Читать книгу Am Ende der Sehnsucht - Ingeborg Arvola - Страница 17
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ОглавлениеMein Vater ist das Wichtigste in meinem Leben. Manchmal spricht er ohne Stimme, zischt wie lange Grashalme neben einem nackten Fuß. Das liebe ich. Er gab mir ein Messer. Das trage ich am Gürtel, genauso wie er seins trägt. Ich habe keinen Hut. Das quält mich. Ämmi folgt uns halb mit Vergnügen und halb mit Sorge. Ich übernahm die Stiefel vom Tantekind, sie sind viel zu groß, weiche trotzdem meinem Vater nicht von den Fersen. Äffe seinen Gang nach. Ich müsse aufhören, so viel Lärm zu machen, sagt mein Vater stumm, wenn ich mit ihm unterwegs sein will. Ich nicke feierlich. Die kleinen Schuhe, die ich hatte, gab mein Vater dem Hund zum Spielen und dem Widder wie einen Salzstein. Der leckt den Schuh zu verschlissenen Riemen, versucht immerzu, an meinen Füßen zu knabbern, wenn ich in Reichweite komme.
»Jetzt hast du einen Freund«, tröstet mich mein Vater, als ich wegen des Schuhs nörgele. »Hättest du lieber die Hörner im Bauch gehabt?«
Ich presse die Lippen zusammen, bohre in der Nase und tue so, als bewunderte ich die glänzende Messerklinge. Mein Vater dreht sich zur Seite, um ein Lächeln zu verbergen.
Einmal nimmt der Widder dennoch verbissen Kontakt zu meinem Fuß auf. Ich höre ihn knurren, sehe, kurz bevor ich falle, lange spitze Zähne und trete winselnd mit dem freien Fuß um mich.
»Glaubt das Schaf, das sei der Wolf?« Die Stimme meines Vaters kommt auf uns zu. Der Widder läßt los. Er zieht sich ruckweise zurück, schrumpft beträchtlich. Ich komme wieder auf die Füße. »Dann darfst du doch lieber bei den Alten sein«, redet mein Vater weiter und packt sich den Widder auf die Arme, geht unter dem Gewicht ein paar wackelige Schritte und kommt der Einhegung für die Schafe nahe genug, um den Widder mit einem Brüllen durch die Luft zu werfen. Er landet auf der Seite in einem Schlammbad aus Schafkot und zertretenen Grashalmen. Ich und die Schafe jubeln. Der Widder ist peinlich berührt, und mein Vater lächelt. »Der Alte wird im Winter zum Weihnachtsbraten«, sagt er.
Auf dem Hof ist ein anderer Widder, dessen Hoden bald ausgewachsen sind und der ein besseres Wesen hat als der alte Widder. Mein Vater erzählt, daß die Mutter des alten Widders von einem Wolf gefressen wurde, während der Widder im Gebüsch versteckt lag. Der Wolf verschlang Füße, Euter, Ohren und alles.
»Der Widder wurde davon ein bißchen wirr im Kopf«, sagt mein Vater.
Ich nicke. Wir drehen dem dummen Blick den Rücken zu und gehen die Treppe zum Haus hinauf. Dort drinnen bekommen wir etwas zum Trost. Mein Vater ist das Wichtigste in meinem Leben. Ich habe Angst, für ihn nicht ebenso wichtig zu sein. Deshalb behalte ich ihn im Auge. Folge ihm überallhin. So daß er nicht verschwinden kann. Das ist das Unvorstellbare, weiß ich, und bin wach in der Sekunde, wenn aus dem Nachbarbett ein Laut kommt.
