Читать книгу Am Ende der Sehnsucht - Ingeborg Arvola - Страница 14
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ОглавлениеÄmmi preßt die Finger in den Brotteig. Sie wird bald sterben. Ihr Mann ist schon auf große Fahrt gegangen, und das Grab an seiner Seite wartet. Sie hat drei Töchter geboren und drei Söhne, die für sie sorgen werden, sie niederlegen und ruhig zudecken werden. Es ist für den alten, dicken Körper an der Zeit zu sterben, denn die Beine, die ächzen unter ihr, und der Rücken neigt sich jeden Morgen, wenn er sich zur Sonne aufrichten muß, weiter vor. Der Tag und der Himmel. Ihre Hände kneten methodisch den Brotteig, haben auch ihren Teil zum Leben beigetragen, jahrelang Brote geknetet und geformt wie erstarrende Knäuel, wenn die Finger nicht Schafswolle zu Garn verwandelten, und all das Garn, das die Hände in eben dieser Küche gesponnen haben. Knirschen vom Treten des Spinnrads. Gleichmäßig wie die Wanduhr. Ein vierzig Jahre langer Wollfaden vor und zurück, zwischen den Lämmern, die sie ins Leben hinausgezogen, Ochsen, die sie gehalten hat, während der Mann ihnen die Kehle durchschnitt, und die sechs Kinder, die sie gestillt hat. Immer genug Milch, und Ämmi ist nicht leer geworden, ist nur am Ende des Fadens, den sie mit Weisheit geführt hat.
Zwei ihrer Töchter sind gut verheiratet, wohl unterstützt durch ihre eigenen unbeschwerten Charakterzüge. Unklare Spiegel ihrer selbst. Seither haben sie eigene Söhne und Töchter geboren, fast alle bei voller Gesundheit und mit gesunden Köpfen. Nur einem Enkel fehlen vollständige Gedanken, aber nach Gottes Willen hat er ein gutes Herz und ist rührig genug, um all das aufzuwiegen.
Den guten Gott fand sie an dem Tag, als ihr zukünftiger Mann in ordentlichen Kleidern kam, um um ihre Hand anzuhalten. Sie nahm alle Wut zurück, die sie als Schild gegen den Himmel gehalten hatte. Denn bis dahin glaubte sie, der gute Gott wäre ein übler Gott, der sie zur Einsamkeit verdammte. Böse Augen sahen den Himmel von Blau zu Grün sich verfärben, und an dem Tag, als der Mann kam, kippte der Himmel zu Gelb. Wie hatte sie sich geirrt, dachte Ämmi am Abend, nie mehr würde sie Gott Kummer machen. Sie würde treu sein und eine gute Frau werden, schwor sie unter einem gelben Himmel, den nur sie sehen konnte. Das Glück umhüllte sie wie Goldstaub an dem Tag, als der Mann sie anlächelte und munter einen Grashalm aus dem Mund zupfte.
Im finnisch sprechenden Ort hieß es, auf Ämmis Familie laste ein Fluch. Die Männer hatten große leere Köpfe, der Geist verschwand, wenn sie in ihren zwanziger Jahren waren, in ihren Dreißigern fingen sie an zu sabbern. Die Mädchen wuchsen schön heran, viel zu schön, und selten nur waren wohl verrücktere Wesen geboren worden. Es wurde von Blutschande geflüstert. Eine Schwester und ein Bruder wurden genannt. Mehrere Schwestern, mehrere Brüder. Nicht viele näherten sich dem Hof. Die gesund und von intaktem Verstand waren, lebten in Frieden. Wer konnte wissen, wie lange ihnen der Verstand erhalten blieb? Warnungen wurden zu tiefen Gräben, und in der Ödnis blieb Ämmi unverheiratet. Sie klaubte von ihren gewaltsamen Brüdern und verrückten Tanten zerfetzende Sperrfeuer auf und schickte sie verbittert gen Himmel.
Dann kam ihr Mann, unternahm die lange Tour bis nach Øvre Neiden mit Fjordpferd und Wagen, er, der bei einem jeden Hof anhalten konnte und willkommen geheißen worden wäre. Wie das Rauschen in den Birken pfiff er auf die Wörter, Warnungen und tiefen Gräben und fand neue Töne für seine neuen Melodien.
