerade deshalb wollen wir doch zusammenziehen“, sagte Marie in ihrer direkten Art, „damit wir unseren neuen Lebensabschnitt so schnell wie möglich beginnen können. Du willst doch etwa nicht jetzt noch schlappmachen!“

„Nee, das nicht. Aber ich habe Schiss, ob ich das alles auch schaffe.“

„Glaubst du, wir anderen hätten keine Angst vor dem Neuen? Das ist nun einmal so, wenn man im fortgeschrittenen Alter sein Leben vollkommen auf den Kopf stellt und nicht weiter auf ausgetretenen Pfaden latschen will. Du wirst sehen, das wird toll, und wir werden uns alle gegenseitig stützen, hab ich recht?“

„Das hast du, ma chère, wenn ich dich nicht hätte“, atmete Julie erleichtert auf.

Jetzt hieß es Aussortieren, und das war nicht einfach. Schließlich zog Marie aus einem kompletten Haus in ein Zwei-Zimmer-Appartement um, und es musste mächtig reduziert werden. Sich von überflüssigen Möbeln zu trennen fiel ihr nicht schwer, vor allen Dingen, da die antiquarischen Stücke, die Martin und sie liebevoll in Jahren zusammengetragen hatten, zu ihren Kindern in gute Hände kamen. Mit den geschätzten drei Metern Bücherwand, Gemälden von befreundeten Künstlern aus dem In- und Ausland und all den kleinen Dingen, die sie seit Jahrzehnten begleitet hatten, war es nicht so einfach. Auch Zeichnungen und Bastelarbeiten von den Kindern, die sie aufgehoben hatte, ihre Babyfotoalben und Teile des guten Geschirrs sowie das sorgsam gehütete Silberbesteck ihrer Großmutter, das Krieg, Vertreibung und Flucht, eingenäht in deren Mantel, überstanden hatte, gab sie nun an die nächste Generation weiter. Übrig blieb nur noch so viel, dass ein kleiner Umzugswagen reichte, der sogar noch Julies Habseligkeiten mit aufnehmen konnte, den Jan dann steuern würde.

Von Freunden, Verwandten und Nachbarn hatten sich Marie und Julie bereits verabschiedet. Bevor sie die Haustüre zum letzten Mal hinter sich abschlossen und Sabrina die Schlüssel für die neuen Besitzer überreichten, erschienen die restlichen Nachkommen samt Enkelkindern und Julies Sohn Alain, um sie fortzuwinken. Vor der großen Umarmung übergab Marie noch schnell Autoschlüssel und Papiere ihres kleinen grünen Flitzers, der Occasion aus dritter Hand, aber in Bestzustand, an Claudia. „Sonst haben wir nachher bei Cécile mindestens drei Autos vor der Türe stehen.“

Claudia freute sich riesig, während ihr mittlerweile pubertärer Nachwuchs, elf und dreizehn Jahre, versuchte cool zu bleiben. „Tschau, Oma, wir sehen uns dann in der Provence … sagt die Mama.“

„Du kannst es doch nicht lassen.“ Stephen drehte sich zu seiner Schwester um.

„Na ja“, grinste die, „ein Versuch ist doch nicht strafbar.“

„Wir müssen los“, drängte nun Jan, „es liegen ungefähr eintausendzweihundert Kilometer vor uns.“ Er enterte den Umzugswagen. Sabrina kletterte auf den Beifahrersitz – sie hatte sich ein paar Tage Urlaub genommen, um ihn am Steuer abzulösen und Marie beim Einzug in den neuen Lebensabschnitt zur Seite zu stehen. Diese packte gemeinsam mit Julie ihr kleines Gepäck in das Cabriolet der Freundin, griff sich dann die vor Aufregung hysterisch kläffenden Hunde und schnallte sie mit ihrem Geschirr am Gurthalter fest, während Julie ihr Kätzchen in der Tragekiste verstaute und die fauchende Fracht neben den Hunden ihren Platz bekam. Dann setzte sie sich hinter das Steuer, Marie ließ sich auf den Beifahrersitz fallen, und anschließend rollte der kleine Konvoi aus der Einfahrt. Der winkende Anhang der beiden Freundinnen wurde im Rückspiegel immer kleiner und kleiner. Julie drückte, bevor sie auf die Hauptstraße abbogen, noch einmal kräftig auf die Hupe, und es blieb nicht aus, dass die Freundinnen, trotz Vorfreude auf den neuen Lebensabschnitt, ein paar Tränchen mit den Augenlidern wegblinzeln mussten.

„Mal was anderes“, lenkte Julie die Freundin vom Abschiedsschmerz ab. „Ich denke, die Sache mit Paul wird sich sicher auch noch klären.“

„Okay“, lachte Marie, „aber wenn er keine gute Erklärung für sein Schweigen hat, dann schieße ich ihn knallhart in den Wind.“

Die Lavendelgang Gesamtausgabe

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