Er springt in das Flußwasser und bleibt so lange unter Wasser, daß ich glaube, er sei ertrunken. Ein paar Schluchzer kann ich nicht zurückhalten, während ich mich zwischen den Ufersteinen hindurchzwänge, mich fertig mache, um hinterherzuspringen. Er lächelt breit unter Wasser, als er sieht, wie ich geschäftig umherrenne, und im letzten Moment, als ich meinen Mut zusammengenommen und die Zehen um einen Stein gebogen habe, taucht er mit einem Fisch auf, den er ans Ufer wirft. Die großen bringe ich Ämmi. Sie lobt den Fang, tätschelt mir den Kopf und lächelt ihr Lächeln, bei dem ihre Augen zwischen den Hautfalten verschwinden. Die kleinen Fische behalte ich. Das ist die Gefolgschaft. Ich spiele mit ihnen, bis meine Haut einen kräftigen Fischgeruch annimmt, den Ämmi jeden Abend wieder abschrubbt. Oder ich sammele die Schätze und lasse sie eine Familie bilden. Der glitschigste Fisch ist das Tantekind. Gern einer mit einem losen Auge, das eklig baumelt. Ich mag das Tantekind nicht. Seine tanzenden Arme machen mich schwindlig. Ich schlage nach ihnen, aber das Tantekind ist größer als ich und hebt sie hoch, außer Reichweite, und während sie weiter tanzen, hänselt er mich: »Hast du Läuse gehabt? Haben die deine Haare aufgefressen? Kopflaus! Haarlaus!« Da halte ich mit der Jagd nach seinen Armen ein und sage: »Und du, du hast keinen Vater!« Da schiebt das Tantekind mich weg und verschwindet, läßt mich mit meinen Fischen in Ruhe. Wenn sie nicht die Familie darstellen, dann sind sie Tidenfische. Das Spiel ist einfacher. Die Tidenfische haben lange Namen und mögen Taufen. Um die Taufen dreht sich ihr Leben, wenn sie nicht gerade andere Fische fischen, Die Tidenfische sind echte Kannibalen, Die umständlichen Namen sind praktisch. Wenn sie verschwinden, finde ich häufig ein verkrüppeltes Rückgrat im Blumenbeet. Da spielt es dann auch keine Rolle, den Namen vergessen zu haben. Es läßt sich gut mit den Fischen spielen, ist aber nicht spannend genug, um meinem Vater die Chance zu geben, sich davonzuschleichen. Beim geringsten Anzeichen, er könne sich zum Waldrand oder zu den Booten hin bewegen, lasse ich die Fische fallen. Sie bleiben liegen und verrotten, bis der Geruch die trägen Katzen weckt, die sie mit den Nasen und hoch erhobenem Schwanz orten. Die Katzen sind es, die das Rückgrat nicht begraben. Bald mache ich das auch nicht mehr.
Ämmi sieht ihren Sohn unter meinem starren Kinderblick rastlos werden, und sie weiß von meiner Angst, mein Vater könnte für immer weggehen. Darum nimmt sie mich zu allem mit, was sie zu tun hat. Niemand hat bisher etwas von ihm verlangt. Ämmi beobachtet aus dem Augenwinkel, wie er schwankt zwischen der Lust, sich fortzustehlen, und den Stunden, in denen er neben mir hockt. Unsere Blicke ruhen dann auf der Oberfläche des Flusses, und Ämmi ist ziemlich sicher, daß wir miteinander reden. Sie läßt uns in unserer stummen Kommunikation gewähren, solange sich das Pferd nicht in die Nähe stellt und mit dem Kopf nickt. Dann ruft sie mich herein, schiebt mir ein Stück Schokolade in den Mund und ein Stück Seife zwischen die Finger.
Eine Zeitlang tun wir nichts als Kartoffeln legen. Ämmi erzählt mir von der Güte Gottes, die den Himmel gelb färbt. Das ist unser Geheimnis. Aber sowie die Tante in unsere Nähe kommt, schweigt Ämmi. Ich lerne, daß der Himmel blau und grün ist. Ist er gelb, bin ich gut, aber wenn ich gut bin, ist er auch grün oder blau. Dann nicke ich. Ja, sicher kann ich das verstehen, aber weiß Ämmi, daß das Pferd eine Tochter bekommen soll? Ämmi unterbricht ihre Arbeit.