Doch, Gott war gut. Vierzig Jahre mit ihm. Zweien der Söhne geht es gut in anderen Teilen Norwegens. Wie kann sie sich über die letzte Tochter beklagen, die zu Hause wohnt, stets hilfsbereit, und wer kann sagen, es sei verrückt von einer Mutter, ein Kind zu bekommen? Weder den Vater noch seinen Namen verriet sie Ämmi, hartnäckig schwieg sie. Und dann war es eben so, konstatierte Ämmi und hat nichts dagegen, ein Enkelkind in der Nähe zu haben.
Wenn Ämmi wie heute ihre Kinder zählt, kommt der jüngste Sohn immer als letzter. Da hat sie die anderen mit harter Hand und Fürsorge in den Brotteig eingeknetet, und die fertiggekneteten Brote müssen nur rund und in Form geklopft werden, ehe sie sie in den Ofen schiebt. Den jüngsten Sohn kann sie nur behutsam berühren. Sie gebar ihn erschreckend schnell, und auch als sie ruhig mit dem Neugeborenen im Arm döste, spürte sie, daß dieses Kind anders war als andere. Sie sah einen Widergänger derer mit den leeren Köpfen in ihrer Familie vor sich und seufzte leise. Aber dem jüngsten Sohn fehlte es nicht an Geist, er hatte vielmehr zu viel davon. Als ob er umgeben wäre von Geistern oder Wegweisern, fand er Wege, die kein anderer ging, im Gebüsch und in der Nacht, bei Flüssen und im Winter. Als ob ihn nur eine dünne Schicht menschlichen Seins mit seiner Familie verband. Er durfte in Frieden gehen. Ämmi hatte ihren Gott, und wenn der Verständnis gab und Akzeptanz, was sonst konnte man tun, als seine Kinder dazu zu erziehen, die Welt durch die Augen dieses Gottes zu sehen.
Ämmi hofft, der jüngste Sohn begreift, daß sie bald sterben wird, damit er nach Hause kommt, um sie hinüber zur anderen Seite zu begleiten. Er hat mit den Jenseitigen geredet, seit er ein Kind war, es wäre beruhigend, ihn um sich zu haben, wenn die Dunkelheit sich senkt und ihr Leben geprüft und beurteilt werden wird. Sie richtet den knarrenden Rücken auf, hebt das Backbrett und wackelt hinüber zum Ofen. Draußen auf dem Hofplatz hört sie ein Auto. Es wird gut sein, endlich auszuruhen, so schwer, wie sie sich wieder erhebt, um nachzusehen, ob die Brote im Ofen gut sind. Durch das Fenster sieht sie das Auto von Reino, dem Schneeräumer. Er steht mit einer Frau zusammen. Sie haben ein Kind dabei. Fast weißes Haar reckt sich laublosen Ästen gleich gen Himmel. Das Kind geht hinüber zum Pferd. Sein Gesicht ist zu sehen, und Ämmi greift sich ans Herz, die Stiche sind wie von einem Messer. Kind und Pferd reden in einer Weise miteinander, wie sie den jüngsten Sohn immer ermahnt hat, es niemals zu tun, wenn Leute es sehen können. Sie hat es vor langer Zeit gesagt, und hier steht das Kind, wie aus ihren Gedanken gerissen, das Kind mit den toten Stimmen.
Sie schüttelt sacht den Kopf. Das Kind ist neu. Solches Haar ist neu, aber das Blut pocht beim Wiedererkennen, und die Flügel der Glucke legen sich an die Fensterscheibe, um eines ihrer Kinder unter die Flügel zu holen, die Haarsträhnen unter den Kamm zu bekommen, das Gespräch zwischen dem Kind und dem Tier zu beenden, es lieber nahe bei sich zu halten und seinen Namen und sein Herz kennenzulernen, es vielleicht wie ein geschlagenes Ei über die Brote und die Familie zu pinseln.
Ehe mir die alte Frau ins Auge fällt, ehe mir das weiße Haus oder das Fenster ins Auge fällt, weiß Ämmi, daß ich ihr Enkelkind bin. Sie schaut zum Himmel, der gelb ist, und setzt sich schwer auf den Küchenstuhl. Was bedeutet dieses unbekannte Kind, das kommt, als Ämmi ihre Familie zum Abschied knetet.