»Siehst du, die du nichts von Tieren weißt, so etwas?« Sie lächelt überrascht, und ich lächele jetzt auch, denn Ämmi hat fast keine Zähne mehr, mit denen sie lächeln kann.
»Nein«, sage ich. »Das Pferd hat es mir erzählt. Es will, daß mein Vater dort sein soll, weil sie für das neue Herz, das klopfen soll, zusammen doppelt Stärke sammeln können.«
»Ach so«, murmelt Ämmi und sieht gequält aus.
So sieht sie meistens aus, wenn ich ihr erzähle, was das Pferd so spricht. Denn Ämmi mag das gar nicht. Sie steckt mir Leckereien zu, damit ich an etwas anderes denke. Dann schmatze ich vergnügt und höre Ämmis Geschichten zu. Ämmi meint, daß wirkliche Geschichten von wirklichen Menschen und Geschehnissen die unwirkliche Sprache, die mein Vater mir beibringt, aufwiegen können. Sie hat sich entschlossen, nicht eher zu sterben, als bis ich ein nüchternes Mädchen mit Gottesglauben und hinreichenden Familienkenntnissen geworden bin. Sie spart an nichts. Verzichtet auf kein Detail bei den Geschichten von Mord und Irrsinn, von endlosen Krankenlagern, ernsten Charakterfehlern. Wenn sie es nur lebendig genug ausmalt, werde ich mich immer daran erinnern und die Geschichten als Ballast mit mir tragen. Menschenkenntnis nennt sie das, mit Betonung auf Menschen. Viele der Geschichten sind grauenerregend. Ich weiß nicht, welch ein Privileg ich als Ämmis Vertraute genieße. Ihre Klugheit hat sie mit allen geteilt. Sie hat nie einen Sinn darin gesehen, die Geschehnisse, die ihren Kenntnissen zugrunde liegen, ans Tageslicht zu ziehen. Ehe ich kam. Und jetzt meint Ämmi, alte, vergessene Verrücktheit sei besser, als wenn ich als Schwachsinnige oder als Geistkind ende.
»Du darfst nicht als Geistkind enden«, beschließt sie ihre Geschichten. Ich nicke erschrocken.
Gelegentlich fragt Ämmi, wer die Frau war oder woher ich komme. Ich begreife nicht, was sie meint. Ich komme von hier. Hier ist mein Vater, hier ist Ämmi, das Pferd und die Tante, dazu die Geister, die meinen Vater umgeben, und das Tantekind. Wenn Vater spielt, verschwinden die Geister eilig. Sie haben Angst, von den Bällen getroffen zu werden, die er über den Hof tritt oder den Pfeilen, die er in die Luft schießt.
Einige stille Tage vergehen. Ämmi nennt sie Kartoffelschonzeit und hat keine Kräfte, um sich mit mir abzugeben. Sie sitzt mit zuckenden Lippen am Küchentisch. An diesen Tagen ist es so warm, daß der Rasen vorm Haus gelb wird, und das Pferd schläft mit gesenktem Kopf in der Sonne. Mein Vater hält sich außer Sichtweite. Meist sitzt er im Scheunendunkel, das Stroh vom letzten Jahr klebt ihm am Hemd. Nachdem ich ihn dort einmal entdeckt habe, gehe ich nicht wieder hinein. Er sieht aus wie ausgelöscht, bemerkt weder mich noch andere. Gleicht nicht sich selbst. Der kalte Schweiß riecht wie von einem verwundeten Tier und läuft grün wie Meerwasser an ihm herunter. Eisschollen bleiben an der Haut hängen. Die Augen glänzen nicht mehr, man sieht nur noch das Weiße. Ich gehe nicht wieder zu ihm hinein, halte mich aber in der Nähe auf, den Blick auf die Scheunenwand gerichtet. Des Nachts jammert er und schreit mit verzerrter Stimme.
Eines Nachts wache ich auf, und mein Vater ist verschwunden. Ich bin allein. Ganz allein, zum ersten Mal. In den Stunden bis zum Morgen weine ich leise. Wenn Ämmi kommt oder die Tante, werden sie sagen, er kommt nie wieder zurück. Ich wage nicht, mich nach ihnen umzuschauen. Vielleicht sind sie auch verschwunden. Ich hege gar keinen Zweifel daran, daß Menschen für immer verschwinden können. Meinem Vater ging es so schlecht. Er ging, um zu sterben. Aus Ämmis Geschichten kenne ich eine Unzahl von Möglichkeiten zu sterben. Ich rolle mich zusammen und weine noch ein bißchen. Der Verlust ist so stark, daß ich beschließe, selbst auch zu sterben. Der grüne Schweiß war eine gefährliche Krankheit, und er konnte nicht mehr, schluchze ich. Ich habe ja selbst das Weiße in seinen Augen gesehen.
Ich höre nicht auf zu weinen, als Ämmi mich am nächsten Morgen findet. Sie nimmt mich mit nach unten und wäscht mit einem Lappen mein Gesicht. Aufgeweicht von all dem Schleim und dem Schniefen, platzen die strapazierten Adern in der Nase. Das Nasenblut rinnt gleichmäßig. Jetzt habe ich auch angefangen zu sterben, denke ich und spüre den warmen Blutgeschmack im Hals. Ich blute immer weiter, den ganzen Tag, abwechselnd in einen Eimer oder mit zurückgelehntem Kopf. Der Magen wird immer voller. Als der Abend kommt, rinnt das Blut schwächer, tröpfelt aber untröstlich weiter. Wie lange es dauert, zu sterben, denke ich erschöpft. Ich gluckere durch die Nacht und am nächsten Morgen meinem Vater entgegen.
Als er mit glänzenden Augen in der Tür steht, erhebe ich mich, um ihm entgegenzugehen, aber der Magen, voller Blut, duldet die Bewegung nicht. Ich übergebe mich auf den Fußboden. Eine Blutlache legt sich zwischen uns, aber er geht einfach hindurch, beugt sich zu mir, streichelt über meine Haarbüschel. Ich weine, erschreckt von all dem. Da streckt mein Vater einen Zeigefinger aus und zeichnet das allererste Strichmännlein als bleichen Kobold in eine Welt von Blut. Jedesmal, wenn das Strichmännlein seinen dünnen Mund füllt, zeichne ich ihm einen neuen Mund. Nicht ehe er satt ist, mit einem großen Schlund, schlafen ich und mein Vater, während sich neben dem kleinen Bett im Zimmer mit dem türkis bemalten Wandschrank das Lächeln über den Boden krümmt.
Als wir aufwachen, stolpern wir beinahe über den Eimer mit meinem Blut.
»Jetzt machen wir Blutpfannkuchen«, brüllt mein Vater, worauf ich nervös piepse. Ich muß hinter ihm und dem schwappenden Eimer herjagen bis ganz zum Fluß hinunter, erst da, als er das Blut in den Fluß ausleert, begreife ich, daß er Unsinn redet. Gemeinsam sehen wir es verschwinden. »Jetzt ist ein Teil dieses Flusses ein Teil von dir«, sagt mein Vater leise. Damit bin ich sehr zufrieden, aber das Beste ist doch, ihn zurückzuhaben.
»Dann brauche ich also nicht zu sterben«, erkläre ich.
Den ganzen Sommer wohnen wir auf dem Hof. Wenn mein Vater zu seinen Touren aufbricht, nimmt er mich mit, und die Länge der Touren wird meinen Beinen angepaßt, also gekürzt. Ich bin auch weiterhin davon überzeugt, schon immer hiergewesen zu sein. Diese unerschütterliche Sicherheit steckt die anderen an. Der Sommer ist eine endlose Reihe von Tagen, die sich voneinander nur durch Regen und Sonne unterscheiden. Wenn es regnet, lerne ich, still genug zu sitzen, daß eine Maus in meinem Hosenbein hochklettert, aber als ich herumspringe und die Beine ausschüttele, fällt die Maus heraus. Mein Vater krümmt die Hände um die verwirrten Tiere und bringt ihnen das Fauchen bei. Das klingt mehr wie Fensterknarren, und wir kichern glücklich. Eine von ihnen faucht, als Ämmi sie in der Küche ertappt. Da schlägt sie die Maus mit einem Besen an die Wand und verbrennt den Kadaver im Ofen. Ämmi wartet auf ihren Tod, und das Schlafen fällt ihr schwer. Immer noch erzählt sie von toten Menschen. All die Details lassen sie lebendig werden. Hin und wieder stehen sie fröstelnd an der Scheunenwand.
An Tagen mit gutem Wetter gehe ich mit meinem Vater Fischen. Die Fische halten sich fern, wenn ich mit im Boot bin, deshalb sitze ich zwischen den Steinen und zeichne. Am meisten zeichne ich Menschen, von denen Ämmi erzählt hat, und schließlich fühle ich mich dort zwischen den murmelnden Stimmen nicht mehr wohl, und ich wate in den Fluß hinein bis die Strömung mich erfaßt und ich beinahe ertrinke. Mein Vater muß aus Leibeskräften rudern, und er wringt meine Lungen über dem Bootsrand aus. Auch wenn sie sich erschreckend betragen, geben die Strichmännlein großen Trost. Sie vertrauen mir ihre Todesursachen an. Das ist weitaus besser, als ihre miserablen Lebensgeschichten zu hören. Eines Tages vergesse ich bei einem der Männer, den Fuß vollständig zu zeichnen und bekomme eine lange Geschichte zu hören, davon, wie er sich den Fuß mit der Sense abschnitt, aber die Sense war stumpf, der Fuß hing in Fetzen. Er verblutete, während er versuchte, zurück zum Haus zu robben. Der Fuß fiel unterwegs ab, blieb im Gestrüpp hängen. Er hörte nicht eher auf, die Familie heimzusuchen, als bis sein Bruder zwei Jahre nach der Beerdigung die Überreste fand.
»Weißt du, wie sich eine stumpfe Sense anfühlt?« fragte das Strichmännlein.
Als mein Vater zurückkommt, zittere ich wie ein Hase vor einem Fuchs. Daraufhin setzt er mich auf einen der Riesensteirie mitten im Fluß, so daß wir uns sehen können, auch wenn er weit draußen ist. Ich achte darauf, nicht flüchtig zu arbeiten, und nach einer Weile bin ich wieder ganz vertieft, fülle in wenigen Stunden den Riesenstein bis zum Rand mit Menschen. Ich entdecke, daß sie am nächsten Tag verschwunden sind. Mein Vater erklärt mir Ebbe und Flut. Dann schwimmen sie also zum Meer, konstatiere ich und lerne, daß Stichmännlein mehr Fisch als Mensch sind.
Eines Morgens sind alle anderen auf, als ich wach werde. Das Pferd hat gefohlt. Mein Vater hat schmieriges Zeugs auf den Armen, zähe Fäden hängen an ihm. Das Pferd trauert. Das Fohlen ist blind. Die Augen sind weiße Häute, die nichts von der realen Welt mitbekommen. Früher oder später wird es von einem Laut oder einer Bewegung zu Tode erschreckt werden, Alle sind stumm an diesem Tag, und mein Vater kümmert sich um das Pferd, versucht, es zu trösten. Am nächsten Morgen hat das Pferd sein Kind zu Tode gelegen. Wir helfen, das Fohlen zu begraben. Das Pferd will uns noch lange Zeit danach weder sehen noch mit uns reden. Nur so weit wie möglich auf der Koppel hin- und hergehen und schwermütig auf den Fluß starren.
»Wie gut, daß wir bald Heuernte haben«, sagt mein Vater. »Dann kann es an etwas anderes denken.«
Deshalb sind alle froh, daß sich das Wetter hält. Weil das Gras bald Heu sein wird. Als wir alle gemeinsam nach Uopaja fahren, sehe ich die Hütte, die sich verirrt hatte. Sie gefällt mir sofort sehr gut, ich lege die Hände an das Holz. Tagsüber rechen wir Gras zusammen und hängen es über die Trockengestelle. Ich und das Tantekind bekommen die kleinsten Rechen.
»Ihr sollt zusammenarbeiten«, sagt mein Vater. »Das Tantekind ist älter als du«, ergänzt er, als wir uns argwöhnisch beäugen. »Eines Tages wirst du seine Hilfe brauchen. So, und nun los mit euch!«
In den Pausen trinken wir mit der Kelle eiskaltes Wasser aus einem Blecheimer. Das Tantekind hält die Kelle und läßt mich zuerst trinken. Er ist vielleicht ja doch nicht so übel, beschließe ich, und am nächsten Tag sind wir fertig. Mittags bekommen wir Pfannkuchen und Saft. Mein Vater ist jeden Tag hier gewesen, und Ämmi weiß nicht, bei wem sie sich für die gute Arbeit bedanken soll, bei ihm oder bei mir, und für das Glück, das bei dieser Ernte mit uns war. Nach dem Essen fahren wir nach Hause und heizen die Sauna ein. Während die warm wird, werden Kuchen und Schokolade serviert. Ich und mein Vater, wir haben das Pferd zurück zum Hof geritten. Wir nahmen das Geschirr ab und sind hinaufgeklettert. Mein Vater sagt mit ruhiger Stimme »nach Hause«. Das Pferd wedelt mit dem Schweif. Es war über den Verlust des Fohlens hinweggekommen. Ängstigte sich nicht, nach Hause zu kommen, bewegte sich mit großen Schritten vorwärts. Bei der Heuernte war ein anderes Pferd dort zusammen mit ihm gewesen. Sie hatten die Nächte geteilt und die Sterne und gespürt, wie sich der Sommer in Herbst verwandelte. Die Sterne haben dem Pferd ein neues Kind geschickt. Das war in den Pferdebauch gepflanzt worden.
»Das Sternfohlen kann bestimmt fliegen«, sagte ich und strich dem Pferd über das zerzauste Haar.
Später, als Ämmi und ich allein in der Sauna sind, stirbt sie friedlich. Ich hocke unwissend da und mache in den Abfluß des gemauerten Fußbodens; das letzte Bild, das sie aus diesem Leben mit sich nimmt. Erst als ihr das Reisig aus der Hand fällt und sie es nicht wieder aufnimmt, auch nicht, als ich es ihr hinschiebe, begreife ich, daß etwas nicht stimmt. Dünn und weiß trotte ich über den Hof und ins Haus. Mein Vater wartet und weiß schon Bescheid.
Ich ziehe mich an, und nach der Beerdigung ziehen mein Vater und ich in die Hütte in Uopaja um. Das scheint mir ganz richtig zu sein. Bald ist Herbst, und die Geister meines Vaters seufzen erleichtert, flattern schon vorher eifrig. An dem Tag, als wir durch den Wald kommen, zittere ich, so froh bin ich. Mein Vater steckt mich an. Er entfaltet sich neben mir. Als er beinahe eins wird mit den Bäumen, lache ich begeistert über das Kunststück. Andere Stimmen lachen auch. Ich bin mir nicht sicher, ob das die Bäume sind, lächele ihnen sicherheitshalber aber zu.